1. Es gehört zur üblichen Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB und ein Käufer darf deshalb regelmäßig erwarten, dass die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs nicht erheblich höher ist als die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung. Erheblich ist jedenfalls eine Abweichung von (mindestens) 25.700 km, ohne dass es darauf ankommt, ob die tatsächliche Laufleistung isoliert betrachtet mit Blick auf das Alter des Fahrzeugs im Rahmen des Üblichen liegt.
  2. Sind in einem Kfz-Kaufvertrag die „Gesamtfahrleistung nach Angaben des Vorbesitzers“ und der „Stand des Kilometerzählers“ vermerkt, so liegt keine negative Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) des Inhalts vor, dass die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs möglicherweise höher ist als die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung.
  3. Verlangt ein Kfz-Verkäufer nach einem wirksamen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag eine Nutzungsentschädigung für die mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer (§ 346 I, II 1 Nr. 1 BGB), so trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen und den Umfang dieses Anspruchs.

OLG Celle, Urteil vom 25.09.2019 – 7 U 8/19
(vorangehend: LG Verden, Urteil vom 21.11.2018 – 2 O 128/18)

Sachverhalt: Der Kläger, der von dem beklagten Kfz-Händler im November 2015 einen gebrauchten, im März 2005 erstzugelassenen VW T5 Multivan erworben hat, begehrt die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

In der dem Kaufvertrag zugrunde liegenden „verbindlichen Bestellung“ vom 26.11.2015 heißt es unter anderem vorgedruckt „Gesamtfahrleistung n. Angaben d. Vorbesitzers _____ km“ und „Stand des km-Zählers“; handschriftlich ist dort jeweils „123.686“ eingetragen. Außerdem findet sich in dem Formular unter „Besondere Vereinbarungen mit Vorrang vor den umseitigen Geschäftsbedingungen:“ unter anderem der handschriftliche Eintrag „1 Jahr Gewährleistung“.

Weil das Fahrzeug Startprobleme hatte, ließ der Kläger es von einem Kfz-Sachverständigen untersuchen. Dieser äußerte den Verdacht, dass der VW T5 Multivan tatsächlich eine höhere als die vom Kilometerzähler angezeigte Gesamtlaufleistung aufweise. Der Kläger leitete deshalb ein selbstständiges Beweisverfahren ein. Der in diesem Verfahren gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. M kam zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zwischen 36.000 und 54.000 km höher sei, als der Kilometerzähler anzeige. Diese Mehrlaufleistung sei

„aufzugliedern in eine Mehrlaufleistung von rund 25.700 km infolge einer Erneuerung des Kombiinstruments (Eintrag im Serviceheft zum Fahrzeug) und eine weitere Abweichung, die hinsichtlich der Größenordnung und des Zeitpunkts nur mit einer Bandbreite angegeben werden kann. Die Abweichung der tatsächlichen Laufleistung von 25.700 km infolge Wechsel des Kombiinstruments ist […] aufgrund der Dokumentation im Serviceheft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzugeben. Bezüglich der weiteren Differenz liegen Anknüpfungspunkte vor, die […] nur die Angabe einer höheren Wahrscheinlichkeit zulassen.“

Gestützt auf diese Feststellungen erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt von dem mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag. Er meint, dass die tatsächliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs höher sei als die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung, stelle einen nicht behebbaren Sachmangel dar, sodass er dem Beklagten keine Gelegenheit zur Nacherfüllung habe geben müssen.

Der Beklagte bestreitet, dass der Kilometerzähler des VW T5 Multivan nicht dessen tatsächliche Gesamtlaufleistung anzeigt. Er behauptet, es sei üblich, dass bei einem Wechsel des Kilometerzählers in einer Vertragswerkstatt der zu diesem Zeitpunkt erreichte Kilometerstand bei dem neuen Instrument eingestellt werde. Daher sei die Schlussfolgerung des Sachverständigen M, dass die tatsächliche Laufleistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (mindestens) 25.700 km über der angezeigten Laufleistung liege, unzutreffend. Davon abgesehen – so meint der Beklagte – sei eine Abweichung um 25.700 km nicht so groß, dass deshalb ein Sachmangel angenommen werden könne. Wer einen gebrauchten VW T5 Multivan erwerbe, müsse vielmehr damit rechnen, dass dieser jährlich 15.000 bis 20.000 km zurückgelegt habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Indem der Beklagte lediglich die „Gesamtfahrleistung n. Angaben d. Vorbesitzers“ und den „Stand des km-Zählers“ kommuniziert habe, habe er deutlich gemacht, dass er keine weitergehenden Erkenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs habe und für diese vertraglich nicht einstehen wolle. Die Parteien hätten folglich vereinbart, dass eine Gesamtlaufleistung nicht vertraglich bindend vereinbart sei, und diese Vereinbarung schließe einen Rückgriff auf § 434 I 2 Nr. 2 BGB aus.

