Ist bei dem Kauf eines Fahrzeugs für private Zwecke für die Durchführung der Nacherfüllung ein Ort im Vertrag nicht bestimmt, und war beiden Seiten bei Vertragsschluss klar, dass das Fahrzeug bestimmungsgemäß beim Käufer sein wird, ist Erfüllungsort der Nacherfüllung der Wohnsitz des Käufers.
OLG Celle, Urteil vom 10.12.2009 – 11 U 32/09
Sachverhalt: Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin wirksam von einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug zurückgetreten ist. Insbesondere ist streitig, ob sie das Fahrzeug zwecks Nachbesserung zum Beklagten hätte bringen müssen oder ob sie Nachbesserung an ihrem Wohnort verlangen durfte.
Die Klägerin, die in O. wohnt, kaufte von dem Beklagten, der in in B. einen Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen betreibt, am 11.01.2008 einen Pkw für 9.800 €. Nach dem Stand des Kilometerzählers betrug die Laufleistung 92.420 km. Die Parteien vereinbarten bei Vertragsschluss, dass der Zahnriemen des Fahrzeugs im Rahmen einer vom Beklagten vorzunehmenden Übergabeinspektion erneuert werden sollte. Der Beklagte übergab das Fahrzeug der Klägerin am 16.01.2008, ohne das Fahrzeug mit einem neuen Zahnriemen auszustatten. In dem von beiden Parteien unterzeichneten „CarGarantie-Übergabezertifikat“ vom selben Tag wird der Zahnriemen als „ohne sichtbare Schäden“ bezeichnet.
Sofort nach der Übergabe zeigte die Klägerin dem Beklagten Mängel des Fahrzeugs an. Der Umfang der Mängelanzeige ist streitig; zumindest aber teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die Airbagkontrolle leuchte. Der Beklagte erklärte, dass er keine Reparaturarbeiten durchführe, und verwies die Klägerin an die Firma K. Das Fahrzeug wurde dort für 510 € repariert. Insgesamt befand sich das Fahrzeug zwecks Reparatur zweimal bei der Firma K.
Mit Schreiben vom 02.06.2008 rügte die Klägerin gegenüber dem Beklagten, dass der Zahnriemen nicht erneuert worden sei. Auch leuchte die Kontrollleuchte des Airbags trotz zweimaliger Reparatur weiterhin auf. Die Klägerin forderte den Beklagten auf, die Mängel bis zum 17.06.2008 zu beseitigen. Die für das Fahrzeug abgeschlossene Versicherung (CarGarantie) forderte die Klägerin auf, das Fahrzeug dem Beklagten zwecks Reparatur vorzustellen. Die Klägerin ließ das Fahrzeug vom ADAC untersuchen. Aus dem Prüfbericht vom 24.06.2008 geht hervor, dass bei einem Kilometerstand von 102.807 die Zylinderkopfdichtung undicht sei, Mängel am Airbag und am Sicherheitsgurt vorlägen, die Klimaanlage ohne Funktion sei, und der Zahnriemen ausgewechselt werden müsse.
Die Klägerin meldete das Fahrzeug am 26.06.2008 ab. Sie forderte den Beklagten telefonisch auf, das Fahrzeug zur Reparatur abzuholen. Dies lehnte der Beklagte ab. Daraufhin trat die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 08.07.2008 vom Kaufvertrag zurück.
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage im Wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 9.800 € sowie Erstattung der entstandenen Reparaturkosten in Höhe von 510 €. Sie lässt sich einen Vorteilsausgleich in Höhe von 0,05 € pro gefahrenem Kilometer, mithin einen Abzug in Höhe von 529,40 €, gefallen. Insgesamt macht die Klägerin 9.872,20 € geltend und hat zudem die Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 775,64 € verlangt.
Das Landgericht hat den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 9.872,20 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkw zu zahlen. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
1. Die Klägerin kann vom mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag nach § 437 Nr. 2 BGB zurücktreten.
a) Das von der Klägerin erworbene Fahrzeug ist mangelhaft.
