1. Nach Art. 30 CISG ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Ware zu liefern, die sie betreffenden Dokumente zu übergeben und das Eigentum an der Ware auf den Käufer zu übertragen. Welche Dokumente zu übergeben sind, folgt entweder aus dem Vertrag, aus verbindlichen Gebräuchen und Gepflogenheiten der Parteien (vgl. Art. 9 CISG) oder ausnahmsweise aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.
  2. Nach deutschem Kaufrecht gehört es zu den Hauptpflichten einen Kfz-Verkäufers (§ 433 I 1 BGB), dem Käufer die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) auszuhändigen. Bei Vorenthaltung der Zulassungsbescheinigung Teil II haftet der Verkäufer nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht, nicht nach §§ 434 ff. BGB. Sachmängelrecht ist aber anwendbar, wenn dem Käufer daraus Nachteile erwachsen, dass Eintragungen in der – ihm ausgehändigten – Zulassungsbescheinigung Teil II nicht zu der Beschaffenheit des Fahrzeugs selbst passen.
  3. Es liegt nahe, im Anwendungsbereich des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.04.1980 (CISG) wie im deutschen Recht zwischen einer Vorenthaltung der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) und dem Fall zu unterscheiden, dass Eintragungen in diesem Dokument nicht zur tatsächlichen Beschaffenheit des Fahrzeugs passen. Diese Unterscheidung hätte zur Konsequenz, dass Art. 38 und 39 CISG nicht (entsprechend) anwendbar sind, wenn der Verkäufer eines Kraftfahrzeugs dem Käufer die Zulassungsbescheinigung Teil II oder die EG-Übereinstimmungsbescheinigung (COC) vorenthält.

OLG München, Urteil vom 12.04.2018 – 32 U 2098/17

Sachverhalt: Die Klägerin kaufte von der Beklagten in den Jahren 2013 und 2014 insgesamt 244 Pkw zum Preis von insgesamt 8.559.000 €. Sämtliche Fahrzeuge wurden der Klägerin in den Jahren 2013 und 2014 übergeben. Die Klägerin exportierte sie – zumindest überwiegend – nach Algerien.

Den Kaufpreis für 216 Fahrzeug hat die Klägerin vollständig, den Kaufpreis für 5 Fahrzeuge hat sie teilweise entrichtet; die übrigen Fahrzeuge wurden noch nicht bezahlt. Den ausstehenden Kaufpreis hat die Beklagte eingeklagt. Das Landgericht München I hat mit Urteil vom 31.03.2017 antragsgemäß die Klägerin zur Zahlung von 418.640 € und die Klägerin zusammen mit ihrem Geschäftsführer zur Zahlung weiterer 436.150 € verurteilt. Eine Berufung gegen dieses Urteil ist anhängig.

In mehreren Telefonaten, die der Zeuge T mit dem Geschäftsführer der Beklagten zwischen Februar und April 2015 führte, verlangte die Klägerin von der Beklagten die Übergabe der zu den 244 Fahrzeugen gehörenden Papiere.

Mit ihrer Klage hat sie von der Beklahgten die Übergabe der (Blanko-)Zulassungsbescheinigungen Teil II (§ 12 FZV) sowie der EG-Übereinstimmungsbescheinigungen (Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG) für die 244 von ihr erworbenen Pkw begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch sei nach Art. 39 CISG ausgeschlossen, da die Klägerin das Fehlen der in Rede stehenden Dokumente nicht rechtzeitig gerügt habe. Der Beklagten sei es nicht gemäß Art. 40 CISG verwehrt, sich auf Art. 39 CISG zu berufen, da die Klägerin nicht substanziiert unter Beweis gestellt habe, dass die Beklagte bei Lieferung der Fahrzeuge vom Fehlen der begehrten Dokumente gewusst habe.

Mit ihrer Berufung hat die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, dass Landgericht habe die Art. 39, 40 CISG fehlerhaft angewendet. Im Übrigen habe sie, die Klägerin, die verlangten Dokumente in drei Telefonaten zwischen Februar und April 2015 von der Beklagten angefordert. Die Beklagte hat behauptet, sie habe der Klägerin für 216 – näher bezeichnete – Fahrzeuge alle erforderlichen Dokumente übergeben. Bezüglich der originalen EG-Übereinstimmungsbescheinigungen (COC) mache sie im Hinblick darauf, dass die Klägerin den Kaufpreois für einige Fahrzeuge noch nicht gezahlt habe, ein Zurückbehaltungsrecht geltend.

