- Eine Frist von zwei Wochen zur Lieferung eines Neuwagens ist jedenfalls dann angemessen, wenn der Käufer den Verkäufer gemäß dessen Neuwagen-Verkaufsbedingungen (NWVB) erst sechs Wochen nach Überschreiten eines unverbindlichen Liefertermins oder einer unverbindlichen Lieferfrist zur Lieferung auffordern und ihn so in Verzug setzen kann und wenn ein Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag gemäß den Neuwagen-Verkaufsbedingungen des Verkäufers erst möglich ist, nachdem der Käufer dem Verkäufer nach dem erfolglosen Ablauf der Sechs-Wochen-Frist erfolglos eine angemessene Nachfrist gesetzt hat.
- Anfechtung und Rücktritt können gleichzeitig erklärt werden. Aufgrund der stärkeren, das Schuldverhältnis vernichtenden Wirkung der Anfechtung ist jedoch zunächst über deren Wirksamkeit zu entscheiden. Die Wirksamkeit der Rücktrittserklärung ist daher nur dann relevant, wenn die Anfechtung nicht durchdringt.
- Der Rücktritt vom Kaufvertrag kann auch hilfsweise für den Fall erklärt werden, dass die erklärte Anfechtung unwirksam ist. Zwar vertragen Gestaltungsrechte wie der Rücktritt keine Bedingung, doch wird die Ausübung des Rücktrittsrechts in einem solchen Fall nicht unter eine Bedingung im Sinne von § 158 BGB gestellt. Der Eintritt der Gestaltungswirkung des Rücktritts hängt vielmehr von einem objektiv bereits feststehenden, für den Erklärenden nur subjektiv ungewissen Ereignis – der Unwirksamkeit der Anfechtung – ab.
- Der Rücktritt vom Kaufvertrag kann nicht erst dann wirksam erklärt werden, wenn die Frist zur Leistung beziehungsweise zur Nacherfüllung, die der Käufer dem Verkäufer gemäß § 323 I BGB grundsätzlich setzen muss, erfolglos abgelaufen ist. Nichts spricht dagegen, dass der Käufer den Rücktritt bereits bei Fristsetzung für den Fall erklärt, dass die Frist fruchtlos abläuft (zulässige Potestativbedingung).
LG Hanau, Urteil vom 11.03.2025 – 1 O 1185/24
Sachverhalt: Der Kläger schloss am 09.02.2024 auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung mit der Beklagten, die ein Autohaus betreibt, einen Kaufvertrag über einen Neuwagen. Das Fahrzeug sollte einschließlich Zulassungs- und Überführungskosten sowie Allwetterreifen, die im Kaufvertrag mit einem Preis von 1.400 € inklusive Montage ausgewiesen sind, 56.069,99 € kosten. Die Parteien vereinbarten zudem, dass die Beklagte das bisherige Fahrzeug des Klägers (Altfahrzeug) zum Preis von 11.820 € in Zahlung nimmt.
Als unverbindlicher Liefertermin für den Neuwagen wurde im Kaufvertrag „06/2024“ angegeben.
In den in den Kaufvertrag einbezogenen Neuwagen-Verkaufsbedingungen (NWVB) der Beklagten heißt es unter „IV. Lieferung und Lieferverzug“ unter anderem:
„2. Der Käufer kann sechs Wochen nach Überschreiten eines unverbindlichen Liefertermins oder einer unverbindlichen Lieferfrist den Verkäufer auffordern zu liefern. Diese Frist verkürzt sich auf 10 Tage (bei Nutzfahrzeugen auf zwei Wochen) bei Fahrzeugen, die beim Verkäufer vorhanden sind. Mit dem Zugang der Aufforderung kommt der Verkäufer in Verzug.
Hat der Käufer Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens, beschränkt sich dieser bei leichter Fahrlässigkeit des Verkäufers auf höchstens 5 % des vereinbarten Kaufpreises.
