1. Bei einem Gebrauchtwagen ist, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, jedenfalls der normale alters- und gebrauchsbedingte Verschleiß üblich und vom Käufer hinzunehmen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 10.10.2007 – VIII ZR 330/06, juris Rn. 19; Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 19). Der Verkäufer haftet deshalb nicht für den Ausfall von Verschleißteilen und eine größere Reparaturanfälligkeit des Fahrzeugs, wenn sie in einem normalen Verhältnis zu dessen Laufleistung stehen.
  2. Ein gemessen am technischen Standard übermäßiger („ungewollter“) Verschleiß – hier in Gestalt der konstruktiv nicht vorgesehenen Längung einer Steuerkette – stellt demgegenüber bei einem Gebrauchtwagen selbst dann einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB dar, wenn er bei Fahrzeugen derselben Marke und desselben Typs häufig(er) vorkommt.

OLG Brandenburg, Urteil vom 01.03.2019 – 4 U 30/18

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von dem beklagten Kfz-Händler einen gebrauchten, am 09.12.2003 erstzugelassenen VW Golf V zum Preis von 5.500 €. Dieses Fahrzeug wurde dem Kläger am 06.07.2015 mit einer Laufleistung von 123.000 km übergeben.

In der Folgezeit befand sich der Pkw wiederholt in einer von dem Beklagten benannten Kfz-Werkstatt in Berlin, weil – wie der Kläger behauptet hat: wegen einer bereits bei der Übergabe zu langen Steuerkette – die Motorkontrollleuchte aufleuchtete. Nachdem es den Mitarbeitern der Kfz-Werkstatt nicht gelungen war, das Problem zu beseitigen, und der Beklagte weitere Nachbesserungsversuche nur noch vornehmen (lassen) wollte, wenn sich der Kläger an den Kosten beteiligt, erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Mit der Klage hat der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags und die Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben (LG Potsdam, Urt. v. 19.03.2018 – 12 O 29/16). Es hat ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der streitgegenständliche VW Golf schon bei der Übergabe an den Kläger mangelhaft gewesen sei. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. S habe überzeugend dargelegt, dass die Steuerkette des VW Golf zu lang gewesen sei, als er – S – das Fahrzeug begutachtet habe. Weiter habe der Sachverständige ausgeführt, dass die festgestellte Längung nicht während der Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger, der damit weniger als 2.000 km gefahren sei, entstanden sein könne. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei die Längung der Steuerkette keine unerhebliche, von dem Kläger hinzunehmende Verschleißerscheinung. Vielmehr liege ein Sachmangel vor, weil sich der streitgegenständliche Pkw wegen der zu langen Steuerkette nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch eigne; er könne so nicht ungestört gefahren werden. Der Kläger schulde dem Beklagten allerdings eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 128,57 € für 1.800 mit dem Pkw gefahrene Kilometer. Der geltend gemachte Freistellungsanspruch des Klägers bestehe unter dem Gesichtspunkt des Verzugs.

Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. … 1. Für den wesentlichen Inhalt der Entscheidungsgründe wird gemäß §§ 540 II, 313a I 2 Fall 2 ZPO auf die protokollierten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2019 vorab Bezug genommen. Ergänzend wird das Folgende ausgeführt:

a) Der Kläger hat nach mehrmals fehlgeschlagener und vom Beklagten zuletzt nur noch gegen anteilige Kostenübernahme zugesagter weiterer Nachbesserung zu Recht den Rücktritt von dem Kaufvertrag über das streitgegenständliche Kraftfahrzeug erklärt (§ 434 I 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2 Fall 1, § 439 I Fall 1, §§ 440, 323 I, 326 V BGB), sodass der Beklagte einem Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags ausgesetzt ist; er schuldet die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich des vom Kläger konkludent aufgerechneten Nutzungswertersatzes Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs (§§ 346 I, 348 Satz 1 BGB).

aa) Zum Zeitpunkt der Übergabe war der streitgegenständliche Personenkraftwagen mangelhaft i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB. Danach ist eine gekaufte Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt, auch wenn der Kläger das Fahrzeug nach dem Erwerb noch vorübergehend nutzen konnte. Indem das Fahrzeug unstreitig schon innerhalb des ersten Monats einen mangelhaften Zustand aufgewiesen hat, greift zu seinen Gunsten die Beweislastregel des § 477 BGB. Danach muss der Käufer beim Verbrauchsgüterkauf zunächst lediglich beweisen, dass binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand aufgetreten ist; gelingt ihm dieser Beweis oder ist der später aufgetretene Mangel als solcher – wie im Streitfall – unstreitig, greift die Vermutung des § 477 BGB ein, wonach dieser Mangel zumindest im Ansatz schon im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 2012, 224 Rn. 36, 46; Urt. v. 15.01.2014 – VIII ZR 70/13, BGHZ 200, 1 Rn. 20).

