Gegenüber dem langjährigen Geschäftsführer einer Kfz-Händlerin (GmbH), der privat ein selbst genutztes Fahrzeug veräußert, kann der Vorwurf der arglistigen Täuschung berechtigt sein, wenn der Kilometerzähler des Fahrzeugs eine wesentlich geringere als dessen tatsächliche Laufleistung anzeigt und der Verkäufer dies aufgrund des sehr abgegriffenen Lenkrads für möglich halten musste, er jedoch diesbezügliche Nachforschungen unterlassen und den Käufer auch nicht darauf hingewiesen hat, dass die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs erheblich höher sein könnte, als der Kilometerzähler anzeigt.

LG Bielefeld, Urteil vom 28.09.2018 – 8 O 10/17
(nachfolgend: OLG Hamm, Urteil vom 17.08.2020 – 17 U 231/18)

Sachverhalt: Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen gebrauchten Pkw.

Auf dieses Fahrzeug, einen BMW 750, wurde der Kläger im Oktober 2016 auf der Internetplattform „mobile.de“ aufmerksam. In dem Internetinserat war als Kontakt die N-GmbH angegeben, deren Geschäftsführer der Beklagte ist. Der weitere Inhalt des Inserats ist streitig.

Am 20.10.2016 erschien der Kläger mit seinen Söhnen H, C und O in den Verkaufsräumen der N-GmbH in E., um den Pkw zu besichtigen, und unternahm in Begleitung zumindest einer seiner Söhne eine Probefahrt. Die Verkaufsverhandlungen wurden auf Verkäuferseite im Wesentlichen von einem Angestellten der N-GmbH geführt. Der Beklagte hielt sich zunächst im Hintergrund und trat erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzu.

Die Parteien unterzeichneten schließlich einen auf den 20.10.2016 datierten Kaufvertrag, in dem als Verkäufer der Beklagte aufgeführt ist. In das – teilweise von einem Mitarbeiter der N-GmbH ausgefüllte – Vertragsformular hatte der Beklagte zuvor handschriftlich den Vermerk

„Gekauft wie gesehen und Probe gefahren. Unter Ausschluss jeder Gewährleistung und Garantie aufgrund Preisreduzierung.“

aufgenommen. Außerdem heißt es in dem Kaufvertrag, dass das Fahrzeug – soweit dem Verkäufer bekannt – ausweislich des Kilometerzählers eine Gesamtfahrleistung von 73.000 km aufweise.

Der Kläger zahlte vor Ort vereinbarungsgemäß 1.000 € auf den Kaufpreis von 26.850 € an. Der BMW 750 wurde ihm am Folgetag gegen Barzahlung des Restkaufpreises übergeben.

In der Folgezeit suchte der Kläger mit dem Fahrzeug eine BMW-Vertragswerkstatt auf, da es für ihn im Inneren des Pkw stark nach Öl roch. Der mit der Untersuchung des Fahrzeugs befasste Werkstattmitarbeiter teilte dem Kläger bei dieser Gelegenheit mit, dass nach seiner Bewertung die tatsächliche Laufleistung des Pkw weitaus höher sein müsse, als der Kilometerzähler anzeige. Unter dem 15.11.2016 erfuhr der Kläger außerdem, dass das Fahrzeug von einem seiner Vorbesitzer am 04.06.2013 mit einem Kilometerstand von 79.372 an eine Leasinggesellschaft zurückgegeben worden sei.

Daraufhin erklärte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 15.11.2016 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er warf dem Beklagten vor, gewusst und verschwiegen zu haben, dass der Kilometerzähler des BMW 750 eine wesentlich geringere als die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs anzeige, und machte geltend, dass der Pkw hinsichtlich seiner Laufleistung mangelhaft sei. Der Beklagte wurde – erfolglos – aufgefordert, bis zum 25.11.2016 zu bestätigen, dass er dem Kläger den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs erstatte. Außerdem verlangte der Kläger – ebenfalls erfolglos – den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 €.