3. Will der Käufer darüber hinaus vom Vertrag zurücktreten und/oder Schadensersatz statt der Leistung verlangen, muss er dem Verkäufer nach Ablauf der betreffenden Frist gemäß Ziffer 2 Satz 1 oder 2 dieses Abschnitts eine angemessene Frist zur Lieferung setzen. “
Am 12.02.2023 erschien der Kläger persönlich im Autohaus der Beklagten und erklärte, dass er sich über den Preis für die Allwetterreifen getäuscht fühle. Er verlangte die Auflösung des Kaufvertrags, was die Beklagte durch ihren Mitarbeiter M ablehnte. Sie erklärte sich allerdings bereit, die Reifen aus dem Kaufvertrag herauszunehmen. M strich daher die Preisangabe für die Reifen handschriftlich durch und unterschrieb an dieser Stelle mit dem Zusatz „kein Reifenkauf“.
Zwischen dem Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags und dem 17.07.2024 verkaufte der Kläger sein bei der Beklagten in Zahlung gegebenes Altfahrzeug privat an einen Dritten.
Am 17.07.2024 – nach Ablauf der vereinbarten unverbindlichen Lieferfrist – erkundigte sich der Kläger persönlich bei der Beklagten, wann die Auslieferung des Neufahrzeugs erfolgen werde, und informierte sie über den Verkauf seines Altfahrzeugs. Einen Tag später, am 18.07.2024, mahnte er die Beklagte per E-Mail bezüglich der Lieferung des Neufahrzeugs.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.07.2024 erklärte der Kläger sodann die Anfechtung seiner auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung über den Liefertermin des Fahrzeugs.
Am 21.08.2024 erschien der Kläger erneut im Autohaus der Beklagten und erkundigte sich nach dem Termin für die Fahrzeuglieferung. Als unverbindlicher Liefertermin wurde ihm der 15.10.2024 genannt.
Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 22.08.2024 forderte der Kläger die Beklagte für den Fall, dass die erklärte Anfechtung unwirksam sein sollte, vorsorglich zur Lieferung des Neufahrzeugs bis zum 06.09.2024 auf. Für den Fall, dass bis dahin keine Lieferung erfolgt sein sollte, erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Lieferverzugs. Zudem forderte er die Beklagte für den Fall des Rücktritts auf, bis zum 13.09.2024 zu bestätigen, dass er weder aktuell noch zukünftig Zahlungen an sie leisten müsse.
Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Kaufvertrags mit Schreiben vom 05.09.2024 ab. Mit Schreiben vom 15.10.2024 forderte sie den Kläger zur Abholung des Neufahrzeugs auf. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Das Fahrzeug befindet sich daher bis heute bei der Beklagten.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass sich der zwischen den Parteien am 09.02.2024 geschlossene Neuwagenkaufvertrag infolge der mit Schreiben vom 31.07.2024 erklärten Anfechtung – hilfsweise infolge des mit Schreiben vom 22.08.2024 erklärten Rücktritts – in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt habe, aus dem er der Beklagten nichts (mehr) schulde. Zudem hat der Kläger die Beklagte auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.249,20 € nebst Rechtshängigkeitszinsen in Anspruch genommen.
