- Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, dass die einschlägigen Emissionsgrenzwerte – hier: die Euro-5-Emissionsgrenzwerte – nur während eines Emissionstests auf dem Prüfstand einhält, weil eine Software die Testsituation erkennt und einen eigens dafür vorgesehenen Betriebsmodus aktiviert, in dem erheblich weniger Stickoxid ausgestoßen wird als beim Normalbetrieb des Fahrzeugs, ist mangelhaft. Denn zur i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB üblichen Beschaffenheit eines Pkw gehört es, dass er die einschlägigen Emissionsgrenzwerte auch beim regulären Betrieb im Straßenverkehr einhält.
- Bei der Beurteilung, ob die Pflichtverletzung des Verkäufers, die in der Lieferung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs liegt, i. S. des § 323 V 2 BGB unerheblich ist und deshalb einen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag nicht rechtfertigt, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis gering sind. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls, bei der auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Käufers abzustellen ist. Dabei fallen auch künftige Umstände ins Gewicht, die nicht sicher prognostiziert werden können, aber jedenfalls nicht fernliegen.
- Bei der Beurteilung, ob einem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag § 323 V 2 BGB entgegensteht, ist deshalb etwa zu berücksichtigen, dass das zur Nachbesserung der vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge erforderliche Softwareupdate zu Schäden am Motor führen könnte, die erst nach längerem Betrieb des Fahrzeugs zutage treten. Ebenso muss in die Beurteilung einfließen, dass der Verkaufswert eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs trotz Nachbesserung gemindert bleiben könnte.
- Eine Nachbesserung durch die Installation eines Softwareupdates (§439 I Fall 1 BGB) ist dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar. Denn weder kann ausgeschlossen werden, dass das Softwareupdate zu Schäden am Motor führt, noch ist auszuschließen, dass der Verkaufswert des Fahrzeugs trotz der Installation des Softwareupdates gemindert bleibt.
- Darüber hinaus ist dem Käufer eine Nachbesserung deshalb unzumutbar, weil die – nicht Partei des Kaufvertrags gewordene – Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal arglistig gehandelt hat. Denn eine Nacherfüllung ist dem Käufer i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien nachhaltig gestört ist. Dafür genügt es, dass der Vertrauensverlust des Käufers zwar primär aus einem (früheren) Verhalten der Volkswagen AG resultiert, er sich aber auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien auswirkt, weil der Verkäufer bei der Nachbesserung ein von der Volkswagen AG entwickeltes Softwareupdate verwenden muss.
LG Köln, Urteil vom 18.05.2017 – 2 O 422/16
Sachverhalt: Auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung vom 29.09.2012 erwarb der Kläger von der Beklagten, einer VW-Vertragshändlerin, einen gebrauchten Audi Q3 2.0 TDI zum Preis von 30.000 €. Das Fahrzeug war im Mai 2012 erstzugelassen worden und wies eine Laufleistung von 16.271 km auf.
Es ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet, der – softwaregesteuert – im Modus 0 oder im Modus 1 betrieben wird. Modus 1 wird automatisch aktiviert, sobald der Pkw auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert; in allen anderen Situationen – also auch beim regulären Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr – ist Modus 0 aktiv. Im Modus 1 ist der Stickoxidausstoß erheblich niedriger als im Modus 0 mit der Folge, dass die Euro-5-Emissionsgrenzwerte eingehalten werden.
Am 01.06.2016 gab das Kraftfahrt-Bundesamt ein vom VW-Konzern entwickeltes Softwareupdate frei. Damit kann die Motorsteuerungssoftware bei Fahrzeugen des streitgegenständlichen Typs so verändert werden, dass der Stickoxidausstoß auch im regulären Betrieb den Euro-5-Grenzwert nicht überschreitet. Das Update, das der Volkswagen-Konzern den Haltern betroffener Fahrzeuge seit dem 30.09.2016 anbietet, kann in einer Vertragswerkstatt mit einem Zeitaufwand von weniger als einer Stunde installiert werden.
Der Kläger erklärte mit anwaltlichem Schreiben vom 26.10.2016 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Gleichzeitig setzte er der Beklagten – erfolglos – eine Frist für die Rückabwicklung dieses Vertrages bis zum 03.11.2016.
