Für die Be­wer­tung ei­nes schä­di­gen­den Ver­hal­tens als sit­ten­wid­rig i. S. von § 826 BGB ist in ei­ner Ge­samt­schau des­sen Ge­samt­cha­rak­ter zu er­mit­teln und das ge­sam­te Ver­hal­ten des Schä­di­gers bis zum Ein­tritt des Scha­dens beim kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten zu­grun­de zu le­gen. Dies wird ins­be­son­de­re dann be­deut­sam, wenn die ers­te po­ten­zi­ell scha­den­sur­säch­li­che Hand­lung und der Ein­tritt des Scha­dens zeit­lich aus­ein­an­der­fal­len und der Schä­di­ger sein Ver­hal­ten zwi­schen­zeit­lich nach au­ßen er­kenn­bar ge­än­dert hat (hier: Er­stre­ckung der Ver­hal­tens­än­de­rung des VW-Kon­zerns im sog. Die­selskan­dal ab dem 22.09.2015 auf an­de­re Kon­zern­mar­ken; Fort­füh­rung von Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 ff.).

BGH, Ur­teil vom 08.12.2020 – VI ZR 244/20

Sach­ver­halt: Der Klä­ger er­warb von der S-oHG auf­grund ei­ner im Mai 2016 ge­tä­tig­ten ver­bind­li­chen Be­stel­lung für 32.600 € ei­nen ge­brauch­ten Au­di Q5 2.0 TDI. Das Fahr­zeug ist mit ei­nem von der Be­klag­ten, der Volks­wa­gen AG her­ge­stell­ten Die­sel­mo­tor des Typs EA189 aus­ge­rüs­tet. Die im Zu­sam­men­hang mit die­sem Mo­tor ver­wen­de­te Soft­ware führ­te zu ei­ner Op­ti­mie­rung der Stick­stoff­oxid(NOX)-Emis­si­ons­wer­te im be­hörd­li­chen Prüf­ver­fah­ren. Die Soft­ware be­wirk­te, dass ei­ne Prü­fungs­si­tua­ti­on, in der der Ab­gas­aus­stoß ge­mes­sen wird, er­kannt und die Ab­gas­auf­be­rei­tung für de­ren Dau­er op­ti­miert wur­de. Im nor­ma­len Be­trieb au­ßer­halb des Prüf­stands war die­se Ab­gas­auf­be­rei­tung ab­ge­schal­tet.

Am 22.09.2015, al­so be­vor der Klä­ger den Kauf­ver­trag mit der S-oHG schloss, gab die Be­klag­te ei­ne Ad-hoc-Mit­tei­lung nach § 15 WpHG a.F. her­aus, die aus­zugs­wei­se wie folgt lau­tet:

„Volks­wa­gen treibt die Auf­klä­rung von Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten ei­ner ver­wen­de­ten Soft­ware bei Die­sel-Mo­to­ren mit Hoch­druck vor­an. […]

Wei­te­re bis­he­ri­ge in­ter­ne Prü­fun­gen ha­ben er­ge­ben, dass die be­tref­fen­de Steue­rungs­soft­ware auch in an­de­ren Die­sel-Fahr­zeu­gen des Volks­wa­gen Kon­zerns vor­han­den ist. […]

Auf­fäl­lig sind Fahr­zeu­ge mit Mo­to­ren vom Typ EA189 mit ei­nem Ge­samt­vo­lu­men von welt­weit rund elf Mil­lio­nen Fahr­zeu­gen. Aus­schließ­lich bei die­sem Mo­tor­typ wur­de ei­ne auf­fäl­li­ge Ab­wei­chung zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb fest­ge­stellt. Volks­wa­gen ar­bei­tet mit Hoch­druck dar­an, die­se Ab­wei­chun­gen mit tech­ni­schen Maß­nah­men zu be­sei­ti­gen. Das Un­ter­neh­men steht da­zu der­zeit in Kon­takt mit den zu­stän­di­gen Be­hör­den und dem Deut­schen Kraft­ahrt­bun­des­amt. […]“.