Er behauptet, die Beklagte habe ihm mündlich einen Nachlass von 2 % auf den Kaufpreis für den Neuwagen zugesichert, der im schriftlichen Kaufvertrag nicht enthalten sei. Der Mitarbeiter der Beklagten M habe im Verkaufsgespräch betont, dass er, der Kläger, den Kaufvertrag sofort unterschreiben müsse, damit die Lieferung des Neufahrzeugs noch im Juni 2024 erfolgen könne. Eine Lieferung im Juni 2024 habe M ihm ausdrücklich zugesichert. Im Gegenzug für die sofortige Unterzeichnung des Kaufvertrags habe die Beklagte ihm einen weiteren Nachlass auf den Kaufpreis in Höhe von 250 € gewährt, der ebenfalls nicht im schriftlichen Kaufvertrag enthalten sei. Darüber hinaus habe M geäußert, dass er, der Kläger, sein bisheriges Fahrzeug auch privat verkaufen könne. Die Allwetterreifen – so behauptet der Kläger – habe er im Internet zu einem Preis von nur 115,03 € je Reifen gefunden. Bei den Gesprächen am 17.07.2024 im Autohaus der Beklagten sei ihm mitgeteilt worden, dass der am 09.02.2024 erfasste Auftrag noch nicht im Herstellerwerk bearbeitet worden sei. Er habe sich in anderen Filialen der Beklagten über die Lieferzeit des bestellten Fahrzeugmodells erkundigt und erfahren, dass die Lieferzeit zum Zeitpunkt seiner Fahrzeugbestellung Anfang 2024 bereits über sechs Monate betragen habe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, der Kläger verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits die Anfechtung des Kaufvertrags erkläre und andererseits die Lieferung des Neufahrzeugs verlange und anschließend den Rücktritt vom Kaufvertrag erkläre. Weiter ist die Beklagte der Ansicht, dass sie die Lieferverzögerung nicht zu vertreten habe. Diese Diese beruhe auf einer geänderten Liefersituation, die sich aus der Corona-Pandemie und der weltweit gesamtwirtschaftlichen Lage auf dem Kraftfahrzeugmarkt ergebe. Im Übrigen sei die vom Kläger gesetzte Nachfrist von zwei Wochen zu kurz bemessen gewesen. Eine angemessene Nachfrist hätte zwei Monate betragen und diese Frist habe sie eingehalten, da der Kläger das Neufahrzeug ab dem 15.10.2025 habe abholen können.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist begründet.
A. Das angerufene Gericht ist gemäß § 29 I ZPO als Gericht an dem Ort, an dem sich die zurückzugewährende Sache vertragsgemäß befindet, örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 1 ZPO, § 23 Nr. 1, § 71 I GVG.
Im Übrigen verstößt der Kläger dadurch, dass er bei gleichbleibendem Sachvortrag neben der in erster Linie geltend gemachten Begründung (Anfechtung) eine weitere zur Stützung seines Begehrens bemüht hat (Rücktritt), nicht gegen das in § 253 II Nr. 2 ZPO verankerte Bestimmtheitsgebot einer Klage. Dieses gilt für den Antrag und den Lebenssachverhalt, nicht aber für die rechtliche Begründung, die allein Aufgabe des Gerichts ist.
B. Die Klage ist begründet.
I. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, festgestellt zu wissen, dass sich der Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, aus dem er nichts mehr schuldet.
1. Der Kläger hat sich am 09.02.2024 mit der Beklagten, vertreten durch ihre Mitarbeiter, die Zeugen M und Z, über den Kauf eines Neuwagens … inklusive Zulassungskosten/Überführungskosten sowie Allwetterreifen für einen Kaufpreis von 56.069,99 und Inzahlunggabe des Altfahrzeuges des Klägers zu einem Preis von 11.820 € geeinigt. Dies stellt einen einheitlichen Kaufvertrag nach § 433 BGB samt einer Ersetzungsbefugnis im Hinblick auf das angekaufte Altfahrzeug dar (BGH, Urt. v. 30.11.1983 – VIII ZR 190/82, BGHZ 89, 126, 128 ff. = NJW 1984, 429 f.; Urt. v. 20.02.2008 – VIII ZR 334/06, BGHZ 175, 286 = NJW 2008, 2028 Rn. 10 ff. Nach Inaugenscheinnahme des Ankaufsscheins in der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2025 war unstreitig, dass der Kläger diesen unterzeichnet hat.
