- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Gebrauchtwagen eignet sich zwar für die gewöhnliche Verwendung i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB, obwohl darin eine Software zum Einsatz kommt, die den Ausstoß von Stickoxiden (nur) verringert, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einem Emissionstest unterzogen wird. Angesichts dieser Manipulation weist ein vom VW-Abgasskandal betroffener Gebrauchtwagen indes keine Beschaffenheit auf, die bei vergleichbaren Fahrzeugen üblich ist und die der Käufer deshalb i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB erwarten kann. Vielmehr darf der Käufer eines Gebrauchtwagens davon ausgehen, dass sein Fahrzeug die einschlägigen Emissionsgrenzwerte nicht nur deshalb (scheinbar) einhält, weil eine Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, und in diesem Fall insbesondere die Stickoxidemissionen in gesetzlich unzulässiger Weise reduziert werden.
- Der Mangel, der einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagen anhaftet, ist i. S. des § 323 V 2 BGB geringfügig und rechtfertigt deshalb keinen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag, weil er durch Aufspielen eines Softwareupdates und Einbau eines Strömungstransformators beseitigt werden kann und diese Maßnahmen nur einen Kostenaufwand von rund 100 € erfordern.
- Dafür, dass die technische Überarbeitung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs zu Nachteilen wie einem höheren Kraftstoffverbrauch oder einer geringeren Motorleistung führt oder trotz der technischen Überarbeitung ein merkantiler Minderwert verbleibt, gibt es derzeit keine substanziellen Anhaltspunkte.
LG Aurich, Urteil vom 02.09.2016 – 3 O 234/16 (075)
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.
Sie erwarb von der Beklagten am 21.08.2012 einen gebrauchten VW Golf Plus 1.6 TDI Style mit einer Laufleistung von 5.607 km für 18.830 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, und es wurde vonseiten der Herstellerin eine Software installiert, die den Ausstoß von Stickoxid (NOX) verringert, sobald der Pkw auf einem Prüfstand einem Emissionstest unterzogen wird. Beim normalen Betrieb im Straßenverkehr werden die einschlägigen Emissionsgrenzwerte dagegen nicht ansatzweise eingehalten.
Die Klägerin sieht darin einen Mangel und ließ die Beklagte mit Schreiben vom 08.01.2016 zur Nacherfüllung auffordern. Hierfür wurde der Beklagten eine Frist von zwei Wochen gesetzt; einen Rücktritt vom Kaufvertrag behielt die Klägerin sich für den Fall eines erfolglosen Fristablaufs vor. Mit Schreiben vom 18.01.2016 kündigte die Beklagte an, dass die Volkswagen AG konkrete technische Maßnahmen mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abstimmen und nach deren Genehmigung die Beanstandungen betroffener Kunden abarbeiten werde. Den Kunden werde je nach individuellem Bedarf eine angemessene Ersatzmobilität kostenfrei zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich etwaiger Ansprüche im Zusammenhang mit der Manipulationssoftware verzichtete die Beklagte bis zum 31.12.2017 darauf, die Einrede der Verjährung zu erheben, selbst wenn die Ansprüche bereits verjährt sein sollten.
Mit Schreiben vom 05.02.2016 hat die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und die Beklagte – vergeblich – zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs aufgefordert.
Ihre Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Der Klägerin steht aufgrund des erklärten Rücktritts gemäß §§ 433, 434, 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB kein Rückabwicklungsanspruch gegenüber der Beklagten zu.
Allerdings ist das streitbefangene Fahrzeug entgegen der Auffassung der Beklagten mangelhaft. Es liegt ein Verstoß gegen § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor. Zwar eignet sich das Fahrzeug trotz der manipulierten Abgassoftware für die gewöhnliche Verwendung. Es weist angesichts dieser Manipulation aber keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer auch eines Gebrauchtwagens kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und in dem technischen Datenblatt aufgenommenen Werte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält (vgl. LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15).
Einem Rücktritt der Klägerin vom Vertrag dürfte schon entgegenstehen, dass die von ihr gesetzte Frist von zwei Wochen zur Mangelbeseitigung gemäß § 323 I BGB nicht angemessen war. Auch war eine angemessene Fristsetzung nicht entbehrlich, da die Beklagte zwar das Vorliegen eines Mangels bestreitet, jedoch eine Nacherfüllung nicht ernsthaft verweigert hat, vielmehr mit Schreiben vom 18.01.2016 der Klägerin mitteilte, dass nach Entwicklung einer veränderten Software zur Motorsteuerung und deren Genehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt ihr Fahrzeug kostenfrei überarbeitet werde. Soweit an die Stelle der seitens der Klägerin unwirksam gesetzten Frist zur Mangelbeseitigung eine vom Gericht festzusetzende angemessene Frist in Gang gesetzt wurde, bedarf es dazu indes keiner gerichtlichen Entscheidung.