Der Kläger hat unter anderem behauptet, dass der Beklagte den Kilometerzähler des streitgegenständlichen Fahrzeugs manipuliert und ihn, den Kläger, arglistig über die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs getäuscht habe. Zumindest – so hat der Kläger geltend gemacht – hätte der Beklagte erkennen können und müssen, dass die tatsächliche Laufleistung wesentlich höher sei, als der Kilometerzähler anzeige. Mit Blick auf ein als Anlage K 19 vorgelegtes Rücknahmeprotokoll sei davon auszugehen, dass der Pkw bereits am 13.11.2012 einen Kilometerstand von 128.104 aufgewiesen habe. Die Mitteilung, dass am 04.06.2013 ein Kilometerstand von 79.372 erreicht gewesen sei, habe sich auf ein anderes Fahrzeug bezogen.

Der Beklagte hat unter anderem darauf verwiesen, dass er selbst den BMW 750 während eines längeren Aufenthalts in Dubai am 31.08.2013 mit einem angezeigten Kilometerstand von 53.000 gekauft und privat genutzt habe. Er habe beim Erwerb des Fahrzeugs und auch später keine Veranlassung gehabt, daran zu zweifeln, dass der angezeigte Kilometerstand der tatsächlichen Laufleistung entspreche. Vielmehr habe er mit dem Fahrzeug – zunächst in Dubai und dann, nach dem von ihm veranlassten Reimport des Pkw nach Deutschland – insgesamt circa 20.000 km zurückgelegt, sodass für ihn auch der im Kaufvertrag festgehaltene Kilometerstand von 73.000 (Oktober 2016) plausibel gewesen sei.

Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Der Kläger kann die Rückabwicklung des Kaufvertrags und damit die Rückzahlung des Kaufpreises – abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die von ihm mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug zurückgelegten Kilometer – aus § 812 I 1 Fall 1 BGB i. V. mit § 123 I Fall 1, § 142 I BGB verlangen. Die von dem Kläger erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bezüglich der tatsächlichen Laufleistung des Pkw greift durch:

Das Fahrzeug wies – dies steht nach den insgesamt überzeugenden Ausführungen des gerichtsbekannt sehr erfahrenen Sachverständigen S für das Gericht fest – zum Zeitpunkt des Kaufs durch den Kläger einen von der tatsächlichen Laufleistung mindestens um 75.000 km nach unten abweichenden Kilometerstand auf. Es ist daher davon auszugehen, dass statt 73.000 km mindestens 148.000 km mit dem Wagen zurückgelegt worden sind, wobei nicht ausgeschlossen werden kann – so der Sachverständige – dass noch weitere 20.000 bis 30.000 km pro Jahr im Zeitraum zwischen dem 14.11.2012 und 31.08.2015 gefahren worden sind.

Dieser in der erheblichen Abweichung zwischen tatsächlicher Laufleistung und angezeigtem Kilometerstand liegende offenbarungspflichtige Mangel ist von dem Beklagten arglistig verschwiegen worden.

Bei der Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels handelt arglistig, wer einen Fehler mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit den vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Sachverständige S hat hierzu ausgeführt, dass nach seiner Bewertung der sehr abgegriffene Zustand des Lenkrads des streitgegenständlichen Fahrzeugs Hinweis auf einen höheren Kilometerstand als den angezeigten gebe. Dies lasse zwar nicht zwingend den Schluss auf eine Kilometerstandsmanipulation zu. Jedoch gebe dies nach seinen Erfahrungen für einen erfahrenen Gebrauchtwagenverkäufer Anlass, weitere Nachforschungen, wie etwa eine Überprüfung der Historie des Fahrzeugs, durchzuführen. Aus den bei BMW geführten Daten lasse sich dabei feststellen, dass der BMW etwa am 14.08.2012 einen ausgelesenen Kilometerstand von 112.413 aufgewiesen habe.