Das Rechtsmittel hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: II. 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herausgabe der die im Klageantrag genannten Fahrzeuge betreffenden Zulassungsbescheinigungen Teil II … und der EG-Übereinstimmungsbescheinigungen … aus den jeweiligen Kaufverträgen in Verbindung mit Art. 30 CISG, Zug um Zug gegen Zahlung des restlichen Kaufpreises für die Fahrzeuge Nr. 216 bis 244 in Höhe von 854.790 € (Art. 58 CISG).

a) Auf das Vertragsverhältnis der Parteien findet das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.04.1980 (CISG, BGBl. 1989 II S. 586) Anwendung, da beide Parteien ihren Sitz jeweils in einem Vertragsstaat des Übereinkommens – Deutschland bzw. Frankreich – haben, was auch bei Vertragsabschluss erkennbar war (Art. 1 I und II CISG). Die Anwendbarkeit der CISG ist auch nicht nach Art. 2 lit. a CISG ausgeschlossen, da es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugkauf nicht um ein Konsumentengeschäft handelt.

Die Parteien haben auch nicht – konkludent – die Anwendbarkeit der CISG gemäß Art. 6 CISG ausgeschlossen. Zwar haben beide Parteien zunächst nur auf Basis des deutschen Rechts argumentiert. Dies ist aber nicht ausreichend (MünchKomm-BGB/Huber, 8. Aufl., Art. 6 CISG Rn. 23). Denn dahinter muss der tatsächliche Wille der Parteien stehen, durch diese Argumentation die eigentlich anwendbare CISG ausschließen zu wollen. Dies ist nicht ersichtlich. Zudem haben die Parteien später auf Grundlage der CISG argumentiert.

b) Aus den jeweiligen Kaufverträgen der Parteien folgt die Pflicht zur Übergabe der Zulassungsbescheinigungen Teil II gemäß § 12 I 3 FZV sowie der EG-Übereinstimmungsbescheinigungen gemäß Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG für die verkauften Fahrzeuge.

Nach Art. 30 CISG gehört zu den Pflichten des Verkäufers auch die Übergabe der die Ware betreffenden Dokumente. Welche Dokumente zu übergeben sind, folgt entweder aus dem Vertrag, aus verbindlichen Gebräuchen und Gepflogenheiten der Parteien (vgl. Art. 9 CISG) oder ausnahmsweise aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb. 2018, Art. 30 CISG Rn. 7).

Die Parteien haben zwar in den Kaufverträgen die Pflicht zur Übergabe dieser Dokumente nicht ausdrücklich geregelt. Die Pflicht ergibt sich jedoch aus den nach Art. 9 CISG zu beachtenden Gebräuchen beim Handel mit Fahrzeugen.

Nach deutschem Kaufrecht ist die Pflicht zur Übergabe des Fahrzeugbriefs eine Hauptpflicht des Verkäufers (Reinking/Eggert, Autokauf, 13. Aufl., Rn. 1941). Bei Vorenthaltung des Fahrzeugbriefs haftet der Verkäufer nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht und nicht nach den §§ 434 ff. BGB (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 2698). Sachmängelrecht ist anwendbar, wenn Eintragungen im Fahrzeugbrief nicht mit der Beschaffenheit des Fahrzeugs übereinstimmen.

Aus dem Vortrag der Parteien ergibt sich keine Gepflogenheit, dass bei einem grenzüberschreitenden Verkauf von Fahrzeugen die Fahrzeugbriefe bei dem Verkäufer verbleiben. Außerdem besteht unstreitig die Gepflogenheit, dass die EG-Übereinstimmungsbescheinigungen gemäß Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG mit zu übergeben sind. Der Geschäftsführer der Beklagten trägt auch vor, er habe sowohl die Zulassungsbescheinigungen Teil II als auch die EG-Übereinstimmungsbescheinigungen für die vollständig bezahlten Fahrzeuge an die Klägerin übergeben, und bestreitet damit gar nicht die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Übergabe dieser Dokumente.

c) Die Ansprüche der Klägerin sind nicht durch Erfüllung erloschen.

