- Da die Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung erfüllt sein müssen, muss auch zu diesem Zeitpunkt ein bei Gefahrübergang gegebener Sachmangel fortbestehen (Bestätigung von Senat, Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 35).
- Die – die Frage des Vorliegens eines Sachmangels bei Gefahrübergang betreffende – Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers tritt nach Maßgabe des § 476 BGB a.F. bereits dann ein, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde (Bestätigung von Senat, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 36).
BGH, Urteil vom 27.05.2020 – VIII ZR 315/18
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb als Verbraucherin am 05.10.2013 von der Beklagten, die Pferdeauktionen ausrichtet, auf der „79. Herbst-Elite-Auktion“ für 31.733,19 € den fünf Jahre alten Wallach S zur Nutzung als Sportpferd.
In der Folgezeit bildete die Tochter der Klägerin, K, die als Pferdewirtin und -ausbilderin tätig ist, das Pferd, das bereits erfolgreich an Turnieren teilgenommen hatte, weiter aus, um es auf den Leistungsstand der Klasse L zu bringen. Im Mai 2014 nahm die K mit dem Pferd an einer Dressurprüfung dieser Klasse teil.
Mit Anwaltsschreiben vom 12.12.2014 focht die Klägerin ihre auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung an. Sie behauptete unter anderem „gravierende Rittigkeitsprobleme“; das Pferd habe „insbesondere die Widersetzlichkeiten des Blockens beziehungsweise Blockierens“ gezeigt. Mit Anwaltsschreiben vom 16.03.2015 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie behauptet im Wesentlichen, die gezeigten „Rittigkeitsmängel“ beruhten auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines).
Das Landgericht hat die Klage, mit der die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pferds, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Erstattung außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten begehrt hat, nach Vernehmung mehrerer Zeugen sowie Einholung eines fachtierärztlichen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat – nach Vernehmung der Zeugin K und weiterer Zeugen sowie erneuter Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht – Erfolg gehabt. Auf die Revision der Beklagten, die damit weiterhin die Abweisung der Klage erreichen wollte, wurde das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: [7] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:
[8] Die Klägerin könne von der Beklagten gemäß §§ 346 I, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 323 BGB die Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Pferd S verlangen. Dieses sei im Zeitpunkt der Übergabe mit einem Mangel i. S. der §§ 434 I, 90a BGB behaftet gewesen.
[9] Zwar hätten die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen. Das Pferd sei jedoch auf einer Elite-Auktion als Sportpferd verkauft worden. Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Eignung als Sportpferd habe im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vorgelegen, weil das Pferd aufgrund eines Kissing Spines-Syndroms „Rittigkeitsmängel“ aufgewiesen habe. Dies stehe aufgrund der Beweisaufnahme in Verbindung mit der Vermutung des § 476 BGB a.F. zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest.
[10] Wie der Sachverständige ausgeführt habe, weise das Pferd Veränderungen der Dornfortsätze der Brustwirbelsäule zwischen T 11 und T 16 (sog. Kissing Spines) auf, die nach Maßgabe des (damals geltenden) Röntgen-Leitfadens 2007 in die Röntgenklasse III bis IV einzustufen seien. Die Veränderungen seien anlagebedingt und hätten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits am 05.10.2013 vorgelegen.
[11] Allerdings stünden die vorgenannten Röntgenbefunde, die – so der Sachverständige – vielfach auch bei rückengesunden Tieren anzutreffen seien, einer Verwendung als Reit- und Sportpferd nicht entgegen. Pferde mit einem derartigen Befund könnten bis in die höchste Klasse mit sportlichem Erfolg eingesetzt werden. Die sportliche Nutzung sei nur beeinträchtigt, wenn die Röntgenbefunde klinische Relevanz aufwiesen. Dies könne für das von der Klägerin erworbene Pferd derzeit nicht festgestellt werden, denn beim Beritt unter Beobachtung des Sachverständigen habe es Auffälligkeiten nicht gezeigt.
[12] Jedoch werde bei einem – wie hier gegebenen – Verbrauchsgüterkauf gemäß § 476 BGB a.F. (nunmehr § 477 BGB) dann, wenn sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel zeige, vermutet, dass die Kaufsache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sei, es sei denn, diese Vermutung sei mit der Art der Sache oder des Mangels nicht vereinbar. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmung der Zeugin K sowie der Zeugin B, die – unter anderem als mehrfache Teilnehmerin an Olympischen Spielen – im Umgang mit Dressurpferden besonders erfahren und qualifiziert sei, habe sich das Pferd widersetzlich gezeigt. Daher seien in dem vorgenannten Zeitraum „Rittigkeitsmängel“ festzustellen, die in Zusammenschau mit den Röntgenbefunden den Schluss auf das Vorliegen eines Kissing Spines-Syndroms zuließen.