Das Gericht ist überzeugt davon, dass auch der Beklagte aufgrund des Zustands des Lenkrads zumindest für möglich halten musste und auch für möglich gehalten hat, dass der Kilometerstand des streitgegenständlichen BMW manipuliert worden ist. Zwar verfügt der Beklagte unstreitig nicht über eine Ausbildung im Kfz-Bereich. Er ist jedoch nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren als Geschäftsführer der N-GmbH tätig und in diesem Zusammenhang auch damit befasst gewesen, Gebrauchtfahrzeuge zu verkaufen. Ihm hätte sich unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen daher unter Berücksichtigung des Zustands des Lenkrads die Notwendigkeit weiterer Überprüfungen aufdrängen müssen. Dies gilt umso mehr, als ihm nach seinen eigenen Angaben zu keinem Zeitpunkt ein Serviceheft vorgelegen hat und er sich daher – so wörtlich – selbst „nicht absolut sicher sein konnte, dass der Kilometerstand passt“. Ihm wäre es dabei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zweifelsfrei problemlos möglich gewesen, die Historie des Fahrzeugherstellers zu beschaffen, aus welcher sich deutliche Hinweise auf eine stattgefundene Manipulation ergeben hätten.

Entsprechend konnte es hier nicht ausreichen, die kaufvertraglichen Vereinbarungen ohne jede Nachforschung und ohne jeden Hinweis auf einen etwaig unzutreffenden Kilometerstand nach Anzeige allein auf die Gesamtfahrleistung laut Tacho zu beschränken, ohne zumindest einen Hinweis auf eine mögliche Kilometerstandsabweichung zu geben. Dies gilt umso mehr, als im konkreten Fall verschiedene Faktoren hinzugetreten sind, welche offensichtlich geeignet und zur Überzeugung des Gerichts auch dazu gedacht waren, in Abweichung zu üblichen Privatverkäufen besonderes Vertrauen des Käufers zu begründen. So ist die Annonce im Internet unter Nennung des Firmennamens „N-GmbH“ erfolgt. Die Verkaufsverhandlungen wie auch die Besichtigung des Fahrzeugs fanden in den Geschäftsräumen bzw. auf dem Firmengelände statt. Die Verkaufsverhandlungen wurden zumindest zunächst durch einen Mitarbeiter der „N-GmbH“ geführt. Der Kaufvertrag wurde teilweise von diesem Mitarbeiter ausgefüllt. Für den Kaufvertrag wurde ein Vordruck eines gewerblichen Kaufvertrags über gebrauchte Kraftfahrzeuge inklusive Allgemeine Geschäftsbedingungen auf der Rückseite benutzt. Der Beklagte selbst hielt sich ebenfalls in den Geschäftsräumen auf und trat dann hinzu. Unabhängig von der Frage, wer unter Berücksichtigung dieser sämtlich unstreitigen Umstände tatsächlich Vertragspartner des Klägers geworden ist, suggerierten diese zweifellos, dass der Verkauf unter Einsatz besonderer Sachkunde erfolgt.

Dass ein Käufer dabei eine entsprechende Offenbarung zum Anlass nehmen würde, von Kaufvertrag Abstand zu nehmen, liegt auf der Hand.

Soweit der Beklagte behauptet hat, das streitgegenständliche Fahrzeug selbst am 31.08.2015 mit einem Kilometerstand von 53.000 erworben zu haben, hat er dies im Übrigen nicht bewiesen. Der hierzu von ihm vorgelegte und auf den 31.08.2015 datierte Kaufvertrag ist hierzu nicht geeignet.

Es handelt sich um eine Privaturkunde. Dem Beklagten hätte es daher oblegen, die seitens des Klägers ausdrücklich und zulässigerweise bestrittene Echtheit dieses Kaufvertrags zu beweisen. Ein entsprechender Beweisantritt ist nicht erfolgt.