Mit seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, das Landgericht habe zwar richtig gesehen, dass die Parteien hinsichtlich der Gesamtlaufleistung keine positive Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) getroffen hätten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hätten sie indes auch keine negative Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts getroffen, dass die Laufleistung möglicherweise höher sei, als der Kilometerzähler anzeigt. Deshalb und weil § 434 I 2 Nr. 1 BGB hier nicht einschlägig sei, komme es darauf an, ob das streitgegenständliche Fahrzeug bei Gefahrübergang (§ 446 Satz 1 BGB) eine für einen Gebrauchtwagen übliche und deshalb von einem Käufer zu erwartende Beschaffenheit aufgewiesen habe. Diese Frage sei zu verneinen, weil der Käufer eines Gebrauchtwagens grundsätzlich i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB erwarten dürfe, dass die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung in etwa der tatsächlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs entspreche.

Die Berufung hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Wegen der höheren, vom Tachostand abweichenden Gesamtlaufleistung liegt ein zum Rücktritt berechtigender Sachmangel vor, sodass sich das mit der Klage verfolgte Rückabwicklungsverlangen des Klägers als begründet erweist.

1. Soweit der Beklagte nach wie vor bestreitet, dass überhaupt eine Abweichung der Gesamtlaufleistung und damit ein Sachmangel vorliege, kann er damit nicht gehört werden. Entgegen den Ausführungen des Beklagten stützt sich der Beweisgutachter nicht allein auf die Fahrzeughistorie, insbesondere die Eintragung eines Austauschs des Kombiinstruments beim Kilometerstand von 25.700, sondern ebenso auf die aus dem Motorsteuergerät ausgelesene Gesamtlaufleistung von 182.227 km.

Die insoweit aus dem Motorsteuergerät elektronisch ausgelesene Gesamtlaufleistung wird weder von dem Beweisgutachter noch von dem Beklagten in Zweifel gezogen. Auch der Senat als Fachsenat für Kfz-Streitigkeiten hat keine dahin gehenden Erfahrungen, dass es bei der Auslesung elektronischer Steuergeräte (über die vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Abweichung von 5 % hinaus) zu Abweichungen oder Fehlanzeigen kommen könnte. Mithin kann an diese ausgelesene Gesamtlaufleistung als Tatsache angeknüpft werden.

In der Zusammenschau mit dem Austausch des Kombiinstruments trägt dies die Schlussfolgerung des Beweisgutachters, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei mindestens von einer Mehrlaufleistung von 25.700 km auszugehen. Dabei kann der Sachverständige als solcher beurteilen (und beurteilt dies bei seinen sachverständigen Ausführungen auch inzidenter), wie eine VW-Fachwerkstatt bei einem solchen Tausch des Kombiinstruments vorgeht. Ginge der Sachverständige M aufgrund seiner Erfahrung und Sachkunde davon aus, dass im Falle eines Gerätetauschs der neue Tacho üblicherweise auf den Wert des Altgeräts eingestellt wird, also nicht wieder bei „0“ anfängt zu zählen, wäre er nicht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Gesamtlaufleistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens um 25.700 km höher sei als der abgelesene Tachostand. Indem er aber ausführt, die Gesamtlaufleistung müsse mindestens um die Laufleistung zum Zeitpunkt des Austauschs erhöht sein, erteilt er der Annahme des Beklagten, eine Fachwerkstatt stelle den ursprünglichen Kilometerstand bei dem neu eingebauten Instrument entsprechend ein, jedenfalls stillschweigend eine Absage. Da Anhaltspunkte dafür, dass dem Sachverständigen M, bei dem es sich um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen handelt, die nötige Sachkunde und Erfahrung für eine derartige Beurteilung fehlt, weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich sind, sieht der Senat auch in diesem Punkt keinen Anlass, die Ausführungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen seiner Entscheidung nicht zugrunde zu legen.

Weitere Sachverhaltsaufklärungsmöglichkeiten bzw. -notwendigkeiten sind im Übrigen nicht ersichtlich. Auf die beiden als Zeugen angebotenen Vorbesitzer L und P kommt es nicht an, weil diese jeweils nur zu ihrer Besitzzeit Angaben machen könnten (so auch Replik, Nr. 3 lit. b). Erheblich hätte allenfalls die Benennung sämtlicher Vorbesitzer oder auch ein Zeugenbeweisantritt dahin gehend sein können, dass seinerzeit beim Austausch des Kombiinstruments der aktuelle Kilometerstand in dem neuen Gerät eingestellt worden sei. Mitarbeiter des „Volkswagen Zentrum R.“ oder sonstige Personen, die insoweit als Zeugen hätten in Betracht kommen können, sind von dem Beklagten jedoch nicht benannt worden.

