Überlässt ein Kfz-Händler einem Kaufinteressenten ein neues oder gebrauchtes Fahrzeug für eine Probefahrt, so ist von einem stillschweigenden Haftungsausschluss für den Fall auszugehen, dass das Fahrzeug infolge leichter Fahrlässigkeit des Fahrers beschädigt wird und die Beschädigung im Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren steht. Die Haftungsfreistellung erfasst (vor-)vertragliche und deliktische Ersatzansprüche gleichermaßen.
OLG Koblenz, Urteil vom 13.01.2003 – 12 U 1360/01
Sachverhalt: Im früheren Kfz-Meisterbetrieb des R, der auch mit Neu- und Gebrauchtwagen handelte, wurde im Mai 1998 ein mit einem Verkaufsschild versehenes, knapp drei Jahre altes Fahrzeug (Easy Trike Chopper) angeboten. Eigentümerin dieses Fahrzeugs will die Klägerin gewesen sein.
Am 29.05.1998 stellte R das Fahrzeug dem Beklagten für eine Probefahrt zur Verfügu;ng und bemerkte erst nach dessen Abfahrt, dass er an dem Gefährt kein Nummernschild angebracht hatte. Er ließ das Nummernschild zur Wohnung des Beklagten bringen, der es dann selbst anmontierte. Als der Beklagte etwa zwei Stunden nach der Übernahme des Fahrzeugs mit diesem rechtwinklig in das Betriebsgrundstück des R einfuhr, streifte er den links im Bereich der Einfahrt stehenden Pkw eines Kunden und beschädigte dabei einige Kunststoffzierleisten an dem Wagen. Dann schoss das Trike in Richtung des geöffneten Tors der Reparaturhalle, blieb dort mit dem rechten hinteren Rad am Torpfosten hängen, wurde rechts herumgeschleudert und schlug mit der Gabel und dem Reifen gegen ein abgestelltes Ölfass. Hierdurch wurde das Trike nicht unerheblich beschädigt. Der Beklagte gab als Unfallursache ein Abrutschen von der Kupplung an.
R versuchte zunächst, den Schadensfall über seine betriebliche Haftpflichtversicherung abzuwickeln, wobei er das Schadensereignis auf den 04.06.1998 legte und angab, er habe den Schaden beim Hereinfahren des Kundenfahrzeugs verursacht. Später zog er sein Regulierungsverlangen zurück.
Die Klägerin hat von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 10.000,00 DM nebst Kosten für ein Gutachten und Zinsen verlangt. Das Landgericht hat ihrem Begehren teilweise, nämlich in Höhe von 8.197,09 DM nebst Zinsen entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg und führte zur vollständigen Abweisung der Klage.
Aus den Gründen: [D]er Senat (geht) von der Aktivlegitimation der Klägerin, welche der Beklagte bestreitet, aus.
Zwar liegt es auf der Hand, dass der Zeuge E, der Ehemann der Klägerin, „dessen Hobby“ das Trike gewesen war und der es dann gleichwohl Anfang 1998 der Klägerin … geschenkt haben will, zu verschiedenen Punkten falsche Angaben gemacht hat … Das allein zwingt aber noch nicht zu dem Schluss, dass der Zeuge E das Trike dann auch nicht an die Klägerin übereignet hat. Denn es steht fest, dass das Trike per 30.04.1998 auf die Klägerin zugelassen worden ist, und dass im Hinblick auf finanzielle Verpflichtungen des Zeugen aus einem Hausbau durchaus ein Interesse bestanden haben kann, diesen – wenn auch kleinen – Vermögenswert nun auf die künftige Ehefrau zu übertragen. Hinzu kommt, dass der Zeuge E letztlich und vorsorglich durch schriftliche Abtretungsvereinbarung sämtliche ihm etwa zustehende Ansprüche aus der Unfallbeschädigung des Trikes an die Klägerin abgetreten hat.
Entscheidend ist, dass der Beklagte den Fahrzeugschaden nur mit einfacher, nicht aber grober Fahrlässigkeit verursacht hat und dass zu seinen Gunsten daher von einem stillschweigenden Haftungsausschluss auszugehen ist.
