1. Nach seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung ist ein Kaufvertrag über eine bewegliche Sache nach einem wirksamen Rücktritt, einem wirksamen Widerruf oder einer wirksamen Anfechtung einheitlich dort rückabzuwickeln, wo sich die Kaufsache im Zeitpunkt des Rücktritts, des Widerrufs oder der Anfechtung vertragsgemäß befindet. Dieser einheitliche Erfüllungsort („Austauschort“) ist im Regelfall am Wohnsitz des Käufers anzusiedeln, sodass regelmäßig dort auch der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 I ZPO) begründet ist (so schon Senat, Beschl. v. 21.03.2016 – 2 AR 9/16, juris Rn. 10).
  2. Ein einheitlicher Erfüllungsort („Austauschort“) ist auch dann anzunehmen, wenn die Kaufsache untergegangen oder an den Verkäufer, den Hersteller oder den Importeur zurückgeben worden ist. Denn zum einen sollte der Käufer in einem solchen Fall nicht schlechter stehen, als er stünde, wenn der die Kaufsache behalten hätte, und zum anderen werden so Zufallsergebnisse vermieden.

KG, Beschluss vom 16.11.2020 – 2 AR 1053/20

Sachverhalt: Der Kläger, der seinen Wohnsitz in Berlin hat, erwarb auf dem Betriebsgelände der Beklagten, die im Bezirk des LG Rostock ansässig ist, am 05.07.2019 für 6.300 € ein Elektrofahrzeug zum privaten Gebrauch. Es wurde vereinbart, dass dieses Fahrzeugs gegen Zahlung weiterer 450 € nach Berlin verbracht und dort an den Kläger ausliefert wird.

Nachdem der Kläger das Elektrofahrzeug erhalten hatte, erhob er wiederholt Mängelrügen. Am 22.09.2019 wurde das Fahrzeug deshalb bei dem Kläger abgeholt, um es nachzubessern. Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.01.2020 erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Mit seiner ursprünglich beim LG Berlin erhobenen Klage verlangt der Kläger die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises nebst Überführungskosten sowie den Ersatz vorgerichtlicher entstandener Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte hat nach Zustellung der Klageschrift ihre Passivlegitimation bestritten und geltend gemacht, dass das LG Berlin örtlich unzuständig sei. Daraufhin hat der Kläger mit einem Schriftsatz vom 20.08.2020 auf die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen, wonach für die Rückabwicklung von Kaufverträgen ein einheitlicher Erfüllungsort – und damit auch ein Gerichtsstand (§ 29 I ZPO) – dort anzusiedeln ist, wo sich die Kaufsache im Zeitpunkt des Rückabwicklungsverlangens vertragsgemäß befindet.

Dessen ungeachtet hat sich das LG Berlin mit Beschluss vom 31.08.2020 aufgrund eines (gleichwohl) hilfsweise gestellten Verweisungsantrags des Klägers für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Rostock verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht gemäß § 29 I ZPO örtlich zuständig, weil vertraglicher Erfüllungsort das Betriebsgelände der Beklagten sei. Daran ändere nichts, dass der Kläger eigentlich geplant habe, das Elektrofahrzeug in Berlin einzusetzen.

Das LG Rostock sieht sich durch die Verweisung nicht gebunden. Es hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 03.11.2020 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Das Kammergericht hat das LG Berlion als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Aus den Gründen: II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 II ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das zuerst mit dem Rechtsstreit befasste LG Berlin zu seinem Bezirk gehört und aufgrund der Beteiligung eines Landgerichts aus einem anderen Oberlandesgerichtsbezirk an dem Zuständigkeitsstreit das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH wäre.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 I Nr. 6 ZPO liegen auch der Sache nach vor, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte jeweils rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschl. v. 04.06.1997 – XII AZR 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben.

