1. Eine Kaufsache ist auch dann im rechtlichen Sinne mangelhaft, wenn ein bestimmter Defekt (hier: eine wegen ihrer Länge zu einem Leistungsverlust führende Steuerkette) erst nach der Übergabe an den Käufer eingetreten ist, aber auf eine vertragswidrige Beschaffenheit der Kaufsache – etwa auf einen Konstruktions- oder Materialfehler – schon bei der Übergabe zurückgeführt werden kann.
  2. Ein Verkäufer, der auf eine Mängelrüge des Käufers nicht reagiert und sich später darauf beruft, die Mängelrechte des Käufers seien verjährt, handelt nicht treuwidrig. Denn es ist Sache des Käufers, rechtzeitig für eine Hemmung oder einen Neubeginn der Verjährung zu sorgen.

OLG Naumburg, Urteil vom 28.09.2015 – 1 U 74/15

Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte, von der er einen Neuwagen erworben hat, auf Rückabwicklung des Kaufvertrages in Anspruch und behauptet, das Fahrzeug sei bereits bei der Übergabe am 09.01.2009 mangelhaft gewesen. Mit dieser Begründung hat der Kläger am 15.04.2011 den Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag erklärt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe nicht bewiesen, dass bei Übergabe des Fahrzeugs ein Mangel vorgelegen habe. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S sei eine zu lange Steuerkette verantwortlich dafür, dass der Kläger erstmals im Mai 2010 – nachdem er mit dem Fahrzeug insgesamt 31.160 Kilometer zurückgelegt habe – einen Leistungsverlust bemerkt habe. Die Steuerkette sei aber noch nicht bei der Übergabe des Fahrzeugs zu lang gewesen, sondern in diesen Zustand erst durch die anschließende Nutzung des Fahrzeugs gelangt.

Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. … Zumindest nach dem Ergebnis der ordnungsgemäß durchgeführten Beweisaufnahme erster Instanz machte der Kläger vom Mangelrecht des Rücktritts (vgl. § 437 Nr. 2 BGB) unberechtigten Gebrauch. Der Kläger hat nicht zu beweisen vermocht, dass die Beklagte ihm entgegen §§ 433 I 2, 434 I 1 und 2, 446 Satz 1 BGB am 09.01.2009 ein mit Mängeln behaftetes Neufahrzeug übergeben hat. Die Rücktrittserklärung vom 15.04.2011 konnte daher nicht zu einem Rückabwicklungsverhältnis führen, weil dies das Bestehen eines gesetzlichen Rücktrittsrechts voraussetzte (§ 346 I BGB). Darüber hinaus stehen einem wirksamen Rücktritt weitere, im angefochtenen Urteil nicht erwähnte bzw. verneinte Gründe entgegen …

1. a) …

b) Ein entscheidungserheblicher Rechtsfehler ist dem Landgericht zum Nachteil des Klägers nicht unterlaufen. Gemäß § 363 BGB ist der Kläger nach der Entgegennahme des Fahrzeuges für das Vorliegen eines zum Rücktritt berechtigenden Sachmangels darlegungs- und beweispflichtig. Das hierzu eingeholte Gutachten vom 27.10.2014 hat ergeben, dass die vom Kläger beanstandeten zeitweisen Leistungsverluste auf einer zu lang gewordenen Steuerkette beruhten. Unter Berücksichtigung der Behauptungen des Klägers und der unstreitig zurückgelegten Kilometer gelangte der Sachverständige zu der Schlussfolgerung, dass der Motor des Fahrzeugs bei Gefahrübergang fehlerfrei war, insbesondere der zum Leistungsverlust führende Zustand der Steuerkette nicht vorlag. Dies hat das Landgericht überzeugt. Fehler in der Beweiswürdigung zeigt die Berufung nicht auf. Der Senat vermag solche auch nicht zu erkennen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen hat der Kläger den Sachmangel nicht bewiesen.

c) Die Berufung scheint darauf abstellen zu wollen, dass sowohl das Landgericht als auch der Sachverständige den Mangelbegriff verkannten, weshalb die Sachverhaltsaufklärung in erster Instanz unvollständig blieb. Die Kette habe sich viel zu schnell gedehnt, sodass der Mangel schon zur Zeit des Gefahrübergangs als Material- oder Konstruktionsfehler dem Fahrzeug innegewohnt habe. Dies sieht der Senat weder durch das Gutachten noch durch das angefochtene Urteil und das vorausgegangene Verfahren belegt.

