Tag: Aufklärungspflicht
- Der Käufer eines Gebrauchtwagens kann zwar grundsätzlich nicht erwarten, darüber informiert zu werden, wie, wann und von wem der Verkäufer das Fahrzeug erworben hat. Das gilt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn die Umstände des Erwerbs den Verdacht nahelegen, dass es während der Besitzzeit des Voreigentümers zur unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen ist. Solche Umstände sind zum Beispiel gegeben, wenn der Verkäufer das Fahrzeug selbst kurz zuvor von einem „fliegenden“ Zwischenhändler erworben hat. In einem solchen Fall ist der Verkäufer zur Aufklärung des Käufers verpflichtet, weil der Verdacht naheliegt, dass es während der Besitzzeit des unbekannten Voreigentümers zu Manipulationen am Kilometerzähler oder einer sonstigen unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen ist.
- Verweigert ein Schuldner die Erfüllung eines Zahlungsanspruchs ernsthaft und endgültig, so verweigert er zugleich jeglichen Ersatz von Rechtsanwaltskosten, die zur Durchsetzung des Anspruchs aufgewendet wurden (im Anschluss an OLG Hamburg, Urt. v. 03.02.2010 – 4 U 17/09, juris Rn. 58).
OLG Brandenburg, Urteil vom 20.04.2023 – 10 U 50/22
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- Die Angabe eines Gebrauchtwagenverkäufers, das Fahrzeug sei – soweit ihm bekannt – kein Importfahrzeug, ist eine bloße Wissenserklärung oder – besser – Wissensmitteilung, die nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB führt. Eine solche Wissensmitteilung ist nicht ohne rechtliche Bedeutung; vielmehr haftet der Erklärende gemäß §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB dafür, dass er sein subjektives Wissen richtig und vollständig wiedergibt (im Anschluss an BGH, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 16). Der Erklärende haftet aber nicht dafür, dass sein subjektives Wissen auch den den objektiven Gegebenheiten entspricht. Es gibt keine „fahrlässig falsche Wissenserklärung“.
- Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens muss den Käufer allenfalls dann ungefragt darüber aufklären, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen „(Re-)Import“ handelt, wenn das Fahrzeug aus diesem Grund auf dem inländischen Markt weniger wert ist als ein für diesen Markt produziertes Fahrzeug (im Anschluss u. a. an OLG Jena, Urt. v. 23.10.2008 – 1 U 118/08, juris Rn. 20 ff.). Ein solcher Minderwert liegt jedenfalls bei einem sieben Jahre alten Gebrauchtwagen, der eine Laufleistung von über 150.000 km aufweist, fern.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.11.2021 – 10 U 11/21
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Wird ein Pkw als „Diebstahlsrückläufer“ ohne Hinweis auf eine veränderte Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) zum Kauf angeboten und überprüft der gewerblich mit Kraftfahrzeugen handelnde Käufer vor Abschluss des Kaufvertrags nicht, ob die in der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II eingetragene mit der am Fahrzeug angebrachten Fahrzeug-Identifizierungsnummer übereinstimmt, handelt der Käufer grob fahrlässig i. S. von § 442 I 2 BGB, ohne dass dem Verkäufer Arglist zur Last fällt.
OLG Rostock, Urteil vom 01.06.2021 – 4 U 156/19
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Verkauft der Testamentsvollstrecker ein Nachlassgrundstück, kann ihm die Kenntnis der Erben über Mängel der Kaufsache oder andere offenbarungspflichtige Umstände nicht nach den für juristische Personen und öffentliche Körperschaften geltenden Grundsätzen über die „Organisation eines innerbetrieblichen Informationsaustausches“ zugerechnet werden.
BGH, Urteil vom 19.03.2021 – V ZR 158/19
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- Der Verkäufer eines Kraftfahrzeugs – hier: eines seit sechs Monaten zugelassenen Vorführwagens mit einem Kilmoterstand von 700 – muss einem potenziellen Käufer ungefragt solche ihm bekannte oder für mögliche gehaltene Umstände offenbaren, die für den Kaufentschluss eines verständigen Käufers von wesentlicher Bedeutung sind. Dass bei dem zum Kauf angebotenen Fahrzeug der Motorblock ausgetauscht wurde, ist ein solcher für jeden verständigen Käufer maßgeblicher Umstand. Das gilt unabhängig davon, ob es um einen Neu- oder um einen Gebrauchtwagen geht, und es gilt im Besonderen, wenn der Motorblock bereits bei einer geringen Laufleistung (hier: 350 km) ausgetauscht werden musste.
- Der Verkauf eines Kraftfahrzeugs gehört regelmäßig zur gewöhnlichen Verwendung i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB, sodass Umstände, die sich negativ auf die Verkäuflichkeit des Fahrzeugs auswirken (hier: ein Austausch des Motorblocks bei einer Laufleistung von 350 km), einen Sachmangel im Sinne dieser Vorschrift begründen.
AG Andernach, Urteil vom 23.12.2020 – 69 C 379/19
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Zu den – hier in Bezug auf einen überbreiten Mähdrescher nicht erfüllten – objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung i. S. von § 123 I Fall 1 BGB und § 442 I 2 BGB durch Verschweigen eines zu offenbarenden Umstands.
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Bei der Beurteilung, ob einem Käufer grobe Fahrlässigkeit i. S. von § 442 I 2 BGB anzulasten ist, ist zwar zu beachten, dass Käufer prinzipiell nicht zu einer Untersuchung der Kaufsache oder gar zur Zuziehung eines Sachverständigen verpflichtet ist. Grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 442 I 2 BGB, also eine besonders schwere Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, liegt aber dann vor, wenn der Käufer dringend zur Vorsicht und zur weiteren Prüfung anhaltende Umstände außer Acht lässt. Das ist der Fall, dem Käufer bekannte Indizien den Verdacht, dass die Kaufsache – hier: ein wegen Überbreite jedenfalls nicht ohne Weiteres auf öffentlichen Straßen nutzbarer Mähdrescher – mangelhaft ist, so nahe legen, dass es unverständlich erscheint, diesem Verdacht nicht weiter nachzugehen.
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.12.2020 – 10 O 5016/20
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Der (hier: private) Verkäufer eines Kraftfahrzeugs muss den Käufer nur dann ungefragt darüber aufklären, dass es sich um einen „Reimport“ handelt, wenn sich dieser Umstand aufgrund des Misstrauens, das potenzielle Käufer einem reimportierten Fahrzeug möglicherweise entgegenbringen, tatsächlich mindernd auf den Verkehrswert des Fahrzeugs auswirkt. Davon kann mittlerweile nicht mehr generell, sondern nur noch im Einzelfall ausgegangen werden (im Anschluss an OLG Jena, Urt. v. 23.10.2008 – 1 U 118/08, juris Rn. 20 ff.).
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.11.2020 – 8 U 85/17
(vorangehend: LG Frankenthal, Urteil vom 12.09.2017 – 7 O 171/17; nachfolgend: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.01.2021 – 8 U 85/17)
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Weiß der Verkäufer eines Gebrauchtwagens, dass das Fahrzeug einen – über einen bloßen Bagatellschaden hinausgehenden – Unfallschaden erlitten hat, oder hält der Verkäufer einen solchen Unfallschaden für möglich so hat er dies dem Käufer grundsätzlich ungefragt mitzuteilen, wenn er sich nicht dem Vorwurf eines arglistigen Verschweigens aussetzen will (vgl. BGH, Urt. v. 03.03.1982 – VIII ZR 78/81, NJW 1982, 1386 m. w. Nachw.).
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Die Grenze für „Bagatellschäden”, die nicht ungefragt offenbart werden müssen, ist bei Personenkraftwagen sehr eng zu ziehen. Als „Bagatellschäden” sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (z. B. BGH, Urt. v. 10.10.2007 – VIII ZR 330/06, NJW 2008, 53 Rn. 20 m. w. Nachw.) bei Personenkraftwagen nur ganz geringfügige, äußere (Lack-)Schäden anerkannt, nicht dagegen andere (Blech-)Schäden, auch wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering war. Ob das Fahrzeug nach dem Unfall fachgerecht repariert worden ist, ist nicht von Bedeutung.
