Die Bezeichnung eines Gebrauchtwagens als „unfallfrei“ beinhaltet nur die Zusicherung, dass das Fahrzeug keine über Bagatell- oder Einfachschäden hinausgehenden Unfallschäden erlitten hat. Der Käufer kann aufgrund einer solchen Zusicherung nicht ernsthaft erwarten, dass der Verkäufer für jeden Kratzer oder jede Schramme, die das Fahrzeug irgendwann im Laufe der Zeit einmal erlitten hat, einstehen will.

OLG Bamberg, Urteil vom 21.06.2006 – 3 U 253/05

Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags.

Der Kläger erwarb von der Beklagten mit Vertrag vom 22.01.2003 einen gebrauchten, am 12.06.1998 erstzugelassenen VW Transporter („7DB“) mit dem angegebenen Kilometerstand 92.000 zum Preis von 18.990 €. In dem Bestellformular ist unter „Mängel, Unfall- und andere Schäden“ eingetragen „Komplettlackierung wegen Kratzern + Beulen“.

Die Rechnung der Beklagten vom 28.01.2003 belief sich aufgrund einer von ihr vorgenommenen Nachrüstung des Fahrzeugs mit einer Standheizung sowie einer Reparaturkostenversicherung auf 20.400 € brutto.

Mit Anwaltsschreiben vom 10.03.2003 focht der Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an, da ihm arglistig verschwiegen worden sei, dass es sich um ein Unfallfahrzeug handle. Er hat in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.930,98 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie weitere 2.312,18 € und weitere 81,60 € jeweils nebst Zinsen zu zahlen.

Das Landgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 20.595,47 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, verurteilt. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe den mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag wirksam angefochten. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Beklagte dem Kläger arglistig verschwiegen habe, dass das Fahrzeug einen Unfall erlitten hatte, und vorgegeben habe, eine Komplettlackierung sei lediglich wegen Kratzern und Beulen erfolgt.

Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Das Landgericht hat angenommen, der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag sei aufgrund der vom Kläger erklärten Anfechtung gemäß § 142 I BGB nichtig, weil der Kläger arglistig getäuscht worden sei (§ 123 I Fall 1 BGB). Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann kein Anfechtungsgrund hergeleitet werden.

1. Soweit das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung davon ausgeht, dass die vom Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) S in seinem Gutachten vom 19.08.2004 festgestellten Schäden bereits bei Vertragsschluss vorlagen (S. 7 des angefochtenen Urteils), ist dies nicht zu beanstanden.

2. Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Kläger über die Unfallfreiheit des gekauften Fahrzeugs getäuscht wurde.

a) Eine Täuschung liegt vor, wenn beim Geschäftspartner mit zumindest bedingtem Vorsatz ein Irrtum erregt bzw. aufrechterhalten wird (MünchKomm-BGB/Kramer, 4. Aufl., § 123 Rn. 8). Das bedeutet, dass einerseits – durch positives Tun – gegenüber dem Käufer keine unrichtigen Angaben gemacht werden dürfen und andererseits der Verkäufer auch nur ihm bekannte wesentliche Umstände offenbaren muss, „die den Vertragszweck (des anderen) vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte“ (BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 40/94, NJW 1996, 451 [452]).

b) An diesen Maßstäben gemessen vermag der Senat bereits eine Täuschung nicht zu erkennen.

aa) Eine (positive) Aussage des Inhalts, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im weitesten Sinne, also auch in Hinblick auf untergeordnete Blechschäden, unfallfrei ist, ist der Vertragsurkunde nicht zu entnehmen.

Zudem würde selbst die Bezeichnung des Fahrzeugs als „unfallfrei“ nur die Zusicherung beinhalten, dass es keine über Bagatell- oder Einfachschäden hinausgehenden Unfallschäden erlitten hat. Der Käufer kann aufgrund einer solchen Zusicherung nicht ernsthaft erwarten, dass der Verkäufer eine Einstandspflicht für jeden Kratzer oder jede Schramme übernehmen will, die das Fahrzeug irgendwann im Laufe der Zeit einmal erlitten hat (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 29.09.1994 – 28 U 175/93, OLGR 1995, 55 [56]; OLG München, Urt. v. 20.06.2002 – 19 U 5820/01, DAR 2002, 454 [455]; OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.03.2001 – 3A U 2/01, OLGR 2001, 301 [302]).

bb) Soweit Offenbarungspflichten in Betracht kommen, hat die Beklagte diesen genügt. Unter dem vorgedruckten Text „Mängel, Unfall- und andere Schäden“ wurde auf eine Komplettlackierung wegen Kratzern und Beulen hingewiesen. Das ist bei der gebotenen Auslegung aus der Sicht des Käufers (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass das Fahrzeug vor der Lackierung Kratzer und Beulen aufwies, die beseitigt worden sind und über deren Ursache nichts weiter gesagt ist.