Im Übrigen würde eine Privaturkunde – worauf seitens des Klägers auch ausdrücklich hingewiesen worden ist – auch im Falle ihrer Echtheit lediglich den vollen Beweis dafür begründen, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem (oder den) Aussteller(n) abgegeben wurden. Dagegen ergreift die Beweisregel des § 416 ZPO nicht die Richtigkeit der beurkundeten Angaben, sodass ein Kaufvertragsabschluss wie auch ein angezeigter Kilometerstand von 53.000 am 31.08.2015 selbst dann nicht bewiesen worden wäre, wenn es dem Beklagten gelungen wäre, die Echtheit der Urkunde nachzuweisen. Zweifel insbesondere am Eintrag des Kilometerstands lassen sich dabei zum einen – worauf der Kläger ebenfalls hingewiesen hat – mit der erkennbar unterschiedlichen Schriftstärke bzw. Farbintensität der Kilometerstandsangabe im Vergleich zu den übrigen handschriftlichen Eintragungen erklären und zum anderen damit, dass ausweislich der Übersetzung durch einen vereidigten Dolmetscher die Kilometerstandsangabe unter dem Stichwort „Fahrzeugs-Ident.-Nr.“ verzeichnet ist. Beweis für die Behauptung, dass die Eintragung des Kilometerstands tatsächlich am ausgewiesenen Tag des Kaufvertragsabschlusses erfolgt ist, hat der Kläger ebenfalls nicht angetreten.

Im Ergebnis Gleiches gilt für die ohnehin verspätet und nur in englischer/arabischer Sprache im letzten mündlichen Verhandlungstermin seitens des Beklagten eingereichte Rechnung über eine im Oman durchgeführte Inspektion: Ein Beweis der Richtigkeit des Inhalts, insbesondere eines Kilometerstands von 58.202 am 17.04.2016, wäre auch unter Annahme der Echtheit der Urkunde nicht geführt.

Nach alledem hat der Kläger den streitgegenständlichen Kaufvertrag mit Erklärung vom 15.11.2016 wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten mit der Folge, dass er die Rückzahlung des entrichteten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des verkauften Fahrzeugs verlangen kann.

In diesem Zusammenhang hat er sich zwar eine Nutzungsentschädigung für die von ihm gefahrenen insgesamt 6.790 Kilometer in Abzug bringen zu lassen. Zugrunde gelegt worden ist in diesem Zusammenhang als „Anfangskilometerstand“ der aus der Bescheinigung des TÜV Nord vom 20.10.2016 ersichtlichen Kilometerstand von 73.107, während der aktuelle Kilometerstand des zwischenzeitlich abgemeldeten streitgegenständlichen Pkw laut Gutachten S 79.897 beträgt.

Das Gericht hat in diesem Zusammenhang angesichts dessen, dass aufgrund der unklaren tatsächlichen Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Restlaufleistung nicht zuverlässig ermittelt werden kann, auf Basis einer angenommenen Gesamtlaufleistung von 250.000 km eine Nutzungsentschädigung von 0,4 % des Kaufpreises pro gefahrene 1.000 km angenommen (vgl. zur Berechnung etwa LG Coburg, Urt. v. 02.08.2016 – 23 O 25/16, juris Rn. 36). Hieraus errechnet sich ein Betrag von (26.805 € × 0,4 % × 6,79 =) 728,02 €.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 I, 288 I BGB unter Berücksichtigung der mit anwaltlichem Schreiben vom 15.11.2016 erfolgten Fristsetzung auf den 25.11.2016.

Nur äußerst ergänzend ist anzuführen, dass im Falle einer als nicht wirksam bewerteten Anfechtungserklärung in Abweichung bzw. Ergänzung zu den gerichtlichen Ausführungen im Termin vom 17.04.2018 wohl noch zu prüfen gewesen wäre, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung „scheckheftgepflegt“ zwischen den Parteien getroffen worden ist.

2. Der Kläger kann weiterhin von dem Beklagten die Erstattung der ihm entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 794,03 € verlangen. Die Reduzierung des zurückzuerstattenden Kaufpreises auf 26.121,98 € begründet keinen Gebührensprung. Zum Zinsanspruch gilt das bereits oben Ausgeführte.

3. Der Beklagte befindet sich schließlich auch mit der Annahme des … Fahrzeugs in Verzug, da der Kläger ihn mit Anwaltsschreiben vom 15.11.2016 unter Fristsetzung bis zum 25.11.2016 vergeblich zur Rücknahme des Pkw Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises aufgefordert hat. …

Hinweis: Die Berufung des Beklagten hat das OLG Hamm mit Urteil vom 17.08.2020 – 17 U 231/18 – zurückgewiesen.

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