Zur Frage der Unterbrechung der Verjährung durch Einreichung eines Mahnbescheidsantrags vor Verjährungsbeginn (Bestätigung von BGH, Urt. v. 31.03.1969 – VII ZR 35/67, BGHZ 52, 47).

BGH, Urteil vom 27.09.1995 – VIII ZR 257/94

Diese Entscheidung ist zum „alten“ Schuldrecht und vor Inkrafttreten der ZPO-Reform 2002 ergangen. Sie kann nicht ohne Weiteres auf das seit dem 01.01.2002 geltende Recht übertragen werden. Die genannten Vorschriften existieren heute möglicherweise nicht mehr oder haben einen anderen Inhalt.

Sachverhalt: Am 31.10.1989 – seinem 18. Geburtstag – bestellte der Beklagte bei der Klägerin einen fabrikneuen Pkw (BMW M3 Cabrio). Ausweislich des Bestellformulars war das Fahrzeug „bar bei Bereitstellung zum am Tag der Lieferung gültigen Werkslistenpreis“ zu bezahlen. Die Bestellung des Beklagten nahm die Klägerin mit Auftragsbestätigung vom 07.11.1989 an.

Der Wagen mit einem Listenpreis von 108.320 DM stand ab dem 26.06.1990 bei der Klägerin zur Abholung bereit, worauf der Beklagte mehrmals, zuletzt am 25.07.1990, hingewiesen wurde. Mit Schreiben vom 09.08.1990 setzte die Klägerin dem Beklagten eine Frist zur Abholung und Bezahlung des Fahrzeugs bis zum 27.08.1990 und erklärte, dass sie nach erfolglosem Ablauf dieser Frist die Auslieferung des Fahrzeugs ablehnen und Schadensersatz entsprechend ihren Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen verlangen werde. Mit Schreiben vom 28.08.1990 – und durch nachfolgende Zahlungsaufforderungen – verlangte die Klägerin schließlich (erfolglos) Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags in Höhe von 16.248 DM, was 15 % des geschuldeten Kaufpreises entsprach, zahlbar bis 05.09.1990.

Mit beim Mahngericht am 07.11.1990 eingegangenem Antrag vom 02.11.1990 beantragte die Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids über 16.248 DM zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Kosten (30 DM). Der Mahnbescheid wurde am 13.11.1990 erlassen. Er wurde dem Beklagten, der seit dem 07.11.1990 unter vorläufiger Vormundschaft stand, persönlich am 15.11.1990 zugestellt. Der Beklagte erhob Widerspruch und wies auf die Anordnung der vorläufigen Vormundschaft – deren Ende erst mit Beschluss des Amtsgerichts vom 07.10.1991 festgestellt wurde – hin. Die Klägerin kam der gerichtlichen Aufforderung zur Benennung eines Vormunds vom vom 27.11.1990 nicht nach, sondern beantragte am 31.12.1990 den Erlass eines Vollstreckungsbescheids. Daraufhin wurde ihr vom Mahngericht am 07.02.1991 mitgeteilt, dass die Zustellung des Mahnbescheids vom 15.11.1990 unwirksam sei und deshalb ein Vollstreckungsbescheid nicht erlassen werden könne. Mit Schreiben vom 30.12.1992, beim Mahngericht eingegangen am 31.12.1992, beantragte die Klägerin erneut die Zustellung des Mahnbescheids vom 13.11.1990, die sodann am 20.01.1993 erfolgte. Hiergegen hat der Beklagte am 27.01.1993 Widerspruch eingelegt und die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr mit Ausnahme der geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten und eines Teils der verlangten Zinsen stattgegeben und die Revision „beschränkt auf die Einrede der Verjährung“ zugelassen. Die Revision des Beklagten, der die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte, hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Schadensersatzpflicht des Beklagten ergebe sich aus § 326 I 2 BGB. Die von der Klägerin gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien wirksam in den Kaufvertrag einbezogen worden. Die in V Nr. 5 ihrer Verkaufsbedingungen enthaltene Schadensersatzpauschalierung verstoße nicht gegen § 11 Nr. 5 AGBG, eine Schadensersatzpauschale von 15 % des Kaufpreises sei bei fabrikneuen Personenkraftwagen nicht zu beanstanden. Der Nachweis eines geringeren Schadens sei dem Käufer ausdrücklich eröffnet. Die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greife nicht durch. Der Schadensersatzanspruch unterliege der zweijährigen Verjährung nach § 196 I Nr. 1 BGB, die aufgrund der Anwendbarkeit des § 201 BGB zum Ende des Jahres 1992 abgelaufen sei. Die Zustellung des Mahnbescheids am 20.01.1993 habe die Verjährung jedoch nach § 209 II Nr. 1 BGB unterbrochen, da sie bezogen auf den Ablauf der Verjährungsfrist „demnächst“ i. S. des § 693 II ZPO erfolgt sei. Da die von § 693 II ZPO angeordnete Rückdatierung der Zustellungswirkung auf die Einreichung des Mahnbescheidsantrages vorliegend dazu führen würde, dass die Verjährung unterbrochen würde, bevor die Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe, sei auf den Zeitpunkt des Antrags auf Zustellung des Mahnbescheides (hier 31.12.1992) abzustellen. Die Unterbrechung der Verjährung sei auch nicht nach § 213 Satz 2 BGB weggefallen. Die Folge des § 701 ZPO könne nicht vor Zustellung des Mahnbescheides eintreten. Zudem stelle das Schreiben des Mahngerichts vom 07.02.1991 weder inhaltlich noch rechtlich eine Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids dar.

III. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

1. Zu Recht weist der Revisionskläger allerdings darauf hin, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Zulassung der Revision auf die Frage der Verjährung unwirksam ist, da sie auf eine einzelne Rechtsfrage abzielt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 03.06.1987 – IVa ZR 292/85, BGHZ 101, 276, 278; Zöller/Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 546 Rn. 42). Die Revision gilt deshalb als einschränkungslos zugelassen.

2. Rechtsfehlerfrei und von der Revision auch nicht beanstandet bejaht das Berufungsgericht eine Schadensersatzpflicht des Beklagten gemäß V Nr. 5 der Verkaufsbedingungen der Klägerin in Höhe von 15 % des Bruttokaufpreises (vgl. zur Höhe der Schadenspauschale beim Neuwagengeschäft Senat, Urt. v. 16.06.1982 – VIII ZR 89/81, WM 1982, 907 [unter II 2 b cc]). Dieser Schadensersatzanspruch verjährt, wie der Erfüllungsanspruch, an dessen Stelle er tritt, in zwei Jahren (§ 196 I Nr. 1 BGB).

3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Klagforderung sei nicht verjährt.

a) Die am 31.12.1992 ablaufende Verjährungsfrist wurde gemäß § 209 I, II Nr. 1 BGB durch die Zustellung des Mahnbescheids am 20.01.1993 unterbrochen. Soll durch die Zustellung die Verjährung unterbrochen werden, tritt gemäß § 693 II ZPO diese Wirkung bereits mit der Einreichung des Mahnbescheidsantrags ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Maßgeblich hierfür ist lediglich die Zeit zwischen Ablauf der Verjährungsfrist – hier dem 31.12.1992 – und der Zustellung des Mahnbescheids, hier dem 20.01.1993 (st. Rspr.; s. BGH, Urt. v. 16.12.1987 – VIII ZR 4/87, BGHZ 103, 20, 29 f; Urt. v. 29.11.1982 – VIII ZR 178/81, BGHZ 86, 313, 322 f). Der Zeitraum zwischen Einreichung des Antrags und Verjährungseintritt bleibt dagegen in Ansehung des § 693 II ZPO unberücksichtigt; denn soweit die Verzögerung bei der Zustellung in den Zeitraum vor Fristablauf fällt, ist sie unschädlich. Andernfalls würde derjenige benachteiligt, der mit der Einreichung einer Klage oder eines Mahnbescheidsantrags nicht bis zum letzten Tag der Frist gewartet, sondern diese schon lange vorher eingereicht hat (BGH, Urt. v. 07.04.1983 – III ZR 193/81, WM 1983, 985 [unter II 1]; Urt. v. 27.05.1993 – I ZR 100/91, NJW 1993, 2320 [zu § 270 III ZPO]; zuletzt Urt. v. 18.05.1995 – VII ZR 191/94, WM 1995, 1413 [unter II 2 c], jeweils m. w. Nachw.; MünchKomm-ZPO/Lüke, § 270 Rn. 45). Eine dem Kläger zur Last fallende Verzögerung der Zustellung scheidet regelmäßig dann aus, wenn der Mahnbescheidsantrag bzw. die Klage am letzten Tag der Frist den gesetzlichen Erfordernissen entspricht (BGH, Urt. v. 12.10.1971 – VI ZR 59/70, NJW 1972, 208 [unter I 2 b]), mithin die Zustellung zu keinem späteren Zeitpunkt erfolgt, als dies bei Eingang am letzten Tag der Frist der Fall gewesen wäre (vgl. MünchKomm-ZPO/Lüke, § 270 Rn. 45).