1. Überlässt ein Kraftfahrzeughändler einem Kaufinteressenten ein neues oder gebrauchtes Fahrzeug zu einer Probefahrt und wird dieses infolge leichter Fahrlässigkeit des Fahrers beschädigt, dann gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu dessen Gunsten eine stillschweigende Haftungsfreistellung, wenn die Beschädigung des Fahrzeugs im Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren steht (BGH, Urt. v. 07.06.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972, 1363; Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 264/76, WM 1979, 367). Diese Haftungsfreistellung, welche die Klägerin gemäß § 278 BGB gegen sich gelten lassen muss, erfasst vertragliche Ersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss und deliktische Ansprüche (BGH, Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 264/76, WM 1979, 367).
a) Diese Rechtsgrundsätze finden ihre innere Rechtfertigung in Folgendem:
Zum einen besteht bei Probefahrten im allgemeinen ein erhöhtes Unfallrisiko. Ein Probefahrer ist in der Regel mit den Besonderheiten des Fahrzeugs, das er zur Probe fährt, nicht vertraut. Zahlreiche Bedienungshebel, wie Gangschaltung, Hupe, Blinker sind bei einzelnen Modellen unterschiedlich ausgebildet und angebracht, und das Ansprechen von Gaspedal und Bremsen, das Lenkverhalten, die Sichtverhältnisse und die Abmessungen sind von Fahrzeug zu Fahrzeug verschieden. Das bringt für den Probefahrer mehr oder weniger große Umstellungsschwierigkeiten mit sich. Ein weiteres Gefahrenmoment der Probefahrt ist es zudem, dass der Kaufinteressent dabei gerade die Fahreigenschaften, namentlich Kurvenlage, Beschleunigung und Bremsverhalten, testen will, erst recht bei einem Gebrauchtfahrzeug, das in der Regel mit Gewährleistungsausschluss verkauft wird. Das Bestreben, das Fahrzeug genau kennen zu lernen, verleitet leicht dazu, es schneller und schärfer zu fahren, als es sonst geschehen würde. Zum anderen hat ein Fahrzeughändler, und zwar grundsätzlich auch bei Anbahnung eines Weiterverkaufs des einem Dritten gehörenden Gebrauchtfahrzeugs, ein eigenes geschäftliches Interesse und zudem die Möglichkeit, für das Fahrzeug eine Kaskovollversicherung gegen das Risiko einer leicht fahrlässigen Beschädigung in zumutbarer Weise abzuschließen (BGH, Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 264/76, WM 1979, 367).
b) Den Schaden hat der Beklagte nur mit einfacher Fahrlässigkeit verursacht. Grobe Fahrlässigkeit wäre nur dann anzunehmen, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hätte, wobei sein Verschulden auch in subjektiver Hinsicht schwer wiegen müsste. Dagegen spricht aber schon der Umstand, dass der Beklagte mit dem doch recht ungewöhnlichen Dreiradfahrzeug nicht vertraut war und es wegen der Disproportion des Fahrzeugs, das hinten gegenüber vorn eine krasse Überbreite mit extrem breiten Reifen aufwies, in der Situation einer Probefahrt leicht dazu kommen konnte, dass er beim Wiedereinfahren auf das Betriebsgelände zunächst die Zierleisten eines dort abgestellten Pkw streifte, von der Kupplung abrutschte und mit dem deshalb in Fahrt bleibenden Fahrzeug bzw. dessen rechtem hinteren Rad am Torpfosten der Reparaturhalle hängen blieb. Bei dieser Sachlage kann von mehr als einer augenblicklichen Fehlreaktion des Beklagten, bei der es regelmäßig an einem subjektiven besonders schwerwiegenden Verschulden fehlt, nicht ausgegangen werden. Dies gilt selbst bei einem „Verschalten“ eines Probefahrers und auch noch bei einem anschließenden, vermutlich auf Schreck beruhenden weiteren Fehler (Unterlassen einer sofortigen Bremsung; vgl. z. B. OLG Karlsruhe, DAR 1987, 380; OLG Köln, VersR 1991, 1148).
c) Ganz offensichtlich hing der Schadensfall auch mit den Eigentümlichkeiten der Probefahrt zusammen, nämlich der nicht vertrauten Breitendifferenz des Fahrzeugs zwischen vorn und hinten und der naturgemäß noch nicht hinreichend vertrauten Handhabung einzelner Bedienungspedale.
