1. Ein als Gebrauchtwagen verkauftes Fahrzeug ist nicht schon deshalb mangelhaft, weil es aus einem EU-Mitgliedsstaat (hier: Spanien) nach Deutschland reimportiert wurde. Denn es wirkt sich auf die Beschaffenheit eines Fahrzeugs nicht aus, ob es erstmals innerhalb des nationalen Händlernetzes oder über das Ausland ausgeliefert wurde. Ein Sachmangel kann aber gegeben sein, wenn sich die Ausstattung des Fahrzeugs zum Nachteil des Käufers von der in Deutschland üblichen Serienausstattung unterscheidet (hier: fehlendes ESP).
  2. Der Umstand, dass ein Fahrzeug aus einem EU-Mitgliedsstaat nach Deutschland reimportiert wurde, stellt (noch) einen preisbildenden Faktor dar. Der Verkäufer muss den Käufer deshalb darüber aufklären, dass er einen „Reimport“ erwirbt. Verschweigt der Verkäufer dies, ist der Käufer zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I BGB) berechtigt.

OLG Naumburg, Urteil vom 07.12.2005 – 6 U 24/05

Sachverhalt: Die Beklagte betreibt einen Gebrauchtwagenhandel. Die Klägerin möchte ein bei ihr gekauftes Fahrzeug Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückgeben, weil die Beklagte ihr angeblich verschwiegen hat, dass das Fahrzeug aus Spanien reimportiert wurde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass keine Pflicht bestanden habe, die Klägerin darüber aufzuklären, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein sogenanntes EU-Fahrzeug handelt. Das Fahrzeug habe keine Ausstattungsmängel aufgewiesen und sofort zugelassen werden können.

Die Berufung der Klägerin hatte ganz überwiegend Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 812 I 2 Fall 1 BGB, da sie den Vertrag wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten hat (§§ 142 I, 143 I, 123 I BGB; vgl. 1). Der Rückabwicklungsanspruch ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 1 BGB i. V. mit § 241 II BGB. Die Beklagte muss sich jedoch gemäß § 818 I und II BGB die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. 2). Spätestens, seitdem sich die Klägerin Nutzungen in unbestrittener Höhe anrechnen lässt, befindet sich die Beklagte in Annahmeverzug (vgl. 3).

1. a) Die Beklagte hat den Kaufpreis durch Leistung der Klägerin i. S. des § 812 I 2 Fall 1 BGB erlangt.

b) Durch die vollzogene Anfechtung ist der rechtliche Grund für das Behaltendürfen der Zahlung, nämlich der Kaufvertrag, i. S. des § 812 I 2 Fall 1 BGB später weggefallen.

Zwar ist nach § 142 I BGB ein angefochtenes Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen. Deshalb wird in den Anfechtungsfällen teilweise auch § 812 I 1 Fall 1 BGB (condictio indebiti) angewandt. Jedoch passt § 812 I 2 Fall 1 BGB (condictio ob causam finitam) besser, da der Rechtsgrund für die Leistung tatsächlich bis zur Erklärung der Anfechtung (§ 143 I BGB) bestanden hat (Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 812 Rn. 77 mit Nachw. zum Meinungsstand). Letztlich braucht diese Rechtsfrage hier jedoch nicht entschieden zu werden, da sich die Rechtsfolgen im vorliegenden Fall nicht unterscheiden.

c) Die Klägerin hat die Anfechtung des Kaufvertrages vom 21.02.2004 innerhalb der Frist des § 124 I und II BGB erklärt, da sie die Anfechtung bereits mit Schriftsatz vom 19.03.2004 erklärt hat.

d) Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts liegt der Anfechtungsgrund des § 123 I BGB vor. Die Beklagte oder ihre Angestellten haben die Klägerin durch Verschweigen der Reimporteigenschaft arglistig getäuscht.

aa) Es ist zwar grundsätzlich Sache jeder Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen. Daher besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein könnten (BGH, Urt. v. 13.07.1983 – VIII ZR 142/82, WM 1983, 1006, 1007). Dagegen müssen Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, ungefragt offenbart werden (so schon BGH, Urt. v. 28.04.1971 – VIII ZR 258/69, NJW 1971, 1799).

Eine arglistige Täuschung i. S. des § 123 BGB setzt damit voraus, dass der Verkäufer einen offenbarungspflichtigen Umstand zumindest bedingt vorsätzlich in dem Bewusstsein verschwiegen und billigend in Kauf genommen hat, dass der Käufer ihn nicht kennen und den Kauf bei entsprechender Kenntnis nicht oder nicht zu den vereinbarten Bedingungen abschließen würde (BGH, Urt. v. 12.03.1997 – VIII ZR 15/96, NJW 1997, 1914, 1916 m. w. Nachw.).

bb) Hier hätte die Beklagte offenbaren müssen, dass der fragliche Audi A2 aus Spanien reimportiert worden war. Diese Tatsache stellt einen preisbildenden Faktor da.

