Eine arglistige Täuschung liegt nicht nur dann vor, wenn der Verkäufer bewusst falsche Angaben über die Kaufsache macht, sondern auch dann, wenn er – ungefragt oder auf Fragen des Käufers – „ins Blaue hinein“ unrichtige Angaben über den Zustand der Kaufsache macht.

OLG Hamm, Urteil vom 12.09.2013 – 28 U 174/12

Sachverhalt: Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht seines Bruders die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes BMW-Motorrad.

Die im Januar 2011 erstzugelassene Maschine stand zunächst im Eigentum eines L aus C., der damit am 22.06.2011 einen Unfall erlitt. Anschließend kaufte der Zeuge N aus S. das beschädigte Motorrad und veräußerte es am 15.08.2011 an den Beklagten. In welchem Umfang der Beklagte an dem Motorrad Instandsetzungsarbeiten durchgeführt hat, ist streitig.

Der Beklagte bot das Motorrad im Dezember 2011 im Internet zum Verkauf an. In seinem eBay-Inserat hieß es:

„Das Motorrad ist in einer Linkskurve weggerutscht; der Schaden ist repariert worden. Rahmen ist vermessen worden ohne negativen Befund.

Hier noch das Kleingedruckte: … Ich verkaufe die hier angebotene Ware als Privatperson und schließe die Sachmangelhaftung grundsätzlich aus … Jegliche Sachmängelhaftung seitens des Verkäufers wird ausgeschlossen.“

Der Bruder des Klägers ersteigerte das Motorrad am 18.12.2011 für 10.850 €. In die Zahlungshinweise nahm der Beklagte den Hinweis auf, das Motorrad werde als Unfallfahrzeug verkauft. Er brachte das Motorrad zum Bruder des Klägers. Als dieser das Fahrzeug übernahm, wurde ein Formularvertrag aufgesetzt, in den der Beklagte den Zusatz „Das Motorrad wird als Unfallmotorrad verkauft! Bastlerfahrzeug!“ aufnahm.

Am 17.03.2012 ist der Bruder des Klägers nach eigenen Angaben erstmals mit dem Motorrad gefahren und will beim Schalten zwischen dem fünften und sechsten Gang ein Ruckeln festgestellt haben. Deshalb brachte er das Motorrad zu einer BMW-Werkstatt, wo ein nicht fachgerecht instandgesetzter Unfallschaden festgestellt wurde. Der Reparaturaufwand beläuft sich laut Kostenvoranschlag auf 5.142,66 €.

Der Bruder des Klägers erklärte durch eigenes Schreiben vom 06.03.2012 die Anfechtung des Kaufvertrags und trat nachfolgend sämtliche in Zusammenhang mit dem Kaufvertrag stehenden Ansprüche gegen den Beklagten an den Kläger ab.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Beklagte etwaige Gewährleistungsansprüche wirksam ausgeschlossen habe. Eine arglistige Täuschung habe der Kläger nicht bewiesen. Die Berufung des Klägers hatte fast vollständig Erfolg.

Aus den Gründen: II. … 1. Der Kläger kann aus abgetretenem Recht seines Bruders gemäß §§ 812 I 1, 398 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Motorrads verlangen.

Der Kaufvertrag ist rückabzuwickeln, weil die Käufererklärung wirksam angefochten wurde (§ 142 I BGB). Das Anfechtungsrecht ergibt sich daraus, dass der Beklagte den Bruder des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig getäuscht hat (§ 123 I BGB).

Eine arglistige Täuschung liegt nicht nur dann vor, wenn der Verkäufer bewusst falsche Angaben über die Kaufsache macht, sondern auch dann, wenn er – ungefragt oder auf Fragen des Käufers – „ins Blaue hinein“ unrichtige Angaben über den Zustand der Kaufsache macht (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl. [2012], Rn. 4356).

Eine solche Angabe „ins Blaue hinein“ ist darin zu sehen, dass der Beklagte in der eBay-Annonce zum Zustand des Motorrads angab: „Das Motorrad ist in einer linkskurve weggerutscht der Schasen ist rep. worden Rahmen ist vermessen worden ohne negativen Befund“.

Der Beklagte hat bei seiner Anhörung vor dem Senat selbst eingeräumt, dass ihm der Hergang des damaligen Unfalls nicht bekannt gewesen sei. Er habe an dem verunfallten Motorrad einen Streifschaden gesehen und daraus geschlussfolgert, es sei in einer Linkskurve weggerutscht.

Die ohne sichere Beurteilungsgrundlage abgegebene Erklärung des Beklagten zur vermeintlichen Unfallursache erweckte bei einem Kaufinteressenten den Eindruck, das Motorrad habe lediglich einen äußerlichen Karosserieschaden erlitten.

Dieser Eindruck ist aber objektiv unzutreffend. Aus den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V ergab sich, dass das Motorrad bei dem Unfall sehr massive Schäden erlitten haben muss: Es habe ein Schaden am linken Kolben vorgelegen. Der Auspuffkrümmer sei vom Motorblick abgerissen gewesen. Der Zylinderkopf mit Steckbolzen sei abgerissen gewesen. Der Zylinder und die Zylinderbrücken hätten Risse aufgewiesen. Der Hinterrahmen habe eine große Eindrückung aufgewiesen. Der Motor habe Schäden an der Seite gehabt. Am Getriebeanflanschbereich seien Ausrisse und Verformungen vorhanden gewesen. Der Auspuffkrümmer sei zerfetzt gewesen.

