Fragt der Käufer eines Gebrauchtwagens den Verkäufer ausdrücklich danach, ob das angebotene Fahrzeug in einen Unfall verwickelt war, so muss der Verkäufer den Käufer regelmäßig auch dann über einen Unfall, bei dem das Fahrzeug beschädigt wurde, aufklären, wenn dieser Unfall nach Auffassung des Verkäufers nur zu einem „Blechschaden“ ohne weitere nachteilige Folgen geführt hat. Etwas anderes mag allenfalls bei ausgesprochenen „Bagatellschäden“ gelten.

BGH, Urteil vom 20.03.1967 – VIII ZR 288/64

Diese Entscheidung ist zum „alten“ Schuldrecht und vor Inkrafttreten der ZPO-Reform 2002 ergangen. Sie kann nicht ohne Weiteres auf das seit dem 01.01.2002 geltende Recht übertragen werden (so ist z. B. an die Stelle der Wandelung der Rücktritt vom Kaufvertrag getreten). Die genannten Vorschriften existieren heute möglicherweise nicht mehr oder haben einen anderen Inhalt.

Sachverhalt: Der Kläger veräußerte am 13.04.1963 seinen gebrauchten Pkw (Mercedes-Benz 190 D; Bj. 1960) für 7.000 DM zuzüglich 64,65 DM Finanzierungskosten an den Beklagten. Der Beklagte akzeptierte einen am 01.06.1963 zahlbaren Wechsel über 7.064,65 DM. Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 19.04.1963 ließ er den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten. Der Wechsel wurde am 01.06.1963 durch einen am 01.07.1963 zahlbaren neuen Wechsel über 7.112,35 DM ersetzt, der am 03.07.1963 zu Protest ging. Der Kläger erstritt im Wechselprozess am 21.08.1963 ein vorläufig vollstreckbares Vorbehaltsurteil über 7.158,17 DM nebst vier Prozent Zinsen seit 03.07.1963. Der Beklagte zahlte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung am 23.09.1963 6.200 DM und am 14.10.1963 weitere 1.005,87 DM.

Im Nachverfahren hat er beantragt, das Vorbehaltsurteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und den Kläger nach § 717 ZPO zur Zahlung von 7.158,17 DM nebst vier Prozent Zinsen seit 03.07.1963 zu verurteilen. Beide Vorinstanzen haben seinen Anträgen stattgegeben. Die Revision des Klägers, der damit die Wiederherstellung des Urteils vom 21.08.1963 unter Wegfall des Vorbehalts erstrebte, hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Die Klage ist mit Recht abgewiesen worden, wenn die der Wechselverpflichtung zugrunde liegende Kaufpreisforderung des Klägers wegen der Arglistanfechtung des Beklagten nichtig ist (§ 142 I BGB). Der Beklagte kann dann der Wechselforderung die Einrede ungerechtfertigter Bereicherung des Klägers entgegensetzen und die Zahlung verweigern (vgl. § 821 BGB).

II. 1. Das Berufungsgericht stellt fest, bei den Vertragsverhandlungen habe der Beklagte den Kläger gefragt, ob das Fahrzeug einen Unfall gehabt habe. Der Kläger habe das verneint, obgleich er – unstreitig – am 20.07.1961 mit dem Wagen in Hamburg durch Zusammenstoß mit einem anderen Pkw einen Unfall erlitten und deshalb ein Strafverfahren gegen ihn geschwebt hatte, das gegen eine Geldbuße von 100 DM nach § 153 III StPO eingestellt worden war. Der Schaden an dem Kraftfahrzeug sei damals für 332,55 DM behoben worden. Der Kläger habe zumindest bewusst und billigend in Kauf genommen, daß der Beklagte durch seine unwahre Antwort zum Abschluss des Kaufvertrages bestimmt worden sei. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens sei davon auszugehen, dass der Beklagte, wenn ihm der Unfall bekannt gewesen wäre, das Kraftfahrzeug, wenn überhaupt, so jedenfalls zu anderen, ihm günstigeren Bedingungen erworben hätte. Er sei daher zur Anfechtung berechtigt gewesen.

2. Die Revision greift diese Ausführungen ohne Erfolg an.

a) Auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, wenn er sich nicht dem Vorwurf arglistiger Täuschung aussetzen will, verpflichtet ist, den Käufer über etwaige Unfälle aufzuklären, braucht nicht grundsätzlich eingegangen zu werden. Fragt der Käufer, wie hier, ausdrücklich danach, ob das angebotene Fahrzeug in einen Unfall verwickelt war, so ist entgegen der Meinung der Revision der Verkäufer regelmäßig verpflichtet, einen etwaigen Unfall auch dann mitzuteilen, wenn er nach seiner Auffassung nur zu einem sogenannten „Blechschaden“ ohne weitere nachteilige Folgen geführt hat. Ob etwas anderes für ausgesprochene sogenannte „Bagatellschäden“ gelten könnte, bedarf keiner Entscheidung. Bei einem Zusammenstoß wie hier, bei dem das zum Verkauf angebotene Kraftfahrzeug sich auf trockener Straße unstreitig um 90 Grad gedreht hat, der Schäden zur Folge hatte, die mit einem nicht unerheblichen Kostenaufwand beseitigt werden mussten und der zu einem Strafverfahren geführt hat, kann es keinesfalls dem Ermessen des ausdrücklich um Aufklärung gebetenen Verkäufers überlassen bleiben, den erlittenen Schaden für unerheblich, für den Käufer ohne Interesse und deshalb nicht der Mitteilung wert zu erachten. Denn das Verhalten des Käufers legt in einem solchen Falle die Annahme nahe, dass er seinen Kaufentschluss von der eigenen Beurteilung des ihm mitgeteilten wahren Sachverhalts abhängig machen will. Es ist deshalb im Gegensatz zur Auffassung der Revision gleichgültig, ob die vor der Zulassung des Pkw auf den Beklagten vom Technischen Überwachungsverein (TÜV) festgestellten verschiedenen Mängel Folgen des Unfalls vom 20.07.1961 waren. § 123 BGB dient nicht dem Zweck, das Vermögen des Vertragsgegners vor Schäden zu schützen, sondern die Freiheit der Willensentschließung vor Beeinflussungen durch Täuschung zu bewahren.

b) Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen, dass der Beklagte in seiner Entschließung durch die unrichtige Antwort auf die Frage nach Unfallschäden beeinflusst worden sei, greift die Revision nicht an. Sie meint aber, das Berufungsgericht habe seiner weiteren Feststellung, dass der Beklagte ohne die unwahren Angaben des Klägers den Kaufvertrag nicht, oder jedenfalls nicht so, wie geschehen, abgeschlossen hätte, einen unrichtigen Erfahrungssatz zugrunde gelegt.

Es kann dahinstehen, ob es der Lebenserfahrung entspricht, dass der Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, wenn er von einem Unfall erfährt, der, wie hier zugunsten des Klägers zu unterstellen ist, nach Behebung der Schäden jedenfalls objektiv zu keinen weiteren nachteiligen Folgen für den Wagen geführt hat, allenfalls zu einem ihm günstigeren Preis abschließt, als er es ohne Kenntnis des Unfalls getan hat. Denn dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls dann richtig, wenn der Käufer bei den Vertragsverhandlungen durch seine ausdrückliche Frage nach einem etwaigen Unfall zu erkennen gegeben hat, dass er insoweit der Kenntnis über die wirklichen Umstände Einfluss auf seine Entschließung einräumen will. Darauf, ob ein Erwerber bei verständiger Würdigung aller Umstände auch bei Kenntnis des Unfalls gleichwohl zum selben Preis kaufen würde, kommt es bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) im Gegensatz zur Irrtumsanfechtung (§ 144 BGB) nicht an.

c) Der Beklagte konnte deshalb anfechten. Das Anfechtungsschreiben vom 19.04.1963 liegt nicht vor. Ob darin die Anfechtung bereits auf die Täuschung über die angebliche Unfallfreiheit des Wagens oder auf andere Gründe gestützt worden ist, kann offenbleiben. Im Rechtsstreit hat der Beklagte wiederholt auf diese Täuschung abgestellt und mit ihr seine Anfechtung begründet. In dem innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB wiederholt gestellten Klageabweisungsantrag lag eine schlüssig erklärte Wiederholung der Anfechtung.

III. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, der Beklagte habe nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes den Kaufvertrag vom 13.04.1963 nicht bestätigt (§ 144 BGB). Auch das bekämpft die Revision vergebens.

1. Die ohne Beweisantrag aufgestellte Behauptung des Klägers, der Beklagte habe nach Abgabe der Anfechtungserklärung vom 19.04.1963 den bei der Kraftfahrzeugwerkstatt S untergestellten Pkw abgeholt und an sich genommen, ist vom Beklagten unter Beweisanerbieten mit der substanziierten Darstellung bestritten worden, die Firma S habe von ihm wegen Platzmangels die Abholung des Fahrzeugs verlangt. Dem hat der Kläger nicht widersprochen.

2. Die Prolongation des ersten, am 01.06.1963 fälligen Wechsels bedeutete keine Bestätigung des Kaufvertrags, sondern zeigte nur das Bestreben des Beklagten, die fällige Zahlung aus der abstrakten Wechselverpflichtung zunächst einmal hinauszuschieben.

3. Sein Vorschlag, den Wagen nach Schätzung durch die DAT unter Berücksichtigung der Fahrzeugmängel zu übernehmen, kann ebenfalls nicht als Bestätigung des Kaufvertrags gewertet werden. Er zeigt vielmehr, dass der Beklagte das Geschäft so, wie es aufgrund der Täuschung des Klägers abgeschlossen worden war, gerade nicht bestehen lassen wollte.

IV. Die Klage ist deshalb mit Recht abgewiesen worden. Nach §§ 600 II, 302 IV 3 und 4 ZPO war der Kläger auf den Antrag des Beklagten gleichzeitig zu verurteilen, die von diesem zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung am 23.09.1963 geleisteten 6.200 DM sowie die am 14.10.1963 gezahlten 1.005,87 DM zurückzuerstatten. Maßgebend für die Berechnung der Zinsen aus diesen Beträgen ist der Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung des Beklagten (§ 302 IV 4 ZPO, § 291 BGB). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist angesichts des bei der Zugrundelegung dieser Vorschriften zu entrichtenden geringeren Zinsbetrages der Zahlungsanspruch des Beklagten, wenn auch nur unwesentlich, geringer, als bei der von den Vorinstanzen ausgesprochenen Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 7.158,17 DM nebst vier Prozent Zinsen seit 03.07.1963. Entsprechend war daher die Verurteilung des Klägers zu ändern. Nach § 92 II ZPO waren ihm aber gleichwohl die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

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