1. War im Zeit­punkt der Ein­le­gung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ein Zu­las­sungs­grund ge­ge­ben und ist die­ser zwi­schen­zeit­lich durch ei­ne Ent­schei­dung des BGH in an­de­rer Sa­che ent­fal­len, ist die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, wenn dem Rechts­mit­tel Er­folgs­aus­sich­ten bei­zu­mes­sen sind.
  2. Für die Be­wer­tung ei­nes schä­di­gen­den Ver­hal­tens als sit­ten­wid­rig i. S. von § 826 BGB ist in ei­ner Ge­samt­schau des­sen Ge­samt­cha­rak­ter zu er­mit­teln und das ge­sam­te Ver­hal­ten des Schä­di­gers bis zum Ein­tritt des Scha­dens beim kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten zu­grun­de zu le­gen.
  3. Zur Fra­ge, ob das Ver­hal­ten der für ei­nen Kraft­fahr­zeug­her­stel­ler han­deln­den Per­so­nen in der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung als sit­ten­wid­rig zu qua­li­fi­zie­ren ist, wenn mit dem zur Be­sei­ti­gung ei­ner un­zu­läs­si­gen Prüf­stands­er­ken­nungs­soft­ware ent­wi­ckel­ten Soft­ware­up­date ei­ne tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­ge Steue­rung des Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems (Ther­mo­fens­ter) im­ple­men­tiert wird.

BGH, Be­schluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20

Sach­ver­halt: Der Klä­ger nimmt die be­klag­te Fahr­zeug­her­stel­le­rin we­gen der Ver­wen­dung un­zu­läs­si­ger Ab­schalt­ein­rich­tun­gen auf Scha­dens­er­satz in An­spruch.

Er er­warb am 16.09.2016 von der V-GmbH ei­nen ge­brauch­ten, von der Be­klag­ten her­ge­stell­ten Pkw VW Ti­gu­an 2.0 TDI. Die­ses Fahr­zeug ist mit ei­nem Die­sel­mo­tor des Typs EA189 aus­ge­stat­tet. Für den Fahr­zeug­typ wur­de die Typ­ge­neh­mi­gung nach der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schad­stoff­klas­se Eu­ro 5 er­teilt. Die Mo­tor­steue­rung des Pkw war mit ei­ner das Ab­gas­rück­füh­rungs­ven­til steu­ern­den Soft­ware aus­ge­stat­tet, die ei­nen spe­zi­el­len Ab­gas­rück­füh­rungs­mo­dus ak­ti­vier­te, so­bald sie er­kann­te, dass das Fahr­zeug auf ei­nem Prüf­stand dem Neu­en Eu­ro­päi­schen Fahr­zy­klus (NEFZ) un­ter­zo­gen wur­de. In die­sem Mo­dus war die Ab­gas­rück­füh­rung­ra­te hö­her und des­halb der Stick­oxid(NOX)-Aus­stoß nied­ri­ger als on dem Mo­dus, der beim nor­ma­len Fahr­be­trieb ak­tiv war. Für die Er­tei­lung der Typ­ge­neh­mi­gung der Emis­si­ons­klas­se Eu­ro 5 maß­geb­lich war der NOX-Aus­stoß auf dem Prüf­stand. Die Stick­oxid­grenz­wer­te der Eu­ro-5-Norm wur­den nur in dem für den Prüf­stand vor­ge­se­he­nen Mo­dus ein­ge­hal­ten.

Vor Ab­schluss des Kauf­ver­trags, am 22.09.2015, hat­te die Be­klag­te ei­ne Ad-hoc-Mit­tei­lung nach § 15 WpHG a.F. ver­öf­fent­licht. Da­nach sei bei welt­weit rund elf Mil­lio­nen Fahr­zeu­gen mit EA189-Mo­to­ren ei­ne auf­fäl­li­ge Ab­wei­chung zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb fest­ge­stellt wor­den, ar­bei­te die Be­klag­te mit Hoch­druck dar­an, die Ab­wei­chun­gen mit tech­ni­schen Maß­nah­men zu be­sei­ti­gen, und ste­he sie dies­be­züg­lich in Kon­takt mit den zu­stän­di­gen Be­hör­den und dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt. Die­ses qua­li­fi­zier­te die ge­nann­te Soft­ware als un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung i. S. von Art. 5 II 1 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 und ver­pflich­te­te die Be­klag­te mit Be­scheid vom 15.10.2015, die­se un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung zu „ent­fer­nen“ und „ge­eig­ne­te Maß­nah­men zur Wie­der­her­stel­lung der Vor­schrift­mä­ßig­keit zu er­grei­fen“. Die Be­klag­te ent­wi­ckel­te dar­auf­hin ein Soft­ware­up­date, das aus Sicht des Kraft­fahrt-Bun­des­amts zur Her­stel­lung der Vor­schrifts­mä­ßig­keit auch des hier streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug­typs ge­eig­net war. Der Klä­ger ließ die­ses Soft­ware­up­date im De­zem­ber 2016 in­stal­lie­ren.

Mit sei­ner Kla­ge be­gehr­te der Klä­ger im We­sent­li­chen Scha­dens­er­satz in Hö­he des des Kauf­prei­ses nebst Zin­sen, Zug um Zug ge­gen Über­ga­be und Über­eig­nung des Fahr­zeugs. Er hat gel­tend ge­macht, das Ver­hal­ten der Be­klag­ten sei bis zum Ab­schluss des Kauf­ver­trags sit­ten­wid­rig ge­blie­ben. Mit dem Soft­ware­up­date sei ei­ne neue un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­vor­rich­tung in Form ei­nes Ther­mo­fens­ters im­ple­men­tiert wor­den.