2. Zwar hat der Kläger nach Überzeugung des Gerichts den Vertrag nicht wirksam angefochten.
a) Der Kläger hat mit Schreiben vom 31.07.2024 die Anfechtung des Kaufvertrags erklärt mit der Behauptung, dass die Vertragsunterschrift täuschungsbedingt erfolgte sei.
b) Ein Anfechtungsgrund liegt jedoch nicht vor. Nach § 123 I Fall 1 BGB kann die Erklärung anfechten, wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Eine Täuschung liegt nur dann vor, wenn der Täuschende durch sein Verhalten beim Erklärungsgegner vorsätzlich einen Irrtum erwecken oder aufrechterhalten möchte. Dies setzt voraus, dass der Täuschende die Unrichtigkeit der falschen Angaben kennt und zugleich das Bewusstsein und den Willen hat, durch die irreführenden Angaben (oder die Unterlassung der gebotenen Aufklärung über die wahre Sachlage) einen Irrtum zu erregen (oder aufrechtzuerhalten) und den Getäuschten damit zu einer Willenserklärung zu motivieren, die jener sonst nicht oder mit anderem Inhalt abgegeben hätte (MünchKomm-BGB/Armbrüster, 10. Aufl. [2025], § 123 Rn. 14).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe wurde der Kläger nicht durch die Beklagte, vertreten durch ihre Mitarbeiter, über den Lieferzeitpunkt arglistig getäuscht. Als derjenige, der sich auf eine ihm günstige Behauptung beruft, trägt der Kläger nach den allgemeinen Regeln die Beweislast. Aufgrund der Beweisaufnahme und der persönlichen Anhörung des Klägers vermochte das Gericht im Rahmen der ihm nach § 286 I 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass die streitige Behauptung als bewiesen anzusehen ist. Danach ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
aa) Der Antrag des Klägers, als beweispflichtige Partei gemäß § 447 ZPO vernommen zu werden, war zurückzuweisen, da die Beklagte damit nicht einverstanden war (vgl. Schriftsatz vom 03.12.2024).
bb) Zwar erklärte der Kläger – informatorisch gemäß § 141 I 1 ZPO angehört – die Beklagte habe über ihre Mitarbeiter wahrheitswidrig angegeben, das Fahrzeug könne im Juni 2024 geliefert werden, wenn er noch am gleichen Tag den Kaufvertrag unterschreibe, trotz des Wissens, dass eine Fahrzeuglieferung bis Juni 2024 nicht möglich gewesen sei. Er selbst habe nicht auf ein konkretes Lieferdatum gepocht. Allerdings habe er in anderen Filialen des Autohauses A vor dem Kaufvertragsschluss am 09.02.2024 für die Konfiguration des streitgegenständlichen Fahrzeugs jeweils eine Lieferfrist von mindestens sechs Monaten genannt bekommen. Hätte er gewusst, dass keine Lieferung im Juni 2024 erfolgt, sondern erst zwei Monate später, hätte er den Vertrag nicht geschlossen.
cc) Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen M und Z. Die Zeugen M und Z haben übereinstimmend ausgeführt, dass sie keine Angaben dazu gemacht hätten, dass eine sofortige Unterschrift Auswirkungen auf die Lieferzeit habe. Die Lieferzeit habe nach ihrer Erinnerung etwa vier bis fünf Monate betragen und sei so auch im Vertrag angegeben worden. Die voraussichtliche Lieferzeit werde immer bei der dafür zuständigen Abteilung „Disposition“ abgefragt und entsprechend der Abfrage im Kaufvertrag angegeben. So sei es auch vorliegend geschehen. Sie hätten dem Kläger gerade nicht verbindlich die Lieferung im Juni zugesichert, sondern ein unverbindliches Lieferdatum vereinbart. Eine Unterschrift noch am 09.02.2024 sei auf Initiative des Klägers erfolgt, um einen Nachlass zu erhalten.
