1. Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Wert des Beschwerdegegenstands nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen. Soweit diese Hauptforderung jedoch nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht um eine Nebenforderung.
  2. Der Wert dieses Anteils ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der von den gesamten nach der Klagedarstellung vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen sind, die entstanden wären, wenn der Rechtsanwalt auch vorprozessual den Anspruch nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er Gegenstand der Klage geworden ist.

BGH, Beschluss vom 07.07.2020 – VI ZB 66/19

Sachverhalt: Der Kläger nimmt nach einem Verkehrsunfall die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer sowie den Beklagten zu 2 als Fahrer und Fahrzeughalter auf Schadensersatz in Anspruch. Vertreten durch einen Rechtsanwalt machte er vorgerichtlich einen Sachschaden in Höhe von 1.053,91 € geltend, den die Beklagte zu 1 in Höhe von 526,96 € regulierte. Die Kosten für die außergerichtliche Vertretung des Klägers durch den Rechtsanwalt wurden nicht beglichen.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung weiterer 526,96 € und die Freistellung von vorgerichtlich angefallenen, nach einem Gegenstandswert von 1.053,91 € berechneten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 €.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 16.10.2018 als unzulässig verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hat der VI. Zivilsenat des BGH den Beschluss des Landgerichts durch Beschluss vom 30.04.2019 – VI ZB 48/18 – aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich der für die rechtliche Überprüfung erforderliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel des Klägers der angefochtenen Entscheidung nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen ließen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30.09.2019 hat das Landgericht die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt, erneut als unzulässig verworfen und den Streitwert auf 581,11 € festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Berufung nicht zugelassen worden sei und der Rechtsmittelwert nach § 511 II ZPO nicht erreicht werde. Hinsichtlich der – über die begehrte Zahlung von 526,96 € hinausgehenden – vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten sei zu unterscheiden. Soweit diese auf die noch geltend gemachte Hauptforderung in Höhe von 526,96 € entfielen, handle es sich um eine nicht streitwerterhöhende Nebenforderung. Bei einem Streitwert von 526,96 € entspreche dies einem Betrag von 147,56 €. Nur soweit mit der Klage weitere, zuvor angefallene vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren aus einem Streitwert von 1.053,92 € geltend gemacht würden, handle es sich um eine weitere Hauptforderung. Diese entspreche (201,71 € − 147,56 € =) 54,15 €, sodass sich insgesamt ein Beschwerdewert von (526,96 € + 54,15 € =) 581,11 € ergebe.

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

[4]    Aus den Gründen: II. Die gemäß § 574 I 1 Nr. 1, § 522 I 4 ZPO statthafte und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig erhobene (§ 574 II Nr. 2, § 575 III Nr. 2 ZPO) Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteigt (§ 511 II Nr. 1 ZPO).

[5]    1. Insbesondere hat das Berufungsgericht dabei den Wert des vom Kläger mit seiner Berufung weiterverfolgten Antrags auf Freistellung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht zu gering bemessen.

[6]    a) Die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands bei Rechtsmitteln richtet sich – wie sich aus § 2 ZPO ergibt – nach den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, NJW 2019, 1531 Rn. 12). Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Wert des Beschwerdegegenstands (und entsprechend den Streitwert) nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen (§ 4 I Halbsatz 2 ZPO). Soweit diese Hauptforderung jedoch nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht um eine Nebenforderung, weil es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (vgl. Senat, Beschl. v. 20.05.2014 – VI ZB 49/12, NJW 2014, 3100 Rn. 5 f.; Beschl. v. 17.02.2009 – VI ZB 60/07, VersR 2009, 806 Rn. 4 ff.). Danach erhöht die vom Kläger beantragte Freistellung von Rechtsanwaltskosten den Wert des Beschwerdegegenstands, soweit sie denjenigen Teil des vorprozessual in Höhe von 1.053,91 € geltend gemachten Sachschadens betrifft, den die Beklagte zu 1 vor Klageerhebung regulierte.