Das Land­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. An­sprü­che aus § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB und aus § 826 BGB be­stün­den nicht. Es feh­le an der Er­re­gung ei­nes Irr­tums und an der Sit­ten­wid­rig­keit der be­haup­te­ten Schä­di­gungs­hand­lung, weil der Klä­ger das Fahr­zeug erst zwölf Mo­na­te nach Be­kannt­wer­den des so­ge­nann­ten Ab­gas­skan­dals ge­kauft ha­be, als die­se The­ma­tik die täg­li­chen Nach­rich­ten be­reits mo­na­te­lang be­herrscht ha­be. Im Üb­ri­gen zei­ge auch die Ad-hoc-Mit­tei­lung vom 22.09.2015, dass die Be­klag­te zu­min­dest ab die­sem Zeit­punkt kei­nen Täu­schungs­vor­satz mehr ge­habt ha­be. Das Ober­lan­des­ge­richt hat die Be­ru­fung durch Be­schluss ge­mäß § 522 II ZPO zu­rück­ge­wie­sen. Die Be­schwer­de des Klä­gers ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on (Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de) hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: [6]    II. Nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts ste­hen dem Klä­ger de­lik­ti­sche Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ge­gen die Be­klag­te nicht zu. Zwar ha­be die Be­klag­te im Mo­tor­steu­er­ge­rät der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge ei­ne un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung i. S. von Art. 5 II der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 ver­wen­det. Bei dem hier vor­lie­gen­den Er­werb nach Be­kannt­wer­den des „Die­selskan­dals“ feh­le es aber so­wohl an der Er­re­gung ei­nes Irr­tums als auch an ei­ner sit­ten­wid­ri­gen Hand­lungs­wei­se der Be­klag­ten. Der Klä­ger ha­be Kennt­nis so­wohl vom „Die­selskan­dal“ als auch von der Be­trof­fen­heit des er­wor­be­nen Fahr­zeugs ge­habt. Die Sit­ten­wid­rig­keit des ur­sprüng­li­chen Ver­hal­tens der Be­klag­ten daue­re auch nicht des­halb fort, weil das vom Klä­ger auf­ge­spiel­te Soft­ware­up­date nach sei­ner Be­haup­tung ei­ne un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­vor­rich­tung in Ge­stalt ei­nes Ther­mo­fens­ters ent­hal­te. Das Soft­ware­up­date sei vom Kraft­fahrt-Bun­des­amt ge­neh­migt und sei­ne In­stal­la­ti­on von ihm ge­for­dert wor­den, so­dass hier­durch be­reits be­griff­lich nicht mehr ei­ne sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung des Klä­gers be­wirkt wer­den kön­ne. Denn für das Ur­teil der Sit­ten­wid­rig­keit ge­nü­ge nicht jed­we­der Ver­stoß, son­dern es müs­se sich nach der Recht­spre­chung um „Aus­wüch­se“ bzw. mit den „Grund­be­dürf­nis­sen loya­ler Rechts­ge­sin­nung“ un­ver­ein­ba­res Ver­hal­ten han­deln. Ein sol­ches Ver­hal­ten lie­ge bei der Be­klag­ten je­den­falls dann nicht mehr vor, wenn sie sich mit ih­rem wei­te­ren Ver­hal­ten an Vor­ga­ben ei­ner staat­li­chen Stel­le hal­te und ei­ne sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung oder zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­ten­de Täu­schung al­lein auf­grund des ur­sprüng­li­chen In­ver­kehr­brin­gens des mit ei­ner un­zu­läs­si­gen Ab­schalt­ein­rich­tung ver­se­he­nen Fahr­zeugs wie im Streit­fall nicht mehr in Be­tracht kom­me.

[7]    III. Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ist nicht be­grün­det. Sie macht oh­ne Er­folg gel­tend, die Sa­che ha­be im Zeit­punkt ih­rer Ein­le­gung in Hin­blick auf die Fra­ge grund­sätz­li­che Be­deu­tung ge­habt, ob die Be­klag­te auch in Be­zug auf Fahr­zeug­käu­fe sit­ten­wid­rig ge­han­delt ha­be, die erst nach Auf­de­ckung des Die­selskan­dals statt­ge­fun­den ha­ben; die­se Fra­ge sei erst durch das Se­nats­ur­teil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 – ge­klärt wor­den.

[8]    Zwar ver­weist die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zu Recht dar­auf, dass die Re­vi­si­on auch dann zu­zu­las­sen ist, wenn im Zeit­punkt der Ein­le­gung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ein Zu­las­sungs­grund ge­ge­ben war und die­ser zwi­schen­zeit­lich durch ei­ne Ent­schei­dung des BGH in an­de­rer Sa­che ent­fal­len ist, so­fern dem Rechts­mit­tel nur Er­folgs­aus­sich­ten bei­zu­mes­sen sind (BVerfG [3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 29.09.2010 – 1 BvR 2649/06, BVerfGK 18, 105 = ju­ris Rn. 22 f.; BGH, Beschl. v. 06.05.2004 – I ZR 197/03, NJW 2004, 3188 = ju­ris Rn. 13 f.; Beschl. v. 27.10.2004 – IV ZR 386/02, NJW-RR 2005, 438 = ju­ris Rn. 9; Beschl. v. 08.09.2004 – V ZR 260/03, NJW 2005, 154 Leit­satz 2 und ju­ris Rn. 16, 20; Beschl. v. 29.06.2010 – X ZR 51/09, NJW 2010, 2812 Rn. 10 f.; Münch­Komm-ZPO/​Krü­ger, 6. Aufl., § 544 Rn. 26; Ball, in: Mu­sielak/​Voit, ZPO, 17. Aufl., § 544 Rn. 22b).