Die positiv ergiebigen Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Es entspricht der üblichen Praxis, bei größeren Autohäusern einzelne Arbeitsschritte verschiedenen Abteilungen zuzuweisen. So ist nachvollziehbar, dass die im Verkauf eingesetzten Mitarbeiter die Lieferfristen bei einer dafür zuständigen Abteilung anfragen und entsprechend an den Kunden weitergeben. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen eine andere als die ihnen mitgeteilte Lieferfrist an den Kläger mitteilten. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht auch, dass sich die Aussagen decken und jeder erlebnisbasiert von den Gesprächen mit dem Kläger berichtete.
cc) Die Ausführungen des Klägers im Rahmen der persönlichen Anhörung sind als Streit- und nicht als Beweisstoff zu werten. Das Gericht ist nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 I 1 ZPO aber gehalten, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme bei der Bildung seiner Überzeugung auch die Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt, zu berücksichtigen. Dies gebietet insbesondere in Vier-Augen-Situationen der Grundsatz der Waffengleichheit sowie der Anspruch der Parteien auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs aus Art. 6 I EMRK, Art. 2 I, 3 I, 20 III, 103 III GG.
Das Gericht vermochte nicht zu entscheiden, welches der sich widersprechenden Vorbringen zutrifft. Beide sind gleichermaßen lebensnah. Die Zeugenaussagen decken sich mit dem Vortrag der Beklagten, die die Zeugen benannt hat. Objektive Kriterien, an denen der Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen und der Bekundungen des Klägers gemessen werden könnten, bestehen nicht. Der Vorfall kann sich ebenso gut so zugetragen haben, wie ihn die Zeugen M und Z geschildert haben oder wie ihn der Kläger selbst geschildert hat. Bei den Zeugen und dem Kläger waren die Wahrnehmungsbereitschaft, die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsmöglichkeit in gleichem Maße gegeben.
Das Gericht sieht sich auch außerstande, den Kläger gegenüber den beiden Zeugen für glaubwürdiger zu erachten.
3. Demgegenüber ist der Kläger durch seine Rücktrittserklärung im Schreiben vom 22.8.2024 wirksam vom Vertrag nach Fristablauf am 07.09.2024 zurückgetreten.
a) Entgegen der Ansicht der Beklagten steht einem wirksamen Rücktritt nicht entgegen, dass der Kläger den Kaufvertrag (vergeblich) angefochten hat. Neben dem Anfechtungsrecht gemäß §§ 123, 124 kann auch ein Rücktrittsrecht bestehen. Anfechtung und Rücktritt können zugleich erklärt werden, wobei allerdings wegen der stärkeren, das Schuldverhältnis vernichtenden Wirkung der Anfechtung über diese vorrangig zu entscheiden ist. Auf die Rücktrittserklärung kommt es daher nur dann an, wenn die Anfechtung nicht durchdringt (vgl. RG, JW 1936, 1125; Büchler, JuS 2009, 976, 979 f.; MünchKomm-BGB/Armbrüster, a. a. O., § 123 Rn. 100 m. w. N.).
Auch dass der Rücktritt hilfsweise – unter der Bedingung des Nichtvorliegens einer wirksamen Anfechtung – erklärt wurde, ist unschädlich. Diese sogenannte echte Hilfsbegründung ist als Ausnahme von der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit zulässig, weil es sich bei der Bedingung um ein innerprozessuales Ereignis, nämlich die Unwirksamkeit der Anfechtung, handelt.
b) Des Weiteren kann entgegen der Ansicht der Beklagten das Rücktrittsrecht nicht erst ausgeübt werden, wenn die Nachfrist fruchtlos abgelaufen ist. Nichts spricht dagegen, dass der Gläubiger die Erklärung des Rücktritts bereits bei der Setzung der Nachfrist für den Fall abgibt, dass die Nachfrist fruchtlos ablaufen sollte (zulässige Potestativbedingung; vgl. MüKomm-BGB/Ernst, 9. Aufl. [2022], § 323 Rn. 154 m. w. N.).
c) Mit dem Schreiben vom 22.08.2024 liegt eine Rücktrittserklärung des Klägers an die Beklagte nach § 349 BGB vor.
d) Dem Kläger stand nach § 346 I BGB in Verbindung mit Abschnitt IV Nr. 3 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen auch ein vertragliches Rücktrittsrecht zu.