Geht man von dem weiten, in § 12 AKB vorausgesetzten Unfallbegriff aus, ist mit dieser Erklärung auch ein eventueller Unfallschaden offengelegt. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Definition ist ein Unfall jedes unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkende Ereignis. Andere Ursachen für die offenbarten „Beulen“ als solche Ereignisse vermag der Senat nicht zu erkennen.

Umgekehrt ist diesem Hinweis auf die Vorschäden aber auch zu entnehmen, dass das Fahrzeug keine Schäden erlitten hat, die den Austausch von Teilen erforderlich machten oder gar mit relevanten Funktionsbeeinträchtigungen einhergingen.

Solche Schäden waren nach dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) S vom 19.08.2004 aber auch nicht vorhanden. Der Sachverständige hat an dem Fahrzeug eine Nachlackierung unterhalb der Fensterlinie festgestellt, durch die diverse kleine Lack- und kleine Beulschäden instand gesetzt wurden. Der Sachverständige hat ausgeführt, es sei eine geringe Verformung der Motorhaube vorne rechts erfolgt, auch seien Aufspachtelungen auf der rechten Fahrzeugseite bis zur Dicke von einem Millimeter vorhanden. Die beseitigten Schäden könnten als Ursache einen Streifschaden haben. Ein Austausch von Fahrzeugteilen sei nicht erfolgt. Ein starker Unfallschaden, der ins Gefüge des Fahrzeugs eingegriffen habe, habe nicht festgestellt werden können (S. 13 des Gutachtens).

Die tatsächlich vorhandenen Vorschäden gingen damit nicht über die im Vertrag offenbarten Vorschäden hinaus. Dass die vom Sachverständigen festgestellten Spachtelarbeiten nicht explizit offenbart worden sind, rechtfertigt nicht den Vorwurf der Täuschung. Anders als Kratzer können Beulen nicht allein durch eine Neulackierung beseitigt werden. Die Beseitigung der offenbarten Vorschäden setzte damit zwingend weitere Arbeiten an der Karosserie voraus. Über die Art und Weise der Durchführung dieser Arbeiten musste die Verkäuferin ohne entsprechende Nachfrage keine Auskunft erteilen.

Damit fehlt es bereits am Hervorrufen einer Fehlvorstellung sowohl durch Tun wie auch durch Unterlassen.

3. Wird entgegen den vorstehenden Ausführungen von einem offenbarungspflichtigen und nicht hinreichend offenbarten Unfallschaden ausgegangen, fehlt es aber jedenfalls auch an einem arglistigen Verhalten der Beklagten.

a) Arglist setzt voraus, dass die Beklagte mit einem Unfallschaden zumindest rechnete (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 123 Rn. 11 m. w. Nachw.).

b) Die Beweisaufnahme des Landgerichts hat aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger über einen Wissensvorsprung bezüglich des Zustands des verkauften Fahrzeugs verfügte.

Der Zeuge Z hat bei seiner Untersuchung keine Unfallschäden festgestellt. Konkrete Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem Zeugen und der Beklagten sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Hiervon ausgehend käme ein arglistiges Verhalten der Beklagten nur in Betracht, wenn diese bei Vertragsabschluss über weitergehende Erkenntnisse verfügte als der Zeuge Z.

Für einen solchen Wissensvorsprung bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Insbesondere ergeben sich solche nicht aus der Rechnung … vom 20.02.2002 an die Voreigentümerin des Fahrzeugs … Diese Werkstattrechnung befindet sich in zwei Versionen bei den Akten. Die Anlage K 13 enthält nur die Seite 1 der Rechnung, auf der sich keine Hinweise auf einen Unfallschaden finden. Als Anlage zum Schriftsatz vom 20.08.2004 hat die Beklagte ferner die komplette, als „Buchhaltungskopie“ bezeichnete Rechnung vorgelegt, die auf Seite 2 den Hinweis „Unfallschaden vorne“ enthält.

Dass die komplette Rechnung der Beklagten bereits bei Vertragsschluss bekannt war, ist nicht erwiesen. Die Beklagte trägt hierzu unwiderlegt vor, sie habe diese Rechnung erst nachträglich wegen des aufgetretenen Getriebeschadens beschafft. Aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Faxkennungen, lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. An welchen Empfänger die erste Rechnungsversion am 12.12.2002 um 14:42 Uhr (also vor dem Verkauf) per Fax übersandt wurde, ist nicht feststellbar. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass bei dieser Gelegenheit auch die den Hinweis auf einen Unfall enthaltende Seite 2 übermittelt worden wäre, weil Blatt 2 des Faxes eine Wartungsliste war.

Dass die Beklagte die in den Anlagen zum Schriftsatz vom 20.08.2004 enthaltene „Buchhaltungskopie“ der Rechnung (mit dem Hinweis auf Unfallschaden auf Seite 2) entgegen ihrem Vorbringen bereits vor Vertragsschluss erhalten und gekannt hat, ist nicht unter Beweis gestellt.

Mangels Anfechtungsgrund hat die erklärte Anfechtung deshalb nicht zur Nichtigkeit des Vertrags geführt. Die Klage erweist sich damit als unbegründet und ist unter Abänderung des Ersturteils abzuweisen …

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