[9]    An der zu­letzt ge­nann­ten Vor­aus­set­zung fehlt es im Streit­fall aber. Die be­ab­sich­tig­te Re­vi­si­on des Klä­gers hat kei­ne Aus­sicht auf Er­folg. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat zu Recht an­ge­nom­men, dass dem Klä­ger kei­ne Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ge­gen die Be­klag­te zu­ste­hen.

[10]   1. An­sprü­che aus § 823 II BGB i. V. mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV, Art. 5 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 II BGB i. V. mit § 263 I StGB, § 31 BGB be­ste­hen nicht (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 10 ff., 17 ff.; Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20). Dies macht die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de auch nicht gel­tend.

[11]   2. Dem Klä­ger steht auch kein Scha­dens­er­satz­an­spruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wen­det sich oh­ne Er­folg ge­gen die Be­ur­tei­lung des Be­ru­fungs­ge­richts, die Be­klag­te ha­be dem Klä­ger nicht in ei­ner ge­gen die gu­ten Sit­ten ver­sto­ßen­den Wei­se Scha­den zu­ge­fügt.

[12]   a) Sit­ten­wid­rig ist ein Ver­hal­ten, das nach sei­nem Ge­samt­cha­rak­ter, der in ei­ner Ge­samt­schau durch um­fas­sen­de Wür­di­gung von In­halt, Be­weg­grund und Zweck zu er­mit­teln ist, ge­gen das An­stands­ge­fühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den ver­stößt. Da­für ge­nügt es im All­ge­mei­nen nicht, dass der Han­deln­de ei­ne Pflicht ver­letzt und ei­nen Ver­mö­gens­scha­den her­vor­ruft. Viel­mehr muss ei­ne be­son­de­re Ver­werf­lich­keit sei­nes Ver­hal­tens hin­zu­tre­ten, die sich aus dem ver­folg­ten Ziel, den ein­ge­setz­ten Mit­teln, der zu­ta­ge ge­tre­te­nen Ge­sin­nung oder den ein­ge­tre­te­nen Fol­gen er­ge­ben kann (st. Rspr., s. nur Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15). Schon zur Fest­stel­lung der ob­jek­ti­ven Sit­ten­wid­rig­keit kann es da­her auf Kennt­nis­se, Ab­sich­ten und Be­weg­grün­de des Han­deln­den an­kom­men, die die Be­wer­tung sei­nes Ver­hal­tens als ver­werf­lich recht­fer­ti­gen. Die Ver­werf­lich­keit kann sich auch aus ei­ner be­wuss­ten Täu­schung er­ge­ben (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 m. w. Nachw.). Ins­be­son­de­re bei mit­tel­ba­ren Schä­di­gun­gen kommt es fer­ner dar­auf an, dass den Schä­di­ger das Un­wert­ur­teil, sit­ten­wid­rig ge­han­delt zu ha­ben, ge­ra­de auch in Be­zug auf die Schä­den des­je­ni­gen trifft, der An­sprü­che aus § 826 BGB gel­tend macht (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; Urt. v. 07.05.2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 m. w. Nachw.; Se­nat, Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 14).

[13]   Fal­len die ers­te po­ten­zi­ell scha­den­sur­säch­li­che Hand­lung und der Ein­tritt des Scha­dens – wie im Streit­fall – zeit­lich aus­ein­an­der, ist der Be­wer­tung ei­nes schä­di­gen­den Ver­hal­tens als (nicht) sit­ten­wid­rig das ge­sam­te Ver­hal­ten des Schä­di­gers bis zum Ein­tritt des Scha­dens bei dem kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten zu­grun­de zu le­gen. Denn im Fal­le der sit­ten­wid­ri­gen vor­sätz­li­chen Schä­di­gung ge­mäß § 826 BGB wird das ge­setz­li­che Schuld­ver­hält­nis erst mit Ein­tritt des Scha­dens bei dem kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten be­grün­det; der haf­tungs­be­grün­den­de Tat­be­stand setzt die Zu­fü­gung ei­nes Scha­dens zwin­gend vor­aus. Des­halb kann im Rah­men des § 826 BGB ein Ver­hal­ten, das sich ge­gen­über zu­nächst be­trof­fe­nen (an­de­ren) Ge­schä­dig­ten als sit­ten­wid­rig dar­stell­te, auf­grund ei­ner Ver­hal­tens­än­de­rung des Schä­di­gers vor Ein­tritt des Scha­dens bei dem kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten die­sem ge­gen­über als nicht sit­ten­wid­rig zu wer­ten sein.

[14]   Ob das Ver­hal­ten des An­spruchs­geg­ners sit­ten­wid­rig i. S. des § 826 BGB ist, ist da­bei ei­ne Rechts­fra­ge, die der un­ein­ge­schränk­ten Kon­trol­le des Re­vi­si­ons­ge­richts un­ter­liegt (Se­nat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 14; Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 15; je­weils m. w. Nachw.).