3. Das LG Berlin ist für den Rechtsstreit nach § 29 I ZPO örtlich zuständig, weil in seinem Bezirk der Erfüllungsort des geltend gemachten Anspruchs liegt (a). Es hat seine Zuständigkeit auch nicht durch den von ihm erlassene Verweisungsbeschluss verloren, weil dieser als objektiv willkürlich anzusehen ist, was seine gesetzliche Bindungswirkung nach § 281 II 4 ZPO ausnahmsweise entfallen lässt (b).

a) Das verweisende LG Berlin ist für den Rechtsstreit nach § 29 I ZPO zuständig. Durch die Klageerhebung bei diesem Gericht hat der Kläger sein ihm nach § 35 ZPO zustehendes Wahlrecht verbindlich und unwiderruflich ausgeübt. Eine Verweisung des Rechtsstreits an das für den Sitz der Beklagten nach §§ 12, 17 ZPO zuständige LG Rostock hätte deshalb nicht erfolgen dürfen.

Der Erfüllungsort für die aus dem Rücktritt vom Kaufvertrag resultierenden Ansprüchen ist hier gemäß § 29 I ZPO der Wohnsitz des Klägers in Berlin. Zwar ist der Leistungsort nach dem maßgeblichen materiellen Recht (§§ 269, 270 BGB) grundsätzlich für jede einzelne Verpflichtung aus einem Schuldverhältnis gesondert zu ermitteln und im Zweifel am Sitz des Schuldners anzusiedeln, sofern nichts Abweichendes vereinbart wurde oder sich aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. [2020], § 269 Rn. 7, § 270 Rn. 1 m. w. Nachw.). Nach seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung gilt jedoch bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen über bewegliche Sachen aufgrund Rücktritt, Widerruf oder Anfechtung ausnahmsweise ein einheitlicher Erfüllungsort und damit ein Gerichtsstand nach § 29 I ZPO an dem Ort, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Kaufvertrags vertragsgemäß befindet (sog. Austauschort), was im Regelfall auf eine Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Käufers hinausläuft (vgl. Senat, Beschl. v. 21.03.2016 – 2 AR 9/16, juris Rn. 10; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. [2020], § 29 Rn. 25.50 m. w. Nachw.).

Diese Anknüpfung an den Austauschort erscheint unter anderem deshalb gerechtfertigt, weil ein von dem Verkäufer zu vertretender Mangel zum Rücktritt geführt hat und der zurücktretende Käufer nach § 346 I BGB ihn lediglich in die Lage versetzten muss, über die Ware verfügen zu können (BGH, Urt. v. 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104, 110; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. [2015], § 29 Rn. 47). Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn die verkaufte Sache untergegangen oder an den Verkäufer oder – wie im vorliegenden Fall – an den Hersteller bzw. Importeur zurückgeben worden ist, da der Käufer nicht schlechter stehen sollte, als wenn der die Kaufsache behalten hätte (Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. [2020], § 29 Rn. 28; MünchKomm-ZPO/Patzina, 6. Aufl. [2020], § 29 Rn. 61; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 29 Rn. 25.50). Ferner werden auf diese Weise Zufallsergebnisse vermieden.

Im Ergebnis besteht deshalb kein Zweifel, dass für den Rechtsstreit eine Zuständigkeit des von dem Kläger angerufenen LG Berlin als Gericht des Erfüllungsortes nach § 29 I ZPO begründet ist.

b) Das LG Berlin hat seine Zuständigkeit auch nicht aufgrund einer Bindungswirkung seines Verweisungsbeschlusses vom 31.08.2020 verloren.

Die gesetzliche Regelung in § 281 II 4 ZPO entzieht zwar auch einen sachlich fehlerhaften und zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Überprüfung. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die der Prozessökonomie dienen und Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden soll. Die Bindungswirkung entfällt jedoch ausnahmsweise dann, wenn der Beschluss schlechterdings als nicht im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht von dem gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Die Beschlussbegründung muss sich bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, da sie nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschl. v. 19.02.2013 – X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschl. v. 17.05.2011 – X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das verweisende Landgericht ist mit seiner Entscheidung von einer in Rechtsprechung und Literatur seit Jahrzehnten nahezu einhellig vertretenen Rechtsauffassung abgewichen, ohne sich mit der herrschenden Meinung in seinem Verweisungsbeschluss inhaltlich auseinanderzusetzen oder sie dort überhaupt nur zu erwähnen. Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, als der Kläger in seinem Schriftsatz vom 20.08.2020 explizit auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen sowie eine entsprechende Entscheidung des BGH und eine einschlägige Kommentarstelle zitiert hat. Die ausgesprochene Verweisung ist deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar, weshalb ihr die gesetzliche Bindungswirkung (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) im Ergebnis versagt bleibt.

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