Ein fehlender Zweitschlüssel kann zwar ein Indiz dafür sein, dass ein zum Kauf angebotenes Kraftfahrzeug nicht dem Veräußerer gehört. Das Fehlen des Zweitschlüssels führt jedoch nicht automatisch dazu, dass der Erwerber im Sinne des § 932 II BGB bösgläubig ist.
LG Hannover, Urteil vom 04.09.2024 – 14 O 207/23
(nachfolgend: OLG Celle, Beschluss vom 28.02.2025 – 14 U 183/24)
Sachverhalt: Der Kläger begehrt von der Beklagten die Herausgabe eines Fahrzeugs VW T6 Multivan.
Dieses Fahrzeug war auf der Internetplattform „eBay Kleinanzeigen“ ab dem 26.03.2023 zum Kauf angeboten worden.
Nachdem der Sohn des Klägers aufgrund des Inserats Kontakt mit dem Verkäufer V aufgenommen hatte, fuhr der Kläger mit seinem Sohn am 05.04.2023 nach Niedersachsen und traf sich – wie zuvor vereinbart – mit V auf einem Parkplatz in Northeim. Dort nahm der Kläger Einsicht in den Fahrzeugschein (Zulassungsbescheinigung Teil I) und den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) sowie in einen „DEKRA-Bericht“. Nachdem der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug besichtigt und eine Probe gefahren hatte, kaufte er es von V zum Preis von 26.500 €. V erhielt von dem Kläger 26.000 € in bar; 500 € behielt der Kläger ein, weil V erklärte, er habe derzeit nur einen Fahrzeugschlüssel und werde einen zweiten Schlüssel später nachreichen. Dies wurde im schriftlichen Kaufvertrag entsprechend vermerkt.
Am 12.04.2023 befand sich das streitgegenständliche Fahrzeug in einer Werkstatt in X. Dort wurde es von der Polizei sichergestellt, nachdem die Beklagte am selben Tag Strafanzeige erstattet hatte, weil sie das für die Dauer von vier Tagen – vom 03.04. bis 06.04.2023 – an V vermietete Fahrzeug nicht zurückerhalten hatte. Im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft Hannover geführten Ermittlungsverfahrens stellte sich heraus, dass es sich bei den dem Kläger vorgelegten Zulassungsbescheinigungen um als solche nicht erkennbare Fälschungen handelte. Sie waren unter Verwendung echter Blankoformulare hergestellt worden, die zuvor bei einem Einbruch im Jahr 2022 entwendet worden waren. Auch die im Rahmen der Sicherstellung des Fahrzeugs eingesetzten Polizeibeamten stellten bei der Überprüfung der Fahrzeugpapiere zunächst keine Auffälligkeiten fest und bestätigten deren Echtheit. Unstimmigkeiten ergaben sich erst durch die am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen und eine anschließende Halterabfrage.
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde gemäß § 111n StPO an die Beklagte als Geschädigte herausgegeben, nachdem das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 12.09.2023 eine entsprechende Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 02.08.2023 bestätigt hatte.
Der Kläger meint, er habe gutgläubig das Eigentum an dem Fahrzeug erworben, sodass die Beklagte zu dessen Herausgabe verpflichtet sei. Einem gutgläubigen Eigentumserwerb stehe § 935 I BGB nicht entgegen. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei der Beklagten nicht im Sinne dieser Vorschrift abhandengekommen; vielmehr habe die Beklagte den Besitz an dem – an V vermieteten – Fahrzeug freiwillig aufgegeben. Er, der Kläger, habe nicht misstrauisch werden müssen, als V ihm mitgeteilt habe, der zweite Fahrzeugschlüssel befinde sich bei seinem Bruder und werde ihm, dem Kläger, nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub zugesandt. Wesentlich sei auch, dass der von ihm, dem Kläger, gezahlte Kaufpreis nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht erheblich unter dem für ein solches Fahrzeug üblicherweise zu zahlenden Kaufpreis gelegen habe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, der Kläger habe das Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht gutgläubig erworben. Vielmehr habe er grob fahrlässig nicht erkannt, dass V nicht der Eigentümer des Fahrzeugs gewesen sei, sodass er nicht gutgläubig gewesen sei (§ 932 II BGB). Verschiedene Auffälligkeiten – namentlich der fehlende Zweitschlüssel und der mit V vereinbarte Treffpunkt – hätten dem Kläger Anlass zu Nachforschungen geben müssen. Dass sich der Kläger den Fahrzeugbrief mit der richtigen Fahrzeug-Identifizierungsnummer habe vorlegen lassen, sei nicht ausreichend gewesen.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: I. … Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 985 BGB einen Anspruch auf Herausgabe des von ihm am 05.04.2023 erworbenen Pkw-Mehrzweckfahrzeugs VW T6 mit der im Tenor bezeichneten Fahrzeug-Identifizierungsnummer nebst den zugehörigen Fahrzeugpapieren sowie den Schlüsseln.
1. Der Kläger hat von dem nichtberechtigten Verkäufer V gemäß § 929 Satz 1, § 932 I 1, II BGB das Eigentum an dem von der Beklagten zuvor vermieteten Pkw erworben.
a) Der gutgläubige Erwerb ist nicht nach § 935 I 1 BGB ausgeschlossen. Die Sache ist nicht abhandengekommen. Indem die Beklagte das Fahrzeug zuvor an den Veräußerer vermietet und ihm überlassen hatte, hat sie ihren Besitz daran freiwillig aufgegeben.
b) Der Kläger handelte auch gutgläubig.
