Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens, der sich nicht dem Vorwurf einer arglistigen Täuschung aussetzen will, muss den Käufer ungefragt über eine wegen der Anzahl und des Umfangs der durchgeführten Arbeiten außergewöhnliche Reparaturhistorie des Fahrzeugs aufklären, wenn er diese im Gegensatz zum Käufer kennt. Insbesondere besteht daher eine Aufklärungspflicht, wenn der Verkäufer die nach Anzahl und Umfang ungewöhnlichen Reparaturarbeiten selbst vorgenommen hat.
LG Lübeck, Urteil vom 08.05.2025 – 3 O 150/21
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten einen gebrauchten Pkw Audi S3 Sportback mit einer Laufleistung von 92.799 km zum Preis von 25.990 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 27.12.2018 übergeben. Zur Finanzierung des Kaufpreises hatte die B-Bank AG dem Kläger ein Darlehen in Höhe von 32.744,88 € gewährt. Ein vorheriger Halter hatte das Fahrzeug mehrfach von der Beklagten reparieren lassen. Insbesondere wurden zwischen 2014 und 2016 Turbolader, Katalysator, Kupplung, Rumpfmotor und Kühlmittelpumpe ausgetauscht. Hierauf wies der Mitarbeiter V der Beklagten den Kläger im Verkaufsgespräch jedoch nicht hin. Streitig ist, ob der Kläger gezielt nach Reparaturen fragte.
Im September 2019 leuchtete die Abgaskontrollleuchte des Fahrzeugs auf. Der Kläger fuhr daraufhin zur nächstgelegenen Audi-Vertragswerkstatt. Dort wurden die Fehler „Nockenwellenverstellung” und „Saugrohrklappe” aus dem Fehlerspeicher ausgelesen. Der Kläger ließ das Fahrzeug zur weiteren Untersuchung in der Werkstatt zurück. Nach einigen Tagen konnte er es gegen Zahlung von 299,84 € abholen. Doch als er mit dem Fahrzeug zu Hause ankam, leuchtete die Kontrollleuchte erneut auf. Daraufhin setzte sich der Kläger mit der Beklagten in Verbindung, die ihm empfahl, das Fahrzeug näher untersuchen zu lassen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde dem Kläger mitgeteilt, dass das Fahrzeug bei 7.000 km neue Kolben, bei circa 35.000 km einen neuen Turbolader und bei circa 65.000 km einen Austauschmotor erhalten habe und die Fehlermeldungen „Nockenwellenverstellung” und „Saugrohrklappe” (weiterhin) bestünden. Eine Einigung zwischen den Parteien bezüglich der Behebung der diesen Fehlermeldungen zugrunde liegenden Mängel kam nicht zustande.
Der Kläger meldete das Fahrzeug im Jahr 2019 mit einem Kilometerstand von 110.923 ab. Unter dem 19.11.2019 behauptete die Beklagte, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger keine Mängel aufgewiesen habe. Es folgten Einigungsversuche, die letztlich erfolglos blieben. Unter dem 28.04.2020 erklärte der anwaltlich vertretene Kläger die Anfechtung des Kaufvertrags über das Fahrzeug sowie den Rücktritt von diesem Vertrag..
Der Kläger zahlte an die B-Bank AG zwölf Darlehensraten von je 389,82 €, insgesamt also 4.677,84 €, sowie 57 € Verzugskosten.
Der Kläger behauptet, er habe den Mitarbeiter V der Beklagten gezielt nach früheren Reparaturen des Fahrzeugs gefragt, was V verneint habe. In Kenntnis der Reparaturhistorie des Fahrzeugs hätte er es nicht erworben.
Mit der Klage hat der Kläger, der sich eine Nutzungsentschädigung von 2.442,96 € anrechnen lässt, die Beklagte auf Zahlung von (32.744,88 € − 2.442,96 € =) 30.301,92 € nebst Zinse, Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat er – jeweils nebst Zinsen – die für die Untersuchungen des Fahrzeugs aufgewendeten Kosten in Höhe von insgesamt (299,84 € + 124,41 € =) 424,25 € sowie vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.324,60 € ersetzt verlangt. Schließlich hat der Kläger beantragt, die die Beklagte zu verpflichten, ihn von etwaigen weiteren Forderungen aus dem mit der B-Bank AG geschlossenen Darlehensvertrag freizustellen, sowie den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.
Die Beklagte ist der Klage mit der Behauptung entgegengetreten, ihr Mitarbeiter V habe die Reparaturhistorie des Fahrzeugs nicht gekannt und sei dazu auch nicht vom Kläger befragt worden. Anderenfalls hätte er die Reparaturhistorie im System ausgelesen und mitgeteilt. Die Fehlermeldungen „Nockenwellenverstellung“ und „Saugrohrklappe“ stünden in keinem Zusammenhang mit der Reparaturhistorie des Fahrzeugs. Dieses sei dem Kläger mangelfrei übergeben worden. Der Kläger könne allenfalls die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, jedoch keine Erstattung der Zinsen. Eine Rückübereignung des Fahrzeugs sei dem Kläger wegen des Sicherungseigentums der B-Bank AG gar nicht möglich.