[15]   b) Nach die­sen Grund­sät­zen ist das Ver­hal­ten der für die Be­klag­te han­deln­den Per­so­nen im Ver­hält­nis zum Klä­ger nicht als sit­ten­wid­rig zu qua­li­fi­zie­ren. Der Vor­wurf der Sit­ten­wid­rig­keit ist an­ge­sichts der von der Be­klag­ten ab dem 22.09.2015 er­grif­fe­nen Maß­nah­men bei der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung nicht ge­recht­fer­tigt.

[16]   aa) Zu­guns­ten des Klä­gers kann zu­nächst un­ter­stellt wer­den, dass die Be­klag­te ih­re Fahr­zeu­ge mit Die­sel­mo­to­ren der Bau­rei­he EA189 – so auch das vom Klä­ger er­wor­be­ne – auf der Grund­la­ge ei­ner grund­le­gen­den stra­te­gi­schen Ent­schei­dung im ei­ge­nen Kos­ten- und da­mit auch Ge­winn­in­ter­es­se mit ei­ner Mo­tor­steue­rungs­soft­ware aus­ge­stat­tet hat, die be­wusst und ge­wollt so pro­gram­miert war, dass die ge­setz­li­chen Ab­gas­grenz­wer­te nur auf dem Prüf­stand ein­ge­hal­ten, im nor­ma­len Fahr­be­trieb hin­ge­gen über­schrit­ten wur­den (Um­schalt­lo­gik), und da­mit un­mit­tel­bar auf die arg­lis­ti­ge Täu­schung der Typ­ge­neh­mi­gungs­be­hör­de ab­ziel­te. Wei­ter un­ter­stellt wer­den kann, dass die Be­klag­te die mit die­ser of­fen­sicht­lich un­zu­läs­si­gen Ab­schalt­ein­rich­tung ver­se­he­nen Fahr­zeu­ge so­dann un­ter be­wuss­ter Aus­nut­zung der Arg­lo­sig­keit der Er­wer­ber, die die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Vor­ga­ben und die ord­nungs­ge­mä­ße Durch­füh­rung des Typ­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­rens als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­setz­ten, in den Ver­kehr ge­bracht und da­bei die da­mit ein­her­ge­hen­de Be­las­tung der Um­welt und die Ge­fahr, dass bei ei­ner Auf­de­ckung die­ses Sach­ver­halts ei­ne Be­triebs­be­schrän­kung oder -un­ter­sa­gung hin­sicht­lich der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge er­fol­gen könn­te, in Kauf ge­nom­men hat­te. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist im Ver­hält­nis zu den Per­so­nen, die ei­nes der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge vor den von der Be­klag­ten im Sep­tem­ber 2015 er­grif­fe­nen Maß­nah­men er­war­ben und kei­ne Kennt­nis von der il­le­ga­len Ab­schalt­ein­rich­tung hat­ten, ob­jek­tiv sit­ten­wid­rig; es steht ei­ner un­mit­tel­ba­ren arg­lis­ti­gen Täu­schung die­ser Per­so­nen in der Be­wer­tung gleich (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 33; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 16 ff., 23, 25; Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17).

[17]   bb) Die Be­klag­te hat ihr Ver­hal­ten aber im Sep­tem­ber 2015 nach au­ßen er­kenn­bar maß­geb­lich ge­än­dert. Denn sie ist an die Öf­fent­lich­keit ge­tre­ten, hat Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten ein­ge­räumt und Maß­nah­men zur Be­sei­ti­gung des ge­setz­wid­ri­gen Zu­stan­des er­ar­bei­tet, um die Ge­fahr ei­ner Be­triebs­be­schrän­kung oder -un­ter­sa­gung zu ban­nen. Hier­durch wur­den we­sent­li­che Ele­men­te, die ihr bis­he­ri­ges Ver­hal­ten ge­gen­über bis­he­ri­gen Käu­fern von Fahr­zeu­gen mit Die­sel­mo­to­ren der Bau­rei­he EA189 als be­son­ders ver­werf­lich er­schei­nen lie­ßen, der­art re­la­ti­viert, dass der Vor­wurf der Sit­ten­wid­rig­keit be­zo­gen auf ihr Ge­samt­ver­hal­ten ge­gen­über dem Klä­ger und im Hin­blick auf den Scha­den, der bei ihm durch den Ab­schluss ei­nes un­ge­woll­ten Kauf­ver­trags im Sep­tem­ber 2016 ent­stan­den sein könn­te, nicht ge­recht­fer­tigt ist (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 34, 37; Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 14, 17). Auf der Grund­la­ge der ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen kann das Ver­hal­ten der Be­klag­ten bei der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung ins­be­son­de­re nicht ei­ner arg­lis­ti­gen Täu­schung des Klä­gers gleich­ge­setzt wer­den (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 38; Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 17).