2. Der Anwendung der genannten Rechtsgrundsätze steht nicht entgegen, dass dem Beklagten – angeblich – schon vor der Probefahrt gesagt worden sein soll, das Fahrzeug sei noch auf einen Privatmann zugelassen, der es veräußern wolle. Grundsätzlich gilt die genannte Haftungsfreistellung zugunsten des Probefahrers auch dann, wenn es um ein Gebrauchtfahrzeug geht, das auf dem Betriebsgelände eines Fahrzeughändlers zum Verkauf ausgestellt ist, ohne diesem zu gehören. Wenn das OLG Köln (NJW 1996, 1288) für einen solchen Fall die Haftungsfreistellung abgelehnt hat, dann beruht dies ersichtlich auf der zweimal herausgestellten Tatsache, dass dort die Probefahrt erst unternommen werden konnte, nachdem mit Wissen des Kaufinteressenten die individuell erforderliche Erlaubnis des Autoeigentümers hierzu zuvor eigens eingeholt werden musste. Aber auch bei einer solchen Fallgestaltung, die hier nicht vorliegt, könnte der Senat diesem Urteil nicht beitreten. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Kaufinteressent, der ein bei einem gewerblichen Händler abgestelltes Fahrzeug, sei es ein Neufahrzeug oder ein Gebrauchtfahrzeug eines Dritten, Probe fahren will, grundsätzlich darauf vertrauen darf, für eine dabei durch einfache (leichte) Fahrlässigkeit verursachte Beschädigung des Fahrzeugs nicht zu haften (BGH, Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 264/76, WM 1979, 367; Urt. v. 08.01.1986 – VIII ZR 8/85, NJW 1986, 1099). Ist ein Händler nicht bereit, ein in seinem Betrieb zum Verkauf anstehendes Fahrzeug gegen das Risiko einer leicht fahrlässigen Beschädigung zu versichern, dann muss er einen möglichen Käufer vor Antritt einer Probefahrt darauf ausdrücklich hinweisen (BGH, Urt. v. 07.06.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972, 1363; Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 264/76, WM 1979, 367). Davon ist hier nicht auszugehen.
a) Unmittelbare Gespräche bezüglich des Trikes und der Probefahrt mit diesem hat es bis zur Ableistung der Probefahrt nur zwischen dem Beklagten und dem Zeugen R gegeben. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen R bestehen bereits deshalb grundlegende Bedenken, weil dieser mit falschen Angaben, namentlich einer unrichtigen Unfallzeit und seiner Person als Unfallverursacher, den Schadensfall als eigene Angelegenheit bei seiner Betriebshaftpflichtversicherung angemeldet hat. Dies zeigt zudem, dass er damals keineswegs von einer zweifelsfreien Haftung des Beklagten ausgegangen ist.
Aber selbst wenn man die Angaben des Zeugen R so zugrunde legt, wie er sie vor dem Landgericht gemacht hat, lässt sich damit kein Sachverhalt belegen, der dem üblichen stillschweigenden Haftungsausschluss für leicht fahrlässige Schadensverursachung bei einer Probefahrt entgegensteht. Danach sei dem Beklagten auf seine vor der Probefahrt gestellte Frage, wem das Trike gehöre, geantwortet worden, es gehöre der Firma X, also dem Herrn E. Er habe dann noch gefragt, wie das Fahrzeug angemeldet sei, aber selbst gesehen, dass es angemeldet sei. Damit meinte der Zeuge das Vorhandensein eines Nummernschildes, das aber am Tag der Probefahrt nicht angebracht war und dem Beklagten erst nach Antritt der Probefahrt nachgebracht worden ist. Angeblich soll der Beklagte dieses Nummernschild schon beim ersten Anschauen des Fahrzeugs (rund eine Woche vor der Probefahrt) gesehen haben. Das ändert aber nichts daran, dass es am Tage, an dem sich der Beklagte zur Probefahrt entschloss, bei Antritt dieser Fahrt nicht angebracht war. Auch in der Gesamtschau könnte all dies nicht die Schlussfolgerung tragen, dass der Beklagte bei Antritt der Probefahrt vom Fehlen des üblicherweise von einem Probefahrer vorausgesetzten Versicherungsschutzes dieses Fahrzeugs im Betrieb des Zeugen R ausgehen musste und ausgegangen ist.
Wenn am Trike kein „rotes“ Nummernschild angebracht war, so ist dies ebenfalls kein schlüssiger Hinweis auf das Nichtbestehen einer betrieblichen Kaskoversicherung. Denn auch bei den in einem Fahrzeugbetrieb befindlichen Fremdfahrzeugen mit regulären Kennzeichen ist eine betriebliche Zusatzversicherung möglich …
c) Das rechtlich schutzwürdige Vertrauen des Beklagten in das Bestehen einer Vollkaskoversicherung für das im Betrieb des Zeugen R zum Verkauf ausgestellte Trike hätte daher nur dadurch aufgehoben werden können, dass der Zeuge R vor Antritt der Probefahrt ausdrücklich auf das Fehlen dieses Versicherungsschutzes aufmerksam gemacht hätte. Derartiges hat der Zeuge R aber nicht bekundet. Selbst die Klägerin hat schriftsätzlich vorgetragen, über eine Vollkaskoversicherung habe der Zeuge R weder mit dem Beklagten noch dessen Ehefrau je gesprochen. Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Beklagte, wäre er auf das Fehlen eines solchen Versicherungsschutzes rechtzeitig hingewiesen worden, von einer Probefahrt abgesehen hätte …