Das Kraft­fahrt-Bun­des­amt wer­te­te die Pro­gram­mie­rung als un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung und ver­pflich­te­te die Be­klag­te, die Vor­schrifts­mä­ßig­keit der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge durch ge­eig­ne­te Maß­nah­men wie­der­her­zu­stel­len. Das dar­auf­hin von der Be­klag­ten ent­wi­ckel­te Soft­ware­up­date gab das Kraft­fahrt-Bun­des­amt für den hier be­trof­fe­nen Fahr­zeug­typ im De­zem­ber 2016 frei; der Klä­ger ließ es im Ja­nu­ar 2017 in­stal­lie­ren.

Mit sei­ner Kla­ge hat der Klä­ger Scha­dens­er­satz in Hö­he des für das Fahr­zeug ge­zahl­ten Kauf­prei­ses ab­züg­lich ge­zo­ge­ner Nut­zun­gen in Form ge­fah­re­ner Ki­lo­me­ter nebst Zin­sen, Zug um Zug ge­gen Über­ga­be und Über­eig­nung des Fahr­zeugs, so­wie den Er­satz vor­ge­richt­lich ent­stan­de­ner Rechts­an­walts­kos­ten ver­langt. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klä­gers hat das Ober­lan­des­ge­richt der Kla­ge im We­sent­li­chen statt­ge­ge­ben. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Re­vi­si­on der Be­klag­ten, die da­mit die voll­stän­di­ge Ab­wei­sung der Kla­ge er­rei­chen woll­te, hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: [7]    I. Nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts (OLG Ol­den­burg, Urt. v. 13.02.2020 – 14 U 244/19, BeckRS 2020, 7010) steht dem Klä­ger der gel­tend ge­mach­te An­spruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Be­klag­te ha­be den Klä­ger vor­sätz­lich und sit­ten­wid­rig ge­schä­digt, in­dem sie je­nen Mo­tor des Typs EA189 mit der ver­bo­te­nen Ab­schalt­au­to­ma­tik kon­zi­piert, ge­baut und in den Ver­kehr ge­bracht ha­be. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sei­en nicht durch die Ver­öf­fent­li­chung der Ad-hoc-Mit­tei­lung und wei­te­rer Pres­se­mit­tei­lun­gen zu der Soft­ware­ma­ni­pu­la­ti­on ent­fal­len. In­so­weit sei auf den Zeit­punkt der Tat­hand­lung ab­zu­stel­len, vor­lie­gend dem­nach auf den Zeit­punkt des In­ver­kehr­brin­gens des streit­ge­gen­ständ­li­chen Mo­tors. Nach­träg­li­che Än­de­run­gen in Vor­satz und Ge­sin­nung oder auf­klä­ren­de Maß­nah­men hät­ten auf die zi­vil­recht­li­che Haf­tung der Be­klag­ten kei­nen Ein­fluss, wenn der Scha­den den­noch ein­tre­te. Auf die Fra­ge, ob die Sit­ten­wid­rig­keit und der dies­be­züg­li­che Vor­satz bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags noch vor­ge­le­gen hät­ten und ob die Ad-hoc-Mit­tei­lung der Be­klag­ten und die im Nach­gang ver­öf­fent­lich­ten Pres­se­mit­tei­lun­gen ge­eig­net ge­we­sen sei­en, den vor­he­ri­gen Vor­wurf der Sit­ten­wid­rig­keit ent­fal­len zu las­sen, kom­me es je­den­falls in­so­weit nicht an.

[8]    Die Be­klag­te ha­be den Klä­ger durch die­se sit­ten­wid­ri­ge vor­sätz­li­che Hand­lung ge­schä­digt. Der Be­ru­fungs­se­nat ha­be die Über­zeu­gung ge­won­nen, dass der Klä­ger den Ver­trag nicht ge­schlos­sen hät­te, wenn er von den Ma­ni­pu­la­tio­nen der Be­klag­ten an der Mo­tor­steue­rungs­soft­ware und de­ren Fol­gen für die Be­triebs­er­laub­nis des Fahr­zeugs Kennt­nis ge­habt hät­te. Der Klä­ger ha­be glaub­haft und nach­voll­zieh­bar er­klärt, dass er sich ge­ra­de we­gen der Be­richt­er­stat­tung über die von der Be­klag­ten ver­wen­de­te Mo­tor­steue­rungs­soft­ware für ein Fahr­zeug ei­nes an­de­ren Her­stel­lers, näm­lich der Au­di AG, ent­schie­den ha­be, oh­ne zu wis­sen, dass die Au­di AG als Toch­ter­un­ter­neh­men der Be­klag­ten auch de­ren Mo­to­ren in ih­ren Fahr­zeu­gen ver­baue. Die­se An­ga­ben des Klä­gers wür­den durch die als Zeu­gen ver­nom­me­ne Ehe­frau des Klä­gers und des für die S-oHG das Ver­kaufs­ge­spräch füh­ren­den Ver­käu­fers be­stä­tigt, wo­nach der Satz „Wir sind Au­di und nicht VW.“ je­den­falls sinn­ge­mäß ge­fal­len sein könn­te.