Ein Mangel liegt bereits dann vor, wenn er sich zwar zur Zeit des Gefahrübergangs nicht äußerte, aber die Ursache als vertragswidrige Beschaffenheit des Fahrzeugs bereits zu diesem Zeitpunkt gesetzt war (BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 [435] m. w. Nachw.; Urt. v. 15.01.2014 – VIII ZR 70/13, NJW 2014, 1086 [1087]). Schon im Beschluss vom 27.06.2012 hatte das Landgericht den Sachverständigen um die Prüfung gebeten, ob die Ursache des Leistungsverlustes zum Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger vorlag. Damit war klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass alle Ursachen der vom Kläger geschilderten Erscheinungen als Mangel in Betracht kamen, wozu auch Material- und Konstruktionsfehler gehörten. Diese Rechtsauffassung lag ebenfalls dem Beweisbeschluss vom 17.07.2013 zugrunde, der schließlich zu den entscheidenden Feststellungen des Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 27.10.2014 führte.

Der Sachverständige hat die Steuerkette als Ursache des Leistungsverlustes ausgemacht und anschließend unter Berücksichtigung der bis zum erstmaligen Auftreten zurückgelegten Kilometer auf die Mangelfreiheit zur Zeit des Gefahrübergangs geschlossen. Er hat zwar nicht ausdrücklich Material- und Konstruktionsfehler ausgeschlossen. Aus dem Gutachten ergibt sich jedoch, dass er derartige Beschaffenheitsdefizite zur Zeit des Gefahrübergangs für unwahrscheinlich hielt. Der Sachverständige wies nämlich ausdrücklich darauf hin, dass sich der Zeitraum, den die Steuerkette benötigte, um sich in den unzulänglichen Bereich auszudehnen, nicht definiert werden kann. Die Dauer dieses Prozesses sei vom Nutzungsverhalten abhängig. Da bei einem Kraftfahrzeugsachverständigen vorauszusetzen ist, dass er auch Material- und Konstruktionsfehler in Betracht zieht, wenn er nach einem zur Zeit der Übergabe vorliegenden Mangel gefragt wird, sind diese Ausführungen nur im Sinne des Fehlens jeglichen Anhaltspunktes für ausdehnungsbegünstigende Fehler im maßgeblichen Zeitpunkt zu verstehen.

Da auch der Kläger dagegen keine Einwände nach § 411 IV ZPO erhob und nicht behauptete, eine Steuerkette dürfe nach etwas mehr als 30.000 Kilometern noch nicht unzulässig lang sein, konnte das Landgericht diesem Verständnis des Gutachtens folgen. Der Antrag des Klägers, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden, stand dem weder entgegen, noch führte er mit dem Unterlassen der Ladung des Sachverständigen durch das Landgericht zu einem Verfahrensfehler.

