1. Ein vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nes Fahr­zeug (hier: ein Au­di A3 2.0 TDI), bei dem ei­ne Soft­ware für ei­ne Ver­rin­ge­rung der Stick­oxid­emis­sio­nen sorgt, so­bald das Fahr­zeug ei­nem Emis­si­ons­test un­ter­zo­gen wird, ist auch dann i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB man­gel­haft, wenn es (noch) über al­le zum Be­trieb er­for­der­li­chen Ge­neh­mi­gun­gen ver­fügt.
  2. For­dert der Käu­fer ei­nes vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Fahr­zeugs den Ver­käu­fer zur Nach­bes­se­rung auf und war­tet er an­schlie­ßend fünf Mo­na­te ab, be­vor er den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag er­klärt, stand dem Ver­käu­fer ei­ne i. S. des § 323 I BGB an­ge­mes­se­ne Frist zur Nach­bes­se­rung zur Ver­fü­gung.

LG Frank­furt a. M., Ur­teil vom 20.10.2016 – 2-23 O 149/16

Sach­ver­halt: Die Be­klag­te ver­treibt im ei­ge­nen Na­men Au­di-Fahr­zeu­ge. Sie bot im In­ter­net ei­nen ge­brauch­ten Au­di A3 2.0 TDI zum Kauf an und über­mit­tel­te der Klä­ge­rin, der sich für die­ses Fahr­zeug in­ter­es­sier­te ein „Fahr­zeu­gin­for­ma­ti­ons­blatt“. Da­nach be­trug die Lauf­leis­tung des Au­di A3 21.393 km und ge­hört das Fahr­zeug der Schad­stoff­klas­se Eu­ro 5 an.

Das Fahr­zeug ist mit ei­nem Die­sel­mo­tor des Typs EA189 aus­ge­stat­tet und ver­fügt über ei­ne Soft­ware, die er­kennt, ob das Fahr­zeug ei­nem Emis­si­ons­test un­ter­zo­gen wird und des­halb ei­nen ent­spre­chen­den Prüf­zy­klus durch­fährt. In die­sem Fall sind die Stick­oxid­emis­sio­nen we­sent­lich ge­rin­ger als im rea­len Fahr­be­trieb. Hier­über wur­de die Klä­ge­rin, die das Fahr­zeug im April 2015 zum Preis von 21.700 € er­warb, nicht in­for­miert.

Die spä­te­ren Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten der Klä­ge­rin for­der­ten die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 23.10.2015 zur Nach­bes­se­rung auf und setz­ten ihr hier­für ei­ne Frist bis zum 23.11.2015. Die Be­klag­te er­klär­te mit Schrei­ben vom 30.10.2015, die AU­DI AG ar­bei­te der­zeit mit Hoch­druck an ei­ner tech­ni­schen Lö­sung für Fahr­zeu­ge mit Die­sel­mo­to­ren des Typs EA189. Die Klä­ge­rin wer­de „schnellst­mög­lich“ über die ge­plan­ten Maß­nah­men in­for­miert.

Mit Schrei­ben vom 23.12.2015 er­klär­te die Klä­ge­rin den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag und for­der­te die Be­klag­te zur Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs auf. Mit im We­sent­li­chen gleich­lau­ten­dem Schrei­ben vom 29.03.2016 er­klär­te die Klä­ge­rin noch­mals den Rück­tritt und for­der­te die Be­klag­te auf, ihr bis zum 06.04.2016 den Kauf­preis zu­rück­zu­zah­len.

Die Klä­ge­rin meint, ihr Fahr­zeug sei man­gel­haft, weil dar­in ei­ne un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung zum Ein­satz kom­me. Ei­ne Nach­bes­se­rung durch ei­ne Soft­ware­re­vi­si­on – so be­haup­tet die Klä­ge­rin – füh­re zu ei­nem hö­he­ren Kraft­stoff­ver­brauch, ei­ner ge­rin­ge­ren Mo­tor­leis­tung und zu ei­nem vor­zei­ti­gen Ver­schleiß des Ruß­par­ti­kel­fil­ters; au­ßer­dem ver­blei­be ein mer­kan­ti­ler Min­der­wert des Fahr­zeugs.

Dem­ge­gen­über ist die Be­klag­te der Auf­fas­sung, das Fahr­zeug der Klä­ge­rin sei nicht man­gel­haft, weil es un­ein­ge­schränkt nutz­bar sei. Dass sämt­li­che Die­sel­fahr­zeu­ge mit ei­nem EA189-Die­sel­mo­tor ein Soft­ware­up­date er­hiel­ten, so be­haup­tet die Be­klag­te, ge­sche­he aus „un­ter­neh­mens­po­li­ti­sche[r] Ver­ant­wor­tung“, die die Volks­wa­gen AG – ge­meint wohl: AU­DI AG – ge­gen­über ih­ren Kun­den wahr­neh­men wol­le. Das Auf­spie­len des Soft­ware­up­dates, das vor­aus­sicht­lich im Sep­tem­ber 2016 er­fol­gen kön­ne, sei mit ei­nem Zeit­auf­wand von we­ni­ger als ei­ner Stun­de und ei­nem Kos­ten­auf­wand von deut­lich 100 € ver­bun­den. Des­halb – so meint die Be­klag­te – lie­ge, soll­te das Fahr­zeug der Klä­ge­rin man­gel­haft sein, je­den­falls kein er­heb­li­cher, ei­nen Rück­tritt recht­fer­ti­gen­der Man­gel vor.