Die Klage hatte überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: I. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche überwiegend zu.
1. Der Kläger hat zunächst Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 812 I 1 Fall 1 BGB. Die Beklagte hat im Sinne dieser Norm etwas durch Leistung des Klägers ohne Rechtsgrund erlangt, denn nach wirksamer Anfechtung ist der Kaufvertrag rückwirkend nichtig (§ 142 I BGB). Im Einzelnen:
a) Der Anfechtungsgrund liegt in einer arglistigen Täuschung nach § 123 I Fall 1 BGB durch die unterbliebene Aufklärung über die Reparaturhistorie des Fahrzeugs, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger gezielt danach gefragt hat oder nicht. Denn für die Reparaturhistorie bestand eine ungefragte Offenbarungspflicht.
Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur bei entsprechender Offenbarungspflicht eine Täuschungshandlung dar; dabei ist entscheidend, ob der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung im Einzelfall redlicherweise eine Aufklärung über den verschwiegenen Umstand erwarten durfte (BeckOK-BGB/Wendtland, Stand: 01.02.2025, § 123 Rn. 11 m. w. N.).
Das war hier in Bezug auf die Reparaturhistorie des Fahrzeugs der Fall. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen S in seinem Gutachten vom 06.02.2024 sei zwar kein Gebrauchtmotor, sondern ein Neuteil eingebaut worden, wodurch sich ein möglicher Minderwert und eine Wertverbesserung gegenseitig aufhöben. Allerdings sei die Reparaturhistorie nach Anzahl und Umfang der durchgeführten Arbeiten (Austausch Turbolader, Katalysator, Kupplung, Rumpfmotor und Kühlmittelpumpe) als außergewöhnlich zu bezeichnen, daher stelle sich aus technischer Sicht die Frage, ob sich ein Käufer in Kenntnis dieser Reparaturhistorie für dieses Fahrzeug entschieden hätte. Eine Offenbarung dieser nach Art und Umfang außergewöhnlichen Reparaturen durfte der Kläger als Käufer nach Treu und Glauben erwarten. Dabei ist unerheblich, ob die Reparaturhistorie aufgrund der Wertverbesserung durch den Einbau eines Neuteils einen Sachmangel darstellt oder nicht (dazu die beklagtenseits zitierte Entscheidung des OLG München v. 13.08.2003 – 3 U 2888/03), denn § 123 I BGB dient gerade dem Schutz der Entscheidungsfreiheit und nicht der Mangelfreiheit. Zwar besteht regelmäßig ohne entsprechende Anhaltspunkte keine Pflicht, ein Gebrauchtwagen auf Unfallschäden zu untersuchen und dazu die Reparaturhistorie bei der zentralen Datenbank des Herstellers abzufragen (BGH, Urt. v. 19.06.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn. 24 f.). Hier liegt die Sachlage jedoch anders, weil die Reparaturen bei der Verkäuferin selbst erfolgten und die Reparaturen bekannt waren (dazu sogleich).
Die Beklagte handelte durch ihre Mitarbeiter V auch arglistig im Sinne des § 123 I Fall 1 BGB.
Arglistig handelt der Verkäufer, wenn er einen als möglich erkannten Mangel verschweigt und zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Vertrag in Kenntnis des Mangels nicht oder nicht mit gleichem Inhalt schließen würde (MünchKomm-BGB/Armbrüster, 10. Aufl. [2025], § 123 Rn. 39).
Da die Reparaturen bei der Beklagten durchgeführt wurden, bestand positive Kenntnis von Art und Umfang der Reparaturen ebenso wie bedingter Vorsatz in Bezug auf die fehlende Kenntnis des Klägers und dessen dadurch bedingter Kaufentscheidung. Dabei kann sich die Beklagte nicht auf eine Unkenntnis ihres Mitarbeiters berufen, der das Verkaufsgespräch mit dem Kläger führte (§ 166 II BGB). Die Mitarbeiter der Beklagten sind keine Dritten im Sinne des § 123 II BGB. Unerheblich ist, dass die Reparaturen im Zeitpunkt des Kaufvertrags drei bis vier Jahre zurücklagen. Denn einerseits sind drei bis vier Jahre eine eher kurze Zeitspanne, zum anderen ist der Zeitablauf für den Schutz der Entscheidungsfreiheit bei Vertragsabschluss ohne Bedeutung.