Das Ausmaß dieser Schäden mag für den Beklagten bei Ankauf des Motorrads nicht oder nicht im vollen Umfang erkennbar gewesen sein, weil das Motorrad eine Kunststoffverkleidung hatte. Gleichwohl wusste der Beklagte bereits aus dem Ankaufvertrag mit dem Zeugen N, dass ein „schwerer Unfallschaden“ vorgelegen hat und das Motorrad als „Teileträger“ anzusehen war.

Erst recht, als der Beklagte sich in der Folgezeit nach eigenem Bekunden der Instandsetzung der Verkleidung widmete, muss ihm das Gesamtausmaß des Unfallschadens bekannt geworden sein. Denn der Sachverständige führte dazu aus, dass ein Laie beim Anblick des verunfallten Motorrads angesichts des Schadensbildes „die Flucht ergriffen“ hätte. Ein Laie – so der Sachverständige – hätte sich nicht zugetraut, die massiven Schäden an dem Motorrad jemals so hinzukriegen, dass das Motorrad wieder fährt.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat auch in subjektiver Hinsicht davon aus, dass der Beklagte zumindest billigend in Kauf nahm, dass ein Schadensumfang vorlag, der bei erfolgter Aufklärung einen verständigen Interessenten vom Erwerb des Motorrads – jedenfalls zu dem konkreten Preis – abgehalten hätte.

Der Senat vermochte umgekehrt nicht festzustellen, dass der Beklagte dem Bruder des Klägers abweichend von den Informationen in der eBay-Annonce durch spätere Angaben doch noch einen zutreffenden Eindruck vom Zustand des Motorrads ermöglicht hat. Zwar war in dem übersandten Zahlungshinweis von einem Unfallfahrzeug die Rede, und auch der schriftliche Kaufvertrag enthielt den Zusatz „Unfallmotorrad! Bastlerfahrzeug!“. Allerdings mochten diese ohnehin erst nach Kaufvertragsabschluss getätigten Angaben aus Sicht des Käufers so zu erklären sein, dass der Beklagte den von ihm gewünschten Gewährleistungsausschluss untermauern wollte.

Dass dem Beklagten darüber hinaus daran gelegen war, den hervorgerufenen unzutreffenden Eindruck vom Zustand des Motorrads zu korrigieren und dem Käufer eine zutreffende Einschätzung zu ermöglichen, ob für das Motorrad der Preis von 10.850 € gerechtfertigt war, lässt sich schon den eigenen Bekundungen des Beklagten nicht entnehmen. Er räumte ein, zu den Unfallschäden von sich aus nichts gesagt zu haben. Er habe sich nur gewundert, dass der Bruder des Klägers nicht aus eigenem Antrieb nachgefragt habe. Auch die Umschreibung als „Bastlerfahrzeug“ sei nicht näher besprochen worden.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte womöglich sogar bewusst unwahre Angaben über das Unfallausmaß gemacht hat. Der Bruder des Klägers sagte dazu nämlich vor dem Senat als Zeuge aus, der Beklagte habe auf Nachfrage von einem „leichten Unfall“ gesprochen, den ein Bekannter erlitten habe und bei dem (nur) ein Zylinder zerkratzt worden sei.

In der Rechtsfolge schuldet der Beklagte dem Kläger gemäß § 818 I BGB die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 10.850 €.

2. Die dem Beklagten anzulastende Täuschung stellt zugleich die Verletzung von vorvertraglichen Pflichten dar, die ihn gemäß §§ 280 I, 311 II, 249 BGB zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet, die der Bruder des Klägers im Vertrauen auf einen ordnungsgemäßen Zustand der Kaufsache bzw. zur Feststellung von Schäden veranlasst hat.

Dabei handelt es sich um folgende von Klägerseite vorgetragene und unbestritten gebliebene Positionen:

Kosten der Untersuchung bei BMW 393,41 €
Abtransportkosten 50,00 €
Zulassungskosten 40,00 €
Kennzeichenkosten 18,50 €
Wunschkennzeichen 10,50 €
Abmeldekosten 9,90 €
522,31 €

4. Der Kläger hat wegen §§ 765, 756 ZPO ferner Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs.

5. Er kann auch die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für diejenigen Schäden verlangen, die dem Kläger – aus abgetretenem Recht – durch die bislang unterbliebene Rücknahme des Motorrads entstanden sind und noch entstehen werden. Die Ersatzpflicht folgt aus den §§ 280 I, 286 BGB.

6. Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 837,52 € ist hingegen nicht gegeben. Zwar erstreckt sich die Abtretung auch auf die dem Bruder des Klägers in Rechnung gestellte Honorarforderung. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Bruder des Klägers im Zeitpunkt der Abtretung noch mit einer entsprechenden Forderung belastet war oder dass der Kläger die Anwaltskosten bezahlt hat, obwohl eine Rechtsschutzversicherung besteht. Angesichts der Einstandspflicht der Rechtsschutzversicherung ist ein gesetzlicher Forderungsübergang anzunehmen.

7. Der Kläger kann auch nicht die Feststellung verlangen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf von Klägerseite verauslagte Gerichtskosten Zinsen zu zahlen … Eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Gerichtskosten bestand mangels entsprechender Kostengrundentscheidung bislang nicht …

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