(1) Zunächst ist das Fahrzeug mangelhaft, weil es über keinen neuen Zahnriemen verfügt. Der Senat hat dazu in seinem Hinweisbeschluss vom 03.06.2009 ausgeführt:
„Der Beklagte hat der Klägerin am 11.01.2008 ein Fahrzeug verkauft, welches über einen erneuerten Zahnriemen verfügen sollte. Die Verpflichtung zur Erneuerung des Zahnriemens ergibt sich aus der vom Beklagten unterschriebenen Übergabedurchsicht. Der Beklagte hat der Klägerin dann am 16.01.2008 ein Fahrzeug ohne erneuerten Zahnriemen ausgehändigt. Damit weicht der übergebene vom geschuldeten Gegenstand nachteilig ab. Der Kaufgegenstand leidet daher unter einem Mangel. Die Voraussetzungen eines Mangels wären nur dann zu verneinen, wenn der ursprüngliche Kaufvertrag abgeändert und ein neuer Zahnriemen danach nicht geschuldet worden wäre. Dies hat der Beklagte zunächst nicht behauptet. Er hat lediglich behauptet, der Klägerin erklärt zu haben, warum ein Zahnriemenwechsel nicht durchgeführt worden sei. Erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht … hat der Beklagte ein Einverständnis der Klägerin hinsichtlich des unterlassenen Zahnriemenwechsels behauptet. Das Landgericht hat diesen nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen neuen Sachverhalt daher zu Recht unberücksichtigt gelassen. Der Beklagte ist zudem für seine Behauptung einer nachträglichen Vertragsänderung beweisfällig geblieben …“
Der Beklagte ist der Auffassung, sein Vortrag hinsichtlich einer einvernehmlichen Änderung des Kaufvertrages sei erstinstanzlich unstreitig gewesen und hätte daher vom Landgericht berücksichtigt werden müssen, deshalb komme es auf seine Beweisfälligkeit nicht an. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Bereits aus dem Anwaltsschreiben vom 02.06.2008 geht hervor, dass die Klägerin zwischenzeitlich (Hervorhebung durch den Senat) feststellen musste, dass der Zahnriemen entgegen dem Kaufvertrag und entgegen der Übergabedurchsicht nicht erneuert worden sei. Damit ist zwischen den Parteien streitig, ob eine einvernehmliche Vertragsänderung erfolgt ist, denn sonst hätte die Klägerin nicht „zwischenzeitlich“ eine Abweichung des gelieferten vom geschuldeten Kaufgegenstand bemerken können.
Rechte der Klägerin wären zudem entgegen der Auffassung des Beklagten auch bei einer bloßen Entgegennahme des Fahrzeugs in Kenntnis des Mangels nicht ausgeschlossen. Gemäß § 442 I BGB sind Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kennt. Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten konnte die Klägerin den Mangel nicht bei Vertragsschluss kennen, sondern erst bei Übergabe des Kaufgegenstandes nach der durchgeführten Übergabeinspektion.
(2) Darauf kommt es im Ergebnis jedoch nicht einmal an. Denn das Landgericht ist auch zu Recht von einem Mangel des Airbags ausgegangen. Die Rüge des Beklagten, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Mangel des Airbags sei unstreitig, greift nicht durch. Das Bestreiten des Mangels des Airbags erfolgte erstmals mit Schriftsatz des Beklagten vom 06.01.2009, der erst nach der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 17.12.2008 beim Landgericht einging. Das Landgericht hat es abgelehnt, nach § 156 I ZPO die Wiedereröffnung der Verhandlung anzuordnen. Dieses Bestreiten ist „neu“ i. S. des § 531 I ZPO. Neu ist auch der in einem in erster Instanz nicht nachgelassenen Schriftsatz enthaltene und deshalb nach § 296a ZPO unberücksichtigt gebliebene Vortrag (Hk-ZPO/Wöstmann, 3. Aufl. [2009], § 531 Rn. 6 m. w. Nachw.). Gründe, dieses neue Vorbringen gemäß § 531 II ZPO zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
b) Sowohl das Recht des Käufers, gemäß §§ 437 Nr. 2, 441 BGB den Kaufpreis zu mindern, als auch der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB setzen voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat (BGH, Urt. v. 23.02.2005 – VIII ZR 100/04, BGHZ 162, 219 = NJW 2005, 1348). Erst wenn der Käufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, kann er gemäß § 440 BGB vom Kaufvertrag zurücktreten.
