1. Dass die Software, die in einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagen zum Einsatz kommt, eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10, 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist, steht aufgrund eines andere Behörden und Gerichte bindenden bestandskräftigen Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015 fest. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung stellt einen Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB dar.
  2. Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen VW Tiguan 2.0 TDI BMT Sport & Style der ersten Generation hat schon deshalb keinen Anspruch auf Ersatzlieferung (§§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB), weil Fahrzeuge der ersten Generation nicht mehr hergestellt werden und deshalb eine Ersatzlieferung i. S. des § 275 I BGB unmöglich ist.
  3. Die Ersatzlieferung (§ 439 I Fall 2 BGB) eines VW Tiguan II kann der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen VW Tiguan I auch dann nicht verlangen, wenn Bestandteil des Kaufvertrages ein Änderungsvorbehalt i. S. des § 308 Nr. 4 BGB ist. Ein solcher Vorbehalt erweitert nämlich einseitig die Rechte des Verkäufers, während er gleichzeitig die Rechte des Käufers auf eine Billigkeitskontrolle beschränkt. Er kann deshalb bei einer Auslegung des Kaufvertrages nicht zur Begründung einer Benachteiligung des Verkäufers bei gleichzeitiger Erweiterung der Rechte des Käufers herangezogen werden.
  4. Bei der gemäß § 439 III 3 BGB erforderlichen Prüfung, ob auf eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) ohne erhebliche Nachteile für den Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens zurückgegriffen werden kann, ist zu berücksichtigen, dass der Käufer das Fahrzeug ohne jede Einschränkung nutzen kann, mithin der dem Fahrzeug anhaftende Mangel nur eine geringe Bedeutung hat. Ferner steht aufgrund eines entsprechenden Freigabebescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes fest, dass eine Nachbesserung durch Installation eines Softwareupdates keine technischen Nachteile (z. B. Erhöhung des Kraftstoffverbrauchs, Erhöhung des CO2-Ausstoßes, Verringerung der Motorleistung) zur Folge hat.
  5. Bei der Prüfung, ob eine Ersatzlieferung (§ 439 I Fall 2 BGB) im Vergleich zu einer Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, sind die Kosten für die Entwicklung des zur Nachbesserung erforderlichen Softwareupdates nur anteilig für das einzelne Fahrzeug zu berücksichtigen.

LG Braunschweig, Urteil vom 01.06.2017 – 3 O 1276/16

Sachverhalt: Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal die Ersatzlieferung (§ 439 I Fall 2 BGB) eines Neufahrzeugs.

Sie erwarb am 18.08.2014 von der für die Beklagten einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI BMT Sport & Style (103 kW/140 PS) der ersten Modellgeneration zu einem rabattierten Kaufpreis von 31.879 €. Das Fahrzeug wurde am 01.09.2014 auf die Klägerin erstzugelassen und ihr anschließend übergeben.

In den Kaufvertrag wurden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten einbezogen. Sie enthalten im Abschnitt IV folgende Klausel:

„6. Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers bleiben während der Lieferzeit vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder der Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte hergeleitet werden.“

Der streitgegenständliche Pkw ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 (Euro 5) ausgestattet. Mit – nicht angefochtenem – Bescheid vom 15.10.2015 stellte das Kraftfahrt-Bundesamt fest, dass die Motoren dieser Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10, 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet sind, und ordnete als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typgenehmigungen gemäß § 25 II EG-FGV an, dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge zu ergreifen und dies durch geeignete Nachweise zu belegen.

Die Klägerin forderte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 26.01.2016 gestützt auf §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB auf, ihr bis zum 08.03.2016 einen nach den aktuellen Vorschriften zulassungsfähigen, mangelfreien und vertragsgemäßen Neuwagen zu liefern.