[18]   (1) Nach den nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Land­ge­richts, auf die das Be­ru­fungs­ge­richt Be­zug ge­nom­men hat, ver­öf­fent­lich­te die Be­klag­te am 22.09.2015 ei­ne Ad-hoc-Mit­tei­lung. Dar­in teil­te sie mit, dass bei welt­weit rund elf Mil­lio­nen Fahr­zeu­gen mit Mo­to­ren des Typs EA189 ei­ne auf­fäl­li­ge Ab­wei­chung zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb fest­ge­stellt wor­den sei, sie mit Hoch­druck dar­an ar­bei­te, die Ab­wei­chun­gen mit tech­ni­schen Maß­nah­men zu be­sei­ti­gen, da­zu in Kon­takt mit den zu­stän­di­gen Be­hör­den und dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt ste­he und für not­wen­di­ge Ser­vice­maß­nah­men an den be­trof­fe­nen Mo­to­ren rund 6,5 Mil­li­ar­den Eu­ro zu­rück­stel­le. Wie die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de aus­drück­lich her­vor­hebt, gab die Be­klag­te dar­über hin­aus ei­ne im We­sent­li­chen gleich­lau­ten­de Pres­se­er­klä­rung her­aus und schal­te­te ei­ne Web­sei­te frei, auf der durch Ein­ga­be der Fahr­zeug-Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer über­prüft wer­den kann, ob ein kon­kre­tes Fahr­zeug mit der Ab­schalt­ein­rich­tung ver­se­hen ist.

[19]   (2) Be­reits die Ad-hoc-Mit­tei­lung der Be­klag­ten vom 22.09.2015 war ob­jek­tiv ge­eig­net, das Ver­trau­en po­ten­zi­el­ler Käu­fer von Ge­braucht­wa­gen mit VW-Die­sel­mo­to­ren des Typs EA189 in ei­ne vor­schrifts­ge­mä­ße Ab­gas­tech­nik zu zer­stö­ren, dies­be­züg­li­che Arg­lo­sig­keit al­so zu be­sei­ti­gen. Auf­grund der Ver­laut­ba­rung und ih­rer als si­cher vor­her­zu­se­hen­den me­dia­len Ver­brei­tung war ty­pi­scher­wei­se nicht mehr da­mit zu rech­nen, dass Käu­fer von ge­brauch­ten VW-Fahr­zeu­gen mit Die­sel­mo­to­ren der Bau­rei­he EA189 die Er­fül­lung der hier maß­geb­li­chen ge­setz­li­chen Vor­ga­ben noch als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­set­zen wür­den. Für das be­wuss­te Aus­nut­zen ei­ner dies­be­züg­li­chen Arg­lo­sig­keit die­ser Käu­fer war da­mit kein Raum mehr; hier­auf konn­te das ge­än­der­te Ver­hal­ten der Be­klag­ten nicht mehr ge­rich­tet sein (vgl. Se­nat, Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 15, 17; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 37).

[20]   So­weit die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ein­zel­ne Sät­ze der Ad-hoc-Mit­tei­lung be­an­stan­det, sieht der Se­nat kei­nen An­lass zu ei­ner Än­de­rung die­ser Be­wer­tung. Denn die an­ge­spro­che­nen Pas­sa­gen re­la­ti­vie­ren, wor­auf es für die Be­wer­tung des Se­nats maß­geb­lich an­kommt, nicht die er­folg­te, mit ei­ner Ge­winn­war­nung ver­bun­de­ne Of­fen­le­gung ei­ner auf­fäl­li­gen – elf Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge des­sel­ben Mo­tor­typs (EA189) be­tref­fen­den, tech­ni­sche Maß­nah­men in Ab­stim­mung mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt er­for­dern­den und Rück­stel­lun­gen von rund 6,5 Mil­li­ar­den Eu­ro aus­lö­sen­den – Ab­wei­chung zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb. An­ge­sichts der mit­ge­teil­ten In­for­ma­tio­nen zu Fahr­zeu­gen mit Die­sel­mo­to­ren vom Typ EA189, ins­be­son­de­re der ho­hen Zahl der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge, des er­heb­li­chen Be­sei­ti­gungs­auf­wands und der er­folg­ten Ein­bin­dung der zu­stän­di­gen Be­hör­den war bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tung da­von aus­zu­ge­hen, dass po­ten­zi­el­le Käu­fer von Ge­braucht­wa­gen mit VW-Die­sel­mo­to­ren der Bau­rei­he EA189 die Er­fül­lung der maß­geb­li­chen ge­setz­li­chen Vor­ga­ben nach der Ver­öf­fent­li­chung und der als si­cher vor­her­zu­se­hen­den me­dia­len Ver­brei­tung der Mit­tei­lung nicht mehr als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­set­zen wür­den. Dies gilt um­so mehr, als nach den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts über die Ver­wen­dung der Ab­schalt­ein­rich­tung in Die­sel­mo­to­ren vom Typ EA189 ab Sep­tem­ber 2015 in den Me­di­en um­fang­reich be­rich­tet und in der brei­ten Öf­fent­lich­keit dis­ku­tiert wor­den ist und sie un­ter Be­zeich­nun­gen wie „Die­selskan­dal“, „VW-Ab­gas­skan­dal“ mo­na­te­lang ein die Nach­rich­ten be­herr­schen­des The­ma war.