Im Ergebnis ist damit vom Vorliegen eines Mangels auszugehen. Für diese Annahme soll alleine schon der begründete Verdacht einer Tachomanipulation bzw. die – wollte man den Einwänden des Beklagten folgen – insoweit verbleibende Unsicherheit über die tatsächliche Gesamtlaufleistung ausreichen.

Jedenfalls die hier festgestellte Mehrlaufleistung von mindestens 25.700 km muss als Sachmangel im Rechtssinne eingestuft werden. Denn es ist in der Rechtsprechung, auch des Senats, wie auch in der Kommentarliteratur anerkannt, dass es bei einem Gebrauchtfahrzeug zu der üblichen Beschaffenheit i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB gehört, dass die tatsächliche Laufleistung nicht erheblich von dem angezeigten Kilometerstand abweicht (vgl. BGH, Urt. v. 16.03.2005 – VIII ZR 130/04, DAR 2006, 143; OLG Bremen, Urt. v. 08.10.2003 – 1 U 40/03, NJW 2003, 3713; OLG Hamm, Urt. v. 11.12.2012 – I-28 U 80/12, juris Rn. 10; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. [2017], Rn. 2841 ff.). Unerheblich ist demgegenüber, welche jährliche Fahrleistung für ein Fahrzeug wie das streitgegenständliche allgemein üblich ist.

2. Eine negative Beschaffenheitsvereinbarung dahin gehend, dass die tatsächliche Gesamtlaufleistung vom Tachostand abweichen könnte, ist nach dem Inhalt der Kaufvertragsurkunde nicht ersichtlich. Der gegenteiligen Annahme durch das Landgericht fehlt jegliche tatsächliche Grundlage. Daher muss es bei dem Grundsatz verbleiben, wonach der Käufer regelmäßig erwarten darf, dass die Gesamtlaufleistung in etwa dem Tachostand entspricht und es insoweit keine größeren Abweichungen gibt.

Weiterhin gibt es keinen allgemein vereinbarten Ausschluss der Gewährleistung, der der Sachmängelhaftung der Beklagten hier entgegenstehen könnte. Im Gegenteil ist in dem Vertrag ausdrücklich eine Gewährleistungsfrist von einem Jahr angegeben. Von daher ist es auch rechtlich unerheblich, ob hier ein Verbrauchsgüterkauf oder ein gewerblicher Verkauf vorliegt. Der diesbezügliche wechselseitige streitige Vortrag der Parteien zu diesem Punkt ist daher rechtlich unerheblich.

3. Nach alledem erweist sich der (sofortige) Rücktritt vom Kaufvertrag als wirksam, da die Nacherfüllungsphase nicht durchlaufen werden konnte und musste, weil es sich bei der Mehrlaufleistung ihrer Natur nach nicht um einen nachbesserungsfähigen Mangel handelt. Der Klage ist daher vollumfänglich stattzugeben.

Die vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung ist unstreitig geblieben. Für eine eventuell höhere Nutzungsentschädigung wäre der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig gewesen.

Auch im Übrigen besteht für den Senat kein Anlass, die Begründetheit der Nebenforderungen sowie der weiteren Sachanträge in Zweifel zu ziehen.

Dies gilt zunächst für die geforderten Verzugszinsen, die hinsichtlich der Hauptforderung gemäß § 286 I 1, §§ 288 I, 247 BGB, hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten nach § 286 I 2 BGB i. V. mit § 187 I BGB (analog) sowie i. V. mit §§ 288 I, 247 BGB jeweils in gesetzlicher Höhe geschuldet werden.

Dies gilt weiter für den Auskunftsanspruch zu Nr. 1 lit. b. Der Kläger hat hierzu unter Ziffer III seiner Klage Ausführungen gemacht, die in rechtlicher Hinsicht zutreffend sind (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1148, 1152) und denen der Beklagte auch nicht entgegengetreten ist.

Die vorgerichtlichen Anwaltskosten schuldet der Beklagte nach § 437 Nr. 3, § 280 I BGB als Schadensersatz neben der Leistung. Der Beklagte war zur Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs, wegen des nicht behebbaren Sachmangels der Mehrlaufleistung zur Rückabwicklung verpflichtet. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung, die zur Einschaltung des jetzigen Prozessbevollmächtigten [des Klägers] geführt hat, bedingt daher einen vertraglichen Schadenersatzanspruch (vgl. auch Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3778, 3780), wobei das erforderliche Verschulden des Beklagten nach § 280 I 2 BGB vermutet wird.

Wegen der Zulässigkeit und Begründetheit des [Antrags auf Feststellung des] Annahmeverzugs wird auf den Sachvortrag und die zutreffenden rechtlichen Ausführungen unter Ziffer V der Klageschrift Bezug genommen, denen der Beklagte nicht entgegengetreten ist. …

Hinweis: In diesem Rechtsstreit habe ich den Kläger vertreten.

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