Die im We­sent­li­chen auf Zah­lung von (21.700 € [Kauf­preis] + 412,32 € [Ka­pi­tal­nut­zungs­er­satz] − 1.736 € [Nut­zungs­ent­schä­di­gung] =) 20.376,32 € nebst Ver­zugs­zin­sen und vor­ge­richt­li­chen An­walts­kos­ten ge­rich­te­te Kla­ge hat­te über­wie­gend Er­folg.

Aus den Grün­den: Die Klä­ge­rin hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung von 19.111,97 € nebst Zin­sen Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs. Der An­spruch folgt aus § 346 I BGB. Die Klä­ge­rin ist je­den­falls mit der zwei­ten Rück­tritts­er­klä­rung im Schrei­ben vom 29.03.2016 wirk­sam von dem Kauf­ver­trag zu­rück­ge­tre­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen des Rück­tritts nach § 437 Nr. 2 BGB lie­gen vor.

Das Fahr­zeug ist man­gel­haft. Es weist ei­nen Sach­man­gel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB auf. In­so­weit ge­nügt es nicht, dass das Fahr­zeug – noch – über die er­for­der­li­chen Ge­neh­mi­gun­gen ver­fügt. Durch die In­stal­la­ti­on der Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware, die die kor­rek­te Mes­sung der Stick­oxid­wer­te ver­hin­dert und im Prüf­be­trieb nied­ri­ge­re Aus­stoß­men­gen vor­spie­gelt, weicht das Fahr­zeug viel­mehr von der bei ver­gleich­ba­ren Fahr­zeu­gen üb­li­chen Be­schaf­fen­heit ab (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16, ju­ris Rn. 28). Dar­über hin­aus eig­net sich das Fahr­zeug in un­be­ar­bei­te­ter Form auch nicht zur dau­er­haf­ten Ver­wen­dung, da bei Ver­wei­ge­rung der Über­ar­bei­tung mit dem Ver­lust der Be­triebs­er­laub­nis zu rech­nen ist (vgl. OLG Cel­le, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, MDR 2016, 1016, un­ter Be­zug auf LG Fran­ken­thal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, ju­ris Rn. 21).

Die Pflicht­ver­let­zung ist auch nicht un­er­heb­lich i. S. des § 323 V 2 BGB. Ab­zu­stel­len ist da­bei auf den Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung, wo­bei ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung auf der Grund­la­ge der Um­stän­de des Ein­zel­falls er­for­der­lich ist. Bei be­heb­ba­ren Män­geln ist da­bei grund­sätz­lich auf die Kos­ten der Man­gel­be­sei­ti­gung ab­zu­stel­len (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VI­II ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 16 f.).

Zu­guns­ten der Be­klag­ten kann ent­spre­chend de­ren Be­haup­tung un­ter­stellt wer­den, dass ei­ne Man­gel­be­sei­ti­gung hier tech­nisch und auch un­ter dem As­pekt ei­nes mer­kan­ti­len Min­der­werts fol­gen­los mög­lich ist und die­se nach Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung im Sep­tem­ber 2016 er­fol­gen könn­te. Im maß­geb­li­chen Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung im März 2016 konn­te die Man­gel­be­sei­ti­gung je­doch zu­min­dest rein tat­säch­lich noch nicht er­fol­gen. Zu die­ser Zeit war of­fen­bar noch nicht ab­zu­se­hen, ob über­haupt und – wenn ja – wann ei­ne Über­ar­bei­tung des Fahr­zeugs mög­lich sein wür­de. Erst­mals in der münd­li­chen Ver­hand­lung im Au­gust 2016 hat die Be­klag­te mit­ge­teilt, dass dies im Sep­tem­ber 2016 der Fall sein wer­de. Es ist da­her von ei­nem im Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung zu­min­dest nicht si­cher be­heb­ba­ren Man­gel aus­zu­ge­hen, so­dass es hier nicht auf die Kos­ten der Man­gel­be­sei­ti­gung an­kommt.

An­ge­sichts der Un­ge­wiss­heit künf­ti­ger Man­gel­be­sei­ti­gung und der im Raum ste­hen­den schwer­wie­gen­den Fol­ge des Ver­lusts der Be­triebs­ge­neh­mi­gung für den Fall ei­ner un­ter­blei­ben­den Man­gel­be­sei­ti­gung kann nicht von ei­ner un­er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung aus­ge­gan­gen wer­den (vgl. auch LG Mün­chen I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15, DAR 2016, 389 [390 f.]; LG Ol­den­burg, Urt. v. 01.09.2016 – 16 O 790/16, ju­ris Rn. 27 ff.; LG Kre­feld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, ju­ris Rn. 43 ff.).