Bei Antrag einer Partei ist das Gericht verpflichtet, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden (§§ 402, 397 ZPO; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 411 Rn. 4a). Der Antrag des Klägers war allerdings weniger auf eine Erläuterung des Gutachtens, sondern eher auf eine Ergänzung gerichtet. Der Kläger nahm im Schriftsatz vom 30.12.2014 offensichtlich das Ergebnis des Gutachtens hin und wollte geklärt wissen, ob das Fahrzeug während der Gewährleistungsfrist mangelfrei blieb bzw. mangelhaft wurde. Hierzu vertrat er die Auffassung, entscheidend sei das Auftreten des Mangels während der Gewährleistungsfrist. Das war schon der Standpunkt des Klägers im Schriftsatz vom 27.03.2012 und ein falscher rechtlicher Ansatzpunkt, sodass die sich hieraus ergebende Frage an den Sachverständigen keinerlei Entscheidungsrelevanz besaß. Darauf wiesen sowohl die Beklagtenseite als auch das Landgericht hin. Das Landgericht machte mit seiner Verfügung vom 30.03.2015 zusätzlich darauf aufmerksam, den Sachverständigen vor diesem Hintergrund nicht zu laden, ohne dass der Kläger dem entgegentrat. Es wurde sogar von beiden Parteien am 15.04.2015 rügelos zum Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt (§§ 285, 279 III ZPO). Zumindest damit hatte der Kläger auf die Ladung des Sachverständigen konkludent verzichtet (Zöller/Greger, a. a. O., § 411 Rn. 5a m. w. Nachw.).

d) Sollte das Berufungsvorbringen so zu verstehen sein, dass nunmehr in zweiter Instanz neuerlich beantragt wird, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens hinzuzuziehen, ist dies mit Blick auf den Verfahrensgang erster Instanz ein neues Angriffsmittel, für das § 531 II 1 ZPO gilt. Danach liegen keine Gründe für eine Zulassung vor. Die Erläuterung des Gutachtens beträfe keinen Punkt, den das Landgericht erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat (§ 531 II 1 Nr. 1 ZPO). Ebenso wenig war der Kläger durch einen Verfahrensmangel gehindert, die Ladung des Sachverständigen zu verlangen (§ 531 II 1 Nr. 2 ZPO). Vielmehr lässt sich Nachlässigkeit i. S. von § 531 II 1 Nr. 3 ZPO bejahen, da der Kläger ausreichend Gelegenheit hatte, seine erkennbar falsche Rechtsauffassung zu korrigieren und dem Sachverständigen die Frage vorlegen zu lassen, ob sich dieser mit der Möglichkeit eines Konstruktions- oder Materialfehlers auseinandergesetzt habe.

e) Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts … hat der Senat aus den dargelegten Gründen nicht. Es liegt fern, dass der Sachverständige die Möglichkeit von Konstruktions- oder Materialfehlern übersehen hat.

2. Darüber hinaus mussten für einen wirksamen Rücktritt weitere Voraussetzungen vorliegen, die der Kläger nicht wahrte. Im Ergebnis dürfte der Rücktritt auch wegen der zuvor eingetretenen Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs unwirksam sein.

a) Zunächst fehlt es an der nach §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB erforderlichen Fristsetzung zur Nacherfüllung. Die vom Kläger für sich in Anspruch genommenen Ausnahmetatbestände sind eng auszulegen. Nach dem unstreitigen Geschehensablauf hatten sich die Parteien am 21.02.2011 auf eine Reparatur verständigt, die in der Zeit vom 28.02. bis 29.02.2011 nicht gelang. Die Beklagte bat sich Zeit aus, worauf der Kläger einging. Wenn es dem Kläger anschließend mit der Reparatur zu lange dauerte, ist das gerade ein Fall, der die Fristsetzung erfordert und sie nicht entbehrlich erscheinen lässt. Die Beseitigung des Mangels war weder fehlgeschlagen noch unzumutbar i. S. von § 440 Satz 1 BGB. Sie stand vielmehr aus. Wann unter zeitlichen Gesichtspunkten auf eine Fristsetzung zur Nacherfüllung verzichtet werden kann, regelt § 323 II Nr. 2 BGB. Danach ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer bestimmten Frist nicht bewirkt und der Gläubiger im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat. Daran fehlte es. Es bestand für den Kläger kein Grund davon abzusehen, der Beklagten zu signalisieren, dass er die Zeit für die Reparatur gekommen sah und es jetzt ernst wurde.