Nach der bisherigen Rechtsprechung stellt die Reimporteigenschaft eines Gebrauchtwagens durch einen Gebrauchtwagenhändler einen solchen offenbarungspflichtigen Umstand dar (OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.03.1999 – 4 U 632/98-141, NJW-RR 1999, 1063; OLG Hamm, Urt. v. 13.05.2003 – 28 U 150/02, NJW-RR 2003, 1360, 1361; LG Düsseldorf, Urt. v. 22.04.2003 – 24 S 548/02, DAR 2003, 420). Denn die Erstzulassung in Deutschland war vor dem Hintergrund, dass – zur Zeit der dort entschiedenen Fälle – für Importfahrzeuge ein deutlich niedrigeres Preisgefüge herrschte, ein erheblicher preisbildender Faktor. Ein potenzieller Erwerber war wegen der im Fahrzeugbrief dokumentierten Importeigenschaft gegen ein solches Fahrzeug misstrauisch. Dieses Misstrauen schlug sich im Marktwert nieder. Allerdings sei – wie das OLG Hamm (Urt. v. 13.05.2003 – 28 U 150/02, NJW-RR 2003, 1360, 1361) betont – in jüngster Zeit eine gewisse Veränderung zu beobachten.

Der Senat hat zu der Frage, ob die Reimporteigenschaft auch noch im Jahre 2004 zu dem behaupteten um circa 10 % geringeren Wert des verkauften Fahrzeuges geführt habe, Beweis erhoben.

Wie der Sachverständige S in seinem schriftlichen Gutachten vom 28.10.2005 wie auch in seiner Erläuterung in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2005 nachvollziehbar und glaubhaft bekundet hat, haben EU-Importfahrzeuge als Neuwagen einen Preisvorteil von 15–20 %. Dieser Preisvorteil wird im Allgemeinen auch im Gebrauchtwagenhandel weiter berücksichtigt. Bereits der Verdacht auf EU-Import ziehe ähnlich wie bei merkantilem Minderwert eine Preisveränderung im Handel nach sich. Die Preisgestaltung sei aber für den jeweiligen Fall individuell zu betrachten, sodass Preisdifferenzen und EU-Import bei Gebrauchtwagen nicht eindeutig zuordenbar seien. Sei seien jedenfalls nicht für alle Fahrzeugklassen mit einem einheitlichen Prozentabschlag bewertbar.

Im vorliegenden Fall sei jedoch die behauptete Wertminderung bereits allein dadurch gerechtfertigt, dass das Fahrzeug nicht mit dem in Deutschland serienmäßig angebotenen elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) ausgestattet sei.

In der Literatur werden weitere Gründe für eine unterschiedliche Bewertung von Wagen mit deutscher Erstzulassung und importierten Gebrauchtfahrzeugen genannt. Der Markt vermute bei einer Benutzung im Ausland eventuell schlechtere Wartung und Pflege. Es sei gegebenenfalls mit Laufzeitverkürzungen von Garantien und inhaltlichen Garantiedefiziten zu rechnen. Außerdem klaffe der Produktionszeitpunkt und die Erstzulassung laut Fahrzeugbrief zeitlich weiter auseinander. Der neu ausgestellte inländische Fahrzeugbrief verschleiere die wahre Fahrzeuggeschichte (vgl. Reinking/Eggert, NZV 1999, 7, 14 m. w. Nachw.).

Angesichts dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags im Februar 2004 noch eine Preisdifferenz für das konkrete Fahrzeug von mindestens 10 % gegenüber einem Fahrzeug mit Erstzulassung in Deutschland bestand.

Eine Neubewertung der Aufklärungspflicht ist weder aufgrund der Modernisierung des Schuldrechtes noch aus europarechtlichen Gründen geboten.

(1) § 123 BGB ist von der Schuldrechtsmodernisierung nicht betroffen worden. Anders mögen die Dinge für § 476 BGB a.F. liegen. Aufgrund des beim Gebrauchtwagenkauf üblichen vollständigen Gewährleistungsausschlusses unter Geltung des alten Schuldrechtes war die Rechtsprechung geneigt, das Schuld- und Beweismaß hinsichtlich des Vorliegens von Mängeln herabzusetzen.

Die Reimporteigenschaft ist jedoch kein Sachmangel.

Ein Sachmangel i. S. des § 434 BGB n.F. setzt eine Beschaffenheit der Sache selbst voraus. Die Beschaffenheit ist mit dem tatsächlichen Zustand der Sache gleichzusetzen. Unter Beschaffenheit fällt jede Eigenschaft und jeder der Sache anhaftende tatsächliche oder wirtschaftliche oder rechtliche Umstand. Die Eigenschaft bzw. der Umstand muss in der Beschaffenheit der Kaufsache wurzeln und ihr unmittelbar physisch auf eine gewisse Dauer anhaften (OLG Hamm, Urt. v. 13.05.2003 – 28 U 150/02, NJW-RR 2003, 1360, 1361).

Auf die Beschaffenheit des Fahrzeugs wirkt es sich in dem oben genannten Sinne nicht unmittelbar aus, ob die erste Auslieferung innerhalb des nationalen Händlernetzes oder über das Ausland erfolgt ist. Der Reimport ist daher keine dem Fahrzeug anhaftende Beschaffenheit, also kein Sachmangel i. S. des § 434 BGB n.F.