Mit Bescheid vom 01.06.2016 bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt unter Bezugnahme auf seinen Bescheid vom 15.10.2015, dass für die betroffenen Fahrzeugtypen aus Cluster 6 (dazu gehört u. a. der VW Tiguan) der von der Beklagten verlangte Nachweis geführt wurde und die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen. Die Beklagte informierte die Klägerin davon mit Klageerwiderung vom 26.10.2016 und teilte des Weiteren mit, dass die technische Überarbeitung ihres Fahrzeugs bereits möglich sei. Mit Schriftsatz vom 13.01.2017 wies die Beklagte nochmals ausdrücklich darauf hin, dass eine Softwarelösung für das Fahrzeug der Klägerin zur Verfügung stehe, und forderte die Klägerin auf, sich zur Vereinbarung eines Installationstermins mit ihr in Verbindung zu setzen. Dem ist die Klägerin, die das Fahrzeug weiterhin ohne Gebrauchseinschränkungen nutzt, nicht nachgekommen.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe gegen die Beklagte mangelbedingt einen Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion. Diesen Anspruch stützt die Klägerin in erster Linie auf kaufrechtliche Gewährleistung, in zweiter Linie auf die Grundsätze der Prospekthaftung und schließlich auf unerlaubte Handlung. Sie behauptet, dass das ihr von der Beklagten angebotene Softwareupdate nicht zu einer Mängelbeseitigung führe, weil sich durch die Installation dieses Updates der Kraftstoffverbrauch und der CO2-Ausstoß ihres Fahrzeugs erhöhten und sich die Motorleistung verringere. Außerdem verbleibe auch nach der Installation des Updates ein merkantiler Minderwert.

Die Beklagte meint, es liege schon kein Sachmangel vor. Selbst wenn ein solcher gegeben wäre, könnte die Klägerin nicht die Ersatzlieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion verlangen, sondern nur die Ersatzlieferung desselben Modells. Diese sei aber unmöglich, jedenfalls aber wäre sie im Vergleich zu der von ihr – der Beklagten – angebotenen Nachbesserung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. … Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeugs zu, und zwar weder aus §§ 434 I, 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB (1) noch aus §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung (2) oder aus § 823 II BGB bzw. § 826 BGB (3). Mangels Begründetheit der Hauptforderung sind auch die Klageanträge zu 2 und zu 3 unbegründet.

1. Das streitgegenständliche Fahrzeug war zwar bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet war, die aufgrund des Bescheides des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015 zu beseitigen ist, womit der Klägerin die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB grundsätzlich eröffnet sind (a). Doch kann sie von der Beklagten keine Nachlieferung aus der aktuellen Serienproduktion verlangen, sondern allenfalls die Lieferung desselben Modells (b). Eine solche wäre indes – wie von der Beklagten weiter eingewandt – unmöglich (c), jedenfalls aber beschränkt sich der Anspruch der Klägerin gemäß § 439 III BGB auf die von der Beklagten angebotene Nachbesserung (d).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der die Kammer folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. hierzu und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 21.09.2006 – IX ZR 89/05, NJW-RR 2007, 398 Rn. 14 m. w. Nachw.). Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, das heißt ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zugrunde zu legen.

Durch die bestandskräftigen Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015 und vom 01.06.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt,

  • dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt;
  • dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, diese unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen ist;
  • dass für die betroffenen Fahrzeuge dieser Nachweis inzwischen geführt wurde und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen;
  • dass das Kraftfahrt-Bundesamt dabei folgende Sachverhalte mit folgenden Ergebnissen überprüft hat: keine unzulässige Abschalteinrichtungen mehr, vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig, Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen eingehalten, ursprünglich vom Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen technischen Dienst bestätigt, bisherige Motorleistung und maximales Drehmoment unverändert sowie bisherige Geräuschemissionswerte unverändert.

Aus diesen Feststellungen und Regelungen ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung, dass

  • es sich bei der unzulässigen, zu beseitigenden Abschalteinrichtung um einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB handelt und dass

b) Eine Nachlieferung aus der aktuellen Serienproduktion kann die Klägerin von der Beklagten schon deshalb nicht beanspruchen, weil die Auslegung des Kaufvertrages nicht ergibt, dass die Klägerin im Falle eines Mangels einen Anspruch auf Lieferung des Nachfolgemodells der zweiten Modellgeneration des VW Tiguan hat. Der Nachlieferungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB beschränkt sich vielmehr auf die Lieferung einer anderen Sache, die der verkauften Sache gleich, aber mangelfrei ist (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 437 Rn. 7), kann also nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch.