[13] Es könne dahinstehen, ob bloße „Rittigkeitsprobleme“ die Vermutung des § 476 BGB a.F. begründen könnten oder ob die Vermutung mit der Art des Mangels unvereinbar sei, weil die „Unrittigkeit“ eines Pferds viele exogene und endogene Ursachen haben könne und ein solches Beschwerdebild nicht nur jederzeit auftreten, sondern von dem Pferd und seiner Veranlagung unabhängige Ursachen haben könne. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stünden hier nicht nur im Vermutungszeitraum aufgetretene „Rittigkeitsmängel“ fest, sondern auch ein Kissing Spines-Befund der Röntgenklasse III bis IV. Der Sachverständige habe die Tendenz, dass die Probleme ihre Ursache nicht in der Ausbildung des Pferds hätten, sondern überwiegend wahrscheinlich in dem Röntgenbefund. Bei der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme hätten sich gerade die klinischen Symptome ergeben, die der Sachverständige bei seiner Begutachtung des Tiers nicht habe feststellen können. Im Zeitraum von sechs Monaten nach Gefahrübergang seien mit den klinischen Symptomen eines Kissing Spines-Syndroms Mangelerscheinungen aufgetreten, die den Gebrauch des Pferds für die vertraglich vorausgesetzte Nutzung als Sportpferd (Dressurpferd) ausschlössen.
[14] Zwar sei das Berufungsgericht überzeugt, dass die Mangelerscheinungen in Gestalt der „Rittigkeitsmängel“ mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Kissing Spines zurückzuführen seien. Dies bedürfe jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil der Käufer nach der Rechtsprechung des BGH lediglich den Nachweis einer Mangelerscheinung – also eines mangelhaften Zustands – zu erbringen habe, der – unterstellt, er beruhe auf einer dem Verkäufer zuzurechnenden Ursache – dessen Haftung wegen einer Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde.
[15] Dieser Nachweis sei der Klägerin gelungen. Zwar begründe das Phänomen der Kissing Spines für sich genommen keinen mangelhaften Zustand. Auch möge die Vermutung des § 476 BGB a.F. unter Umständen bei bloßen „Rittigkeitsmängeln“ nicht anwendbar sein. In der Kombination von „Rittigkeitsmängeln“ mit einem röntgenologischen Kissing Spines-Befund liege aber eine Mangelerscheinung, die die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. auslöse.
[16] Die Vermutung sei mit der Art des Mangels nicht unvereinbar. Zwar bestehe, wie der Sachverständige erläutert habe, die Möglichkeit, dass es trotz engstehender Dornfortsätze nicht zu klinischen Symptomen komme. Hier jedoch habe die Käuferin den Beweis für das Vorliegen von Kissing Spines bei Gefahrübergang erbracht und auch bewiesen, dass innerhalb des Sechsmonatszeitraums Erscheinungen aufgetreten seien, die als Symptome von Kissing Spines in Betracht kämen. In Anbetracht dessen erscheine es interessengerecht und entspreche dem verbraucherschützenden Gesetzeszweck, dem Verkäufer die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die „Rittigkeitsschwierigkeiten“ nicht auf dem Engstand der Dornfortsätze, sondern auf einer anderen, dem Verkäufer nicht zurechenbaren Ursache beruhten.
[17] Der Mangel, dessen Vorhandensein gemäß § 476 BGB a.F. vermutet werde, sei nicht deshalb als weggefallen anzusehen, weil später der gerichtliche Sachverständige „Rittigkeitsprobleme“ nicht festgestellt habe. Denn es stehe fest, dass das Pferd den Röntgenbefund der Kissing Spines aufweise. Weiter stehe fest, dass das Tier im Vermutungszeitraum klinische Symptome eines Kissing Spines-Syndroms gezeigt habe. Damit greife die Vermutungswirkung ein, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt Mangelerscheinungen nicht mehr festzustellen seien.
[18] Die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis, dass die festgestellten „Rittigkeitsmängel“ nicht auf das Kissing Spines-Syndrom zurückzuführen seien, nicht erbracht. Nach den Bekundungen der Zeuginnen K und B sei das Pferd von Beginn an widersetzlich gewesen. Eine unsachgemäße Behandlung oder Überforderung bleibe bloße Spekulation.
[19] II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[20] Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des Kaufpreises (§§ 434 I, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 346 I BGB), auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten (§ 280 I BGB), jeweils nebst Zinsen, sowie auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht bejaht werden.