Gemäß § 932 II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der Kläger handelte nicht grob fahrlässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, juris Rn. 11) wird unter der hier nur in Betracht kommenden Alternative der groben Fahrlässigkeit im Allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers im vorgenannten Sinne liegt nicht vor.
Der Kläger hat das Fahrzeug unstreitig zu einem für ein solches Fahrzeug üblichen Preis erworben.
Die Entgegennahme des Fahrzeugs ohne Zweitschlüssel kann – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – unter Umständen ein Indiz für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit sein. Der Kläger hat vorliegend jedoch mit dem Einbehalt eines Teilbetrags des Kaufpreises reagiert und die Höhe des Einbehalts mit der eigenen Kenntnis von den Kosten für das Kodieren eines neuen Zweitschlüssels durch den Hersteller plausibel begründet. Der Kläger war entgegen der Auffassung der Beklagten vorliegend auch nicht gehalten, sich umgehend die Kontaktdaten des Bruders nennen zu lassen, um die Möglichkeit der sofortigen Abholung des Schlüssels prüfen zu können. Da sich nach den Angaben des Veräußerers der Bruder bei der Übergabe des Fahrzeugs im Urlaub befand, wäre ein solches Vorgehen nicht Erfolg versprechend gewesen. Auch aus dem Umstand, dass der Kläger und sein Sohn erst im Rahmen dieses Rechtsstreites angegeben haben, der Veräußerer habe mitgeteilt, der Bruder befinde sich im Urlaub, kann die Beklagte nichts für sich herleiten. Die Angabe steht nicht im Widerspruch zu den von der Beklagten selbst mitgeteilten (vgl. Schriftsatz v. 12.01.2024, S. 3) Angaben des Klägers beziehungsweise seines Sohns im Rahmen der polizeilichen Vernehmung. Im Gegenteil hat der Sohn bereits im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ausdrücklich angegeben, der Veräußerer habe mitgeteilt, der Schlüssel sei bei seinem Bruder. Ob durch den Veräußerer auch Angaben dazu gemacht wurden, wo sich der Bruder befinde, ist der Zeuge im Rahmen der Vernehmung nicht gefragt worden (vgl. Bl. 32 ff. der beigezogenen Ermittlungsakte). Der Vortrag im hiesigen Verfahren stellt also eine nachvollziehbare Ergänzung dar.
Weiter hat sich der Kläger die wesentlichen Unterlagen zum Fahrzeug, insbesondere die beiden Zulassungsbescheinigungen, aushändigen lassen. Zudem hat er die Dokumente eingesehen und die Fahrgestellnummer abgeglichen. Anlass zu einer weiteren Nachforschung bestand insoweit nicht. Ausweislich der als Anlage B1 beziehungsweise B2 in Kopie vorgelegten Fahrzeugpapiere war sowohl im Fahrzeugbrief als auch im Fahrzeugschein der Veräußerer V genannt. Unstreitig handelte es sich bei den Papieren zudem um später unbefugt bearbeitete Originaldokumente, deren fehlende Echtheit selbst den bei der Sicherstellung eingesetzten Polizeibeamten nicht auffiel. Angesichts dieser Umstände bestand für den Kläger auch kein Anlass zu größerem Misstrauen gegenüber dem Veräußerer. Eine Aufforderung zur Vorlage des Personalausweises beziehungsweise Passes war danach im Rahmen eines hier betroffenen Geschäfts unter Privaten ohne konkreten Anlass nicht geboten.
Dass der Kläger beziehungsweise sein Sohn unstreitig erst nach Rückkehr an den Wohnort mit dem Verkäufer Kontakt aufnahmen, um die EG-Übereinstimmungsbescheinigung zu erhalten, stellt ebenfalls keinen Umstand dar, der das Verhalten des Klägers als grobe Sorgfaltspflichtsverletzung erscheinen ließe. Es handelt sich bei der Bescheinigung – anders als beim Fahrzeugbrief – um kein für den Eigentumserwerb wesentliches Dokument. Überdies erscheint es plausibel und ist letztlich auch nicht zu widerlegen, dass der Kläger bei Vertragsabschluss schlicht nicht an die Bescheinigung gedacht hat.
Der Treffpunkt für die Übergabe war ebenfalls kein Anlass für erweiterte Nachforschungen des Klägers. Bei einem Fahrzeug als Kaufgegenstand liegt es auf der Hand, dass Besichtigung und Probefahrt nicht in der Wohnung des Verkäufers erfolgen können. Insoweit erscheint es auch naheliegend, „die Formalitäten“ direkt an dem Ort zu erledigen, an dem das Fahrzeug präsentiert wird. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Parkplatz aufgrund von Besonderheiten, etwa seiner Lage (besonders einsam bzw. abgelegen, schlecht einsehbar etc.) den Kläger zu weiteren Nachforschungen hätte veranlassen müssen. Zudem hat der Verkäufer nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers auch einen sachlichen Grund für die Durchführung der Verhandlung auf dem Parkplatz genannt, indem er mitgeteilt hat, die Wohnung stehe wegen der aus Anlass des Ramadan zahlreich erschienen Familie nicht zur Verfügung.
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände hat der Kläger die erforderliche Sorgfalt nicht in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Er ist Eigentümer des VW T6 geworden.
2. Die Beklagte ist als Besitzerin des VW T6 Multivan danach verpflichtet, das Fahrzeug mit den zugehörigen Fahrzeugpapieren an den Kläger als Eigentümer herauszugeben. …
Hinweis: Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht Celle hat sie mit Beschluss vom 28.02.2025 – 14 U 183/24 – zurückgewiesen.