Die Klägerin hat das substanziierte Vorbringen der Beklagten, dass die erste, auf der PQ35/A5-Plattform gebaute Modellgeneration des VW Tiguan nicht mehr hergestellt werde und das auf dem Markt befindliche Nachfolgemodell der zweiten Modellgeneration auf dem neuen modularen Querbaukasten … basiere sowie sich von der Vorgängergeneration hinsichtlich Baureihe, Typ, Karosserie und Motor fundamental unterscheide, nur mit Nichtwissen, das heißt unter Außerachtlassung der dazu öffentlich zugänglichen Informationsquellen, mithin nicht hinreichend bestritten.

Dass die Klägerin einen Anspruch auf die Lieferung eines VW Tiguan aus der aktuellen Serienproduktion hat, lässt sich auch nicht aus der von ihr zitierten Klausel IV 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen herleiten. Diese Klausel stellt nämlich rechtlich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verkäufers gemäß § 315 I BGB, das heißt eine einseitige Erweiterung der Rechte des Verkäufers bei gleichzeitiger Beschränkung des Rechtes des Käufers auf eine Billigkeitskontrolle dar. Das verbietet es, sie im Wege der Vertragsauslegung zur Begründung einer Benachteiligung des Verkäufers bei gleichzeitiger Erweiterung der Rechte des Käufers heranzuziehen (vgl. LG Braunschweig, Urt. v. 19.05.2017 – 11 O 3605/16, juris Rn. 23).

c) Da die erste Modellgeneration des VW Tiguan als Neufahrzeug nicht mehr bestellbar ist, ist die Nachlieferung einer mangelfreien Sache unmöglich geworden. Ein Anspruch der Klägerin auf diese Leistung besteht mithin schon gemäß § 275 I BGB nicht.

d) Doch selbst wenn sie noch möglich wäre, wäre sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich. § 439 III BGB ist richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass nur die Berufung auf die relative Unverhältnismäßigkeit der vom Käufer gewählten Art der Nachlieferung statthaft ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16, juris Rn. 34 m. w. Nachw.). Zu vergleichen sind daher die voraussichtlichen Kosten der von der Beklagten angebotenen Nachbesserung auf der einen Seite mit denen der von der Klägerin geforderten Nachlieferung auf der anderen Seite. Bei der dafür vorzunehmenden Gesamtabwägung sind gemäß § 439 III 2 BGB der Wert des Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die von der Beklagten angebotene Nachbesserung ohne erhebliche Nachteile für die Klägerin zurückgegriffen werden kann.

Die Bedeutung des Mangels ist für die Klägerin selbst gering, weil sie das Fahrzeug unstreitig weiterhin ohne jegliche Gebrauchseinschränkungen nutzt. Die von der Klägerin geltend gemachten unmittelbaren Nachteile der vom Beklagten angebotenen Mängelbeseitigung (Erhöhung von Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß, Verringerung der Leistung) sind durch die Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamt im Freigabebescheid vom 01.06.2016 widerlegt. Soweit die Klägerin darüber hinaus die Dauerhaltbarkeit bezweifelt und einen verbleibenden merkantilen Minderwert befürchtet, ist ihr Vorbringen gegenüber dem qualifizierten Bestreiten seitens der Beklagten nicht hinreichend substanziiert. Die Behauptung der „bis heute nicht geklärten“ Dauerhaltbarkeit erfolgt ins Blaue hinein und bietet deshalb keine konkreten Anknüpfungstatsachen für die angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch zum behaupteten merkantilen Minderwert würde die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen. Dies deshalb, weil der Kraftfahrzeugmarkt schon grundsätzlich sehr transparent ist (vgl. die monatlichen sog. Schwacke-Listen) und zudem gerade die Auswirkungen des streitgegenständlichen „Abgasskandals“ auf das Marktgeschehen Gegenstand regelmäßiger Marktbeobachtungen und Presseveröffentlichungen sind, sodass es der Klägerin ohne Weiteres möglich wäre, etwaige Wertverschiebungen, die gerade auf die unzulässige Abschalteinrichtung und nicht etwa darauf zurückzuführen sind, dass Dieselfahrzeuge aus anderen Gründen in der Gunst des Marktes nachgelassen haben, bezogen auf ihr konkretes Auto darzulegen (vgl. LG Braunschweig, Urt. v. 25.04.2017 – 11 O 4/17, juris Rn. 19). Daran fehlt es hier.