[21] Bereits die Annahme eines gewährleistungspflichtigen Sachmangels des Pferds findet in den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Grundlage (hierzu unten 1). Davon abgesehen hat das Berufungsgericht gänzlich aus dem Blick verloren, dass ein Sachmangel auch zur Zeit der Rücktrittserklärung gegeben sein muss (hierzu unten 2). Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Sachmangel habe hier bereits zur Zeit des Gefahrübergangs vorgelegen, ist ebenfalls von Rechtsfehlern beeinflusst. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der Vermutungswirkung des § 476 BGB in der gemäß Art. 229 § 39 EGBGB bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (nachfolgend a.F.; nunmehr § 477 BGB), auf die das Berufungsgericht sein Urteil maßgeblich gestützt hat (hierzu unten 3). Schließlich hat das Berufungsgericht nicht beachtet, dass das Recht des Käufers, wegen eines (behebbaren) Mangels vom Vertrag zurückzutreten, grundsätzlich ein taugliches Nacherfüllungsverlangen voraussetzt (hierzu unten 4).
[22] 1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das verkaufte Pferd weise einen Sachmangel i. S. von § 434 I BGB, der nach § 90a Satz 3 BGB auf Tiere entsprechend anzuwenden ist, auf, findet in den getroffenen Feststellungen keine Stütze.
[23] a) Eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) – etwa hinsichtlich der gesundheitlichen Verfassung, der „Rittigkeit“ oder des Ausbildungsstands des Pferds – haben die Parteien, was außer Streit steht, nicht getroffen.
[24] b) Zwar wäre das von der Klägerin erworbene Reitpferd nach § 434 I 2 Nr. 1 BGB auch dann mangelhaft, wenn es sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd, die unter den hier gegebenen Umständen mit der i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB gewöhnlichen Verwendung eines Reitpferds übereinstimmt (vgl. Senat, Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 23 m. w. Nachw.), nicht eignen würde. Insoweit hat das Berufungsgericht, welches gemeint hat, das Pferd sei für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht geeignet, jedoch die Anforderungen, die bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung nach der Rechtsprechung des Senats an die gesundheitliche Verfassung eines Reitpferds zu stellen sind, verkannt. Insbesondere hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, dass es bereits als „klinisches“ Symptom zu werten sei, wenn das Reiten eines Pferds Probleme bereitet.
[25] aa) Der Verkäufer eines Tiers hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird (Senat, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 37; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 26; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 25) und infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte (oder die gewöhnliche) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre.
[26] (1) Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferds für die vertraglich vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt wird, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Tier zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen (Senat, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 14; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 24; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 26). Ebenso wenig gehört es zur üblichen Beschaffenheit eines Tiers, dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht (Senat, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 14; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 24; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 26).
[27] Diese Wertung trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Tieren um Lebewesen handelt, die einer ständigen Entwicklung unterliegen und die – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet sind (Senat, Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 24). Denn der Käufer eines lebenden Tiers kann, wie der Senat ebenfalls ausgesprochen hat, redlicherweise nicht erwarten, dass er auch ohne besondere (Beschaffenheits-)Vereinbarung ein Tier mit „idealen“ Anlagen erhält, sondern muss im Regelfall damit rechnen, dass es in der einen oder anderen Hinsicht physiologische Abweichungen vom Idealzustand aufweist, wie sie für Lebewesen nicht ungewöhnlich sind (vgl. Senat, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 14; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 25). Die damit verbundenen Risiken für die spätere Entwicklung des Tiers sind für Lebewesen typisch und stellen für sich genommen noch keinen vertragswidrigen Zustand dar, denn der Verkäufer eines Tiers haftet nicht für den Fortbestand des bei Gefahrübergang gegebenen Gesundheitszustands (vgl. Senat, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 37; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 25; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 26).
[28] (2) Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern ebenso für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten eines Pferds, wie etwa sogenannte „Rittigkeitsprobleme“, hier durch Widersetzlichkeiten in Form des Blockens und Blockierens. Bereitet die Rittigkeit eines Pferds Probleme, kann dies natürliche, aber auch gesundheitliche Ursachen haben. Nach Maßgabe des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts sind „Rittigkeitsprobleme“ daher für sich gesehen keine Abweichung von der vertraglichen Sollbeschaffenheit. Zwar mögen sie die Nutzung des Pferds als Reittier beeinträchtigen und stellen möglicherweise ein gewisses Risiko im Umgang mit dem Pferd dar. Ein solches Risiko ist für Lebewesen jedoch nicht von vornherein untypisch und stellt noch keinen Mangel nach § 434 I 2 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB dar.