bb) Diese Vermutung zu widerlegen, ist dem Beklagten als Verkäufer nach den – von der Berufung insofern nicht konkret angegriffenen und i. S. des § 529 I Nr. 1 ZPO auch nicht zu beanstandenden – Feststellungen des Landgerichts nicht gelungen. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist das Landgericht auf Grundlage der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen S vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die mangelhafte Steuerkette des Fahrzeugs bereits bei dessen Erwerb gelängt und damit ersetzungsreif war. Einen dafür verantwortlichen Mangel an einem anderen – etwaig verschleißgeneigten – Bauteil hat der Sachverständige nicht festgestellt (vgl. Gutachten vom 06.07.2017, S. 7). Dass die von dem Sachverständigen festgestellte regelwidrige Längung der Steuerkette allein in der von dem Kläger zurückgelegten Fahrzeit entstanden ist, in der er weniger als drei Prozent der Gesamtlaufleistung zurückgelegt hat, ist nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (vgl. Gutachten vom 06.07.2017, S. 8 f.).

cc) Soweit demgegenüber der Beklagte meint, die von dem Sachverständigen festgestellte Längung der Steuerkette beruhe allein auf einem für dieses Bauteil typischen Verschleiß, der im Sinne der Rechtsprechung des BGH als für das streitbefangene Fahrzeug altersangemessen anzusehen sei, ist dem nicht zu folgen.

(1) Zutreffend ist zwar, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einem Gebrauchtwagen, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, jedenfalls der normale alters- und gebrauchsbedingte Verschleiß üblich und hinzunehmen ist, wobei die übliche Beschaffenheit stets von den Umständen des Einzelfalls abhängt (BGH, Urt. v. 10.10.2007 – VIII ZR 330/06, juris Rn. 19; Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 19 m. w. Nachw.). Es werden daher beim Gebrauchtwagenkauf der Ausfall von Verschleißteilen und eine größere Reparaturanfälligkeit hingenommen, wenn sie in einem normalen Verhältnis zur zurückliegenden Laufleistung stehen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.04.2003 – I-1 U 209/02, juris Rn. 15 f.; MünchKomm-BGB/Westermann, 7. Aufl., § 434 Rn. 65 m. w. Nachw.).

(2) Ein Sachmangel liegt demnach aber insbesondere dann vor, wenn das Fahrzeug insgesamt oder bauteilbezogen einen übermäßigen Verschleiß aufweist, der – wie hier vom Sachverständigen ausgeführt – mit der konkreten Fahrzeugtechnik in Zusammenhang steht (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 24.06.2010 – 2 U 77/09, juris Rn. 9 ff.; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 04.03.2005 – 24 U 198/04, juris Rn. 14; OLG Hamm, Urt. v. 18.06.2007 – 2 U 220/06, juris Rn. 23).

Davon ist im hiesigen Streitfall auszugehen. Gemäß den in sich widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen handelt es sich bei der in Rede stehenden Steuerkette um eine nahezu wartungsfreie Alternative zu einem Zahnriemen, die anders als ein solcher nicht in regelmäßigen Intervallen zu erneuern ist:

„Bei der Längung der Steuerkette handelt es sich insofern um ein[en] durchaus bekannten Mangel, der auf einen in dieser Form ungewollten Verschleiß des Bauteils zurückzuführen ist.“ (Gutachten, S. 8).

Dies legt es zum einen nahe, dass die Längung der Steuerkette hier bereits im technischen Zustand des Fahrzeugs beim Kauferwerb angelegt war, zumal Anhaltspunkte für Ursachen außerhalb der gewöhnlichen Beanspruchung aus sachverständiger Sicht nicht bestanden haben. Zum anderen ist damit der Zustand des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen eines außerordentlichen Verschleißes der untersuchten Steuerkette hinter dem für vergleichbare Gebrauchtfahrzeuge zu verlangenden und vom Erwerber zu erwartenden technischen Standard zurückgeblieben.