Zunächst hat die Beklagte vorgetragen, dass alle Originalurkunden Bestandteile eines Letter of Credit gewesen und an die Klagepartei ausgehändigt worden seien. Später hat die Beklagte konkretisiert, dass die Klägerin für die Fahrzeuge Nr. 1 bis 215 sämtliche der Beklagten zur Verfügung stehenden und erforderlichen Papiere erhalten habe. Bezüglich der Fahrzeuge Nr. 216 bis 244 mache die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht an den Certificates of Conformity (COC) geltend bis zur Zahlung des Kaufpreises. Diesen Vortrag hat der Geschäftsführer der Beklagten bei der Anhörung durch den Senat in der Sitzung vom 08.02.2018 wiederholt.

Diesen Vortrag konnte die Beklagte nicht zur Überzeugung des Senates beweisen. Die Beklagte ist beweispflichtig für die Erfüllung der kaufvertraglichen Ansprüche. Sie hat dafür Beweis angetreten durch Benennung des Zeugen B. Dieser hat in seiner Vernehmung am 08.02.2018 ausgesagt, dass er bei der konkreten Abwicklung der Autokäufe nicht dabei gewesen sei. Er habe allerdings den gesamten E-Mail-Verkehr zur Kenntnisnahme erhalten. Der Zeuge hat weiter ausgesagt, dass der Geschäftsführer der Beklagten in Paris Dokumente an die Klägerin übergeben habe. Dabei hat der Zeuge die Vermutung geäußert, dass es sich um Konformitätsbescheinigungen gehandelt habe. Da der Zeuge keine konkreten Angaben machen konnte, ist nach Ansicht des Senats der Beweis für die Übergabe der Papiere durch die Beklagte nicht erbracht.

d) Die Klägerin hat das Recht, die Verletzung der kaufvertraglichen Pflichten geltend zu machen, nicht nach Art. 39 I CISG verloren.

aa) Nach Art. 39 I CISG verliert der Käufer das Recht, sich auf eine Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen, wenn er sie dem Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt, in dem er sie festgestellt hat oder hätte feststellen müssen, anzeigt und dabei die Art der Vertragswidrigkeit genau bezeichnet. Allerdings sehen Art. 38, 39 CISG für Mängel der die Ware betreffenden Dokumente keine Rügeobliegenheit und keinen Ausschluss von Gewährleistungsrechten vor. Vielfach wird vertreten, dass die Art. 38, 39 CISG für sämtliche Dokumente oder für bestimmte Dokumente entsprechend anwendbar sind. So vertritt auch der 18. Senat des OLG München jedenfalls in dem Hinweisbeschluss vom 25.01.2018 betreffend das Verfahren, in dem die Beklagte auf Zahlung des Kaufpreises gegen die hiesige Klägerin klagt (18 U 1495/17), die Auffassung, dass eine Untersuchungs- und Anzeigeobliegenheit jedenfalls dann besteht, wenn die gelieferte Ware aufgrund fehlender oder mangelhafter Dokumente nicht verkehrsfähig ist. Der Senat neigt der Auffassung zu, dass bei dem Kauf von Fahrzeugen die Art. 38, 39 CISG nicht entsprechend auf die Nichtübergabe der Zulassungsbescheinigungen Teil II und der EG-Übereinstimmungsbescheinigungen anwendbar sind. Der Verkäufer bedarf des Schutzes durch die Art. 38, 39 CISG nicht. Denn er muss nicht behauptete Mängel beheben, sondern in seinem Besitz befindliche Dokumente, auf die der Käufer dringend angewiesen ist und für die der Verkäufer keine Verwendung haben kann, herausgeben. Eine entsprechende Anwendung der Art. 38, 39 CISG hätte hier nur die Funktion, die zeitnahe Klärung der Beweislage zu fördern. Denn es kann nur Streit darüber geben, ob die Dokumente bereits übergeben worden sind. Wenn der Verkäufer der Auffassung ist, die Dokumente übergeben zu haben, und sich die Übergabe nicht hat quittieren lassen, kann er daran unabhängig von der Frist, in der der Käufer das Fehlen der Dokumente rügt, nachträglich nichts ändern. Wenn er sie hingegen noch nicht übergeben hat, fällt es ihm unabhängig von der Frist, in der die Rüge erfolgt, leicht, die Dokumente noch zu übergeben. Die den Art. 38, 39 CISG gemeinhin zugeschriebenen Funktionen greifen hier also nicht (vgl. dazu MünchKomm-BGB/Gruber, 8. Aufl., Art. 38 CISG Rn. 2). Es liegt vielmehr näher, wie im deutschen Kaufrecht zwischen der Vorenthaltung der Zulassungsbescheinigung und Fehleintragungen in dem Dokument zu unterscheiden und nur im zweiten Fall die Art. 38, 39 CISG entsprechend anzuwenden. Daraus folgte, dass die Klägerin weiterhin nach Art. 46 I CISG Erfüllung verlangen kann.