[29] bb) In Anbetracht dessen findet die Annahme eines gewährleistungspflichtigen Sachmangels in den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen keine Grundlage.
[30] Unter „Kissing Spines“ ist eine Berührung – oder gar Annäherung – von Dornfortsätzen der Wirbelsäule zu verstehen (vgl. Rosbach/Weiß/Meyer, Pferderecht, 2. Aufl., Kap. 8 Rn. 30; Bemmann, in: Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2016, § 434 BGB Rn. 42). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist ein nicht mit Krankheitserscheinungen verbundener Kissing Spines-Befund, der von einem (pathologischen) Kissing Spines-Syndrom zu unterscheiden ist, grundsätzlich nicht vertragswidrig, sofern nicht bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Pferd aufgrund der Veränderungen der Dornfortsätze der Wirbelsäule alsbald erkranken wird (Senat, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 37; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 26; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 25) und es infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte (oder die gewöhnliche) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben (1).
[31] Das von der Klägerin erworbene Pferd ist auch im Übrigen nicht krank (2). Insbesondere sind „Rittigkeitsprobleme“ durch Widersetzlichkeiten eines Reitpferds entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als klinische Symptomatik zu beurteilen (3).
[32] (1) Nach den getroffenen Feststellungen wies das Pferd einen Kissing Spines-Befund auf, den das sachverständig beratene Berufungsgericht in die Röntgenklasse III bis IV des von ihm noch zugrunde gelegten Röntgen-Leitfadens 2007 eingeordnet hat.
[33] (a) Ein solcher Befund trägt indes den vom Senat für die Einordnung als Sachmangel gestellten Anforderungen (siehe oben 1 b aa) nicht Rechnung, wonach die Sicherheit oder zumindest hohe Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass das Pferd aufgrund des Engstands der Dornfortsätze alsbald erkranken und es deshalb oder aus sonstigen Gründen für die vertraglich vorausgesetzte bzw. gewöhnliche Verwendung nicht mehr einsetzbar sein wird. Ein in die Röntgenzwischenklasse III bis IV des Röntgen-Leitfadens 2007 einzuordnender verkürzter Abstand zwischen mehreren Dornfortsätzen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Denn nach dem Röntgen-Leitfaden 2007 und den Angaben des Sachverständigen liegt das Risiko des Auftretens klinischer Erscheinungen in unbestimmter Zeit insoweit bei einer Häufigkeit von lediglich 21 % bis 50 %.
[34] (b) Unabhängig davon stellt der vom Berufungsgericht noch herangezogene Röntgen-Leitfaden 2007 bereits deshalb keine geeignete Entscheidungsgrundlage dar, weil er ab dem 01.01.2018 von der Gesellschaft für Pferdemedizin e. V. (GPM) durch den nachhaltig erneuerten Röntgen-Leitfaden 2018 ersetzt worden ist. Insbesondere wurden die vom Berufungsgericht noch in seine Beurteilung einbezogenen Röntgenklassen des Röntgen-Leitfadens 2007 ersatzlos gestrichen. Zur Begründung dessen heißt es unter anderem, die schulnotenähnliche Klasseneinteilung des Röntgen-Leitfadens 2007 habe auf dem Pferdemarkt eine Erwartungshaltung gefördert, bei der die röntgenologische gegenüber der klinischen Untersuchung in hohem Maße überbewertet worden sei (vgl. GPM-Fachinformation, Röntgen-Leitfaden 2018, S. 13; s. auch Stadler/Bemmann/Schüle, RdL 2018, 118 f. [zu den Defiziten des Röntgen-Leitfadens 2007, die zu juristischem Missbrauch geführt hätten]). Der Röntgen-Leitfaden 2018 will dagegen ausdrücklich lediglich ein tierärztliches Hilfsmittel sein und keine Hinweise darauf liefern, ob ein Pferd einen Sachmangel aufweist (so GPM-Fachinformation, Röntgen-Leitfaden 2018, S. 13; vgl. auch Stadler/Bemmann/Schüle, RdL 2018, 118, 120, wonach dem Röntgen-Leitfaden 2018 die Eignung abzusprechen sei, bei juristischen Auseinandersetzungen zur Feststellung eines Sachmangels heranzogen zu werden).
[35] (2) Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist auch im Übrigen nicht zu entnehmen, dass das Pferd krank ist.
[36] (a) Das Berufungsgericht hat hier Krankheitssymptome eines Kissing Spines-Syndroms nicht festgestellt; der vom Berufungsgericht herangezogene Sachverständige, der ausgeführt hat, dass Rückenbeschwerden trotz verbesserter Diagnostik nur schwierig präzise zu befunden seien (s. auch Stadler, Klinische Untersuchung und reiterliche Diagnostik bei Pferden mit fehlendem Reitkomfort, 11. Frankfurter Tierärztekongress, 2013, S. 81), vermochte eine dahin gehende Aussage nicht zu treffen.