[9]    Der Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen der sit­ten­wid­ri­gen vor­sätz­li­chen Hand­lung und der Schä­di­gung sei auch nicht al­lein auf­grund der Ad-hoc-Mit­tei­lung vom 22.09.2015, den Pres­se­er­klä­run­gen aus Ok­to­ber 2015 und den An­wei­sun­gen an die Ver­trags­händ­ler zu ver­nei­nen. Die­se Maß­nah­men sei­en nicht aus­rei­chend ge­we­sen, da nur von „Auf­fäl­lig­kei­ten“ und „Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten“ ge­spro­chen wor­den sei. Ei­ne aus­rei­chen­de Auf­klä­rung hät­te auf die dro­hen­de Ge­fahr ei­ner Still­le­gung des Fahr­zeugs ge­zielt hin­wei­sen müs­sen.

[10]   II. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­grün­det. Dem Klä­ger ste­hen kei­ne – hier al­lein in Be­tracht kom­men­den – de­liktsrecht­li­chen An­sprü­che ge­gen die Be­klag­te zu.

[11]  1. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts kann der Klä­ger den gel­tend ge­mach­ten Scha­dens­er­satz­an­spruch nicht auf § 826 BGB stüt­zen.

[12]  a) Wie der Se­nat im Ur­teil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 f. m. w. Nachw. – aus­ge­führt hat, ist für die Be­wer­tung ei­nes schä­di­gen­den Ver­hal­tens als (nicht) sit­ten­wid­rig in ei­ner Ge­samt­schau des­sen Ge­samt­cha­rak­ter zu er­mit­teln, wes­halb ihr das ge­sam­te Ver­hal­ten des Schä­di­gers bis zum Ein­tritt des Scha­dens beim kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten zu­grun­de zu le­gen ist. Dies wird ins­be­son­de­re dann be­deut­sam, wenn die ers­te po­ten­zi­ell scha­den­sur­säch­li­che Hand­lung und der Ein­tritt des Scha­dens zeit­lich aus­ein­an­der­fal­len und der Schä­di­ger sein Ver­hal­ten zwi­schen­zeit­lich nach au­ßen er­kenn­bar ge­än­dert hat. Zu kurz greift es da­her, in sol­chen Fäl­len ent­we­der, wie es hier das Be­ru­fungs­ge­richt ge­tan hat, nur auf den Zeit­punkt der „Tat­hand­lung“, oder nur auf den des Scha­den­s­ein­tritts ab­zu­stel­len. Im Fal­le der sit­ten­wid­ri­gen vor­sätz­li­chen Schä­di­gung ge­mäß § 826 BGB wird das ge­setz­li­che Schuld­ver­hält­nis erst mit Ein­tritt des Scha­dens beim kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten be­grün­det, weil der haf­tungs­be­grün­den­de Tat­be­stand des § 826 BGB die Zu­fü­gung ei­nes Scha­dens zwin­gend vor­aus­setzt. Des­halb kann im Rah­men des § 826 BGB ein Ver­hal­ten, das sich ge­gen­über zu­nächst be­trof­fe­nen (an­de­ren) Ge­schä­dig­ten als sit­ten­wid­rig dar­stell­te, auf­grund ei­ner Ver­hal­tens­än­de­rung des Schä­di­gers vor Ein­tritt des Scha­dens bei dem kon­kre­ten Ge­schä­dig­ten die­sem ge­gen­über als nicht sit­ten­wid­rig zu wer­ten sein. Ei­ne sol­che Ver­hal­tens­än­de­rung kann so­mit be­reits der Be­wer­tung sei­nes Ge­samt­ver­hal­tens als sit­ten­wid­rig ge­ra­de in Be­zug auf den gel­tend ge­mach­ten, erst spä­ter ein­ge­tre­te­nen Scha­den und ge­ra­de im Ver­hält­nis zu dem erst spä­ter Ge­schä­dig­ten ent­ge­gen­ste­hen und ist nicht erst im Rah­men der Kau­sa­li­tät ab­hän­gig von den Vor­stel­lun­gen des je­wei­li­gen Ge­schä­dig­ten zu be­rück­sich­ti­gen.

