Nach dem Rücktritt einer Partei vom Kaufvertrag besteht für die gegenseitigen Rückgewährpflichten grundsätzlich kein gemeinsamer Erfüllungsort; insbesondere sind die Rückgewährpflichten nicht stets einheitlich dort zu erfüllen, wo sich die Kaufsache vertragsgemäß befindet. Vielmehr ist der Erfüllungsort für jede Rückgewährpflicht regelmäßig gesondert zu bestimmen.
LG Bielefeld, Urteil vom 28.04.2015 – 7 O 321/14
(nachfolgend: OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015 – 28 U 91/15)
Sachverhalt: Der Kläger, der seinen Wohnsitz im Bezirk des LG Bielefeld hat, kaufte mit Vertrag vom 07.09.2014 von dem Beklagten einen gebrauchten Pkw Saab 900 Cabrio. Der Kaufvertrag wurde am Wohnort des Beklagten in Potsdam geschlossen.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn arglistig über die Laufleistung des Fahrzeugs getäuscht, und verlangt deshalb – jeweils nebst Zinsen – die Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Außerdem begehrt der Kläger die Feststellung, dass sich der Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw in Verzug befindet. Er meint, der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises sei an seinem, des Klägers, Wohnsitz zu erfüllen, sodass das LG Bielefeld örtlich zuständig sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klage ist unzulässig. Es fehlt an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
Insbesondere ergibt sich die örtliche Zuständigkeit nicht aus § 29 ZPO.
1. Erfüllungsort für den eingeklagten Zahlungsanspruch ist gemäß § 269 I BGB grundsätzlich der Wohnort des Beklagten.
Der Erfüllungsort i. S. von § 29 ZPO bestimmt sich nach materiellem Recht. Für vertragliche Verpflichtungen regelt § 269 BGB den Leistungsort, der dem Erfüllungsort entspricht. Danach hat die Leistung vorbehaltlich gesetzlicher Sondervorschriften in der Regel an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz, bei juristischen Personen den Sitz hatte. Etwas anderes gilt erst dann, wenn festgestellt wird, dass die Vertragsparteien einen anderen Leistungsort bestimmt haben oder die Umstände des Falls einen solchen ergeben. Aus welchen Umständen auf einen vom Sitz des Beklagten abweichenden Erfüllungsort geschlossen werden kann, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck der Regelung. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass zu diesen Umständen neben der Natur des Schuldverhältnisses die Beschaffenheit der Leistung und der mutmaßliche Wille der Beteiligten gehören sollten. Diese Begriffe waren im ersten Entwurf zum BGB ausdrücklich aufgeführt, wurden dann aber gestrichen, weil man es für richtiger und einfacher hielt, auf die Umstände des Falles zu verweisen und als einen dieser Umstände die Natur des Schuldverhältnisses hervorzuheben. In dem Protokoll heißt es dazu:
„Daß zu den zu berücksichtigenden Umständen vor Allem auch die Beschaffenheit der Leistung gehöre, erschien selbstverständlich. Der muthmaßliche Wille der Betheiligten aber sei nichts Anderes, als was sich aus den Umständen des Falles ergebe, und könne deshalb nicht neben diesen genannt werden.“ (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. 1899, S. 524; … BGH, Urt. v. 24.01.2007 – XII ZR 168/04, juris Rn. 16).
2. Besondere Umstände gemäß § 269 BGB sind nach Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts im Kaufrecht nicht generell dahin gehend anzunehmen, dass ein gemeinsamer Erfüllungsort am Belegenheitsort der Sache anzunehmen ist.
Wenngleich in der Rechtsprechung unter Rückgriff auf die Entscheidung des BGH vom 09.03.1983 (VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104) teilweise behauptet wird, bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrags solle man von einem einheitlichen Erfüllungsort ausgehen, und zwar an dem Ort, wo sich die Sache vertragsgemäß befindet (vgl. z. B. BayObLG, Beschl. v. 09.01.2004 – 1Z AR 140/03, juris), so überzeugt dies nicht.
Schon dem Wortlaut des § 269 BGB nach ist der Erfüllungsort für jede vertragliche Pflicht gesondert zu bestimmen, ein Anhaltspunkt dafür, dass für die Primärleistungen sowie für die Rückabwicklungsleistungen bei gegenseitigen Verträgen generell ein einheitlicher Erfüllungsort bestehen soll, ist nicht ersichtlich (vgl. BeckOK-BGB/Lorenz, Stand: 01.05.2014, § 269 BGB Rn. 9).