Die Klage hatte weit überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 30.000 € abzüglich gezogener Gebrauchsvorteile in Höhe von 3.933,27 €, mithin 26.066,73 €, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des … Fahrzeugs (§§ 346 I, 348, 437 Nr. 2 Fall 2, 323 I BGB). Lediglich die Gebrauchsvorteile waren geringfügig höher anzusetzen, und es besteht kein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten.
1. Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger einen Sachmangel auf, weil es die Euro-5-Abgasnorm jedenfalls in Bezug auf den Stickoxidausstoß nicht erfüllte. Die Einhaltung dieser Norm war geschuldet, weil es der üblichen Beschaffenheit entspricht, dass ein Pkw-Motor die Abgasvorschriften einhält, die in den technischen Daten der Prospekte angegeben sind.
Dass das Fahrzeug die Vorgaben der Norm nicht einhielt, folgt schon aus dem Umstand, dass die Abgasbehandlung in zwei verschiedenen Modi vorgenommen wurde, von denen einer für die Situation auf Prüfständen galt. In diesem Modus war der Stickoxidausstoß so stark reduziert, dass die Vorgaben der Norm erfüllt wurden. Eine solche differenzierte Motorsteuerung je nach Situation war aus Sicht der Entwickler nur dann nötig, wenn das Fahrzeug im anderen Modus – auf der Straße – die Euro-5-Norm in Bezug auf Stickoxid nicht einhielt.
Die Ansicht der Beklagten, es komme rechtlich nur auf die Situation auf dem Prüfstand an, ist abwegig. Abgas- und Verbrauchswerte auf dem Prüfstand müssen zwar nicht mit denen im Straßenbetrieb übereinstimmen; Letztere sind höher. Jedoch muss die Motorsteuerung in beiden Situationen gleich sein, damit die Werte auf dem Prüfstand und auf der Straße zumindest korrelieren (so auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 25).
2. Die Pflichtverletzung der Beklagten ist nicht unerheblich. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dabei nicht nur auf die Kosten des Softwareupdates in Relation zum Kaufpreis abzustellen. Vielmehr ist eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nötig. Bei dieser fallen weitere Faktoren ins Gewicht, wie sie im Urteil des LG Köln vom 02.03.2017 – 2 O 317/16 – dargelegt worden sind:
a) Die Erheblichkeit wird indiziert, wenn der Mangel einen für den Gläubiger wesentlichen Qualitätsaspekt betrifft. Dies ist anzunehmen, denn die Einordnung in die Euro-5-Norm ist auch Voraussetzung für die möglichst weitgehende räumliche Benutzbarkeit des Autos, da der Betrieb von umweltschädlichen Pkw jedenfalls im Zentrum von Großstädten in den letzten Jahren eingeschränkt wurde und anzunehmen ist, dass weitere Einschränkungen folgen werden.
b) Arglist des Vertragspartners führt in der Regel dazu, dass die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist. Arglistig gehandelt hat vorliegend der Volkswagen-Konzern, nicht die Beklagte. Jedoch spielt die Arglist der Herstellerin auch in dieser Konstellation eine Rolle: Ein Softwareupdate kann die Klägerin nicht von der Beklagten beziehen, sondern nur von der Herstellerin (über die Beklagte oder eine andere Vertragswerkstatt). Die Klägerin hat wenig Anlass, der Herstellerin in Bezug auf Motorsoftware zu vertrauen, nachdem diese sowohl die Behörden als auch ihre Kunden über Jahre hinweg systematisch irregeführt hat.
c) Die Motorsteuerung ist ein besonders sensibler Bereich eines Autos. Nicht ohne Grund erlischt die Herstellergarantie, wenn im Wege des sogenannten Chip-Tunings die Software eines nicht autorisierten Drittanbieters aufgespielt wird. So, wie der Hersteller beim Chip-Tuning befürchtet, dass es zu Spätschäden am Motor kommt, hat vorliegend der Kläger Grund zur Sorge, das Softwareupdate könne bislang unbekannte Folgen für seinen Motor haben, die erst nach längerem Betrieb zutage treten.
d) Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass das Fahrzeug auch nach Aktualisierung der Software mit einem Makel behaftet ist, der den Wiederverkaufswert mindert. Dem steht nicht entgegen, dass bisherige Marktuntersuchungen keinen Wertverfall von Pkw mit EA-189-Motor ergeben haben. Es ist allgemein bekannt, dass in ganz Deutschland eine Vielzahl von Klagen, die auf Rückabwicklung gerichtet sind, anhängig ist. Dies indiziert, dass eine Vielzahl von Käufern die Absicht hat, sich – vorzeitig – von ihrem Fahrzeug zu trennen. Dieses zusätzliche Angebot ist derzeit noch nicht auf dem Markt, weil die Käufer zunächst den Ausgang ihrer Prozesse abwarten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind ein möglicherweise verbleibender Makel sowie ein möglicher späterer Motorschaden nicht deswegen außer Betracht zu lassen, weil es sich (nur) um „Spekulation“ handelt. Es geht insoweit nicht um die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht. Zu fragen ist vielmehr, ob der Mangel mehr als nur unerheblich ist. Unter diesem Blickwinkel fallen auch solche künftigen Umstände ins Gewicht, die nicht sicher prognostiziert werden können, aber jedenfalls nicht fernliegen.
Die genannten Umstände wiegen in der Gesamtbetrachtung deutlich schwerer als der vergleichsweise geringe Kostenaufwand eines Softwareupdates.
3. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung war nicht erforderlich. Eine Nacherfüllung kommt aus tatsächlichen Gründen nur in Gestalt der Nachbesserung durch ein Softwareupdate in Betracht. Ein Softwareupdate ist dem Kläger jedoch nicht zumutbar (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB). Die Unzumutbarkeit folgt aus den oben (2 b–d) genannten Gründen.
Nach Auffassung des Gerichts ist auch im Rahmen der Unzumutbarkeit nicht Arglist der Beklagten erforderlich, sondern es genügt, dass die Herstellerin arglistig gehandelt hat. § 440 Satz 1 Fall 3 BGB geht weiter als § 323 II Nr. 3 BGB, der eine Abwägung der beiderseitigen Interessen verlangt. § 440 Satz 1 Fall 3 BGB erfasst darüber hinaus alle Fälle, in denen das Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien erheblich gestört ist; dazu zählt auch ein Vertrauensverlust, der primär aus dem früheren Verhalten der Herstellerin folgt, aber auf das Verhältnis der Vertragsparteien durchschlägt. Dies wiederum ist vorliegend der Fall, weil die Nachbesserung zwar von der Beklagten vorgenommen werden kann, aber nur unter Verwendung eines von der Herstellerin entwickelten Softwareupdates.
4. Die Gebrauchsvorteile des Klägers sind mit 3.933,27 € anzusetzen. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem 2,0-Liter-TDI-Motor ausgestattet, der grundsätzlich langlebig ist; eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km kann berechtigt erwartet werden. Der Kläger erwarb das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 16.271 km, sodass er noch 233.729 km mit dem Pkw hätte zurücklegen können. Tatsächlich ist er bis dato 30.644 km mit dem Wagen gefahren …. Die Gebrauchsvorteile errechnen sich demnach wie folgt:
$${\frac{\text{30.000 €}\times\text{30.644 km}}{\text{233.729 km}}} = 3.933,27\,€.$$
5. Seit dem Ablauf der Frist zur Rücknahme des Fahrzeugs (04.11.2016) befindet sich die Beklagte in Annahmeverzug. Das Datum des Beginns des Annahmeverzugs muss allerdings nicht tenoriert werden, weil der Kläger ein Feststellungsinteresse nur daran hat, dass Annahmeverzug besteht.
6. Vorgerichtliche Anwaltskosten kann der Kläger nicht ersetzt verlangen. Die Anwaltskosten sind mit Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten entstanden und damit vor Eintritt des Verzugs der Beklagten mit der Nacherfüllung.
Ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz in Form der Anwaltskosten ist nicht ersichtlich. Die Beklagte trifft an dem Mangel kein Verschulden. …