1. Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen ist zwar i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, weil er nicht die übliche und von einem Käufer zu erwartende Beschaffenheit eines Neuwagens aufweist. Da jedoch die Beseitigung des Mangels möglich ist und – bezogen auf ein einzelnes Fahrzeug – einen Kostenaufwand von weniger als 100 € erfordert, kann der Verkäufer eine Nacherfüllung durch Lieferung eines mangelfreien Neuwagens (§ 439 I Fall 2 BGB) gemäß § 439 III BGB verweigern.
  2. Die Kosten, die der Volkswagen AG in Vorbereitung der konkreten Mangelbeseitigung (z. B. für die Entwicklung eines Softwareupdates) bereits entstanden sind, sind nicht in die nach § 439 III BGB vorzunehmende Abwägung einzustellen, weil es sich dabei um „Sowiesokosten“ handelt. Sie erhöhen sich dadurch, dass ein konkretes Fahrzeug nachgebessert wird, nicht.
  3. Bei der Beurteilung, ob eine Frist zur Nachbesserung, die der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs dem Verkäufer gemäß § 323 I BGB gesetzt hat, angemessen ist, ist zu berücksichtigen, dass der Käufer sein Fahrzeug uneingeschränkt nutzen kann. Für ihn ist es deshalb weitgehend unerheblich, wann eine Mangelbeseitigung erfolgt.

LG Münster, Urteil vom 04.10.2016 – 02 O 1/16

Sachverhalt: Die Klägerin bestellte bei der Beklagten, einer von der Volkswagen AG unabhängigen Vertragshändlerin, am 29.10.2013 einen Škoda Roomster 1.6 TDI zum Preis von 14.660 €. Die Beklagte nahm diese Bestellung mit Auftragsbestätigung vom 12.11.2013 an.

In dem Fahrzeug, das der Klägerin übergeben wurde, befindet sich ein Motor des Typs EA189. Er steht in Verbindung mit einer Software, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf der Straße befindet oder ob es auf einem Prüfstand einem Emissionstest unterzogen wird. In dem zuletzt genannten Fall wird der Stickoxidausstoß des Fahrzeugs in unzulässiger Weise optimiert, und nur deshalb hält das Fahrzeug (scheinbar) die einschlägigen Emissionsgrenzwerte ein.

Die Klägerin forderte die Beklagte deshalb mit Schreiben vom 02.12.2015 zur Nacherfüllung durch Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs (§ 439 I Fall 2 BGB) auf und setzte ihr hierfür eine Frist bis zum 17.12.2015. Diesem Nacherfüllungsverlangen ist die Beklagte bis heute nicht nachgekommen; auch eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) ist bis zum heutigen Tage nicht erfolgt. Vorgesehen ist, dass das Fahrzeug der Klägerin auf Kosten der Volkswagen AG ein Softwareupdate erhält und vor dem Luftmassenmesser ein sogenannter Strömungstransformator befestigt wird. Diese Maßnahme kostet die Volkswagen AG deutlich weniger als 100 € und erfordert einen Arbeitsaufwand von weniger als einer Stunde.

Die Klägerin meint, ihr Fahrzeug sei mangelhaft, weil es vom VW-Abgasskandal betroffen ist, und sie habe deshalb Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs (§ 439 I Fall 2 BGB). Sollte der Beklagten eine Ersatzlieferung nicht möglich sein, weil der Škoda Roomster so, wie ihn die Klägerin bestellt habe, seit Anfang 2015 nicht mehr hergestellt wird, könne sie – die Klägerin – vom Kaufvertrag zurücktreten.

Die Klage hatte weder mit dem Hauptantrag (Lieferung eines mangelfreien Škoda Roomster Zug um Zug gegen Rückgabe des ausgelieferten Fahrzeugs) noch mit dem Hilfsantrag (Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs) Erfolg.

Aus den Gründen: I. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs … aus §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB nicht zu.

Das Fahrzeug ist zwar mangelhaft. Es liegt ein Verstoß gegen § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.

Das Fahrzeug eignet sich zwar trotz der manipulierten Abgassoftware für die gewöhnliche Verwendung. Es weist angesichts dieser Manipulation aber keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeugs kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern [sie] basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält (LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15; vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16).

Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, da das Fahrzeug nicht mehr hergestellt wird und der Beklagten eine Nachlieferung daher unmöglich ist gemäß § 275 I BGB. Darüber hinaus ist der Anspruch gemäß § 439 III BGB ausgeschlossen. Danach kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist. Dies ist vorliegend anzunehmen. Denn die Nachbesserung in Form der Umrüstung kostet im Einzelfall unter 100 €, während die Neulieferung bei unterstellter Möglichkeit circa 15.000 € kosten würde. Bei dieser Beurteilung ist es sachgerecht, die Entwicklungskosten für die Umrüstung nicht mit zu berücksichtigten. Denn diese Kosten sind bei der Volkswagen AG ohnehin bereits als „Sowiesokosten“ angefallen. Dadurch, dass die Volkswagen AG das Fahrzeug der Klägerin umrüstet, fallen keine weiteren Kosten als die bereits genannten Kosten im Bereich unter 100 € an. Die Klägerin kann somit nicht geltend machen, dass die Nachbesserung ihres Fahrzeugs weit über 100 € kosten würde.