Die Beklagte hat die Kosten der von ihr angebotenen Mängelbeseitigung mit circa 35 € (40 Zeiteinheiten, d. h. 24 Minuten Arbeitszeit für Softwareinstallation × durchschnittlicher Lohnstundensatz … von 87 € netto = 34,80 €) beziffert sowie die Kosten einer Nachlieferung mit mindestens 6.254,24 € (31.879,24&€ Kaufpreis − 25.625 € von der Klägerin bezifferter Wert des zurückgegebenen Fahrzeugs). Danach würden die Nachlieferungs- die Nachbesserungskosten um das 177-fache (!) übersteigen. Auch wenn die Klägerin die angesetzten Kosten im Einzelnen bestritten hat, bedarf es auch insoweit keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens, weil die voraussichtlichen Kosten ohnehin zu schätzen (vgl. Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 439 Rn. 16a), mithin auch einer richterlichen Schätzung gemäß § 287 II ZPO zugänglich sind und es auf der Hand liegt, dass sich die Lieferung eines Neufahrzeugs gegen Rücknahme eines inzwischen zwei Jahre und neun Monate lang gefahrenen Gebrauchtwagens gegenüber dem geringen Aufwand für die technische Überarbeitung mittels reinen Softwareupdates als evident unverhältnismäßig darstellt. Anders als die Klägerin meint, würde auch die Einbeziehung der Software-Entwicklungskosten nicht zu einem anderen Ergebnis führen, weil diese auf die Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge „umgelegt“ werden müssten. So hat die Beklagte diese Entwicklungskosten mit insgesamt 52,5 Mio. € für 10 Millionen Fahrzeuge veranschlagt, sodass pro Fahrzeug lediglich weitere Kosten von 5,25 € zu berücksichtigen wären.

Nach alledem beschränkt sich der Anspruch der Klägerin gemäß § 439 III BGB auf die von der Beklagten angebotene Mängelbeseitigung. Das hat allerdings auch zur Folge, dass der Klägerin gegen die Beklagte im Falle des Fehlschlagens der Nachbesserung die Rechte aus § 440 BGB zustehen.

2. Für einen Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der – spezialgesetzlich nicht geregelten – Prospekthaftung gemäß §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB ist daneben kein Raum. Eine Haftung im vorgenannten Sinne wurde von der Rechtsprechung für den sogenannten Grauen, das heißt nicht organisierten Kapitalmarkt vor dem Hintergrund entwickelt, dass in jenem Markt der Emissionsprospekt die einzige Informationsquelle für den interessierten Kapitalanleger darstellt. Nur wenn die dortigen Angaben vollständig und richtig sind, kann der Interessent die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilten und vor allem sein Anlagerisiko richtig einschätzen (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.1990 – VII ZR 340/88, BGHZ 111, 314 ff.). Im vorliegenden Fall eines Autokaufs ist die Grundsituation gänzlich anders. Der Kunde kann sich nicht nur aus Verkaufsprospekten, sondern auch aus Testberichten einer Vielzahl einschlägiger Zeitschriften informieren. Ferner kann er sich ein vergleichbares Fahrzeug im Showroom anschauen und gegebenenfalls sogar Probe fahren (vgl. LG Braunschweig, Urt. v. 19.05.2017 – 11 O 3605/16, juris Rn. 25).

3. Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung aus § 823 II BGB bzw. § 826 BGB scheiden unabhängig von den dazu vorgebrachten Schutzgesetzen, ob § 263 StGB oder § 4 UWG bzw. § 16 UWG bis hin zum EG-Typgenehmigungsrecht, hier schon deshalb aus, weil solche Ansprüche gemäß § 249 BGB immer auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet sind. Mit der begehrten Lieferung des Neufahrzeugs beansprucht die Klägerin aber das positive Interesse. …

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