Für die von dem Beklagten vorgetragene Beurteilung der Ausführungen des Sachverständigen, wonach dieser eine normale respektive altersgemäße Längung der Steuerkette festgestellt habe, findet sich in dem Gutachten hingegen kein tauglicher Anhaltspunkt. Der Sachverständige hat deren Längung gerade nicht auf das allgemeine Alter des Fahrzeugs, sondern auf herstellerseitige Probleme mit einer gehäuft aufgetretenen Fehlerhaftigkeit der Steuerkette bei dem hier in Rede stehenden Motortyp zurückgeführt:

„Allerdings hat (nicht nur) VW teilweise erhebliche Probleme mit der Haltbarkeit von Steuerketten. Dies trifft unter anderem auf den im Klägerfahrzeug verbauten Motortyp zu.“ (Gutachten, S. 8).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist ein Sachmangel deshalb aber zu bejahen, denn erwarten durfte der Kläger, dass das erworbene Gebrauchtfahrzeug die aus Sicht des Sachverständigen konstruktiv nicht vorgesehene Längung der Steuerkette auch unter Berücksichtigung seines Alters nicht aufweisen würde. Vor diesem Hintergrund ist auch auf Grundlage der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht von einem üblichen, sondern von einem außerordentlichen („ungewollten“) Verschleiß auszugehen, der für das streitgegenständliche Gebrauchtfahrzeug einen Mangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB begründet.

(3) Anders als der Beklagte meint, wird der richtige Maßstab für übliche Verschleißerscheinungen auch nicht dadurch gesetzt, dass einzelne Hersteller bei der Produktion von Serienfahrzeugen bei bestimmten Bauteilen gehäuft auf Probleme mit deren außerplanmäßiger Fehleranfälligkeit stoßen, denn maßstäblich für den altersangemessenen Verschleiß sind die allgemein an ein Bauteil der betreffenden Art anzulegenden technischen Standards. Insofern sind Qualitätsmängel einer Steuerkette, treten sie bei einzelnen Herstellern und bestimmten Serienfahrzeugen auch gehäuft auf, nicht anders zu bewerten als andere Fälle, in denen Fahrzeughersteller fehleranfällige Bauteile verwenden, die den dafür konstruktiv vorausgesetzten Qualitätsanforderungen nicht genügen. Dass ein Fahrzeug, wenn es einen vom technischen Sollzustand abweichenden Istzuustand aufweist, nicht etwa deshalb frei von einem Sachmangel ist, weil derselbe Fehler – wie der Sachverständige zur in Rede stehenden Steuerkette ausgeführt hat – bei anderen Fahrzeugen derselben Marke und desselben Typs ebenfalls häufig(er) vorgekommen ist, liegt damit auf der Hand, ohne dass es hier insoweit bereits darauf ankommen würde, ob von diesem Sachmangel seinerzeit die ganze Fahrzeugserie betroffen war (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.11.2011 – I-1 U 141/07, juris Rn. 61).

b) Dass das Landgericht den im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses in Ansatz gebrachten Gegenanspruch auf Wertersatz wegen der Gebrauchsvorteile des Fahrzeugs während der Besitzzeit des Klägers fehlerhaft bemessen hat (§ 346 I Fall 2, II 1 Nr. 1, § 100 BGB), trägt der Beklagte nicht vor. Auf Grundlage der dazu vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist mit einer rechnerisch vorausgesetzten Fahrzeuggesamtlaufleistung von 200.000 km und einer angenommenen – nicht reparaturversuchsbedingten – Laufleistung nach Kauferwerb von rund 1.800 km der auf 128,57 € angesetzte Abzugsbetrag jedenfalls auch nicht zu niedrig bemessen (§ 287 II ZPO; vgl. dazu BGH, Beschl. v. 09.12.2014 – VIII ZR 196/14, juris Rn. 3; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2018 – 17 U 4/18, juris Rn. 49 ff.).

2. Die Nebenentscheidung zu den Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 97 I ZPO. …

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die von den Umständen des Einzelfalls geprägte Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 II Nr. 1 ZPO) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH nicht erfordert (§ 543 II Nr. 2 ZPO). Dass ungewollter Verschleiß von technischen Bauteilen eines Gebrauchtfahrzeugs regelmäßig für dieses einen kaufrechtlichen Sachmangel begründet, ergibt sich bereits aus der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung.

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