Ein praktisches Bedürfnis nach einem gemeinsamen Gerichtsstand bei Rückabwicklung eines Pkw-Kaufs wird insbesondere vom OLG Schleswig gesehen (OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, juris) mit dem Argument, dass wenn für eine absehbarer Zeit über das Vorliegen des Rücktrittsgrundes gestritten werden wird, es dem mutmaßlichen Willen der Parteien eher zu entsprechen erscheint, dass der Rechtsstreit am Belegenheitsort ausgetragen wird, wo eine Beweisaufnahme in der Regel kostengünstiger möglich ist.
Nicht klar ist, weshalb diese Erwägung dazu führen soll, dass generell ein gemeinsamer Erfüllungsort bei Rücktritt vom Kaufvertrag als mutmaßlicher Parteiwille angenommen werden soll. Dass in § 269 I BGB eine Einzelfallentscheidung nach Umständen verlangt wird, spräche wenigstens dafür, nach Rücktrittsgründen zu differenzieren.
Ein Rücktritt kann grundsätzlich von beiden Parteien erfolgen und aus verschiedenen Gründen. Eine generelle Praktikabilität in Hinblick auf die Durchführung einer Beweisaufnahme ist auch nicht ersichtlich. So zeigt die Erfahrung in Fällen des Privatverkaufs eines Pkw wie dem vorliegenden, dass eine Rückabwicklung regelmäßig nur mit der Arglistbehauptung verlangt werden kann und für die Frage der Kenntnis des Verkäufers vom Zustand des Fahrzeugs Zeugen aus dessen Umfeld vernommen werden müssen.
Die Rückgewährschuld entsteht erst mit Erklärung des Rücktritts. Wo sich ein Fahrzeug vertragsgemäß befindet, ist ein Kriterium, welches sich wohl nur auf den Willen der Parteien bei Vertragsschluss beziehen kann. Dies ist inkonsistent. Gegenstand des Kaufvertrags ist in aller Regel nicht der weitere Verbleib der Kaufsache. Vielmehr kann der Käufer nach Eigentumsübertragung damit verfahren, wie er will.
Auch das in Anlehnung an die Entscheidung des BGH vom 09.03.1983 diskutierte Argument, dass der Verkäufer bei einem gesetzlichen Rücktritt eine Pflichtverletzung begangen habe und deshalb ein Erfüllungsort am Ort des Käufers hinzunehmen habe ist nicht stichhaltig. Hinter diesem Argument der Risikosphäre steckt die Wertung, dass das „Opfer“ einer Pflichtverletzung mit einem Gerichtsstand am eigenen Wohnort „belohnt“ wird. Diese Wertung im Falle des Privatverkaufs (auch bei einem Kauf zwischen Verbraucher und Unternehmer wäre ein grundsätzlicher Verbrauchergerichtsstand nicht anzunehmen) würde nur dann dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprechen, wenn beide Parteien einen solchen Gerichtsstand in Anspruch nehmen könnten. Bei dem nicht zahlenden Käufer müsste man auch einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verkäufers annehmen. Dies müsste allerdings gesetzlich normiert werden und kann nicht dem Vertrag entnommen werden, auch weil diese Argumente in § 269 BGB keinen Anhaltspunkt finden.
Zum anderen ist der BGH von der Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes teilweise auch abgerückt, so etwa beim Anwaltsvertrag (BGH, Urt. v. 04.03.2004 – IX ZR 101/03, juris).
Deutlich wird der BGH in einem weiteren Urteil:
„Allein deshalb, weil am Ort der Beherbergung der Schwerpunkt des Vertrages liegt, kann ein einheitlicher Erfüllungsort für Leistung und Gegenleistung nicht bejaht werden (BGHZ 157, 20 [25]). Dies hätte nämlich zur Folge, dass, da die vertragstypische Leistung regelmäßig nicht durch die Zahlungsverpflichtung bestimmt wird, nahezu bei jedem Vertragstyp ein einheitlicher Erfüllungsort für Leistung und Gegenleistung vorläge. Das ist mit der Regelung des § 269 I BGB unvereinbar (BGHZ 157, 20 [25]). Ein einheitlicher Erfüllungsort kann deshalb nur dann angenommen werden, wenn dafür weitere Umstände festgestellt werden können, wie etwa die o. g. Verkehrssitte oder bei einem Bauvertrag der Umstand, dass auch der Besteller am Ort des Bauwerks mit der Abnahme gemäß § 640 BGB eine seiner Hauptpflichten erfüllen muss.“ (BGH, Urt. v. 24.01.2007 – XII ZR 168/04, juris Rn. 21).
Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall weder für die Primärpflichten noch für die Sekundärpfichten ersichtlich, der Kaufvertrag wurde in Potsdam geschlossen.
Der Kläger hat auch keine Zug-um-Zug-Leistung beantragt, sofern man dies als Voraussetzung für einen gemeinsamen Erfüllungsort ansehen will (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. § 29 Rn. 25 – „Kaufvertrag“), was allerdings auch nicht überzeugt.
Das weitere Argument, dass bei Rücktritt vom Kaufvertrag regelmäßig auf Rücknahme der Sache geklagt und dann kein gemeinsamer Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO bestünde, bezieht sich auf die grundsätzlich auch für die Primärpflichten bestehende Problematik, dass sich für verschiedene Pflichten verschiedene Gerichtsstände ergeben könnten. Grundsätzlich kann der Kläger entsprechendes vermeiden, wenn er den allgemeinen Gerichtsstand wählt.
Schon die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes für die behaupteten Rückgewährpflichten ist vorliegend deshalb nicht gerechtfertigt.
3. Auch ergibt die Auslegung im Einzelfall, dass eine unterstellte vertragliche Bestimmung, wo sich das gekaufte Fahrzeug vertragsgemäß befindet, nicht ersichtlich ist.
Fahrzeuge befinden sich typischerweise und bestimmungsgemäß nicht nur am Wohnsitz des Käufers, sondern unterwegs zu den verschiedensten Zielen, wie etwa der Arbeitsstätte, dem Urlaubsort oder sonstigen Reisezielen (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196).
Wenn man in den Fällen, in denen keine besondere Verwendung vorausgesetzt worden ist, immer auf den Wohn- oder Betriebssitz des Käufers abstellt (OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, juris) führt das zu einem grundsätzlichen Gerichtsstand für den Käufer an seinem Wohnsitz, unabhängig davon, wie er die Sache verwendet. Den Verkäufer muss in den Fällen fehlender Vereinbarung nicht interessieren, wie eine Sache verwendet wird. Hier käme sogar hinzu, dass das Fahrzeug nicht für den Kläger, sondern für dessen Frau bestimmt sein sollte. Soll die Frage der Eröffnung eines Gerichtsstandes davon abhängen, ob der Kläger und seine Frau den gleichen Wohnort haben und ob gegebenenfalls hierüber mit dem Beklagten gesprochen worden ist?
Bei beweglichen Sachen, die nicht aus vertraglichen Vereinbarungen ersichtlich eindeutig einem festen Ort zuzuordnen sind, etwa Grundstückszubehör, kommt der Belegenheitsort der Sache keine gerichtsstandbegründende Bedeutung zu.
Erfüllungsort gemäß § 269 BGB ist mangels anderer Anhaltspunkte daher beim Wohnsitz des Beklagten anzunehmen.
4. Für den Feststellungsantrag besteht auch keine Zuständigkeit, da seine Bedeutung darin besteht, die Vollstreckung zu erleichtern, und er damit dem Anspruch [auf Rückzahlung des Kaufpreises] untergeordnet ist. Dass der Antrag nicht zulässig ist, weil gar keine Zug-um-Zug-Verurteilung beantragt ist, ist insofern nicht relevant.
§ 29 ZPO gilt demgemäß nur für vertragliche Hauptpflichten. Stützt der Kläger seine Klage auf mehrere Verpflichtungen, die sich aus einem einzigen Vertrag ergeben, entscheidet die Hauptpflicht; Nebensächliches folgt der Hauptsache (BGH, Urt. v. 27.04.2010 – IX ZR 108/09, BGHZ 185, 241 Rn. 24) …
Hinweis: Auf die Berufung des Klägers hat das OLG Hamm (Urt. v. 20.10.2015 – 28 U 91/15) dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung gemäß § 538 II Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen.