Hat der Käufer eines Kraftfahrzeugs dieses im Fernabsatz erworben und wurde es ihm an seinen Wohnsitz geliefert, so ist es vertretbar, den Erfüllungsort der kaufrechtlichen Nacherfüllung an dem Ort anzusiedeln, an dem der Käufer zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Zwingend ist dies jedoch nicht. Ebenso vertretbar ist es, den Erfüllungsort gemäß § 269 I, II BGB an dem Ort anzusiedeln, an dem der Verkäufer zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz beziehungsweise seine gewerbliche Niederlassung hatte.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 08.08.2019 – 11 SV 32/19

Sachverhalt: Der Kläger, der im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt a. M. wohnt, nimmt die Beklagte, die im Bezirk des Amtsgerichts Nauen ansässig ist, nach dem Kauf eines gebrauchten Motorrads auf Schadensersatz in Anspruch.

Er hat beim Amtsgericht Frankfurt a. M. Klage eingereicht und vorgetragen, er sei aufgrund eines Inserats der Beklagten auf der Internetplattform „mobile.de“ auf das Motorrad aufmerksam geworden und habe es von der Beklagten mit einem dem Inhalt des Inserats entsprechenden Kaufvertrag von der Beklagten erworben. Das Fahrzeug sei mit verschiedenen Ausstattungselementen angeboten worden, die allerdings im Zeitpunkt der Übergabe nicht vorhanden gewesen seien. Dies habe er bei der Übergabe des Motorrads nicht bemerken können, da ihm das Fahrzeug am späten Abend vor seinem Wohnhaus in Bad Vilbel übergeben worden sei. Nachdem ein Nachbesserungsverlangen weitgehend erfolglos geblieben sei, begehre er nun Schadensersatz.

Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hat der Kläger aus § 29 I ZPO hergeleitet und dazu die Auffassung vertreten, dass die Beklagte mangels anderweitiger Bestimmung im Vertrag die geschuldete Nacherfüllung an seinem Wohnsitz hätte vornehmen müssen.

Das Amtsgericht Frankfurt a. M. hat nach entsprechendem Hinweis und auf den Hilfsantrag des Klägers den Rechtsstreit an das Amtsgericht Nauen verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht nach § 29 I ZPO örtlich zuständig. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befinde sich der Erfüllungsort der Nacherfüllung – solange die Parteien nichts Abweichendes vereinbart hätten und keine besonderen Umstände vorlägen – am Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des Schuldners, hier also des Verkäufers. Dies gelte auch für Sekundäransprüche nach gescheiterter oder verweigerter Nacherfüllung.

Das Amtsgericht Nauen hat die Übernahme der Sache abgelehnt und sie dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt a. M. für unwirksam, da er willkürlich ergangen sei. Nach der dort zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die der Erfüllungsort einzelfallbezogen zu bestimmen. Eine solche Prüfung habe das Amtsgericht Frankfurt a. M. nicht vorgenommen. Es habe deshalb nicht berücksichtigt, dass das streitgegenständliche Motorrad nicht in einem Ladenlokal erworben worden sei, sondern dem Käufer an dessen Wohnsitz übergeben worden sei. Dementsprechend sei die Pflicht zur Nacherfüllung am Wohnsitz des Klägers zu erfüllen gewesen. Der Kläger habe sein Wahlrecht (§ 35 ZPO) zugunsten des Amtsgerichts Frankfurt a. M. ausgeübt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. hat das Amtsgericht Nauen als zuständiges Gericht bestimmt.

Aus den Gründen: II. Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. ist zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt berufen, da das Amtsgericht Frankfurt a. M. zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 II ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Frankfurt a. M. als auch das Amtsgericht Nauen haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.

Das Amtsgericht Nauen ist für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig, weil der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt a. M. vom 21.05.2019 bindend ist.

1. Verweisungsbeschlüsse sind im Interesse der Prozessökonomie sowie zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und Verteuerungen bei der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unanfechtbar und nach § 281 II 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05 NJW 2006, 847 Rn. 12; Beschl. v. 27.05.2008 – X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6).

Einem Verweisungsbeschluss kann daher die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschl. v. 27.05.2008 – X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6). Willkür liegt nur dann vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9).

2. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Nauen und des Klägers hat das Amtsgericht Frankfurt a. M. frei von Willkür eine eigene Zuständigkeit nach § 29 I ZPO abgelehnt und dabei auch nicht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt, indem es dessen Sachvortrag nicht beziehungsweise nicht hinreichend zur Kenntnis genommen hätte.

Das Amtsgericht Frankfurt a. M. hat geprüft, ob in seinem Gerichtsbezirk der Erfüllungsort für etwaige aus dem Kaufvertrag herzuleitende Nacherfüllungsansprüche des Klägers begründet ist, weil der Erfüllungsort bei gescheiterter oder verweigerter Nacherfüllung auch für die hier streitgegenständlichen Sekundäransprüche maßgeblich ist. Zutreffend hat sich das Amtsgericht Frankfurt a. M. an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs orientiert, wonach sich der Erfüllungsort mangels abweichender Vereinbarungen beziehungsweise besonderer Umstände des Einzelfalles gemäß § 269 I und II BGB am Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des Schuldners, das heißt des Verkäufers orientiert (vgl. Palandt/​Grüneberg, BGB, 78. Aufl. [2019] § 269 Rn. 15 m. w. Nachw.).

Der Leistungsort des Nacherfüllungsanspruchs wird in § 439 BGB nicht geregelt. Er ist nicht zwingend identisch mit demjenigen des ursprünglichen Erfüllungsorts aus § 433 I BGB (vgl. BGH, Ur­t. v. 13.04.2011 – VI­II ZR 220/10, BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278 Rn. 31). Aus der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger das Motorrad an dessen Wohnort zu übergeben, lässt sich daher keine Vereinbarung in Bezug auf den Erfüllungsort des Nacherfüllungsanspruchs ableiten. Dieser ist von den Parteien auch sonst nicht vertraglich geregelt worden. Ein entsprechender Rechtssatz, wonach der Leistungsort immer der Ort ist, an dem sich die nachzubessernde Sache vertrags- oder bestimmungsgemäß befindet, ist vom Bundesgerichtshof ausdrücklich abgelehnt worden (vgl. S. Lorenz, in: Bamberger/​Roth/​Hau/​Poseck, BGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 34 m. w. Nachw.).

Damit stellt sich die Frage, ob die besonderen Umstände dieses Falles zu einer von § 269 I BGB beziehungsweise § 269 II BGB abweichenden Regelung führen müssen. Dazu führt der Kläger ins Feld, dass hier kein Kaufvertragsabschluss und keine Fahrzeugübergabe im Ladenlokal beziehungsweise am Geschäftssitz der Beklagten erfolgt ist, sondern dass das Motorrad im Wege eines Internetverkaufs erworben wurde und ihm an seinem Wohnsitz übergeben worden ist.

Es ist vertretbar, darin besondere Umstände zu sehen und den Erfüllungsort abweichend von § 269 I BGB hier nach dem Ort zu bestimmen, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befindet. Zwingend ist das aber nicht. Es war daher mindestens vertretbar, diesem Umstand keine durchgreifende Bedeutung beizumessen und festzustellen, dass aus der Natur dieses Schuldverhältnisses keine abschließenden Erkenntnisse über den Erfüllungsort der Nacherfüllungspflicht zu gewinnen sind. In der Konsequenz führt das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, den Erfüllungsort am Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des Schuldners festzumachen (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2017 – VIII ZR 278/16, NJW 2017, 2758 Rn. 21; Ur­t. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, NJW 2013, 1074 Rn. 24).

Die vom Kläger zitierte Entscheidung des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2008 (X ZR 97/05, NJW-RR 2008, 724) steht dem nicht entgegen, da sie sich mit einem Werkvertrag und nicht mit einem Kaufvertrag beschäftigt hat. Wenn dort also festgestellt wird, dass mangels anderweitiger Absprachen die Nachbesserung am Ort des nachzubessernden Werkes zu erbringen ist, lassen sich daraus für das Kaufvertragsrecht keine entsprechenden Vorgaben des Bundesgerichtshofs ableiten.

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