[21]   An­ders als die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de meint, kommt es auch nicht dar­auf an, ob die An­ga­ben der Be­klag­ten im ers­ten Ab­satz in ih­rer Ad-hoc- und ih­rer Pres­se­mit­tei­lung vom 15.09.2015 („Die ak­tu­ell in der Eu­ro­päi­schen Uni­on an­ge­bo­te­nen Neu­wa­gen mit Die­sel­an­trieb EU 6 aus dem Volks­wa­gen Kon­zern er­fül­len die recht­li­chen An­for­de­run­gen und Um­welt­nor­men.“) un­rich­tig sind oder nicht. Vor­lie­gend steht al­lein in­fra­ge, ob das Ver­hal­ten der Be­klag­ten ge­gen­über dem Klä­ger und im Hin­blick auf den Scha­den, der ihm durch den Ab­schluss ei­nes un­ge­woll­ten Kauf­ver­trags im Sep­tem­ber 2016 ent­stan­den sein könn­te, als sit­ten­wid­rig zu be­wer­ten ist. Denn wie un­ter a aus­ge­führt, muss den Schä­di­ger das Un­wert­ur­teil, sit­ten­wid­rig ge­han­delt zu ha­ben, ge­ra­de in Be­zug auf die Schä­den des­je­ni­gen tref­fen, der An­sprü­che aus § 826 BGB gel­tend macht. Der Klä­ger hat­te aber ei­nen Ge­braucht­wa­gen mit ei­nem Die­sel­mo­tor des Typs EA189 (Schad­stoff­norm Eu­ro 5) er­wor­ben, was ihm – oh­ne dass es für die Ent­schei­dung dar­auf an­kä­me – aus­weis­lich der Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags auch be­kannt war. Für das be­wuss­te Aus­nut­zen ei­ner Arg­lo­sig­keit von Käu­fern der­ar­ti­ger Fahr­zeu­ge war nach der Ver­laut­ba­rung der Ad-hoc-Mit­tei­lung der Be­klag­ten aber – wie aus­ge­führt – kein Raum mehr.

[22]   (3) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de sind die un­ter (1) dar­ge­stell­ten Maß­nah­men der Be­klag­ten für das Er­geb­nis der Sit­ten­wid­rig­keits­prü­fung nicht des­halb ir­re­le­vant, weil die Be­klag­te nicht si­cher­ge­stellt hat­te, dass ih­re In­for­ma­tio­nen tat­säch­lich je­den po­ten­zi­el­len Käu­fer er­reich­ten und ei­nen Fahr­zeu­ger­werb in Un­kennt­nis der Ab­schalt­ein­rich­tung in je­dem Ein­zel­fall ver­hin­der­ten (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 38; Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 18). An­ders als die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de meint, traf die Be­klag­te zur Ver­mei­dung des Sit­ten­wid­rig­keits­vor­wurfs nicht die Ver­pflich­tung, je­den po­ten­ti­el­len Käu­fer über die für sei­ne Kauf­ent­schei­dung we­sent­li­chen Ge­sichts­punk­te und die Män­gel des Kauf­ge­gen­stands voll­stän­dig auf­zu­klä­ren. Die von der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de in die­sem Zu­sam­men­hang ge­zo­ge­ne Par­al­le­le zur In­struk­ti­ons­pflicht des Pro­dukt­her­stel­lers ver­fängt nicht. Sie be­trifft ei­ne völ­lig an­de­re In­ter­es­sen­la­ge. Un­ab­hän­gig da­von, ob sie als de­lik­ti­sche Ver­kehrs­pflicht aus § 823 I BGB oder aus § 3 I lit. a Prod­HaftG ab­ge­lei­tet wird (vgl. Se­nat, Urt. v. 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 12; Stau­din­ger/​Oechs­ler, BGB, Neu­be­arb. 2018, § 3 Prod­HaftG Rn. 47 f.), be­zweckt sie den Schutz hier nicht in Re­de ste­hen­der ab­so­lu­ter Rechts­gü­ter und da­mit des In­te­gri­täts­in­ter­es­ses des Pro­dukt­nut­zers oder Drit­ter. Sie soll dem Pro­dukt­nut­zer Klar­heit über die von dem Pro­dukt un­ter Um­stän­den aus­ge­hen­den Ge­fah­ren für nach § 1 I 1 Prod­HaftG, § 823 I BGB ge­schütz­te Rechts­gü­ter ver­schaf­fen und ihn in die La­ge ver­set­zen, von der Ver­wen­dung des Pro­dukts Ab­stand zu neh­men oder den Ge­fah­ren so weit wie mög­lich ent­ge­gen­zu­wir­ken (vgl. Se­nat, Urt. v. 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 23; BGH, Urt. v. 19.02.1975 – VI­II ZR 144/73, BGHZ 64, 46 = ju­ris Rn. 11 f.). Sie soll hin­ge­gen we­der die wirt­schaft­li­che Dis­po­si­ti­ons­frei­heit des Pro­dukter­wer­bers noch des­sen In­ter­es­se am Er­halt und an der Nut­zung ei­ner man­gel­frei­en Sa­che (Äqui­va­lenzin­ter­es­se) ge­währ­leis­ten (vgl. Se­nat, Urt. v. 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 12, 23; Urt. v. 17.03.2009 – VI ZR 176/08, VersR 2009, 649 = ju­ris Rn. 6, 8; Kat­zen­mei­er/​Voigt, Prod­HaftG, 7. Aufl. [2020], Prod­HaftG § 1 Rn. 2 Fn. 5, § 3 Rn. 2; Deutsch, JZ 1989, 465, 467; zur Haf­tung für wir­kungs­lo­se Pro­duk­te, de­ren Ver­wen­dungs­zweck es ist, In­te­gri­täts­in­ter­es­sen des Ver­brau­chers zu schüt­zen: Se­nats, Urt. v. 17.03.1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186; Urt. v. 17.03.1981 – VI ZR 286/78, BGHZ 80, 199; Urt. v. 18.09.1984 – VI ZR 51/83, VersR 1984, 1151; Beschl. v. 02.07.2019 – VI ZR 42/18, VersR 2019, 1385).