aa) Die Neuwagen-Verkaufsbedingungen sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 I BGB Vertragsbestandteil geworden. Sie wurden von der Beklagten bei Abschluss des Vertrags gestellt und werden von ihr für eine Vielzahl von Verträgen verwendet. Die Neuwagen-Verkaufsbedingungen lagen dem ausgehändigten Vertragstext bei und wurden so auch von der Beklagten bei Vertragsschluss nach § 305 II Nr. 2 BGB wirksam einbezogen.
bb) Die vertragsgemäße Frist zur berechtigten Aufforderung zur Lieferung war zum Zeitpunkt des Rücktrittsschreiben am 22.08.2024 abgelaufen. Bei Vereinbarung der Neuwagen-Verkaufsbedingungen kann der Käufer erst sechs Wochen nach Überschreiten eines unverbindlichen Liefertermins den Verkäufer auffordern zu liefern (IV 2 NWVB).
Teilweise wird die Klausel in der Literatur für unwirksam gehalten. Eine derart lange „Schonfrist“ verstoße gegen § 308 Nr. 1 BGB (BeckOK-StVR/Andreae, Stand: 15.01.2025, § 433 BGB Rn. 12; ebenso Eggert, in: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. [2020], Rn. 66 ff.1Die Auffassung, eine „Schonfrist“ von sechs Wochen könne „heute nicht mehr als angemessen angesehen werden“ und sei „jedenfalls im Bereich B2C wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 1 BGB unwirksam“, wurde in der 15. Auflage aufgegeben. Die aktuelle Situation, deren Ende nicht abzusehen sei, habe gezeigt, „dass durchaus auch heute noch ein Bedürfnis für eine fälligkeitsaufschiebende Schonfrist“ von sechs Wochen bestehe, „diese also auch im B2C-Bereich nicht als unangemessen und deshalb nicht wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 1 BGB als unwirksam angesehen werden“ könne (Almeroth, in: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 15. Aufl. [2024], Kap. 2 Rn. 66).) und sei unwirksam (a. A. noch BGH, Urt. v. 07.10.1981 – VIII ZR 229/80, BGHZ 82, 21 = NJW 1982, 331). Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da bei Angabe des unverbindlichen Liefertermins für Juni 2024 eine Frist von sechs Wochen zum Zeitpunkt des Rücktrittsschreibens vom 22.08.2024 bereits verstrichen war.
cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger der Beklagten mit einer Nachfrist von zwei Wochen eine angemessene Nachfrist gesetzt.
Um zurücktreten zu können, muss für die Lieferung eine „angemessene“ Frist nach IV 3 NWVB gesetzt werden, die mit der Aufforderung zur Lieferung verbunden werden kann. Die Angemessenheit bestimmt im Streitfall das Gericht (§ 242 BGB) nach objektiven Maßstäben (BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640, 2641) beziehungsweise nach Vereinbarung der Parteien (BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654 Rn. 36). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nachfrist dem Schuldner die Leistung nicht erst ermöglichen, sondern ihm eine letzte Gelegenheit geben soll, die in die Wege geleitete (vorbereitete) Erfüllung zu vollenden (BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640); die Nachfrist ist keine „Ersatzleistungsfrist“ (BGH, Urt. v. 06.12.1984 – VII ZR 227/83, NJW 1985, 857; s. auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2011 – 9 U 83/11, NJW-RR 2012, 504, 505: „bereits in Angriff genommene Leistung“ muss vollendet werden können; OLG Köln, Beschl. v. 28.05.2018 – 27 U 13/17, NJW-RR 2018, 1141 Rn. 32; OLG Köln, Beschl. v. 20.12.2017 – 18 U 112/17, NJW-RR 2018, 373 Rn. 44 [zum VW-Dieselskandal]; Jauernig/Stadler, BGB, 19. Aufl. [2023], § 323 Rn. 8). Dem Schuldner sind deshalb außerordentliche Anstrengungen zuzumuten, sodass es auch nicht ausreichend ist, wenn er sich auf die Verzögerung oder Nichtleistung eines Lieferanten beruft (vgl. BGH, Urt. v. 18.01.1973 – VII ZR 183/70, NJW 1973, 456 [Ls.]; Urt. v. 10.02.1982 – VIII ZR 27/81, NJW 1982, 1279, 1280; Urt. v. 31.10.1984 – VIII ZR 226/83, NJW 1985, 320, 323). Eine verzögerte oder ausbleibende Leistung eines Lieferanten fällt vielmehr in die Risikosphäre des Schuldners und ist von diesem bei der Vereinbarung der Leistungszeit einzukalkulieren.