Die Klä­ge­rin hat auch ei­ne Frist zur Nach­er­fül­lung nach § 323 I BGB ge­setzt.

Zwar war der Klä­ge­rin ein „län­ge­res Zu­war­ten“ zu­mut­bar (vgl. OLG Cel­le, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, MDR 2016, 1016), so­dass die ge­setz­te Frist von ei­nem Mo­nat zu kurz war. Dies macht die Frist­set­zung je­doch nicht un­wirk­sam; die Fol­ge ei­ner zu kur­zen Frist­set­zung ist nur, dass ei­ne an­ge­mes­se­ne Frist in Gang ge­setzt wird (BGH, Urt. v. 12.08.2009 – VI­II ZR 254/08, NJW 2009, 3153 Rn. 11; Urt. v. 13.07.2016 – VI­II ZR 49/15, MDR 2016, 1075 Rn. 31). Der Zeit­raum von fünf Mo­na­ten bis zu der neu­er­li­chen Rück­tritts­er­klä­rung vom 29.03.2016 ist aber je­den­falls als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen, ein län­ge­res Zu­war­ten war der Klä­ge­rin nicht zu­mut­bar (vgl. LG Ol­den­burg, Urt. v. 01.09.2016 – 16 O 790/16, ju­ris Rn. 37 f.; LG Braun­schweig, Urt. v. 12.10.2016 – 4 O 202/16, ju­ris Rn. 20).

Der Be­trag von 19.111,97 € er­rech­net sich aus 21.700,00 € + 427,74 € − 3.015,77 €.

Die Be­klag­te hat ge­mäß § 346 I BGB den Kauf­preis in Hö­he von 21.700 € zu­rück­zu­ge­wäh­ren. Au­ßer­dem hat sie die dar­aus ge­zo­ge­nen bzw. zieh­ba­ren (§ 347 I 1 BGB) Nut­zun­gen von zwei Pro­zent jähr­lich her­aus­zu­ge­ben. Die­se be­lau­fen sich für den Zeit­raum vom 13.04.2015 bis zum 06.04.2016 auf 427,74 €. Nach Ver­zug­s­ein­tritt am 06.04.2016 kann die Klä­ge­rin hö­he­re Zin­sen ge­mäß § 288 I BGB ver­lan­gen. Ver­zug trat ge­mäß § 286 I 1 BGB ein mit Ab­lauf der Frist aus dem Rück­tritts­schrei­ben vom 29.03.2016.

Ab­zu­zie­hen sind die die von der Klä­ge­rin ge­zo­ge­nen Nut­zun­gen durch Be­nut­zung des Fahr­zeugs, für die ge­mäß § 346 II 1 Nr. 1 BGB Wert­er­satz zu leis­ten ist. Die­ser be­läuft sich bei ei­nem Kauf­preis von 21.700 € und ei­ner – von der Be­klag­ten nicht in Zwei­fel ge­zo­ge­nen – Ge­samt­lauf­leis­tung von 200.000 km ab­züg­lich be­reits ge­fah­re­ner 21.393 km so­wie von der Klä­ge­rin ge­fah­re­ner wei­te­rer (46.215 km − 21.393 km =) 24.822 km auf 3.015,77 € (vgl. zur Be­rech­nungs­wei­se BGH, Urt. v. 17.05.1995 – VI­II ZR 70/94, NJW 1995, 2159 [2161]).

Für die Me­tho­de der Be­rech­nung der Kla­ge­for­de­rung folgt das Ge­richt we­gen § 308 I ZPO der Vor­ge­hens­wei­se der Klä­ge­rin, auch wenn rich­ti­ger­wei­se die Ent­schä­di­gung für die Nut­zung des Fahr­zeugs erst nach Auf­schlag der Ver­zugs­zin­sen ab­zu­zie­hen wä­re.

Die Klä­ge­rin hat kei­nen An­spruch auf Er­satz vor­ge­richt­li­cher An­walts­kos­ten, da Ver­zug erst nach Ein­schal­tung ih­rer An­wäl­te ein­trat.

Die Be­klag­te be­fin­det sich ge­mäß § 295 Satz 1 BGB im An­nah­me­ver­zug. Das An­ge­bot der Klä­ge­rin zur Rück­ga­be des Fahr­zeugs wur­de im Rück­tritts­schrei­ben un­ter­brei­tet. Ein wört­li­ches An­ge­bot ge­nügt, weil die Be­klag­te das Fahr­zeug bei der Klä­ge­rin ab­zu­ho­len hat. Leis­tungs­ort beim Rück­tritt ist der­je­ni­ge Ort, an dem sich die Sa­che ver­trags­ge­mäß be­fin­det (OLG Mün­chen, Urt. v. 09.06.2016 – 23 U 1201/14, ju­ris Rn. 54; OLG Düs­sel­dorf, Urt. v. 18.08.2016 – 3 U 20/15, ju­ris Rn. 66) …

PDF er­stel­len