(1) Die Klägerin setzte dem Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 02.06.2008 eine Frist zur Beseitigung der Mängel bis zum 17.06.2008. Diesem Nachbesserungsverlangen kam der Beklagte nicht nach, weshalb die Klägerin berechtigt war, vom Vertrag zurückzutreten.
(2) Der Beklagte kann nicht einwenden, dass die Klägerin das Fahrzeug zur Nachbesserung bei ihm hätte vorstellen müssen. Nach Auffassung des Beklagten ist Erfüllungsort der Nachbesserung der Betriebssitz des zur Nacherfüllung Verpflichteten.
(a) Diese Auffassung kann sich auf die Rechtsprechung des 20. Zivilsenats des OLG München stützen. In einem Urteil vom 20.06.2007 (OLGR 2007, 796 = NJW 2007, 3214) hat dieser Senat ausgeführt, der Nacherfüllungsanspruch sei der modifizierte Erfüllungsanspruch. Die Lieferung einer mangelhaften Sache führe mangels Bewirkens der im Kaufvertrag geschuldeten Leistung nicht zur Erfüllung. Vielmehr verwandele sich der ursprüngliche Lieferanspruch des Käufers in einen Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. An die Stelle des Anspruchs auf Übereignung der Kaufsache (§ 433 I 1 BGB) trete das Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Nachlieferung (§ 439 I BGB). Daher dränge es sich auf, dem … Nacherfüllungsanspruch denselben Leistungsort zuzuweisen.
(b) Diese Auffassung entspricht nicht derjenigen des 15. Zivilsenats des OLG München (Urt. v. 12.10.2005 – 15 U 2190/05, NJW 2006, 449 m. w. Nachw.) sowie der vorherrschenden Rechtsprechung (OLG Köln, NJW-RR 2006, 677) und Literatur (Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. [2007], § 269 Rn. 15 m. w. Nachw.; Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], § 439 Rn. 3a; MünchKomm-BGB/Westermann, 5. Aufl. [2008], § 439 Rn. 7; Huber, NJW 2002, 1006; weitergehend Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. [2007], § 439 Rn. 13 [„momentaner Belegungsort“]; Erman/Grunewald, BGB, 12. Aufl. [2008], § 439 Rn. 3). Ist bei dem Kauf eines Fahrzeugs für private Zwecke für die Durchführung der Nacherfüllung ein Ort im Vertrag nicht bestimmt, und war beiden Seiten bei Vertragsschluss klar, dass das Fahrzeug bestimmungsgemäß beim Käufer sein wird, ist Erfüllungsort der Nacherfüllung der Wohnsitz des Käufers (OLG München, Urt. v. 12.10.2005 – 15 U 2190/05, NJW 2006, 449; Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 269 Rn. 15, beide m. w. Nachw.). Der BGH ist der letztgenannten Auffassung des 15. Zivilsenats des OLG München ausdrücklich gefolgt (BGH, NJW-RR 2008, 724 = MDR 2008, 552). Der BGH hat dort zum Werkvertragsrecht ausgeführt, dass im Zweifel die Nachbesserung dort zu erbringen ist, wo das nachzubessernde Werk sich vertragsgemäß befindet, und dass dies auch für den kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruch gilt.
