1. Es ist aus Presseberichten allgemein bekannt und somit i. S. des § 291 ZPO offenkundig, dass die Betriebserlaubnis eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs nicht erloschen ist.
  2. Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens ist im Regelfall jedenfalls deshalb nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, weil der Mangel, der seinem Fahrzeug möglicherweise anhaftet, i. S. des § 323 V 2 BGB geringfügig ist. Das ergibt sich daraus, dass – wie aus Presseberichten allgemein bekannt und damit i. S. des § 291 ZPO offenkundig ist – eine Mangelbeseitigung lediglich einen Kostenaufwand erfordert, der regelmäßig einen Betrag von einem Prozent des Kaufpreises nicht übersteigt.

LG Bochum, Urteil vom 08.09.2016 – 2 O 192/16
(OLG Hamm, Beschluss vom 05.01.2017 – 28 U 201/16)

Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung vom 24.09.2010 einen Neuwagen (Audi A1 1.6 TDI Ambition) zum Preis von 21.617,93 €. Das Fahrzeug wurde der Klägerin am 18.02.2011 übergeben.

In einer EG-Übereinstimmungsbescheinigung vom 05.01.2011 sind die CO2-Emissionen des Pkw wie folgt angegeben:

CO2 (g/km)
innerorts außerorts kombiniert
121 92 103

Zum Kraftstoffverbrauch heißt es:

Kraftstoffverbrauch (l/100 km)
innerorts außerorts kombiniert
4,7 3,5 3,9

Das Fahrzeug der Klägerin ist vom VW-Abgasskandal („Dieselgate“) betroffen. Die Klägerin ließ deshalb mit anwaltlichem Schreiben vom 03.11.2015 ihren Rücktritt vom Kaufvertrag erklären. Für dessen Rückabwicklung wurde der Beklagten eine Frist bis zum 17.11.2015 gesetzt.

Die Klägerin hält ihr Fahrzeug für mangelhaft und meint, hinsichtlich der in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung angegebenen Emissions- und Verbrauchswerte – auf deren Richtigkeit sie sich verlassen habe – sei eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) zustande gekommen. Die vereinbarte Beschaffenheit habe das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch schon bei der Übergabe nicht gehabt. Sie – die Klägerin – sei daher unmittelbar zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt gewesen; eine Frist zur Nacherfüllung (§ 439 I BGB) habe sie der Beklagten nicht setzen müssen.

Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Dem ist die Klägerin entgegengetreten. Sie meint, ihr Rücktritt sei nicht nach § 218 I 1 BGB unwirksam, da ihre Mängelansprüche noch nicht verjährt seien. Vielmehr habe hinsichtlich dieser Ansprüche in Ermangelung eines wirksamen Kaufvertrages noch keine Verjährungsfrist begonnen. Der Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Neuwagen sei nämlich unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen worden, dass dem Fahrzeug eine Betriebserlaubnis erteilt werde. Diese Bedingung sei noch nicht eingetreten, weil die Erteilung der Betriebserlaubnis davon abhänge, dass das Fahrzeug technisch überarbeitet werde.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Die Klägerin hat keinen Anspruch auf … Rückzahlung des Kaufpreises von 21.617,93 € Zug um Zug gegen Rückgabe des erworbenen Pkw. Der allein in Betracht kommende Rückabwicklungsanspruch gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1 BGB i. V. mit §§ 440, 323 ff. BGB ist jedenfalls verjährt.

Die Verjährung der Mängelansprüche des Käufers beim Kauf beweglicher Sachen richtet sich nach § 438 BGB. Gemäß § 438 IV BGB gilt für das in § 437 Nr. 2 BGB bezeichnete Rücktrittsrecht des Käufers § 218 BGB. Danach ist der Rücktritt unwirksam, wenn der Nacherfüllungsanspruch des Käufers wegen Mängeln verjährt ist und der Verkäufer sich hierauf beruft. So liegt es hier.

Der Nacherfüllungsanspruch des Käufers gemäß § 437 Nr. 1 BGB verjährt gemäß § 438 I Nr. 3 BGB in zwei Jahren. Die Verjährung beginnt mit Übergabe und setzt die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages voraus.

Die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages wird vorliegend nicht dadurch infrage gestellt, dass dem seitens der Klägerin erworbenen Fahrzeug die Betriebserlaubnis fehlt. Es ist aus Veröffentlichungen in der Presse im Zusammenhang mit der Diskussion um den VW-Abgasskandal allgemein bekannt und gemäß § 291 ZPO offenkundig, dass die Betriebserlaubnis der vom „Dieselgate“ betroffenen Fahrzeuge nicht erloschen ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat durch Bescheid vom 21.07.2016 festgestellt, dass die im Rahmen der Rückrufaktion von der Volkswagen AG geplante Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge mit den betroffenen Motoren herzustellen. Von einem Erlöschen der Betriebserlaubnis oder sonstiger erforderlicher Zulassungen und Genehmigungen kann nach derzeitigem Erkenntnisstand gerade nicht ausgegangen werden.