[13]   b) Bei der dem­nach ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung ist auf der Grund­la­ge der vom Be­ru­fungs­ge­richt ge­trof­fe­nen und von der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung nicht in­fra­ge ge­stell­ten Fest­stel­lun­gen das Ver­hal­ten der Be­klag­ten ge­gen­über dem Klä­ger nicht als sit­ten­wid­rig zu be­ur­tei­len.

[14]   aa) Der Se­nat hat im Ur­teil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 – auf Grund­la­ge der im dor­ti­gen Ver­fah­ren ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen un­ter an­de­rem aus­ge­führt, dass die vom Be­ru­fungs­ge­richt fest­ge­stell­te Ver­hal­tens­än­de­rung der Be­klag­ten we­sent­li­che Ele­men­te, die das Un­wert­ur­teil ih­res bis­he­ri­gen Ver­hal­tens ge­gen­über bis­he­ri­gen Käu­fern be­grün­de­ten, der­art re­la­ti­viert, dass der Vor­wurf der Sit­ten­wid­rig­keit be­zo­gen auf ihr Ge­samt­ver­hal­ten ge­ra­de ge­gen­über spä­te­ren Käu­fern und ge­ra­de im Hin­blick auf den Scha­den, der bei die­sen durch den Ab­schluss ei­nes un­ge­woll­ten Kauf­ver­trags nach dem 22.09.2015 ent­stan­den sein könn­te, nicht mehr ge­recht­fer­tigt ist (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34).

[15]   Be­reits die Mit­tei­lung der Be­klag­ten vom 22.09.2015 war ob­jek­tiv ge­eig­net, das Ver­trau­en po­ten­zi­el­ler Käu­fer von Ge­braucht­wa­gen mit VW-Die­sel­mo­to­ren in ei­ne vor­schrifts­ge­mä­ße Ab­gas­tech­nik zu zer­stö­ren, dies­be­züg­li­che Arg­lo­sig­keit al­so zu be­sei­ti­gen. Auf­grund der Ver­laut­ba­rung und ih­rer als si­cher vor­her­zu­se­hen­den me­dia­len Ver­brei­tung war ty­pi­scher­wei­se nicht mehr da­mit zu rech­nen, dass Käu­fer von ge­brauch­ten VW-Fahr­zeu­gen mit Die­sel­mo­to­ren die Er­fül­lung der hier maß­geb­li­chen ge­setz­li­chen Vor­ga­ben noch als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­set­zen wür­den. Für die Aus­nut­zung ei­ner dies­be­züg­li­chen Arg­lo­sig­keit war da­mit kein Raum mehr; hier­auf konn­te das ge­än­der­te Ver­hal­ten der Be­klag­ten nicht mehr ge­rich­tet sein. Aus der Mit­tei­lung vom 22.09.2015 ging wei­ter her­vor, dass „die zu­stän­di­gen Be­hör­den“ und das Kraft­fahrt-Bun­des­amt be­reits in­vol­viert wa­ren. Die Be­klag­te hat ih­re stra­te­gi­sche un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung, im ei­ge­nen Kos­ten- und Ge­winn­in­ter­es­se das Kraft­fahrt-Bun­dea­amt und letzt­lich die Fahr­zeug­käu­fer zu täu­schen, er­setzt durch die Stra­te­gie, an die Öf­fent­lich­keit zu tre­ten, Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten ein­zu­räu­men und in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt Maß­nah­men zur Be­sei­ti­gung des ge­setz­wid­ri­gen Zu­stands zu er­ar­bei­ten, um die Ge­fahr ei­ner Be­triebs­be­schrän­kung oder -un­ter­sa­gung zu ban­nen. Tat­säch­lich ist ihr dies durch die Ent­wick­lung und Be­reit­stel­lung ei­nes Soft­ware­up­dates für den hier be­trof­fe­nen Fahr­zeug­typ und an­de­re Ty­pen ge­lun­gen, mag das Soft­ware­up­date in dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug auch erst nach dem Er­werb durch den Klä­ger auf­ge­spielt wor­den sein. In­dem die Be­klag­te ih­re Ver­trags­händ­ler über die Ver­wen­dung der Ab­schalt­ein­rich­tung in­for­miert hat, hat sie sie zu­dem in die La­ge ver­setzt, et­wai­ge Kauf­in­ter­es­sen­ten über die Ab­gas­pro­ble­ma­tik der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge auf­zu­klä­ren. Ih­re bis­lang gleich­gül­ti­ge Ge­sin­nung im Hin­blick auf et­wai­ge Fol­gen und Schä­den für Käu­fer ih­rer Fahr­zeu­ge hat sie da­mit auf­ge­ge­ben. Ihr nun­meh­ri­ges Be­mü­hen um die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Vor­ga­ben zeugt zu­dem von der Auf­ga­be ih­rer gleich­gül­ti­gen und rück­sichts­lo­sen Ge­sin­nung im Hin­blick auf die die Um­welt und Ge­sund­heit der Be­völ­ke­rung schüt­zen­den Rechts­vor­schrif­ten (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 37).