Das ist hier der Fall. Am 31.12.1992, dem Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist, als die Klägerin die (nochmalige) Zustellung des Mahnbescheids vom 13.11.1990 beantragt hat, war der Mangel der Prozessfähigkeit des Beklagten entfallen, der Vorschuss für die Zustellungskosten war entrichtet. Bezogen auf den 31.12.1992 ist die Zustellung – wie das Berufungsgericht zu Recht festgestellt hat – demnächst erfolgt. Nach diesem Zeitpunkt ist keine Verzögerung eingetreten, die der Klägerin zur Last gelegt werden könnte.

b) Die Rückwirkung der Zustellung auf die Einreichung des Mahnbescheidsantrags führt entgegen der Auffassung der Revision auch dann nicht zur Verjährung der Klageforderung, wenn die Klägerin das Verfahren nach dem 27.11.1990 zunächst nicht mehr weiterbetrieben haben sollte.

aa) Für den Fall eines vor Beginn des Laufs der Verjährungsfrist des § 201 BGB zugestellten Mahnbescheids hat der BGH (Urt. v. 31.03.1969 – VII ZR 35/67, BGHZ 52, 47, 49 f.) entschieden, dass mit Beginn des Laufs der Verjährungsfrist zugleich ein Zustand der Unterbrechung vorliegt (vgl. auch MünchKomm-BGB/Feldmann, 3. Aufl., § 217). Endet die Unterbrechung aber noch vor Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, so bleibt es bei dem ursprünglichen Verjährungsbeginn nach § 201 BGB (BGH, Urt. v. 31.03.1969 – VII ZR 35/67, BGHZ 52, 47, 49; Soergel/Walter, BGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 6, Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., § 201 Rn. 1).

bb) Nichts anderes gilt, wenn die Zustellungswirkung nach § 693 II ZPO auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrags fingiert wird. Diese Rückbeziehung scheitert nicht daran, dass am Tage der Einreichung des Mahnbescheidsantrags der Beklagte unter vorläufiger Vormundschaft gestellt worden war. Aus der Vorschrift des § 693 II ZPO ergibt sich vielmehr, dass es allein auf die Einreichung oder Anbringung des Antrages ankommt. War das Verfahren – wie die Revision meint – nach der Mitteilung des Gerichts vom 27.11.1990 wegen Nichtbetreibens in Stillstand geraten und damit die Unterbrechungswirkung beendet (§§ 213 Satz 1, 212a Satz 2, 211 II 1 BGB), begann die Verjährungsfrist demzufolge am 01.01.1991 zu laufen. Sie wurde durch den am 31.12.1992 beim Mahngericht eingegangenen Antrag auf erneute Zustellung des Mahnbescheids noch rechtzeitig unterbrochen. Denn nach der auf den vorliegenden Sachverhalt jedenfalls entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 213 Satz 1 BGB (i. V. mit § 212a Satz 2 und § 211 II 2 BGB) ist darin ein Weiterbetreiben des Verfahrens zu sehen.

c) Nachdem die Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids gegen den wieder uneingeschränkt prozess- und geschäftsfähigen Beklagten am 20.01.1993 rechtzeitig unterbrochen wurde, stellt sich die von der Revision aufgeworfene Frage, ob im Betreiben eines Verfahrens gegen einen unter vorläufiger Vormundschaft stehenden Gegner überhaupt für eine bestimmte Dauer die Verjährung unterbrochen werden kann, nicht.

d) Zutreffend weist das Berufungsgericht schließlich darauf hin, dass die Wirkung des Mahnbescheids, insbesondere die Unterbrechung der Verjährung nach § 209 II Nr. 1 BGB, nicht weggefallen ist (§ 213 Satz 2 BGB, § 701 ZPO). Diese Folge setzt eine ordnungsgemäße Zustellung des Mahnbescheids voraus (vgl. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 701 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Holch, § 701 Rn. 1). Da eine solche erst am 20.01.1993 bewirkt wurde, konnte das Schreiben des Mahngerichts vom 07.02.1991, ungeachtet der Frage, ob darin eine Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids zu sehen ist, die Wirkung des Mahnbescheids nach § 701 Satz 2 ZPO nicht beseitigen.

PDF erstellen