Für das Gericht steht nach dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zu der gemäß § 286 I 1 ZPO erforderlichen Gewissheit fest, dass der Kläger einem Irrtum unterlag und er das Fahrzeug in Kenntnis der Reparaturhistorie nicht beziehungsweise nicht zu diesem Preis erworben hätte. Dies hat der Kläger in seiner persönlichen Anhörung überzeugend geschildert.
b) Die Anfechtungserklärung erfolgte fristgerecht binnen eines Jahres nach Entdeckung der Täuschung (§ 124 I, II 1 BGB). Die Anfechtung ist auch nicht ausgeschlossen.
c) Herauszugeben ist nach § 818 I BGB das Erlangte, und zwar der Kaufpreis in Höhe von 25.990 € ohne die Finanzierungszinsen, denn insoweit hat die Beklagte nichts erlangt. Im Wege der Saldierung sind die durch den Kläger gezogenen Nutzungen abzuziehen (§ 818 III BGB(. Dies hat anhand der folgenden Formel zu erfolgen:
$$\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{Gesamtlaufleistung − Kilometerstand bei Erwerb}}.$$
Die Finanzierungskosten sind entgegen der Ansicht des Klägers und der zitierten Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (Urt. v. 16.12.2013 – 12 O 196/1212 O 196/12) nicht zu berücksichtigen, weil sie den objektiven Wert des Fahrzeugs nicht erhöhen und damit auch nicht den Gebrauchsvorteil aus der Nutzung des Fahrzeugs vergrößern. Ein Fahrzeugkäufer, der den Kaufpreis fremdfinanziert, hat objektiv keinen höheren Nutzungsvorteil je gefahrenem Kilometer als ein Käufer, der das Fahrzeug mit eigenen Mitteln erwirbt (BGH, Urt. v. 13.04.2021 – VI ZR 274/20, juris Rn. 23).
Nach diesen Maßstäben ergibt sich die für die folgende Berechnung unter Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km:
$$\frac{\text{25.990 € [Kaufpreis]}\times\text{18.124 km [gefahrene Kilometer]}}{\text{250.000 km − 92.799 km [Restlaufleistung]}} = \text{2.996,44 €}.$$
Von der Beklagten zu zahlen ist mithin ein Betrag in Höhe von (25.990 € − 2.996,44 € =) 22.993,56 €.
d) Die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung erfolgt Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Erfüllung der Rückgabeverpflichtung ist für den Kläger auch nicht unmöglich. Zwar fehlt ihm derzeitige die notwendige Eigentümerstellung, diese kann er durch Zahlung gegenüber der B-Bank AG jedoch erlangen.
2. Darüber hinaus steht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB zu. Die fehlende Aufklärung über die Reparaturhistorie des Fahrzeugs stellt eine schuldhafte vorvertragliche Pflichtverletzung dar. Der Kläger ist nach §§ 249 ff. BGB so zu stellen, wie er ohne den Abschluss des Kaufvertrags gestanden hätte.
Zum einen steht dem Kläger daher Ersatz der gezahlten Finanzierungsraten in Höhe von insgesamt 4.677,84 € zu, nicht dagegen die Verzugskosten über 57 €, insoweit steht ein Eigenverschulden des Klägers entgegen (§ 254 I BGB). Weiter steht dem Kläger Ersatz der notwendigen Rechtsverfolgungskosten seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.324,66 € zu. Darüber hinaus kann der Kläger Ersatz der Kosten für die Fehlersuche über 299,84 € verlangen.
Weiterer Ersatz steht dem Kläger dagegen nicht zu, weil der Kläger die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der streitigen Kosten nicht nachgewiesen hat.
Ein Freistellungsanspruch bezüglich einer weiteren Inanspruchnahme aus dem Darlehensvertrag steht dem Kläger nicht zu. Zum einen hat der Kläger schon nicht dargelegt, dass eine weitere Inanspruchnahme droht. Zum anderen kann sich der Kläger gegen eine Inanspruchnahme aus eigenem Recht nach § 359 I BGB wehren, weil es sich um einen verbundenen Vertrag handelt.
3. Verzugszinsen nach §§ 288 I, 286 BGB schuldet die Beklagte nur insoweit, als der Kläger bereits tatsächlich Zahlungen getätigt hat, im Übrigen wäre der Kläger übervorteilt. Diese Forderung ist auch nicht einredebehaftet, weil sich der Zug-um-Zug-Einwand nur auf die Rückzahlung des Kaufpreises bezieht. Anderes ergibt sich auch nicht aus er beklagtenseits zitierten Entscheidung des LG Hagen vom 26.08.2015 – 2 O 149/14 –, bei der es um die Rückzahlung des Kaufpreises geht.
4. Der Kläger kann keine Feststellung des Annahmeverzugs verlangen, weil sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs nicht in Verzug befindet. Es fehlt an dem erforderlichen tauglichen Angebot des Klägers, denn dieser hat der Beklagten auch das Eigentum am Fahrzeug zu verschaffen. Das ist aufgrund des Sicherungseigentums der B-Bank AG derzeit jedoch nicht möglich.
II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 I ZPO sowie auf § 709 und § 708 Nr. 11, § 711 ZPO. Die Kosten waren zu quoteln und nicht nach § 92 II Nr. 1 ZPO insgesamt der Beklagten aufzuerlegen, weil die Zuvielforderung durch den Kläger einen Kostensprung von 26.690 € auf 30.000 € und damit Mehrkosten verursacht hat.