[16]   Dass die Be­klag­te die Ab­schalt­ein­rich­tung nicht selbst als il­le­gal ge­brand­markt hat, son­dern im Ge­gen­teil die­ser (zu­tref­fen­den) Be­wer­tung in der Fol­ge­zeit ent­ge­gen­ge­tre­ten ist, dass sie ei­ne be­wuss­te Ma­ni­pu­la­ti­on ge­leug­net hat und dass sie mög­li­cher­wei­se wei­te­re Schrit­te zur um­fas­sen­den Auf­klä­rung hät­te un­ter­neh­men kön­nen, reicht für die Be­grün­dung des gra­vie­ren­den Vor­wurfs der sit­ten­wid­ri­gen Schä­di­gung ge­gen­über spä­te­ren Käu­fern nicht aus. Ins­be­son­de­re war ein aus mo­ra­li­scher Sicht ta­del­lo­ses Ver­hal­ten der Be­klag­ten oder ei­ne Auf­klä­rung, die tat­säch­lich je­den po­ten­zi­el­len Käu­fer er­reicht und ei­nen Fahr­zeu­ger­werb in Un­kennt­nis der Ab­schalt­ein­rich­tung si­cher ver­hin­dert, zum Aus­schluss ob­jek­ti­ver Sit­ten­wid­rig­keit nicht er­for­der­lich (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 38).

[17]   bb) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung er­gibt sich nichts an­de­res aus dem Um­stand, dass der Klä­ger im Streit­fall ein Fahr­zeug der Mar­ke Au­di und nicht der Mar­ke Volks­wa­gen er­wor­ben hat. Die Be­klag­te hat ih­re Ver­hal­tens­än­de­rung nicht auf ih­re Kern­mar­ke Volks­wa­gen be­schränkt, son­dern im Ge­gen­teil be­reits in ih­rer Ad-hoc-Mit­tei­lung vom 22.09.2015 dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die be­tref­fen­de Steue­rungs­soft­ware auch in an­de­ren Die­sel­fahr­zeu­gen des Volks­wa­gen-Kon­zerns vor­han­den und dass der Mo­tor vom Typ EA189 auf­fäl­lig sei, oh­ne dies­be­züg­lich ei­ne Ein­schrän­kung auf ei­ne be­stimm­te Mar­ke des Kon­zerns vor­zu­neh­men. Mit die­sem Schritt an die Öf­fent­lich­keit und der da­mit ver­bun­de­nen Mit­tei­lung, mit den zu­stän­di­gen Be­hör­den und dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt be­reits in Kon­takt zu ste­hen, hat die Be­klag­te ih­re stra­te­gi­sche un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung, das Kraft­fahrt-Bun­des­amt und letzt­lich die Fahr­zeug­käu­fer zu täu­schen, auch be­züg­lich der wei­te­ren Kon­zern­mar­ken er­setzt durch die Stra­te­gie, Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten ein­zu­räu­men und in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt Maß­nah­men zur Be­sei­ti­gung des ge­setz­wid­ri­gen Zu­stands zu er­ar­bei­ten. Auf­grund die­ses – in der Ad-hoc-Mit­tei­lung vom 22.09.2015 zum Aus­druck kom­men­den – Stra­te­gie­wech­sels war das Ver­hal­ten der Be­klag­ten ge­ne­rell, das heißt hin­sicht­lich al­ler Kon­zern­mar­ken, nicht mehr dar­auf an­ge­legt, das Kraft­fahrt-Bun­des­amt und arg­lo­se Er­wer­ber zu täu­schen (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 37). Auf den kon­kre­ten Wort­laut der von der Be­klag­ten erst­mals in der Re­vi­si­ons­in­stanz vor­ge­leg­ten wei­te­ren Pres­se­ver­laut­ba­run­gen der Be­klag­ten und ih­rer Kon­zern­toch­ter Au­di AG von Ok­to­ber und No­vem­ber 2015, die un­ter an­de­rem die mög­li­che Be­trof­fen­heit von 2,0-Li­ter-Mo­to­ren in Fahr­zeu­gen na­ment­lich der Mar­ke Au­di nä­her aus­füh­ren, kommt es da­her nicht an (§ 559 I ZPO).