[37] (b) Ein bloßer Kissing Spines-Befund, wie er hier gegeben ist, ist – wie oben ausgeführt – kein krankhafter Zustand. „Rittigkeitsprobleme“ ändern daran nichts. Insoweit hat der Sachverständige nicht nur darauf hingewiesen, dass Pferde in früheren Jahren schonender ausgebildet worden seien (vgl. auch Miesner, Die Rückentätigkeit des Pferdes unter dem Reiter – Bedeutung der klassischen Reitlehre für die Gesunderhaltung des Sportpferdes, 11. Frankfurter Tierärztekongress, 2013, S. 105 f.), und in den letzten 20 Jahren eine höhere Sensibilität und Unsicherheit der Pferdebesitzer zu einer vermeintlichen Zunahme von „Rittigkeitsproblemen“ geführt habe. Der Sachverständige hat insbesondere ausgeführt, eine veterinärmedizinische Definition des Begriffs der „Rittigkeitsprobleme“ existiere nicht.
[38] (3) Auch hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, ein Blocken bzw. Blockieren des Pferdes sei als klinische Erscheinung des Röntgenbefunds anzusehen und rechtfertige die Annahme eines Sachmangels (Kissing Spines-Syndrom).
[39] (a) Klinische Erscheinungen eines Kissing Spines-Befunds können etwa Lahmheit, krankhafte Störungen des Bewegungsapparats oder offensichtliche Schmerzen sein. Zwar können „Rittigkeitsdefizite“ eines Pferds unter Umständen – mittelbar – auf einem Engstand der Dornfortsätze beruhen, weil Veränderungen der Dornfortsätze – wie der Sachverständige ausgeführt hat – eine mögliche Ursache von Rückenschmerzen sein können. Ein Schmerzgeschehen ist hier jedoch nicht in Erscheinung getreten, denn eine krankhafte (Rücken-)Symptomatik, wie etwa (Druck-)Schmerzempfindlichkeit, hat das Berufungsgericht gerade nicht festgestellt. Den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist bereits nicht zu entnehmen, dass die Klägerin dahin gehende Symptome überhaupt dargelegt hat. Daher stehen im gegebenen Fall bloße Widersetzlichkeiten beim Reiten in Rede, bei denen es sich – wie ausgeführt – nicht um klinische Erscheinungen von Kissing Spines handelt. Soweit einzelne Passagen in den Senatsurteilen vom 07.02.2007 (Senat, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 13) und vom 18.10.2018 (Senat, Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 29) anders verstanden werden könnten, hält der Senat hieran nicht fest; vielmehr bedarf es der Feststellung krankhafter Beeinträchtigungen wie etwa Schmerzen, Lahmheit oder einer pathologisch eingeschränkten Beweglichkeit.
[40] (b) Bloße Widersetzlichkeiten („Rittigkeitsmängel“) stellen – ohne besondere Beschaffenheitsvereinbarung oder besondere Vertragszwecke, wie etwa ein Verkauf als „Anfängerpferd“ – regelmäßig keine gewährleistungspflichtige Abweichung von der Sollbeschaffenheit eines Reitpferds dar. So können bestimmte Formen der Widersetzlichkeit lediglich Ausdruck des natürlichen Verhaltensmusters des Pferds als Fluchttier sein (vgl. Senat, Urt. v. 27.05.2020 – VIII ZR 2/19, juris Rn. 40 [zum Durchgehen eines Reitpferds]). Sie können aber auch, wie es im gegebenen Fall in Betracht kommt, auf unzureichender Verständigung zwischen Reiter und Pferd beruhen. Zwar hat das Berufungsgericht reiterliche Fehler, wie etwa eine Überforderung des Pferds durch die Ausbildung bei der Zeugin K, ausgeschlossen. Folgt ein Pferd dem Reiter nicht, sondern widersetzt sich ihm, kann jedoch – auch bei qualifizierten Reitern – nicht ausgeschlossen werden, dass dies weder auf klinischen Symptomen des Pferds noch dem Reitstil oder der sonstigen Handhabung des Pferds durch den Reiter beruht, sondern auf einem natürlichen Risiko, etwa – wie der Sachverständige ausgeführt hat – auf einer „Disharmonie“ bzw. einer unzureichenden Verständigung zwischen Pferd und Reiter.
