1. Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, das erkennt, ob es einem Abgastest unterzogen wird, und (nur) dann die Abgasaufbereitung optimiert, ist zwar i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft. Dieser Mangel ist aber i. S. des § 323 V 2 BGB unerheblich, sodass er einen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag nicht rechtfertigen kann.
  2. Ein VW-Vertragshändler muss sich ein mögliches arglistiges Verhalten einzelner Personen im VW-Konzern nicht zurechnen lassen, weil der Hersteller im Verhältnis zum Käufer nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist. Die Personen im VW-Konzern, die sich möglicherweise arglistig verhalten haben, sind aus Sicht des Vertragshändlers folglich Dritte i. S. des § 123 II BGB.

LG Ravensburg, Urteil vom 12.05.2016 – 6 O 67/16

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der beklagten VW-Vertragshändlerin für 17.800 € einen VW Golf Plus 1.6 TDI. Dieses Fahrzeug ist von Unregelmäßigkeiten betroffen, die im Sommer 2015 publik wurden („VW-Abgasskandal“), wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.

Deshalb forderte der Kläger die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 22.10.2015 und vom 26.11.2015 zur Nachbesserung auf. Diesen Nachbesserungsverlangen kam die Beklagte nicht nach, sodass der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 26.01.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärte. Gleichzeitig forderte er die Beklagte auf, ihm den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zurückzuzahlen.

Der Kläger hält sein Fahrzeug für mangelhaft, weil es – wie er behauptet – mit einer unzulässigen „Schummelsoftware“ ausgestattet sei. Er meint, die Beklagte müsse sich jedenfalls nach Treu und Glauben ein arglistiges Verhalten des VW-Konzerns zurechnen lassen. Weil er mit dem VW Golf Plus rund 68.100 Kilometer zurückgelegt hat, lässt sich der Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.518 € auf den Kaufpreis anrechnen.

Die demgemäß im Wesentlichen auf Zahlung von 12.282 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Die … Klage hat … keinen Erfolg, weil das vom Kläger erworbene Fahrzeug zwar mangelhaft i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB ist, der Mangel jedoch unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB ist.

1. Das vom Kläger erworbene Fahrzeug ist mangelhaft i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB.

Auch nach den Darlegungen des beklagten Autohauses ist darin eine Umschaltlogik verbaut, die bewirkt, dass das Fahrzeug im Prüfstandsbetrieb andere Abgaswerte erzeugt, als es im normalen Straßenverkehr emittiert. Der Kläger durfte erwarten, dass er ein Fahrzeug erwirbt, das die Gewähr dafür bietet, dass die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt. Das ist bei dem klägerischen Fahrzeug wegen der von der Beklagten geschilderten innermotorischen Maßnahme der Abgasrückführung des Dieselmotors „EA189“ (EU5) in zwei Betriebsmodi nicht der Fall, weil hier nur im Abgasrückführungs-Modus 1 relativ viele Abgase zurückgeführt werden; was beim Abgasrückführungs-Modus 0 im normalen Fahrbetrieb nicht der Fall ist.

Auch wenn die Kammer den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt, dass er sich über die besondere Schadstoffarmut der BlueMotion-Reihe mit dem Verkäufer V unterhalten hat, haben die Parteien damit diesbezüglich keine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB getroffen.

2. Auf die Frage, ob der Kläger in seinen Anwaltsschreiben vom 22.10.2015 und 26.11.2015 angemessene Nachbesserungsfristen gesetzt hat, kommt es nicht an, weil durch eine unangemessene Fristsetzung jedenfalls eine angemessene Frist in Gang gesetzt wird (BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. [2016], § 323 Rn. 14) und diese nach Auffassung der Kammer zwischenzeitlich abgelaufen ist, nachdem eine Nachbesserung auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht erfolgt ist.

3. Ein Rücktritt des Klägers ist jedoch ausgeschlossen, weil der Mangel/die Pflichtverletzung unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB ist.

a) Nach der Norm des § 323 V 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist, das heißt wenn der Mangel geringfügig ist (BGH, Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872 Rn. 19). Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne der Norm ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung (BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365 Rn. 16).

aa) In deren Rahmen ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein Mangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB und kein solcher nach § 434 I 1 BGB vorliegt. Denn der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung indiziert regelmäßig die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (BGH, Urt. v. 17.02.2010 – VIII ZR 70/07, NJW-RR 2010, 1289 Rn. 23).

bb) Die Erheblichkeit kann auch nicht mit der Schwere des Verschuldens begründet werden.