[18]   Dass die Be­klag­te mög­li­cher­wei­se auch im Hin­blick auf die von ih­rer Kern­mar­ke Volks­wa­gen ab­wei­chen­den Mar­ken ih­rer Kon­zern­töch­ter wei­te­re Schrit­te zu ei­ner kla­re­ren Auf­klä­rung po­ten­ti­el­ler, mit der Kon­zern­struk­tur und dem Mar­ken­port­fo­lio der Be­klag­ten nicht ver­trau­ten Fahr­zeug­käu­fer hät­te un­ter­neh­men kön­nen, steht der Ver­nei­nung ei­nes ob­jek­tiv sit­ten­wid­ri­gen Vor­ge­hens im Ver­hält­nis zum Klä­ger und im Hin­blick auf den von die­sem im Mai 2016 ab­ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trag nach den dar­ge­stell­ten Grund­sät­zen des Se­nats­ur­teils vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 38 – eben­so we­nig ent­ge­gen wie der Um­stand, dass, wie der Streit­fall zeigt, nicht je­der po­ten­zi­el­le Käu­fer sub­jek­tiv ver­läss­lich über die Ver­wen­dungs­brei­te der un­zu­läs­si­gen Ab­schalt­ein­rich­tung in den ver­schie­de­nen Mar­ken der Be­klag­ten in­for­miert wur­de.

[19]   Im Üb­ri­gen zeigt der Streit­fall – oh­ne dass es hier­auf für die Ent­schei­dung an­kä­me –, dass ge­ra­de auch der Klä­ger im Hin­blick auf die Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware nicht mehr arg­los war und die Er­fül­lung der maß­geb­li­chen ge­setz­li­chen Vor­ga­ben bei ge­brauch­ten Fahr­zeu­gen mit Die­sel­mo­to­ren nicht mehr als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­setz­te. Der Klä­ger hat­te nach den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts viel­mehr Kennt­nis von der Be­richt­er­stat­tung über die von der Be­klag­ten ver­wen­de­te Mo­tor­steue­rungs­soft­ware; die Die­selthe­ma­tik war In­halt des Ver­kaufs­ge­sprächs. Dass der Klä­ger in die­sem Zu­sam­men­hang von dem das Ver­kaufs­ge­spräch füh­ren­den Mit­ar­bei­ter der S-oHG ei­ne im Hin­blick auf die Ver­wen­dung des VW-Mo­tors EA189 und die zu­ge­hö­ri­ge Ab­gas­pro­ble­ma­tik un­zu­tref­fen­de Aus­kunft („Wir sind Au­di und nicht VW.“) er­hal­ten ha­ben mag, könn­te un­ter Um­stän­den ei­ne ei­gen­stän­di­ge Haf­tung der Ver­käu­fe­rin be­grün­den, ist aber nicht der Be­klag­ten zu­zu­rech­nen.

[20]   2. Der Klag­an­spruch er­gibt sich auch nicht aus § 823 II BGB i. V. mit § 6 I, § 27 I EG-FGV oder Art. 5 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 (vgl. Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.) oder aus § 823 II BGB i. V. mit § 263 I StGB, § 31 BGB (Se­nat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 17 ff.).

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