(c) Im Übrigen wiederholt der Senat seine Auffassung, dass das Verlangen des Beklagten, das Fahrzeug bei ihm vorzuführen, nicht nachvollziehbar ist, weil der Beklagte unstreitig über keine Reparaturwerkstatt verfügt, in der die entsprechenden Nacherfüllungshandlungen hätten vorgenommen werden können. Die Klägerin hat bereits mit ihrem Pkh-Antrag vom 29.09.2008 vorgetragen, der Beklagte habe sie gebeten, das Fahrzeug zur Firma K zwecks Reparatur zu verbringen, weil er keine eigene Werkstatt betreibe. Diesen Vortrag hat der Beklagte ausdrücklich bestätigt. Wenn der Beklagte über keine eigene Reparaturwerkstatt verfügt, kann er nicht rügen, das Landgericht habe verkannt, dass das Fahrzeug zu ihm zwecks Reparatur hätte verbracht werden müssen.
2. Die Klägerin kann aufgrund der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs auch Schadensersatz nach § 437 Nr. 3 BGB verlangen. Die Reparatur- und Fahrtkosten waren in erster Instanz unstreitig. Auch die Bemessung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht aufgrund einer Schätzung nach § 287 ZPO mit 0,5 % des Kaufpreises pro gefahrene 1.000 km begegnet vor dem Hintergrund, dass der Beklagte in erster Instanz keine höhere Nutzungsentschädigung eingewandt hat, keinen Bedenken. Die gegen das Urteil erhobenen Einwendungen des Beklagten greifen auch hier nicht durch …
Entgegen der ursprünglichen Absicht hat der Senat die Revision nicht zugelassen. Zwar weicht der Senat von der Rechtsprechung des 20. Zivilsenats des OLG München (OLGR 2007, 796 = NJW 2007, 3214) ab. Bei Abfassung des Urteils hat sich aber herausgestellt, dass diese Rechtsfrage vor Kurzem vom BGH entschieden worden ist. Der BGH hat ausgeführt, dass als Erfüllungsort der Gewährleistung der Ort anzusehen ist, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Gewährleistung bestimmungsgemäß befindet. Der BGH hat sich dabei ausdrücklich auf die erstgenannte Entscheidung des OLG München (NJW 2006, 449) gestützt (BGH, NJW-RR 2008, 724). Diese Entscheidung des BGH war für den Senat zum Zeitpunkt des Erlasses des genannten Hinweisbeschlusses noch nicht bekannt.
Zwar ist der Einwand des Beklagten richtig, Grundlage der genannten Entscheidung des BGH sei eine werkvertragliche Streitigkeit gewesen. Der BGH hat in dieser Entscheidung aber ausgeführt:
„Nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Wertung ist vor diesem Hintergrund als Erfüllungsort der Gewährleistung (§ 269 BGB) nach altem wie nach neuem Recht der Ort anzusehen, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Gewährleistung bestimmungsgemäß befindet (so auch für den kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruch OLG München, NJW 2006, 449).“
Der BGH hat sich daher in einer nach der Entscheidung des 20. Zivilsenats des OLG München veröffentlichten Entscheidung gegen dessen Rechtsprechung und für die gegenteilige Auffassung des 15. Zivilsenats des OLG München entschieden und ausgeführt, auch im Kaufrecht sei Erfüllungsort der Gewährleistung der Ort, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Gewährleistung bestimmungsgemäß befindet. Damit hat sich der BGH auch für das Kaufrecht zu dieser Rechtsfrage im genannten Sinne geäußert.
Die Sache hat daher keine grundsätzliche Bedeutung mehr …
Hinweis: Der BGH hat nach Erlass dieses Urteils entschieden, dass der Erfüllungsorts der Nacherfüllung im Kaufrecht nach § 269 I BGB zu bestimmen ist. Danach kommt es primär darauf an, was die Parteien des Kaufvertrags vereinbart haben. Wurde hinsichtlich des Erfüllungsorts nichts vereinbart, ist auf die jeweiligen Umstände – insbesondere die Natur des Schuldverhältnisses – abzustellen. Lassen sich auch daraus keine abschließenden Erkenntnisse gewinnen, ist der Erfüllungsort letztlich an dem Ort anzusiedeln, an dem der Verkäufer zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hatte (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10)