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Grundsätzlich schuldet auch ein – hier: hinsichtlich der Unfallfreiheit des Fahrzeugs – arglistig getäuschter Kfz-Käufer dem Verkäufer eine Nutzungsentschädigung für jeden seit der Übergabe mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer, wenn der Kaufvertrag wegen der arglistigen Täuschung bereicherungsrechtlich rückabgewickelt wird (§ 812 I 1 Fall 1, § 818 I, II BGB).
LG Coburg, Urteil vom 24.09.2020 – 15 O 68/19
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Der Verkäufer eines hochpreisigen Gebrauchtwagens muss einem (potenziellen) Käufer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung ungefragt offenbaren, dass er selbst das – in Deutschland hergestellte – Fahrzeug in Dubai erworben und dort nicht unerheblich genutzt hat. Denn insoweit ist die – äußerst ungewöhnliche – Fahrzeughistorie schon deshalb ein besonders wichtiger Umstand, der für die Willensbildung eines (potenziellen) Käufers offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung ist, weil sie sich auf den Wert des Fahrzeugs auswirkt.
OLG Hamm, Urteil vom 17.08.2020 – 17 U 231/18
(vorangehend: LG Bielefeld, Urteil vom 28.09.2018 – 8 O 10/17)
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Ein gewerblicher Kraftfahrzeughändler muss einen Gebrauchtwagen vor dem Verkauf zumindest einer Sichtprüfung unterziehen, um mögliche Spuren eines Unfalls zu erkennen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015, 1669 Rn. 14). Zu einer solchen Sichtprüfung gehört es, mithilfe einer Hebebühne den Unterboden des Fahrzeugs in Augenschein zu nehmen.
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Um dem Vorwurf der Arglist zu entgehen, muss ein gewerblicher Kraftfahrzeughändler den Käufer eines Gebrauchtwagens gegebenenfalls eindeutig darauf hinweisen, dass eine Sichtprüfung des Fahrzeugs auf Unfallschäden unterblieben ist und deshalb das nicht geringe Risiko besteht, dass das Fahrzeug einen Unfallschaden erlitten hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.10.2010 – 4 U 71/09, NJW-RR 2011, 1070, 1072). Unterlässt der Händler einen entsprechenden Hinweis, nimmt er in der Regel zumindest billigend in Kauf, dass der Käufer das Risiko eines Unfallschadens falsch einschätzt.
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Eine Sichtprüfung ist auch bei einem Agenturgeschäft durchzuführen, wenn also ein gewerblicher Kraftfahrzeughändler einen Gebrauchtwagen nicht im eigenen Namen, sondern im Namen eines (privaten) Dritten veräußert. Unterbleibt eine Sichtprüfung bei einem Agenturgeschäft, kommt eine Eigenhaftung des den Kaufvertrag vermittelnden Kraftfahrzeughändlers gemäß § 280 I BGB i. V. mit §§ 241 II, 311 III BGB in Betracht.
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Bei einem Agenturgeschäft hat der (private) Verkäufer eines Gebrauchtwagens, der sich der professionellen Hilfe eines Kraftfahrzeughändlers bedient, dessen Verschulden grundsätzlich in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden (§ 278 Satz 1 BGB). Kommt es auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände (z. B. eines Mangels oder eines Unfallschadens des Fahrzeugs) an, ist grundsätzlich auf den den Kaufvertrag vermittelnden Händler abzustellen (§ 166 I BGB). Ebenso wirkt ein arglistiges Verhalten des Händlers gemäß § 166 I BGB gegen den (privaten) Verkäufers. Insoweit gelten die Grundsätze, die die Rechtsprechung für den Verkauf eines Gebrauchtwagens durch einen gewerblichen Kraftfahrzeughändler aufgestellt hat.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.05.2020 – 9 W 10/20
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