Zwar ist anerkannt, dass bei Arglist eine unerhebliche Pflichtverletzung in der Regel zu verneinen ist (BGH, Urt. v. 24.03.2006 – V ZR 173/05, NJW 2006, 1960 Rn. 11 ff.). Ein solches Verhalten macht der Kläger der Beklagten selbst aber gerade ausdrücklich nicht zum Vorwurf. Vielmehr geht er davon aus, dass sich die Beklagte ein arglistiges Verhalten des Volkswagen-Konzerns (jedenfalls nach Treu und Glauben) zurechnen lassen müsse. Dabei übersieht der Kläger jedoch, dass der Hersteller (Lieferant) anerkanntermaßen im Verhältnis zum Käufer nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist (st. BGH-Rspr.; vgl. z. B. BGH, Urt. v. 15.07.2008 – VIII ZR 211/07, NJW 2008, 2837 Rn. 29; Urt. v. 19.06.2009 – V ZR 93/08, NJW 2009, 2674 Rn. 19; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 278 Rn. 13). Damit muss sich die Beklagte ein mögliches arglistiges Verhalten einzelner Personen im Volkswagen-Konzern nicht zurechnen lassen, weil diese Dritte i. S. des § 123 II BGB sind und die Beklagte die Täuschung weder kannte noch kennen musste.

cc) Somit ist für die Beurteilung der Unerheblichkeit beim Vorliegen eines behebbaren Mangels auf das Verhältnis der Mangelbeseitigungskosten zum Kaufpreis abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 17; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 32). Dabei ist mit dem BGH davon auszugehen, dass die Erheblichkeitsschwelle im Regelfall bereits dann überschritten wird, wenn die Reparaturkosten mindestens 5 % der vereinbarten Gegenleistung ausmachen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 30; zur Gegenansicht, die von unterschiedlichen höheren Grenzwerten ausgeht, vgl. die vorstehende BGH-Entscheidung und z. B. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 1042). Denn dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 323 V 2 BGB ist dadurch Rechnung zu tragen, dass man den Grenzwert für die Erheblichkeitsschwelle möglichst gering ansetzt, um den Rücktritt als Regelfall zu ermöglichen.

(1) Nach dem Vortrag der Beklagten ist dieser Grenzwert ausgehend von behaupteten Mängelbeseitigungskosten von 100 € und einem Kaufpreis von 17.800 € weit unterschritten; da die Mängelbeseitigungskosten weniger als 1 % des Kaufpreises betragen würden und die Rechtsprechung des BGH eingreifen würde, wonach Mängelbeseitigungskosten von unter 1 % stets unerheblich sind (BGH NJW 2005, 3490).

(2) Selbst wenn man aber mit dem Kläger von Mängelbeseitigungskosten von 1.100 € zuzüglich Mehrwertsteuer, mithin von einem Reparaturaufwand von 7,4 % der Anschaffungskosten ausgeht, kommt man zu dem Ergebnis, dass Unerheblichkeit vorliegt, weshalb es nicht der angebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte.

Insoweit erscheint es der Kammer zunächst zweifelhaft, die Kosten für die Entwicklung eines Softwareupdates für die betroffenen Motoren zu berücksichtigen und diese auf den einzelnen Pkw herunterzurechnen. Vielmehr ist auf die reinen Reparaturkosten für die Beklagte abzustellen. Diese werden auch nach dem Vortrag des Klägers die 5 %-Grenze nicht überschreiten.

Es kommt hinzu, dass im Rahmen der Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen ist, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Typgenehmigung der betroffenen Fahrzeuge nicht sofort widerrufen hat, sondern dem Volkswagenkonzern die Möglichkeit eingeräumt hat, den Mangel nachzubessern, was zeigt, dass den Käufern die Durchführung der vorgesehenen Reparaturmaßnahmen zuzumuten ist.

Schließlich kommt hinzu, dass der Kläger durch den Mangel in keiner Weise in der Nutzung seines Fahrzeugs beeinträchtigt ist.

4. Nachdem der Kläger nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist, steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten zu …

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