[7]    b) Das Berufungsgericht hat den Anteil der beantragten Freistellung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten, der den Wert des Beschwerdegegenstands (und entsprechend den Streitwert) erhöht, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu gering bewertet. Es hat zutreffend angenommen, dass der Wert dieses Anteils durch eine Differenzrechnung zu ermitteln ist, bei der von den gesamten nach der Klagedarstellung vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen sind, die entstanden wären, wenn der Rechtsanwalt auch vorprozessual den Anspruch nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er Gegenstand der Klage geworden ist (vgl. KG, Beschl. v. 18.02.2008 – 2 AR 7/08, DAR 2008, 431, juris Rn. 12 [Streitwert]; Feldmann, r+s 2016, 546, 551; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 4 Rn. 13; a. A. LG Saarbrücken, Urt. v. 01.06.2018 – 13 S 151/17, NJW-RR 2018, 1339 Rn. 22 [Streitwert]; NK-GK/N. Schneider, 2. Aufl., § 43 GKG Rn. 29 ff.; ders., AGS 2018, 407, 408; Geigel/Wern, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 40 Rn. 26; offen OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.11.2019 – 1 W 82/19, NJW-RR 2020, 317 Rn. 14 ff. [Streitwert]).

[8]    Denn entsprechend ist nicht nur der Wert des Prozesskostenanteils zu ermitteln, der auf den einseitig für erledigt erklärten Teil eines Rechtsstreits entfällt (vgl. BGH, Beschl. v. 31.03.2020 – XI ZR 577/18, juris Rn. 4; Beschl. v. 27.09.2017 – VIII ZR 100/17, AGS 2018, 124 = juris Rn. 2; Beschl. v. 02.02.2016 – XI ZR 138/15, juris Rn. 3; Beschl. v. 02.06.2015 – XI ZR 323/14, juris; Beschl. v. 28.06.2010 – III ZR 47/09, juris Rn. 5; Beschl. v. 13.07.2005 – XII ZR 295/02, NJW-RR 2005, 1728, juris Rn. 10; Beschl. v. 25.09.1991 – VIII ZR 157/91, WM 1991, 2009 = juris Rn. 3 f.; Beschl. v. 13.07.1988 – VIII ZR 289/87, NJW-RR 1988, 1465, juris Rn. 4; s. weiter Senat, Beschl. v. 18.09.2018 – VI ZB 26/17, NJW-RR 2019, 189 Rn. 7). Bei einer Teilerledigungserklärung ist eine solche Differenzrechnung auch hinsichtlich der vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten durchzuführen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.09.2017 – VIII ZR 100/17, AGS 2018, 124, juris Rn. 3 [Streitwert]).

[9]    Es ist nicht ersichtlich, warum die Wertermittlung bei behauptetem teilweisen Erlöschen der (Haupt-)Forderung vor Klageerhebung (wie im vorliegenden Fall) anders erfolgen sollte als bei behauptetem teilweisen Erlöschen der (Haupt-)Forderung nach Klageerhebung und anschließender Teilerledigungserklärung. Im Übrigen weist die Rechtsbeschwerde zwar zutreffend darauf hin, dass dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen ist, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (vgl. Senat, Urt. v. 05.12.2017 – VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Rn. 2, 7 f.; Urt. v. 09.01.2018 – VI ZR 82/17, NJW 2018, 937 Rn. 2 ff., 9 f.), und dass bei einer nicht begründeten Zuvielforderung keine anteilige Kürzung erfolgt, die wegen der degressiven Gebührensteigerung zu geringeren ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten führen würde (vgl. BGH, Urt. v. 07.11.2007 – VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 Rn. 10, 13; N. Schneider, AnwBl 2008, 282; Enders, JurBüro 2008, 169). Aus diesem materiell-rechtlichen Maßstab können jedoch keine Schlüsse zur Abgrenzung sowie anteiligen Bewertung von Haupt- und Nebenforderung i. S. von § 4 I Halbsatz 2 ZPO gezogen werden. Schließlich ist die mögliche Auswirkung, „dass sich der Wert […] im Laufe des Verfahrens beliebig durch Klageerweiterungen oder -rücknahmen ändern könnte“, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein „unerträgliche[s] Ergebnis“ der Differenzberechnung. Vielmehr ist es nicht ungewöhnlich, dass Klageerweiterungen und -rücknahmen Auswirkungen auf Beschwerde- und Streitwert haben.

[10]   2. Danach liegt auch kein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren vor, da das Berufungsgericht dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert hat.

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