Unstreitig hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Fahrzeug bereits am 18.02.2011 an die Klägerin übergeben. Die Verjährungsfrist war daher bereits im Februar 2013 abgelaufen.

Unabhängig von der Frage der Verjährung fehlt es aber auch an den sachlichen Voraussetzungen für einen Rückabwicklungsanspruch gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1 BGB i. V. mit §§ 440, 323 ff. BGB.

Die Kammer kann offenlassen, ob die Manipulation der Abgaswerte durch eine Software des Herstellers das seitens Klägerin erworbene Fahrzeug mangelhaft macht. Jedenfalls überschreitet ein etwaiger Mangel nicht die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V 2 BGB, da der Hersteller, wie ebenfalls durch Presseberichte allgemein bekannt und damit offenkundig ist, die Beseitigung des Mangels anbietet und die Beseitigung des Mangels nur einen kleinen dreistelligen Betrag und damit im Regelfall weniger als ein Prozent des Kaufpreises kostet.

Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17).

Hier ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Mangel behebbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat durch Bescheid vom 21.07.2016 festgestellt, dass die im Rahmen der Rückrufaktion von der Volkswagen AG geplante Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge mit den betroffenen Motoren herzustellen.

Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach der Entscheidung des BGH in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17). Bei einem Mangelbeseitigungsaufwand, der weniger als ein Prozent des Kaufpreises ausmacht, ist die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V 2 BGB ersichtlich nicht überschritten.

Besondere Umstände, die trotz des geringfügigen Mangelbeseitigungsaufwands für eine erhebliche Pflichtverletzung der Beklagten sprechen könnten, liegen nicht vor. Namentlich führt der mit dem VW-Abgasskandal verbundene Vorwurf einer Täuschung nicht zu einer erheblichen Pflichtverletzung im Sinne der genannten Vorschrift. Insoweit ist zu beachten, dass die Pflichten, um deren Verletzung und um deren Erheblichkeit es im Rahmen des § 323 V 2 BGB geht, jeweils im Kontext des Vertragsverhältnisses gesehen werden müssen. Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass die Beklagte als unabhängige Autohändlerin Kenntnis von einer Manipulation der Abgaswerte durch die Software des VW-Konzerns besaß. Von einer Täuschung kann daher, was das Verhalten der Beklagten angeht, keine Rede sein. Eine Erheblichkeit des Mangels ergibt sich auch nicht daraus, dass dessen Behebung im Rahmen der Rückrufaktion des VW-Konzerns möglicherweise noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Da das Fahrzeug auch vor Beseitigung des etwaigen Mangels in vollem Umfang verkehrstauglich und funktionsfähig ist, kann der Klägerin zugemutet werden, die Durchführung der mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Mängelbeseitigungsmaßnahmen abzuwarten. Auch aus dem Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachbesserung … angeordnet hat, folgt nicht, dass der Mangel erheblich wäre. Eher kann daraus abgeleitet werden, dass er nicht so erheblich ist, dass die Typgenehmigung der betroffenen Fahrzeuge sofort zu widerrufen gewesen wäre. Gerade die Tatsache, dass das Kraftfahrt-Bundesamt dem VW-Konzern die Möglichkeit einräumt, den Mangel nachzubessern, zeigt, dass die Durchführung dieser Nachbesserungsmaßnahme dem einzelnen Fahrzeugkäufer zumutbar ist (LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15). Dass der behauptete Mangel im konkreten Fall zu einer Wertminderung des klägerischen Fahrzeugs geführt hätte, vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen.

Selbst wenn man entgegen dem vorstehend Ausgeführten annehmen wollte, das Fahrzeug der Klägerin leide an einem erheblichen Mangel, war die Klägerin gleichwohl nicht unmittelbar zum Rücktritt berechtigt. Vielmehr hätte die Klägerin gemäß § 323 I BGB der Beklagten vor Erklärung des Rücktritts Gelegenheit zur Nachbesserung geben müssen. Eine Fristsetzung zur Nachbesserung war nicht gemäß § 440 BGB entbehrlich. Eine Nachbesserung ist möglich und der Klägerin zumutbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat – wie ausgeführt – durch Bescheid vom 21.07.2016 festgestellt, dass die im Rahmen der Rückrufaktion von der Volkswagen AG geplante Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge mit den betroffenen Motoren herzustellen. Eine Nachbesserung ist der Kläger auch deshalb zumutbar, weil jedenfalls seitens der Beklagten eine zur Unzumutbarkeit der Nachbesserung führende Täuschungshandlung nicht gegeben ist.

Da die Klägerin nicht berechtigt ist, vom Kaufvertrag zurückzutreten, stehen ihr auch die weiter geltend gemachten Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht zu. Ebenso kann schließlich die begehrte Feststellung des Annahmeverzugs nicht getroffen werden. …

Hinweis: Mit Beschluss vom 05.01.2017 – 28 U 201/16 – hat das OLG Hamm darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss nach § 522 II ZPO zurückzuweisen. Das Rechtsmittel wurde daraufhin zurückgenommen.

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