[23]   (4) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird die Be­deu­tung der un­ter (1) dar­ge­stell­ten Maß­nah­men der Be­klag­ten für das Er­geb­nis der Sit­ten­wid­rig­keits­prü­fung nicht da­durch re­la­ti­viert, dass die Be­klag­te ih­re Be­mü­hun­gen, den ge­set­zes­wid­ri­gen Zu­stand zu be­sei­ti­gen, le­dig­lich vor­ge­spie­gelt, ei­ne Täu­schung durch ei­ne an­de­re er­setzt und da­mit ihr ver­werf­li­ches Ver­hal­ten nur in ver­än­der­ter Wei­se fort­ge­setzt hät­te.

[24]   (a) So­weit die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gel­tend macht, die Be­klag­te ha­be mit dem Soft­ware­up­date le­dig­lich ein wei­te­res Mal ei­ne von vorn­her­ein rechts­wid­ri­ge Be­sei­ti­gungs­maß­nah­me ent­wi­ckelt und ge­neh­mi­gen las­sen, zeigt sie kei­nen vom Be­ru­fungs­ge­richt über­gan­ge­nen Tat­sa­chen­vor­trag auf, dem die Be­haup­tung ei­ner er­neu­ten Täu­schung des Kraft­fahrt-Bun­des­am­tes ent­nom­men wer­den könn­te. Auf der Grund­la­ge der ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen kann von ei­ner sol­chen neu­er­li­chen Täu­schung des Kraft­fahrt-Bun­des­am­tes nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Nach den aus­drück­li­chen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts (vgl. S. 2 des Hin­weis­be­schlus­ses und S. 5 des Zu­rück­wei­sungs­be­schlus­ses) hat das Kraft­fahrt-Bun­des­amt, das die Um­schalt­lo­gik als un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung be­an­stan­det und die Be­klag­te ver­pflich­tet hat­te, ei­nen vor­schrifts­mä­ßi­gen Zu­stand her­zu­stel­len, die von der Be­klag­ten dar­auf­hin ent­wi­ckel­te tech­ni­sche Lö­sung in Form des Soft­ware­up­dates ge­neh­migt und die Be­klag­te auf­ge­for­dert, das Up­date auf­zu­spie­len. An­halts­punk­te da­für, dass sich das Kraft­fahrt-Bun­des­amt ein wei­te­res Mal über die Ar­beits­wei­se des für den Mo­tor EA189 ent­wi­ckel­ten Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems im Irr­tum be­fun­den hät­te, sind we­der er­sicht­lich noch dar­ge­tan.

[25]   (b) Die Ver­werf­lich­keit des Ver­hal­tens der Be­klag­ten setz­te sich auch nicht des­halb in le­dig­lich ver­än­der­ter Form fort, weil die Be­klag­te mit dem Soft­ware­up­date ei­ne tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­ge Steue­rung des Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems (Ther­mo­fens­ter) im­ple­men­tiert hat. Zwar ist man­gels ab­wei­chen­der Fest­stel­lun­gen für die re­vi­si­ons­recht­li­che Über­prü­fung von dem Vor­trag des Klä­gers aus­zu­ge­hen, wo­nach die Ab­gas­rück­füh­rung in den mit ei­nem Mo­tor des Typs EA189 ver­se­he­nen Fahr­zeu­gen nach dem Soft­ware­up­date nur bei Au­ßen­tem­pe­ra­tu­ren zwi­schen 15 und 33 °C in vol­lem Um­fang statt­fin­det und au­ßer­halb die­ser Be­din­gun­gen deut­lich re­du­ziert wird.

[26]   Dies recht­fer­tigt den Vor­wurf be­son­de­rer Ver­werf­lich­keit in der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung aber nicht. Da­bei kann zu­guns­ten des Klä­gers un­ter­stellt wer­den, dass ei­ne der­ar­ti­ge tem­pe­ra­tur­be­ein­fluss­te Steue­rung der Ab­gas­rück­füh­rung als un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung i. S. von Art. 5 II 1 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 zu qua­li­fi­zie­ren ist (vgl. zu Art. 5 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 auch EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, ECLI:EU:C:2020:1040; OGH, Beschl. v. 17.03.2020 – 10 Ob 44/19x, RZ 2020, 212 EÜ2351Er­klä­rung der an­ge­ge­be­nen Fund­stel­le: Ös­ter­rei­chi­sche Richter­zei­tung (RZ) 2020, 212, dort: Ak­tu­el­le Ent­schei­dun­gen in Rechts­sät­zen des Evi­denz­bü­ros des Obers­ten Ge­richts­hofs (EÜ) Nr. 235. [Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen, beim EuGH ge­führt un­ter C-145/20]). Der dar­in lie­gen­de – un­ter­stell­te – Ge­set­zes­ver­stoß reicht aber nicht aus, um das Ge­samt­ver­hal­ten der Be­klag­ten als sit­ten­wid­rig zu qua­li­fi­zie­ren. Hier­für be­dürf­te es viel­mehr wei­te­rer Um­stän­de im Zu­sam­men­hang mit der Ent­wick­lung und Ge­neh­mi­gung des Soft­ware­up­dates, an de­nen es im Streit­fall fehlt.