Für die Bemessung der Nachfrist ist auch zu beachten, wie lange die Fälligkeit der Leistung bereits zurückliegt und ob sich der Schuldner sogar bereits in Verzug befindet (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.1982 – VIII ZR 27/81, NJW 1982, 1279, 1280).
Bei der Angemessenheit handelt es sich im Übrigen um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen hat. Auf der einen Seite ist das Interesse des Schuldners zu beachten, eine zweite Gelegenheit zu erhalten, um die Geltendmachung von Sekundärrechten durch den Gläubiger zu vermeiden. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Auf der anderen Seite muss das Interesse des Gläubigers gewürdigt werden, die (mangelfreie) Leistung möglichst pünktlich zu erhalten. Ein besonderes Interesse des Gläubigers an der Pünktlichkeit der Leistung muss daher bei der Bemessung der „angemessenen“ Frist berücksichtigt werden (BeckOGK/Looschelders, Stand: 01.02.2025, § 323 BGB Rn. 162).
Als „angemessen“ werden je nach den Umständen des Einzelfalls zwei Tage (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2011 – 9 U 83/11, NJW-RR 2012, 504, 505) bis höchstens vierzehn Tage (Eggert, in: Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 104) angesehen (vgl. BeckOK-StVR/Andreae, a. a. O., § 433 BGB Rn. 12).
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe und unter Abwägung der Interessen der Parteien hält das Gericht die Nachfrist von zwei Wochen für erforderlich, aber auch ausreichend und angemessen, der Beklagten die Möglichkeit zu geben, Rücksprache mit ihrem Hersteller zu halten. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass bereits zuvor die Sechs-Wochen-Nachfrist bis zur Aufforderung zur Lieferung nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgelaufen war und die Nachfrist von zwei Wochen zusätzlich hinzuam. Das Interesse an einer pünktlichen Lieferung hat der Kläger der Beklagten gegenüber hinreichend deutlich bekannt, indem er sich immer wieder persönlich bei der Beklagten nach dem Liefertermin erkundigte.
Das Argument der Beklagten, die Lieferverzögerung beruhe auf der geänderten Liefersituation sowohl aufgrund der Corona-Pandemie als auch durch die weltweit gesamtwirtschaftliche Lage auf dem weltweiten Kraftfahrzeugmarkt, überzeugt nicht. Zum einen war es Aufgabe der Beklagten, einen realistischen Liefertermin als unverbindliches Lieferdatum anzugeben und bereits in diesem Schritt die Corona-Situation – die im Übrigen bereits Jahre zurückliegt – und die gesamtwirtschaftliche Lage des Kraftfahrzeugmarktes zu berücksichtigen. Die Organisation und Absprache mit dem Hersteller zur Herstellungszeit obliegt allein der Beklagten und findet sich in ihrer Risikosphäre. Darauf hat der Käufer keinerlei Einfluss. Der Käufer hat demgegenüber ein schutzwürdiges Interesse daran, dass auch ein unverbindlicher Liefertermin nicht gänzlich ins Blaue hinein abgegeben wird beziehungsweise sich im Nachhinein eine Lieferung um Monate verzögert. Insoweit stellt es einen angemessenen Ausgleich beider Interessen dar, dem unverbindlichen Liefertermin eine Frist der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von sechs Wochen und eine anschließende Nachfrist von zwei Wochen zu gewähren, um so unvorhersehbaren Produktionsabläufen entgegenzuwirken.