Kann ein Neuwagen entgegen den Angaben zum Kraftstoff in einem vom Hersteller herausgegebenen Prospekt nicht mit bleifreiem Normal- oder Superbenzin (mindestens 91 ROZ), sondern nur mit Super- oder Super-Plus-Benzin (mindestens 95 ROZ bzw. 98 ROZ) betankt werden, liegt ein Mangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2, I 3 BGB vor, der den Käufer grundsätzlich zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.

OLG München, Urteil vom 15.09.2004 – 18 U 2176/04

Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 27.03.2003 einen VW Polo in der Ausstattungsvariante „Highline“. Sie hält dieses Fahrzeug für mangelhaft, weil es entgegen den Angaben der Herstellerin nicht mit bleifreiem Normal- oder Superbenzin (mindestens 91 ROZ), sondern nur mit Super- oder Super-Plus-Benzin (mindestens 95 ROZ bzw. 98 ROZ) betrieben werden kann, und hat deshalb den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Die Klägerin ist vom Kaufvertrag vom 27.03.2003 wirksam zurückgetreten (§ 437 Nr. 2 Fall 1, § 323 I, II Nr. 1, § 440 Satz 1 BGB).

Das von der Klägerin gekaufte Fahrzeug weist einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2, Satz 3 BGB auf.

Bei dem für den Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu verwendenden Kraftstoff handelt es sich zwar um keine vereinbarte Beschaffenheit i. S. von § 434 I 1 BGB, da die Parteien bei Vertragsschluss weder ausdrücklich noch konkludent vereinbart haben, welcher Kraftstoff zu verwenden ist. Es liegt auch keine von den Parteien vorausgesetzte Verwendung i. S. von § 434 I 2 Nr. 1 BGB vor. Der von der Klägerin gekaufte Pkw … eignet sich aber nicht zur gewöhnlichen Verwendung i. S. von § 434 I 2 Nr. 2, Satz 3 BGB, da das Fahrzeug nicht mit Superbenzin (bleifrei) oder Normalbenzin (bleifrei), mindestens 91 ROZ, betrieben werden kann, sondern Super-Plus- (98 ROZ) oder Superbenzin (95 ROZ) verwendet werden muss.

Bei der Eignung zur gewöhnlichen Verwendung, die objektiv zu bestimmen ist, ist darauf abzustellen, welche Beschaffenheit der Käufer erwarten kann. Dies bestimmt sich nach dem Erwartungshorizont des Durchschnittskäufers. Bei der Beschaffenheit des Kaufgegenstands kommen alle tatsächlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umstände infrage, die nach der Verkehrsauffassung Wert und Brauchbarkeit der Sache unmittelbar beeinflussen. Gemäß § 434 I 3 BGB erweitern Werbeaussagen und andere öffentliche Äußerungen des Herstellers über bestimmte Eigenschaften des Produkts die Sollbeschaffenheit der Eignung zur gewöhnlichen Verwendung um solche Eigenschaften, die an sich nicht zu einer derartigen Beschaffenheit gehören (vgl. Palandt/Putzo, BGB, § 434 Rn. 31). Die Beklagte als Verkäuferin ist an die öffentlichen Äußerungen des Herstellers über die Beschaffenheit des Pkw … wie an eine zusätzliche Eigenschaft gebunden, es sei denn, dass sie die Äußerung nicht kannte und nicht kennen musste. Die Beschaffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs umfasst den zu verwendenden Kraftstoff. Nach dem vom Hersteller herausgegebenen Prospekt (Stand: Oktober 2002) waren Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs mit Superbenzin (bleifrei) oder Normalbenzin (bleifrei), mindestens 91 ROZ, zu betreiben. Bei dem an die Klägerin gelieferten Fahrzeug ist Super-Plus- (98 ROZ) oder Superbenzin (95 ROZ) zu verwenden. Der Prospekt stellt eine öffentliche Äußerung des Herstellers i. S. von § 434 I 3 BGB dar. Dass die Beklagte die Werbeaussagen des Pkw-Herstellers nicht kannte oder nicht kennen musste, wurde nicht vorgebracht.

Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 27.03.2003 in gleichwertiger Weise, das heißt in einem veröffentlichten Prospekt des Herstellers, die Angaben über den zu verwendenden Kraftstoff aktualisiert waren. Ob sie zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel bei Übergabe des Pkw, aktualisiert waren, ist unerheblich. Keiner der von der Beklagten angebotenen Zeugen konnte sicher angeben, dass vom Hersteller ein neuer Prospekt mit geänderten und aktuellen Angaben über den zu verwendenden Kraftstoff (Super-Plus- [98 ROZ] oder Superbenzin [95 ROZ]) am 27.03.2003 herausgegeben und veröffentlicht worden war. Der Zeuge L vermutete, dass der Prospekt des Herstellers, in dem auf den Kraftstoffverbrauch „Super-Plus- (98 ROZ) oder Superbenzin (95 ROZ)“ hingewiesen wurde, vom März 2003 stammt. Er wusste aber nicht, ob der Prospekt vor dem Abschluss des Kaufvertrags zwischen den Parteien vom Hersteller herausgegeben worden ist. Auch die Zeugen P und H konnten nicht angeben, ob im März 2003 der Prospekt (Stand: Oktober 2002) durch einen neuen Prospekt aktualisiert war. Die Zeugen waren glaubwürdig.

Die Änderung des zu verwendenden Kraftstoffs konnte die Kaufentscheidung der Klägerin beeinflussen, da der Betrieb des Fahrzeugs mit kostengünstigerem Normalbenzin (bleifrei), mindestens 91 ROZ, infolge der Änderung des zu verwendenden Kraftstoffs ausgeschlossen war.

Die Nacherfüllung hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.07.2004 verweigert …

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