[27]   (aa) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ist die Ap­pli­ka­ti­on ei­ner tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­gen Steue­rung des Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems nicht mit der Ver­wen­dung der Prüf­stands­er­ken­nungs­soft­ware zu ver­glei­chen, die die Be­klag­te zu­nächst zum Ein­satz ge­bracht hat­te. Wäh­rend Letz­te­re, wie un­ter aa aus­ge­führt, un­mit­tel­bar auf die arg­lis­ti­ge Täu­schung der Typ­ge­neh­mi­gungs­be­hör­de ab­ziel­te und ei­ner un­mit­tel­ba­ren arg­lis­ti­gen Täu­schung der Fahr­zeu­ger­wer­ber in der Be­wer­tung gleich­steht, ist der Ein­satz ei­ner tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­gen Steue­rung des Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems nicht von vorn­her­ein durch Arg­list ge­prägt (vgl. Se­nat, Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17 f.). Sie führt nicht da­zu, dass bei er­kann­tem Prüf­stands­be­trieb ei­ne ver­stärk­te Ab­gas­rück­füh­rung ak­ti­viert und der Stick­oxid­aus­stoß ge­gen­über dem nor­ma­len Fahr­be­trieb re­du­ziert wird, son­dern ar­bei­tet in bei­den Fahr­si­tua­tio­nen im Grund­satz in glei­cher Wei­se. Un­ter den für den Prüf­zy­klus maß­ge­ben­den Be­din­gun­gen (Um­ge­bungs­tem­pe­ra­tur, Luft­feuch­tig­keit, Ge­schwin­dig­keit, Wi­der­stand etc., vgl. Art. 5 III lit. a der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 i. V. mit Art. 3 Nr. 1 und 6, An­hang III der Ver­ord­nung (EG) Nr. 692/2008 der Kom­mis­si­on vom 18.07.2008 zur Durch­füh­rung und Än­de­rung der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 (ABl. 2008 L 199, 1) i. V. mit Abs. 5.3.1 und An­hang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Re­ge­lung Nr. 83 (ABl. 2006 L 375, 246) ent­spricht die Ra­te der Ab­gas­rück­füh­rung im nor­ma­len Fahr­be­trieb der­je­ni­gen auf dem Prüf­stand.

[28]   (bb) Bei die­ser Sach­la­ge hät­te sich die Ver­werf­lich­keit des Ver­hal­tens der Be­klag­ten durch die Im­ple­men­ta­ti­on des Ther­mo­fens­ters nur dann fort­ge­setzt, wenn zu dem – hier un­ter­stell­ten – Ver­stoß ge­gen Art. 5 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 im Zu­sam­men­hang mit der Ent­wick­lung und Ge­neh­mi­gung des Soft­ware­up­dates wei­te­re Um­stän­de hin­zu­trä­ten, die das Ver­hal­ten der für sie han­deln­den Per­so­nen als be­son­ders ver­werf­lich er­schei­nen lie­ßen. Dies setzt je­den­falls vor­aus, dass die­se Per­so­nen bei der Ent­wick­lung und/oder Ap­pli­ka­ti­on der tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­gen Steue­rung des Emis­si­ons­kon­troll­sys­tems in dem Be­wusst­sein han­del­ten, ei­ne (wei­te­re) un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung zu ver­wen­den, und den dar­in lie­gen­den Ge­set­zes­ver­stoß bil­li­gend in Kauf nah­men. Fehlt es hier­an, ist der ob­jek­ti­ve Tat­be­stand der Sit­ten­wid­rig­keit nicht er­füllt.

[29]   Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zeigt aber kei­nen in den Tat­sa­chen­in­stan­zen über­gan­ge­nen Sach­vor­trag des in­so­weit dar­le­gungs­be­las­te­ten Klä­gers (vgl. Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35; Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ju­ris Rn. 19) auf, dem für ein sol­ches Vor­stel­lungs­bild der für die Be­klag­te han­deln­den Per­so­nen spre­chen­de An­halts­punk­te zu ent­neh­men wä­ren.

[30]   (c) Ei­ne ab­wei­chen­de Be­ur­tei­lung ist auch nicht des­halb ge­bo­ten, weil das von der Be­klag­ten im An­schluss an ih­re Ad-hoc-Mit­tei­lung vom 22.09.2015 ent­wi­ckel­te Soft­ware­up­date nach der man­gels ab­wei­chen­der Fest­stel­lun­gen re­vi­si­ons­recht­lich zu un­ter­stel­len­den Be­haup­tung des Klä­gers ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf den Kraft­stoff­ver­brauch und den Ver­schleiß der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge hat. Dies recht­fer­tigt den Vor­wurf be­son­de­rer Ver­werf­lich­keit in der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung nicht. Der Um­stand, dass mit dem Up­date nicht nur die un­zu­läs­si­ge Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware ent­fernt wird, son­dern auch ei­ne – un­ter­stellt nach­tei­li­ge – Ver­än­de­rung des Kraft­stoff­ver­brauchs oder sons­ti­ger Pa­ra­me­ter ver­bun­den ist, reicht nicht aus, um das Ge­samt­ver­hal­ten der Be­klag­ten als sit­ten­wid­rig zu qua­li­fi­zie­ren.

[31]   cc) Die wei­te­ren Rü­gen hat der Se­nat ge­prüft und für nicht durch­grei­fend er­ach­tet. Von ei­ner nä­he­ren Be­grün­dung wird ab­ge­se­hen (§ 544 VI 2 ZPO).

PDF er­stel­len