Ein Rücktritt der Klägerin ist jedenfalls gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da sich die Pflichtverletzung der Beklagten als unerheblich erweist.
Im Rahmen dieser Erheblichkeitsprüfung ist gemäß § 323 V 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wobei für behebbare Mängel grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13 Rn. 16 f.). Anhaltspunkte dafür, dass der gerügte Mangel nicht behebbar sei, sind weder ersichtlich noch seitens der Klägerin aufgezeigt worden. Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels ist daher in der Regel dann auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind. Dies ist jedenfalls der Fall, sofern der Mangelbeseitigungsaufwand ein Prozent des Kaufpreises nicht überschreitet (vgl. BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04).
Nach den Ausführungen der Beklagten ist im Rahmen eines Updates beim 1,6-Liter- EA189-Motor des klägerischen Fahrzeugs zudem direkt vor dem Luftmassenmesser ein sogenannter Strömungstransformator zu befestigen, der die Messgenauigkeit des Luftmassenmessers verbessert und den Verbrennungsvorgang optimiert. Einschließlich des Aufspielens eines Softwareupdates erfordert dies in einer Vertragswerkstatt voraussichtlich weniger als eine Stunde, sodass sich die voraussichtlichen Kosten auf deutlich weniger als 100 € belaufen werden. Selbst wenn man zu den Kosten der Einspielung der Software noch anteilige Entwicklungskosten des Updates hinzurechnen wollte, so ist plausibel und nachvollziehbar, dass auch dann die Mängelbeseitigungskosten nicht mehr als 100 € betragen, da die Entwicklungskosten auf mehrere Millionen Fahrzeuge umzulegen wären. Insgesamt erreicht der Mangelbeseitigungsaufwand daher allenfalls 0,53 % des seinerzeitigen Kaufpreises, sodass vorliegend die Unerheblichkeitsschwelle nicht überschritten wird.
Auch die weiteren Gesichtspunkte der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung gebieten keine andere Beurteilung. Weder haben die in unzulässiger Weise vorgetäuschten besseren Emissionswerte zu einem Widerruf der Typgenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt geführt, noch wird hierdurch die Verkehrs- und Betriebssicherheit des klägerischen Fahrzeuges beeinträchtigt. Soweit die Klägerin ausführt, nach Durchführung der Nachbesserungsarbeit könne die Leistung des Fahrzeuges sinken, der Verbrauch steigen und ein möglicher Wiederverkaufswert reduziert sein, handelt es sich um Mutmaßungen ins Blaue hinein, für die es vor Durchführung der angekündigten Nacherfüllungsmaßnahmen keinerlei substanzielle Anhaltspunkte gibt.
Die Rücktrittsklage der Klägerin führt daher, wie bereits vielfach entschieden (vgl. LG Stralsund, Urt. v. 03.03.2016 – 6 O 236/15; LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15; LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15; LG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 05.04.2016 – 7 O 488/15; LG Flensburg, Urt. v. 14.04.2016 – 7 O 97/15; LG Bielefeld, Urt. v. 02.05.2016 – 3 O 318/15; LG Ellwangen, Urt. v. 09.05.2016 – 4 O 21/16; LG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15; LG Dortmund, Urt. v. 12.05.2016 – 25 O 6/16; LG Ravensburg, Urt. v. 12.05.2016 – 6 O 67/16; LG Paderborn, Urt. v. 09.06.2016 – 3 O 23/16; LG Ellwangen, Urt. v. 10.06.2016 – 5 O 385/15; LG Regensburg, Urt. v. 15.06.2016 – 3 O 2161/15; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.06.2016 – 4 O 441/16; LG München II, Urt. v. 05.07.2016 – 14 O 404/16; LG Landau i. d. Pfalz, Urt. v. 11.07.2016 – 2 O 17/16; LG Gießen, Urt. v. 11.07.2016 – 2 O 397/15; LG Bamberg, Urt. v. 22.07.2016 – 11 O 62/16), nicht zum Erfolg …