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sie ebenfalls von den Herstellerangaben abhängig sei, wird sie dazu verpflichtet sein, sich mit den Herstellern besser abzusprechen und die Produktionsabläufe zu verbessern. Dies kann jedenfalls nicht zulasten des Klägers gehen. Im Übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, dass gerade das Argument der Beklagten, namentlich das wirtschaftliche System in der Automobilbranche, in der Literatur argumentativ zugunsten der Käuferinnen und Käufer eingesetzt wird: Zum einen reduziert sich im modularen Fahrzeugbau (sog. Fahrzeugplattformen, bei denen auf einer Grundkonstruktion verschiedene Modelle hergestellt werden) die Produktionszeit extrem. Zum anderen ist angesichts der EDV-basierten Warenwirtschafts- und Vertriebssysteme die Produktionszeit auch problemlos überschaubar (vgl. Bachmeier, Rechtshandbuch Autokauf, 2. Aufl. [2013], Rn. 396). Es ist weder ersichtlich, noch vorgetragen, warum die Beklagte den unverbindlichen Liefertermin nicht den Tatsachen entsprechend angegeben hat.
dd) Letztlich käme das Gericht auch nicht zu einem anderen Ergebnis, wenn im konkreten Fall die Frist als zu kurz bemessen gälte. Eine zu kurz bemessene Nachfrist ist nicht wirkungslos, sondern setzt eine angemessene Frist in Lauf (BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640; Urt. v. 15.03.1996 – V ZR 316/94, NJW 1996, 1814; OLG Köln, Beschl. v. 28.05.2018 – 27 U 13/17, NJW-RR 2018, 1141 Rn. 32; Jauernig/Stadler, a. a. O, § 323 Rn. 8). Bis zur angebotenen Abnahme des Fahrzeugs vergingen seit der Nachristsetzung über sieben Wochen. Selbst bei einer Nachristsetzung von sechs Wochen, die allemal als angemessen gelten dürfte, wäre das Fahrzeug nicht geliefert worden.
ee) Die Beklagte hat die verzögerte Lieferung zu vertreten. Gemäß IV Nr. 6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen verlängern höhere Gewalt oder beim Verkäufer oder dessen Lieferanten eintretende Betriebsstörungen, die den Verkäufer ohne eigenes Verschulden vorübergehend daran hindern, den Kaufgegenstand zum vereinbarten Termin oder innerhalb der vereinbarten Frist zu liefern, die in Ziffern 1 bis 4 dieses Abschnitts genannten Termine und Fristen um die Dauer der durch diese Umstände bedingten Leistungsstörungen. Allerdings hat die Beklagte keine konkreten Umstände vorgetragen, die eine solche Verlängerung rechtfertigen könnten. Allein der Verweis auf eine verzögerte Lieferung durch den Hersteller reicht jedenfalls nicht aus.
e) Aufgrund des rückabzuwickelnden Kaufvertrags wurden noch keine Leistungen erbracht, mithin schuldet der Kläger der Beklagten nach § 346 I BGB auch nichts aus dem entstandenen Rückgewährschuldverhältnis. Dies gilt insbesondere für den von der Beklagten in Zahlung genommenen Gebrauchtwagen des Klägers. Es kann dahinstehen, ob er berechtigt war, diesen anderweitig zu verkaufen, da sich das Rückgewährschuldverhältnis auch auf diesen Teil erstreckt und die Beklagte eine Übergabe des gebrauchten Pkw nicht mehr verlangen kann.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 280 I, II, 286 I BGB in Verbindung mit Abschnitt IV Nr. 2 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen zu dem Kaufvertrag vom 09.02.2024 in Verbindung mit § 86 I VVG und der Ermächtigung der R-Rechtsschutz-Schadenregulierung GmbH entsprechend § 185 I BGB auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.249,20 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2024.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. …