[41] Entspricht die „Rittigkeit“ eines Pferds nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer daher – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist (vgl. Senat, Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 24; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 26). Der Käufer eines lebenden Tiers kann redlicherweise nicht erwarten, dass er – auch ohne besondere (Beschaffenheits-)Vereinbarung – ein Tier mit „idealen“ Anlagen erhält, mit dem er gänzlich unproblematischen Umgang pflegen und von ihm etwa erhoffte (rasche) Ausbildungsfortschritte und Wettkampferfolge tatsächlich erzielen kann. Dies wird – aus tiermedizinischer Sicht – auch anhand des Röntgen-Leitfadens 2018 deutlich, in dem es unter anderem heißt: „Der Kauf des Lebewesens Pferd wird jedoch weiterhin […] ein nicht mit anderen ‚Handelsgütern‘ vergleichbares Risiko beinhalten […]“ (GPM-Fachinformation, Röntgen-Leitfaden 2018, S. 14; vgl. auch Stadler/Bemmann/Schüle, RdL 2018, 118, 120).
[42] 2. Das Berufungsgericht hat ebenfalls nicht hinreichend beachtet, dass die Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung – hier am 16.03.2015 – erfüllt sein müssen.
[43] Dies gilt nicht nur für die Beurteilung der – hier nicht in Rede stehenden – Frage, ob die in der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist und deswegen das Rücktrittsrecht des Käufers ausschließt (vgl. Senat, Urt. v. 05.11.2008 – VIII ZR 166/07, NJW 2009, 508 Rn. 17; Urt. v. 09.03.2011 – VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664 Rn. 18; Urt. v. 15.06.2011 – VIII ZR 139/09, NJW 2011, 3708 Rn. 9; Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872 Rn. 21; Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365 Rn. 18; Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 Rn. 29 [jeweils zu § 323 V 2 BGB]), sondern betrifft auch die vorgelagerte Frage, ob ein (etwaiger) Sachmangel fortbesteht (Senat, Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 35). Auch insoweit fehlt es an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts, die jedoch geboten sind, weil das Pferd jedenfalls beim Beritt unter Beobachtung des Sachverständigen Ende Juli/Anfang August 2016 Auffälligkeiten nicht (mehr) gezeigt hat.
[44] 3. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der von ihm (fälschlich) angenommene Sachmangel bereits bei Gefahrübergang (§ 446 Satz 1 BGB), hier durch Übergabe an die Klägerin, gegeben war.
[45] a) Zwar lässt sich den getroffenen Feststellungen der Zeitpunkt der Übergabe nicht unmittelbar entnehmen. Das Berufungsgericht geht jedoch unausgesprochen – und insoweit auch unangegriffen – davon aus, dass der Klägerin das am 05.10.2013 erworbene Pferd noch an diesem Tag übergeben wurde.
[46] b) Rechtsfehlerfrei – und auch insoweit nicht angegriffen – hat das sachverständig beratene Berufungsgericht festgestellt, dass das Pferd mit an Sicherheit grenzender oder jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits am 05.10.2013 einen anlagebedingten Kissing Spines-Befund aufgewiesen habe, nämlich Veränderungen zwischen den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule zwischen T 11 und T 16.
[47] c) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht festgestellt, dass der Engstand der Dornfortsätze, der für sich gesehen nicht pathologisch ist, Ursache der (vermeintlichen) Mangelerscheinung war. Das Berufungsgericht hat vielmehr gemeint, dahin gehend bedürfe es einer Entscheidung nicht, weil im Streitfall die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. zur Anwendung komme. Dies trifft indes nicht zu. Das Berufungsgericht hat bereits nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die vorgenannte Bestimmung im Streitfall überhaupt anwendbar ist (aa). Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutungswirkung sind nicht erfüllt (bb).
[48] aa) Nach § 476 BGB a.F. wird bei einem Verbrauchsgüterkauf i. S. des § 474 I BGB in den Fällen, in denen sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art oder Sache oder des Mangels unvereinbar.
[49] (1) Zwar ist die vorbezeichnete Vermutung gemäß der für Tiere maßgeblichen Verweisung in § 90a Satz 3 BGB auf die für Sachen geltenden Vorschriften auch beim Kauf eines Pferds entsprechend anzuwenden (Senat, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 22 ff.; Urt. v. 27.05.2020 – VIII ZR 2/19, juris Rn. 49).
[50] (2) Es steht ebenfalls nicht in Streit, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. von § 474 I 1 BGB handelt, denn die Klägerin hat das Pferd als Verbraucherin (§ 13 BGB) von der Beklagten, einer Unternehmerin (§ 14 I BGB), erworben.