bb) Ob die Art. 38, 39 CISG entsprechend anwendbar sind, kann jedoch dahinstehen, da sich die Beklagte jedenfalls nicht auf eine Verletzung der Rügeobliegenheit berufen kann (Art. 40 CISG). Nach Art. 40 CISG kann sich der Verkäufer nicht auf die Art. 38 und 39 CISG berufen, wenn die Vertragswidrigkeit auf Tatsachen beruht, die er kannte oder über die er nicht in Unkenntnis sein konnte und die er dem Käufer nicht offenbart hat.

Der Verkäufer kann über die Vertragswidrigkeit dann nicht in Unkenntnis sein, wenn seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht (MünchKomm-BGB/Gruber, a. a. O., Art. 40 CISG Rn. 3). Die Zulassungsbescheinigungen Teil II und die EG-Übereinstimmungsbescheinigungen sind keine Dokumente, die sich in der Regel bei der Lieferung in dem Fahrzeug befinden und deren Vorhandensein daher vor oder nach der Übergabe durch Nachschauen in dem Fahrzeug kontrolliert werden müsste. Vielmehr werden diese Dokumente gesondert übergeben, da sie für die Verkehrsfähigkeit der Fahrzeuge von Bedeutung sind. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass der Verkäufer in Kenntnis darüber ist, ob er diese Dokumente übergeben hat oder nicht. Es bedarf hierzu keines besonderen Sachvortrags der Klägerin.

e) Die Pflicht zur Übergabe der Dokumente besteht nach Art. 58 CISG nur Zug um Zug gegen Zahlung des restlichen Kaufpreises für die Fahrzeuge mit den Nummern 216 bis 244 in Höhe von 854.790 €.

Nach Art. 58 I 2 CISG kann der Verkäufer die Übergabe der Ware oder der Dokumente von der Zahlung des Kaufpreises abhängig machen. Im Schriftsatz vom 17.03.2017 auf Seite 5 macht die Beklagte ausdrücklich ein Zurückbehaltungsrecht geltend, weil die Klägerin den Kaufpreis für die Fahrzeuge mit den Nummern 216 bis 244 noch nicht vollständig bezahlt hat.

Nach Art. 58 I 1 ist der Kaufpreis fällig, sobald die Ware oder die Dokumente dem Käufer zur Verfügung stehen. Die Konvention geht damit von dem Prinzip aus, dass Lieferung und Zahlung im Zweifel Zug um Zug erfolgen sollen (Staudinger/Magnus, a. a. O., Art. 58 Rn. 7). Eine Vorleistungspflicht des Verkäufers, also der Beklagten, hat die Klägerin nicht behauptet. Eine Verurteilung kann daher nur Zug um Zug gegen Erbringung der Leistungspflicht der Klägerin erfolgen.

2. Der Antrag der Klägerin lautet auf Herausgabe konkreter Dokumente. Soweit die Klägerin in Haupt- und Hilfsantrag zwischen Blanko-Zulassungsbescheinigungen und Zulassungsbescheinigungen unterscheidet, ist dies rechtlich unbeachtlich. Der Senat hat darauf in der öffentlichen Sitzung bereits hingewiesen. Falls die Klägerin Rechte daraus herleiten will, dass es eine Vertragswidrigkeit darstellt, wenn die Fahrzeuge bereits zugelassen waren, berührt dies nicht die Klage auf Übergabe der Dokumente.

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