II. Der Klägerin steht der hilfsweise geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch trotz der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs (s. oben) ebenfalls nicht zu. Die Voraussetzungen gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 BGB sind nicht erfüllt.

Dem Rücktritt steht schon entgegen, dass die von der Klägerin gesetzte Frist zur Mangelbeseitigung nicht angemessen war und die durch die Fristsetzung in Gang gesetzte angemessene Frist bei Abschluss des schriftlichen Verfahrens noch nicht abgelaufen war.

Nach § 323 I BGB kann der Gläubiger vom Vertrag im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung zurücktreten, wenn er dem Schuldner zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Mangels konkreter Parteivereinbarung richtet sich die Bewertung der Angemessenheit hier nach objektiven Maßstäben. Insoweit ist zunächst die Dimension der Softwareproblematik bei diversen Dieselmotoren der VW-Fahrzeugflotte zu berücksichtigen. Bei der von der Klägerin gerügten Mangelhaftigkeit handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Vielmehr sind allein in Deutschland bekanntermaßen Millionen von Fahrzeugen betroffen. Insofern war und ist dem VW-Konzern und damit auch den VW-Vertragshändlern zuzugestehen, zunächst eine Problemlösung zu entwickeln und eine Strategie zur Umsetzung derselben zu entwerfen, insbesondere auch unter Einbeziehung der beteiligten Behörden. Ferner kann bei der Angemessenheit der Fristsetzung nicht vernachlässigt werden, dass die Fahrtauglichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach derzeitigem Sach- und Streitstand in keiner Weise eingeschränkt ist. Die Klägerin ist für die volle Nutzbarkeit des Pkw nicht auf die umgehende Durchführung des Softwareupdates angewiesen. Für sie ist es daher letztlich weitgehend unerheblich, wann das Update aufgespielt wird. Inwiefern die Klägerin auf die zügige Behebung des Softwareproblems angewiesen ist, ist jedenfalls weder dargelegt noch ersichtlich (LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15).

Unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände, insbesondere in Anbetracht der erheblichen Anzahl der betroffenen Fahrzeuge auf der einen Seite und der uneingeschränkten Nutzbarkeit dieser Fahrzeuge auf der anderen Seite, liegt ein angemessener Fristablauf derzeit noch nicht vor. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass eine Nachrüstung allerspätestens in der 50. Kalenderwoche 2016 erfolgen wird. Insoweit ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit der Fristsetzung auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich nunmehr auf den weiteren Verlauf einstellen kann, auch wenn sie die Einhaltung der Frist bestreitet. Im Rahmen der Angemessenheit ist zugunsten der Beklagten ebenfalls zu berücksichtigen, dass sie keinen Einfluss auf die Entwicklung der Problemlösung bei der Volkswagen AG hat, sodass der Beklagten ein Verzögern der Nachbesserung nicht vorgeworfen werden kann. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Volkswagen AG schon für viele Fahrzeugmodelle vom Kraftfahrt-Bundesamt die Freigabe erhalten hat und bereits in erheblichem Umfang mit der Nachbesserung begonnen hat. Dass das Fahrzeug der Klägerin gerade gegen Ende der geplanten Umrüstungszeit erst an der Reihe ist, ist der Beklagten nicht vorzuwerfen. Sie hat hierauf keinen Einfluss.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass eine Fristsetzung zur Nachbesserung gemäß § 326 V BGB entbehrlich wäre, da eine Nachbesserung aufgrund verbleibender Mängel (erhöhter Kraftstoffverbrauch und erhöhter Schadstoffausstoß) i. S. des § 275 I BGB unmöglich wäre. Hierfür fehlt es schon an substanziiertem Vortrag der Klägerin. Zudem ist die Wertung des § 440 Satz 1 BGB zu beachten. Danach bedarf es einer Fristsetzung dann nicht, wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Dies setzt jedoch voraus, dass die Klägerin der Beklagten erst einmal die Chance zur Nachbesserung durch Umrüstung des Motors gibt. Selbiges gilt für die Behauptung des verminderten Wiederverkaufswerts. Auch hier ist der Vortrag unsubstanziiert. Zudem bleibt abzuwarten, ob nach einer erfolgten Umrüstung tatsächlich ein wesentlich verminderter Wiederverkaufswert verbleibt …

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