[51] (3) Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen getroffen, ob der Anwendungsbereich des § 476 BGB a.F. deshalb verschlossen ist, weil die – gemäß Art. 229 § 32 I EGBGB bis zum 12.06.2014 anwendbare – Ausnahmeregelung des § 474 I 2 BGB a.F. eingreift. Danach gelten die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf (und damit auch § 476 BGB a.F.) nicht in den Fällen, in denen gebrauchte Sachen in einer öffentlichen Versteigerung (seit dem 13.06.2014: in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung, § 474 II 2 BGB; s. zu diesem Begriff § 312g II Nr. 10 BGB) verkauft werden, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann (s. zum Begriff der gebrauchten Sache beim Kauf eines Pferds Senat, Urt. v. 09.10.2019 – VIII ZR 240/18, BGHZ 223, 235 = NJW 2020, 759 Rn. 25 ff. [zur Versteigerung eines zweieinhalbjährigen Hengstes]).
[52] Dahin gehende Feststellungen waren im Streitfall geboten. Wie die Revision unter Hinweis auf den vorinstanzlichen Sachvortrag der Beklagten zu Recht geltend macht, sehen die von der Beklagten verwendeten Auktionsbedingungen unter Nr. B 1 Satz 1 vor: „Die Auktion findet im Wege einer öffentlichen Versteigerung durch einen öffentlichen und vereidigten Versteigerer statt“. Danach ist es ohne weitere Feststellungen nicht auszuschließen, dass die Anforderungen an eine öffentliche Versteigerung, etwa im Hinblick auf die zur Versteigerung berufene Person (§ 383 III 1 BGB) und die öffentliche Bekanntmachung (§ 383 III 2 BGB), im Streitfall erfüllt sein könnten (zu den vorgenannten Voraussetzungen s. Senat, Urt. v. 24.02.2010 – VIII ZR 71/09, NJW-RR 2010, 1210 Rn. 14 f.).
[53] bb) Zudem hat das Berufungsgericht verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 476 BGB a.F. nicht erfüllt sind. Die Beweislastumkehr zugunsten des Klägers setzt voraus, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang eine Mangelerscheinung des erworbenen Pferds zeigt. Eine solche ist hier jedoch nicht zutage getreten.
[54] (1) Die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers tritt zwar bereits dann ein, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit (§ 434 I BGB) begründen würde (Senat, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 36). Damit hat der Senat das Urteil des EuGH vom 04.06.2015 – C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 = NJW 2015, 2237 – Faber – zu Art. 5 III der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter [ABl. 1999 L 171, 12; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie]) umgesetzt.
[55] (2) Nach dieser Maßgabe kommt die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. im Streitfall jedoch nicht zum Tragen, weil „Rittigkeitsprobleme“ durch Widersetzlichkeiten eines Reitpferds keine Mangelerscheinung sind. Wie ausgeführt, handelt es sich nicht um eine Abweichung von der Sollbeschaffenheit eines Reitpferds, sondern um ein natürliches Risiko (s. oben unter II 1 b bb (3); vgl. auch Senat, Urt. v. 27.05.2020 – VIII ZR 2/19, juris Rn. 38 ff., 52 ff.). „Rittigkeitsprobleme“ des Reiters mit seinem Pferd sind daher nicht gleichzusetzen mit Mangelerscheinungen unbelebter Gegenstände wie etwa Getriebefehlern eines Fahrzeugs (vgl. Senat, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 18) oder – wie im Fall der durch den Senat umgesetzten Entscheidung des EuGH – einem Fahrzeugbrand.
[56] Soweit hingegen zum Teil in der Rechtsprechung und im Schrifttum – jeweils ohne Begründung – anklingt, der Verkäufer eines Reitpferds habe – auch ohne Beschaffenheitsvereinbarung – dafür einzustehen, dass es zu „Rittigkeitsproblemen“ nicht komme (so OLG Köln, Urt. v. 25.08.2017 – 6 U 188/16, juris Rn. 36; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 05.04.2018 – 2-32 O 95/17, juris Rn. 37; Erman/Grunewald, BGB, 15. Aufl., § 434 Rn. 49), trifft dies nicht zu. Daher ist der weiteren Annahme, bereits bloße „Rittigkeitsprobleme“ seien geeignet, die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. auszulösen (vgl. OLG Köln, Urt. v. 25.08.2017 – 6 U 188/16, juris Rn. 36, 42 f.; Soergel/Wertenbruch, BGB, 13. Aufl., § 476 Rn. 75), die Grundlage entzogen.