Hier hat sich zwar anlässlich der Beweisaufnahme ein Ausstattungsunterschied im Hinblick auf das Elektronische Stabilitätsprogramm ergeben. Der Ausstattungsunterschied wäre für sich genommen zwar ein Sachmangel. Als solcher ist er aber von keiner Seite in den Rechtsstreit eingeführt worden. Auch die Klägerin hat einen Ausstattungsunterschied nie behauptet. Er gewinnt daher hier nur Bedeutung im Zusammenhang mit der Reimporteigenschaft. Aufgrund des Reimports hatte die Klägerin einen geringeren Wert angenommen. Dieser geringere Wert ist unter anderem aufgrund des preislich bedeutsamen Ausstattungsunterschiedes bewiesen.

(2) Auch europarechtliche Gründe gebieten keine Verneinung der Offenbarungspflicht.

Dies folgt weder aus dem EG-Vertrag noch aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171, 12) oder aus der Rechtsprechung des EuGH.

Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten gebietet Art. 28 EGV es nicht, die Offenbarungspflichten des Gebrauchtwagenverkäufers neu zu bewerten. Zum einen wendet sich diese Vorschrift unmittelbar nur an die Mitgliedsstaaten. Zum anderen erfasst auch der Zweck dieser Bestimmung den vorliegenden Fall nicht.

Die Bestimmung des Art. 28 EGV bezweckt einen freien Handel zwischen den Mitgliedsstaaten der EG (EU). Hier handelt es sich um das Fahrzeug eines deutschen Herstellers, das nach Deutschland reimportiert wurde. In der Konsequenz der Argumentation des Beklagten sollte dieser deutsche Hersteller in seiner inländischen Preispolitik durch Art. 28 EGV vor Reimporten seiner eigenen Fahrzeuge geschützt werden. Denn das Verschweigen des Reimports zielt gerade darauf, dieses unterschiedliche Preisniveau in der verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten zum eigenen Vorteil auszunutzen und zu stabilisieren. Der freie Handel auf dem Binnenmarkt gebietet aber gerade keine nationale unterschiedliche Preispolitik.

Auch aus der Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter … ergibt sich keine Neubewertung der Aufklärungspflichten.

Zwar liegt nach Art. 2 III der Richtlinie keine Vertragswidrigkeit vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Vertragswidrigkeit hatte oder vernünftigerweise nicht in Unkenntnis darüber sein konnte. Es ist schon fraglich, ob die Klägerin im konkreten Fall selbst danach hätte fragen müssen, ob das Fahrzeug aus einem anderen EU-Land importiert worden sei. Jedenfalls können die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 8 II der Richtlinie strengere Bestimmungen aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für Verbraucher sicherzustellen. Die in der deutschen Rechtsprechung angenommene Offenbarungspflicht der Reimporteigenschaft würde dann zumindest ein solches höheres Schutzniveau darstellen. Denn auch ein Verbraucher, dem die Preisunterschiede für Reimportfahrzeuge unbekannt sind, wird dann geschützt.

Schließlich ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des EuGH – soweit für den Senat ersichtlich – nichts Gegenteiliges.

cc) Die Beklagte verschwieg die Reimporteigenschaft zumindest bedingt vorsätzlich. Nach ihrer eigenen Argumentation hat die Reimporteigenschaft einen „potenziell Nachfrage mindernden Effekt“. Damit ging und geht sie selbst davon aus, dass die Nachfrage und damit der Preis für Reimportfahrzeuge geringer sei, und wollte diesen Effekt vermeiden. Im Übrigen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch wenig plausibel, wie der Beklagten als Autohändlerin das unterschiedliche Preisniveau für Fahrzeuge mit Erstzulassung in Deutschland und Reimportfahrzeuge verborgen geblieben sein sollte, sodass der Senat von der Kenntnis überzeugt ist.

Aber selbst wenn man – im Gegensatz zur Auffassung des Senats – einen Vorsatz der Beklagten verneinen wollte, so bliebe ein Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss. Die arglistige Täuschung stellt nur ein besonders schwerwiegendes, speziell gesetzlich geregeltes Verschulden bei Vertragsschluss dar. Für die Annahme eines Verschuldens bei Vertragsschluss genügt jedes Verschulden, also auch Fahrlässigkeit. Der Anspruch der Klägerin ließe sich damit, auch wenn keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt worden wäre, auf Verschulden bei Vertragsschluss gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 1 BGB i. V. mit § 241 II BGB stützen.

d) Das schuldhafte Unterlassen des Hinweises auf die Reimporteigenschaft ist für den Kaufentschluss zumindest mitursächlich geworden. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass das Verschweigen eines wertmindernden Umstands den Kaufentschluss zumindest mitbeeinflusst (BGH, Urt. v. 12.05.1995 – V ZR 34/94, NJW 1995, 2361, 2362 m. w. Nachw.). …

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