b) Dem musste zunächst ein ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlangen des Klägers vorausgegangen sein. Dazu war der Beklagten zu erkennen zu geben, von ihr die unentgeltliche Beseitigung einer negativen Beschaffenheitsabweichung zu verlangen. Das ist schon deshalb zweifelhaft, weil nach dem 28.02.2011 nur noch von Kulanz und einer nicht unerheblichen Kostenbeteiligung des Klägers die Rede gewesen sein soll …

Davor liegende auf Nachbesserung gerichtete Forderungen hat der Kläger nicht bewiesen. Am 03.01.2011, am 10.12.2010 und am 21.02.2011 war die Zeugin X bei der Vorstellung des Fahrzeugs im Hause der Beklagten nicht dabei. Für den 03.05.2010 hat die Zeugin zwar ausgesagt, der Leistungsverlust sei gegenüber der Beklagten erwähnt worden. Eine Forderung nach unentgeltlicher Beseitigung des Mangels wird von ihren Bekundungen jedoch eher nicht getragen. Zudem steht sowohl der Aussage der Zeugin als auch dem Sachvortrag des Klägers der jeweilige Werkstattauftrag vom 03.05.2010 und 03.01.2011 entgegen, wonach von dem Leistungsverlust keine Rede war.

c) Letztlich dürfte die Beklagte zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben haben. Nach § 438 IV 1 BGB findet auf das Rücktrittsrecht § 218 BGB Anwendung. Danach ist der Rücktritt unwirksam, wenn der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist und der Schuldner sich hierauf beruft (§ 218 I 1 BGB). Der Rücktritt muss also vor Eintritt der Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs erklärt worden sein. Gemäß §§ 438 II, 187 I, 188 II BGB endete für das Fahrzeug des Klägers die zweijährige Frist des § 438 I Nr. 3 BGB normalerweise mit Ablauf des 09.01.2011. Der Rücktritt wurde erst am 15.04.2011 erklärt.

Soweit das Landgericht ausgeführt hat, die Verjährung beginne bei jeder mangelhaften Nacherfüllung neu, wurde in diesem Zusammenhang bereits fehlerhaft streitiger Sachvortrag des Klägers als unstreitig behandelt. Außerdem ist selbst bei der vom Landgericht zitierten Kommentarstelle ausgeführt, dass der Neubeginn der Verjährung bei mangelhafter Nacherfüllung streitig ist. Es besteht die Gefahr der sogenannten Kettengewährleistung, was durchaus dafür sprechen kann, einen Neubeginn der Verjährung zu verneinen (MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 6. Aufl., § 438 Rn. 41).

Es kommt hierauf für den Rücktritt des Klägers aber nicht einmal an. Ein Neubeginn der Verjährung lässt sich nur in Erwägung ziehen, wenn der Verkäufer den Anspruch auf Nacherfüllung angesichts des geltend gemachten Mangels bzw. Symptoms anerkannt hat (§ 212 I Nr. 1 BGB). Gehemmt ist der Lauf der Verjährungsfrist im Falle von Verhandlungen der Parteien zum Mangel (§ 203 BGB). Stets muss der Verkäufer dazu die Möglichkeit der Existenz des Mangels anerkennen und seine Bereitschaft bekunden, Gegenmaßnahmen zu ergreifen (BeckOK-BGB/Faust, Stand: 01.08.2014, § 438 Rn. 58). Das trägt der Kläger nicht vor. Er geht vielmehr angesichts des erwähnten Leistungsverlusts bis einschließlich 09.01.2011 von einer Untätigkeit der Beklagten aus. Reagiert der Verkäufer auf die Mangelrüge aber nicht, muss der Käufer bis zum Ablauf der Verjährung für eine Unterbrechung sorgen; das Berufen auf die Verjährung durch den Verkäufer ist dann nicht treuwidrig (MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, a. a. O., § 438 Rn. 41) …

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