[57] (3) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Käufer nach Maßgabe des § 476 BGB a.F. weder den Grund für die Mangelerscheinung noch den Umstand beweisen muss, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist (Senat, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 35, unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 = NJW 2015, 2237 Rn. 70 – Faber). Zwar läuft dies darauf hinaus, dass der Käufer insoweit lediglich den Nachweis einer Mangelerscheinung, also eines mangelhaften Zustands zu erbringen hat, der – unterstellt, er beruhe auf einer dem Verkäufer zuzurechnenden Ursache – eine Haftung des Verkäufers wegen einer Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde (Senat, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 35). In der gegebenen Fallgestaltung des Kaufs eines Pferds mit „Rittigkeitsproblemen“ geht es jedoch nicht um den Grund einer Mangelerscheinung oder darum, ob sie dem Verkäufer zuzurechnen ist, sondern um die vorgelagerte Frage, ob eine Mangelerscheinung überhaupt gegeben ist.
[58] 4. Schließlich hat das Berufungsgericht auch aus dem Blick verloren, dass das Recht des Käufers wegen eines (behebbaren) Mangels vom Vertrag zurückzutreten – wenn nicht einer der gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände eingreift – ein taugliches Nacherfüllungsverlangen voraussetzt. Dies gilt gemäß §§ 323 I, 90a Satz 3 BGB auch für den Tierkauf (vgl. Senat, Urt. v. 09.01.2008 – VIII ZR 210/06, NJW 2008, 1371 Rn. 10; Urt. v. 30.10.2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 37).
[59] Weder hat das Berufungsgericht Feststellungen zu einem Nacherfüllungsverlangen noch zu dessen Entbehrlichkeit getroffen. Zwar hat es die Bestimmung des § 440 BGB, unter deren Voraussetzungen eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ausnahmsweise entbehrlich sein kann, im Rahmen der Anspruchsgrundlage zitiert, dahin gehende Feststellungen sind jedoch unterblieben. Die Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung ist gemäß § 437 Nr. 2, § 326 V BGB zwar auch dann entbehrlich, wenn dem Verkäufer beide Varianten der Nacherfüllung unmöglich sind (vgl. Senat, Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 361/18, BGHZ 224, 195 = NJW 2020, 1287 Rn. 39 m. w. Nachw.). Auch dies ist im vorliegenden Fall jedoch weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
[60] 5. Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung allerdings geltend, die Klage sei deshalb unbegründet geworden, weil die Beklagte die Klageforderung nach Verkündung des – vorläufig vollstreckbaren – Berufungsurteils beglichen hat. Zahlungen aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils kommt in der Regel Erfüllungswirkung (§ 362 BGB) nicht zu, denn sie sind dahin zu verstehen, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen (Senat, Urt. v. 19.01.1983 – VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269; BGH, Urt. v. 06.10.1998 – XI ZR 36/98, BGHZ 139, 357, 368; Urt. v. 15.03.2012 – IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717 Rn. 7; Senat, Urt. v. 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, BGHZ 203, 256 Rn. 19; jeweils m. w. Nachw.).
[61] III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 I ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil nicht auszuschließen ist, dass die erforderlichen Feststellungen zu den Rücktrittsvoraussetzungen noch getroffen werden können.
[62] Das Berufungsgericht hat dem Sachverständigen – vor dem Hintergrund seiner Rechtsauffassung folgerichtig – keine Vorgaben dahin gemacht, dass ein Sachmangel vorliegend die Feststellung von Krankheitsbefunden erfordert. Es erscheint daher klärungsbedürftig, ob die Einschätzung des Sachverständigen, die im Umgang mit dem (über Jahre von erfahrenen Reitern ausgebildeten) Pferd geschilderten Probleme hätten ihre Ursache „sehr wahrscheinlich nicht in der Ausbildung, sondern in dem Röntgenbefund“, dahin zu verstehen ist, dass es zu einer (auch noch im Zeitpunkt des Rücktritts bestehenden) Rückenerkrankung gekommen ist, die sich etwa in Form von Schmerzen, einer pathologisch eingeschränkten Beweglichkeit oder ähnlichem geäußert hat.
[63] Auch hat die Klägerin geltend gemacht, das Pferd sei bei etwas stärkerer Belastung nicht in der Lage gewesen, „über die Hinterhand Last aufzunehmen“. Ob dem ein Krankheitswert (etwa in Form von Schmerzen oder einer pathologisch verminderten Kraft oder Beweglichkeit) zuzumessen ist und ein solcher auch im Zeitpunkt des Rücktritts noch vorlag, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls mit sachverständiger Hilfe zu klären, soweit es angesichts der weiteren noch nicht geklärten Rücktrittsvoraussetzungen darauf ankommen sollte.
[64] Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO).