- Beim Abschluss eines Kaufvertrags über einen Neuwagen treffen die Parteien regelmäßig konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) des Inhalts, dass das Fahrzeug fabrikneu ist. Diese dem Begriff „Neuwagen“ innewohnende Beschaffenheit fehlt einem Fahrzeug, das bei Übergabe an den Käufer nicht in dem unbenutzten und unbeschädigten Zustand ist, in dem es vom Hersteller ausgeliefert wurde (im Anschluss an BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, juris Rn. 10).
- Eine geringfügige Nachlackierung wegen eines Transportschadens beseitigt die Fabrikneuheit eines Kraftfahrzeugs in der Regel (nur) dann nicht, wenn sie fachgerecht und in Werksqualität vorgenommen wird. Dazu gehört – gerade bei einem Fahrzeug der Oberklasse (hier: Porsche 911 Turbo Cabriolet) – auch, dass die entsprechenden Arbeiten in einer vom Fahrzeughersteller autorisierten Werkstatt durchgeführt werden.
- Der Verdacht, dass ein Neuwagen nicht unfallfrei ist, sondern vor der Übergabe an den Käufer einen Unfallschaden erlitten hat, steht einem Mangel des Fahrzeugs dann gleich, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Unfallgeschehen vorliegen und auch ein Sachverständiger den Verdacht nicht ausräumen kann (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2014 – 2 U 97/14, juris Rn. 6).
- Kosten, die ein Käufer berechtigterweise für ein „privates“ Sachverständigengutachten aufwendet, hat ihm der Verkäufer regelmäßig auch dann zu ersetzen, wenn das Gutachten unbrauchbar ist. Das gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn der Käufer die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat, etwa weil er dem Sachverständigen Informationen (z. B. Vorschäden) vorenthalten hat, oder wenn der Käufer und der Sachverständige kollusiv zum Nachteil des Verkäufers zusammengewirkt haben.
LG Wuppertal, Urteil vom 27.05.2020 – 17 O 337/19
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Vertragshändlerin der Porsche Deutschland GmbH, auf Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags in Anspruch.
Er kaufte von der Beklagten als Verbraucher mit Vertrag vom 15.08.2016 einen Neuwagen (Porsche 911 Turbo Cabriolet) zum Preis von 196.705,88 €. Die Herstellerin lieferte dieses Fahrzeug Ende Oktober 2016 an die Beklagte aus; seitens der Beklagten wurde es sodann am 27.10.2016 auf den Kläger zugelassen. Am 28.10.2016, noch vor Auslieferung des Pkw an den Kläger, brachte eine Mitarbeiterin der Beklagten das Fahrzeug in eine – nicht von der Porsche Deutschland GmbH autorisierte – Lackierwerkstatt, um Lackierarbeiten am Schweller der Fahrertür durchführen zu lassen. Am Folgetag wurde der Porsche 911 Turbo Cabriolet dem Kläger mit einer Laufleistung von 20 km in den Räumen der Beklagten übergeben, ohne dass über die tags zuvor durchgeführten Lackierarbeiten gesprochen wurde. Der Kläger beanstandete lediglich, dass die Beifahrertür schwergängig sei.
Im März 2017 bemerkte der Kläger dann Lackunebenheiten an dem Fahrzeug, die er am 16.03.2017 mit Mitarbeitern der Beklagten in Augenschein nahm. Dabei wurden am Stoßfänger links unten Lackunebenheiten („Orangenhaut“) festgestellt. Ferner stellten die Parteien Lackunebenheiten, Pickel und Einschlüsse im Klarlack auf dem aufbereiteten Schweller der Fahrertür fest.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.04.2017 rügte der Kläger diverse Lackunebenheiten und die Spaltmaße an der Beifahrertür und forderte die Beklagte auf, ihm bis zum 25.04.2017 ein mangelfreies Fahrzeug zu liefern. Die ihm seitens der Beklagten stattdessen angebotene Nachbesserung lehnte der Kläger ab. Er erklärte vielmehr mit anwaltlichem Schreiben vom 13.04.2018 den Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm bis zum 25.04.2018 Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs den um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreis zu erstatten.
Der Kläger behauptet, er habe bei Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ihm darauf ankomme, ein „makelloses Objekt“ zu erwerben. Tatsächlich sei das ihm gelieferte Fahrzeug aber vor der Auslieferung am 29.10.2016 in einen Unfall verwickelt gewesen, bei dem sich die Spaltmaße der Frontklappe und der Beifahrertür verändert hätten und der Pkw an der Bugverkleidung, am Frontspoiler, an der Frontklappe und an der Fahrertür beschädigt worden sei. Diese Beschädigungen hätten durch die am 28.10.2016 vorgenommenen Arbeiten verdeckt werden sollten. Bei diesen Arbeiten habe es sich um umfangreiche Lackier- und Spachtelarbeiten an verschiedenen Stellen des Fahrzeugs gehandelt, die insgesamt unsachgemäß ausgeführt worden seien.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagte in erster Linie auf Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie auf Ersatz von Aufwendungen (u. a. für ein Sachverständigengutachten) und von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Außerdem hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Hilfsweise hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 5.000 € (Kaufpreisminderung) und 4.966,94 € (Reparaturkosten) nebst Zinsen zu verurteilen. Äußerst hilfsweise hat er die Verurteilung der Beklagten zur Beseitigung von in einem selbstständigen Beweisverfahren festgestellten – und näher bezeichneten – Defekten verlangt.
Die Beklagte behauptet, der Lackschaden am Türeinstieg der Fahrerseite sein von einem Schuh verursacht worden. Dazu, ob das Fahrzeug bei der Übergabe an den Kläger einen Lackschaden an der linken unteren Bugverkleidung aufgewiesen habe, hat sich die Beklagte mit Nichtwissen erklärt. Falls ein entsprechender Kratzer vorhanden gewesen sei – so hat sie behauptet –, sei dieser bei der Herstellung des Fahrzeugs entstanden. Der Porsche 911 Turbo Cabriolet sei bei der Übergabe an den Kläger unfallfrei gewesen. Die Beklagte meint, dass ihr der Kläger Gelegenheit zur Nachbesserung hätte geben müssen. Sie macht geltend, sie habe die verlangte Ersatzlieferung unter Verweis auf die Unverhältnismäßigkeit der damit verbundenen Kosten zu Recht noch vor der Rücktrittserklärung verweigert. Denn die Beseitigung sämtlicher vom Kläger gerügter Mängel sei mit einem Kostenaufwand von lediglich 1.758,35 € möglich. Die Kosten für das Sachverständigengutachten – so macht die Beklagte geltend – seien dem Kläger nicht zu ersetzen, weil das Gutachten unbrauchbar sei; es handele sich um ein Gefälligkeitsgutachten.
Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 196.705,88 € abzüglich Ersatz für gezogene Nutzungen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des erworbenen Fahrzeugs, zu (§§ 433 I, 434 I, 437 Nr. 2, §§ 323 I, 440 BGB i. V. mit § 346 I BGB), da der Kläger wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 13.04.2018 den Rücktritt erklärt. Dem Kläger steht ein Rücktrittsrecht aus § 437 Nr. 2, §§ 323 I, 440 BGB zu.
1. Das erworbene Fahrzeug war bei Übergabe mit einem Sachmangel i. S. von § 434 I 1 BGB behaftet, da das Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies. Zur Beschaffenheit eines Kaufgegenstands können alle Eigenschaften gehören, die der Sache selbst anhaften, sowie alle Beziehungen einer Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsanschauung Einfluss auf die Wertschätzung haben oder die Brauchbarkeit der Sache beeinflussen und ihr unmittelbar anhaften.
a) Beim Kauf eines Neuwagens wird die dem Begriff „Neuwagen“ innewohnende Beschaffenheit „fabrikneu“ konkludent mit vereinbart (so bereits BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, juris Rn. 10: Kratzer im Lack eines Neuwagens). Das hier übergebene Fahrzeug war jedoch nicht mehr fabrikneu, denn es waren an mehreren Stellen unfachgerecht Lackierarbeiten vorgenommen worden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Begriff „fabrikneu“ nicht mit dem Begriff „mangelfrei“ gleichzusetzen ist. Ein aus neuen Materialien hergestelltes und abgesehen von der Überführung ungenutztes Fahrzeug ist fabrikneu, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, es keine durch längere Standzeit bedingten Mängel aufweist, zwischen Herstellung und Kaufabschluss nicht mehr als zwölf Monate liegen und wenn nach seiner Herstellung keine erheblichen Beschädigung eingetreten sind, auch wenn sie vor Auslieferung an den Käufer nachgebessert wurden (vgl. BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, juris Rn. 10). Dabei ist insbesondere eine geringfügige Nachlackierung wegen eines Transportschadens eine typische Reparaturmaßnahme, welche der Fabrikneuheit des Fahrzeugs in der Regel nicht entgegensteht. Dies gilt unabhängig von der Geringfügigkeit des Lackschadens jedoch nur insoweit, als die Nachlackierung fachgerecht und in Werksqualität erfolgt, denn die Fabrikneuheit verlangt, dass sich das Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer in dem unbenutzten und unbeschädigten Zustand befindet, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, juris Rn. 10; OLG Hamm, Urt. v. 17.11.2011 – I-28 U 109/11, juris Rn. 51).
Dieser Zustand war nach der Überzeugung der Kammer nicht mehr gegeben, da die Lackschäden hier nicht fachgerecht repariert waren. Dies folgt aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. O, denen das Gericht sich vollumfänglich anschließt. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der Türeinstieg auf der Fahrerseite im Kniestückbereich zwischen Schweller und B-Säule intensive Schäden aus nicht sachgerechter Nachlackierung aufweist. Aus Silikonbelastung sind Krater und Einschlüsse mit Bläschenbildung vorhanden. Der Klarlack ist rau aufgetragen, die Übergänge sind nicht beigearbeitet. Die auf den Schweller aufgesetzte Einstiegsverkleidung ist partiell mitlackiert worden, rückwärtig wurde sie auf den noch zu frischen Lack aufgesetzt, sodass sich eine Lackprägung gebildet hat. Auch die Beilackierung des linken Radlaufs an der Bugverkleidung entspricht in Farb- und Oberflächenqualität nicht dem Standard des Herstellers. Es sind dort deutliche Lackunregelmäßigkeiten in Form von sogenannter Orangenhaut aus unsachgerechter Beauftragung der Lackbeschichtung festzustellen sowie Farbton- und Glanzgradunterschiede des Lacks. In einigen innen liegenden Bereichen ist gar kein Lack aufgetragen.
Sofern die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet, dass die Lackierarbeiten an der Bugverkleidung vorne links bereits vor der Übergabe erfolgt sind, so ist dies unzulässig. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist nach § 138 IV ZPO nur für solche Umstände zulässig, die der eigenen Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Hier stand das Fahrzeug vor der Übergabe in den Verkaufsräumen der Beklagten und ist von ihrer Mitarbeiterin vor der Übergabe untersucht und zur Übergabe bereit gemacht worden, sodass der Umstand einer Lackierung am Bugbereich der Wahrnehmung der Vertreter der Beklagten zugänglich war. Dies gilt umso mehr, als die Lackunebenheiten nach den Feststellungen des Sachverständigen O noch mit einem Abstand von einem Meter zum Fahrzeug erkennbar waren.
Ferner steht der Beschaffenheit als „fabrikneu“ entgegen, dass die Reparatur nicht in einem von Porsche zertifizierten Lackierbetrieb erfolgt ist. Bei einem Neuwagen kann der Käufer jedoch erwarten, dass sämtliche im Vorfeld durchgeführten Arbeiten dem werksseitigen Standard entsprechen und mit der besonderen Fachkunde und Sorgfalt einer herstellerzertifizierten Werkstatt erfolgt sind. Damit ist verbunden, dass das Fahrzeug nicht ohne sein Wissen in eine freie Werkstatt ohne Herstellerzertifizierung verbracht wird. Denn insbesondere bei Fahrzeugen der Oberklasse, wie bei dem streitgegenständlichen Modell, stellt es regelmäßig einen wertbildenden Faktor dar, dass das Fahrzeug ausschließlich in einer Fachwerkstatt repariert wurde. Aus dem Schadensrecht ist etwa anerkannt, dass der Geschädigte nicht auf eine Reparatur in einer freien Werkstatt verwiesen werden kann, wenn er das Fahrzeug stets in einer markengebundenen Werkstatt hat warten und reparieren lassen. Diese Möglichkeit wird dem Käufer jedoch schon vor Übergabe des Neufahrzeugs genommen, wenn es in einer freien Werkstatt und zudem nicht fachgerecht repariert wird, und wird auch bei Weiterveräußerung wertmindernd in Ansatz zu bringen sein.
b) Überdies ist bei einem Neufahrzeug regelmäßig konkludent mitvereinbart, dass das Fahrzeug unfallfrei ist. Hier ist ein Unfallgeschehen nicht bewiesen; es haftet dem Fahrzeug jedoch ein Unfallverdacht an.
Ein bloßer Mangelverdacht, der sich nach dem Vorbringen des Klägers im Hinblick auf einen relevanten Vorschaden aus der Nachlackierung ergeben soll, bedeutet zwar im Grundsatz keinen Mangel (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. [2020], Rn. 3287). Anderenfalls würde dem Verkäufer regemäßig die Pflicht auferlegt, sich von einem bloßen Mangelverdacht zu exkulpieren, und die Beweislast würde unbilligerweise auf den Verkäufer verschoben. Der Verdacht eines Mangels kann jedoch dann selbst einen Mangel darstellen, wenn er qualitätsmindernd ist (Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl. [2020], § 434 Rn. 58). Für einen Unfallverdacht bedeutet dies, dass dieser einen Mangel begründet, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Unfallgeschehen vorliegen und der Mangelverdacht auch durch ein Sachverständigengutachten nicht ausgeräumt werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2014 – 2 U 97/14, juris Rn. 6). So liegt es hier.
Im Rahmen der Begutachtung stellte der Sachverständige fest, dass der vordere Bereich des Radhauses vom linken Vorderrad etwa in Größe von zwei Handflächen nachlackiert worden ist. Dort zeigt sich eine Oberflächenbehandlung der Bauteile durch narbigen, rauen Untergrund, Schleifreifen, Lackfehlstellen und sogenannte Beifallungen. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass eine sogenannte Beifallung dann entsteht, wenn nach dem Auftragen von Spachtelmasse ohne ausreichende Ablüft- und Trockenzeit Decklack appliziert wird. Im weiteren Verlauf schrumpft dann die Spachtelmasse und der Decklack „fällt“ nach. Es ist also davon auszugehen, dass an dem Fahrzeug Spachtelarbeiten ausgeführt worden sind, wie sie regelmäßig nur zum Ausgleich von tieferen Beschädigungen des Lacks erforderlich sind. Zudem ist festgestellt worden, dass bereits bei der ersten Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs Unregelmäßigkeiten im Bereich der Einpassung der Bugverkleidung zum Frontdeckel und der Einbaulage der rechten Tür erkennbar sind. Sowohl an der rechten Tür als auch an der Frontklappe entsprechen die Spaltmaße nicht den herstellerseits vorgegebenen Maßen. Der Sachverständige O hat in seinem zweiten Ergänzungsgutachten festgestellt, dass nicht bewiesen werden kann, dass die Nachlackierung im Bereich des Schwellers/B-Säule am streitgegenständlichen Fahrzeug ihren Kausalbezug in einer Verkratzung hat. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von der Verursachung durch einen Unfallschaden auszugehen ist, obgleich auch die singuläre Verursachung durch einzelne Verkratzungen möglich ist. Der Sachverständige hat festgestellt, dass für das Fahrzeug bei Offenlegung der vorgenannten Umstände mit einem Preisabschlag von circa 5.000 € zu rechnen wäre.
Angesichts der vorgenannten Indizien für Spachtelarbeiten, der Veränderung der Spaltmaße und der Summe der einzelnen Unregelmäßigkeiten, für die es gemeinsam keine überzeugende Erklärung gibt, sowie des Umstands, dass der Sachverständige einen Unfall als Ursache für die Feststellungen nicht auszuschließen vermag, ist die Kammer der Auffassung, dass sich hier ein Unfallverdacht aufdrängt. Dieser Verdacht konnte nicht ausgeräumt werden und haftet dem Fahrzeug weiter an. Er wäre bei Weiterveräußerung jedenfalls auf Nachfrage offenzulegen und wertmindernd in Ansatz zu bringen.
2. Die Beklagte durfte das Nachlieferungsverlangen des Klägers nicht unter Verweis auf die Unverhältnismäßigkeit der Kosten nach § 439 III 1 BGB verweigern, unabhängig von dem Umstand, ob die Nachlieferung tatsächlich unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht hätte. Der Beklagten war nämlich die Verweigerung der Nachlieferung unter Verweis auf § 439 III 1 BGB verwehrt, da es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt und für den Fall der Unverhältnismäßigkeit der Nachlieferungskosten ein Fall der sogenannten absoluten Unmöglichkeit der Nacherfüllung vorläge. Das in § 439 III 3 BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen absolut unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist mit Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht vereinbar. Die hierdurch auftretende Regelungslücke ist für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs nach ständiger Rechtsprechung des BGH durch eine teleologische Reduktion des § 439 III BGB zu schließen. Die Vorschrift wird beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend dahin gehend angewendet, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert (BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 35).
Es handelt sich um ein Verbrauchsgüterkauf i. S. von § 474 I 1 BGB, da der Kläger das Fahrzeug zum privaten Gebrauch erworben hat und somit als Verbraucher i. S. von § 13 BGB einzuordnen ist. Die Beklagte ist Unternehmerin i. S. von § 14 BGB.
Die Nachbesserung als alternative Art der Nacherfüllung ist hier unmöglich i. S. von § 275 I BGB, da auch durch die nachträgliche Reparatur des Fahrzeugs in Herstellerqualität die geschuldete Beschaffenheit der Fabrikneuheit nicht mehr herbeigeführt werden kann. Die Kammer ist der Überzeugung, dass die unfachgerechte Reparatur in der freien Werkstatt dem Fahrzeug dauerhaft wertmindernd anhaftet. Schon denklogisch kann die Neuheit oder Unbenutztheit einer Sache nicht wiederhergestellt werden, wenn sie einmal verloren ist.
Auch der Unfallverdacht kann durch eine Reparatur nicht aufgehoben werden, genauso wenig, wie der Umstand eines tatsächlichen Unfalls durch eine Reparatur getilgt werden kann.
Auf die Frage, ob die Beklagte die Einrede der Unverhältnismäßigkeit vor oder nach der Rücktrittserklärung des Klägers erhoben hat und welche Folgen für die Unverhältnismäßigkeitseinrede hieraus resultieren, kam es mithin nicht mehr an.
3. Der Kläger hat der Beklagten eine Frist zur Nachlieferung i. S. von § 323 I BGB gesetzt. Daran ändert nichts, dass die Beklagte vorträgt, die gesetzte Frist sei unangemessen kurz gewesen. Ist die gesetzte Frist zur Nacherfüllung unangemessen kurz, wird automatisch eine angemessen lange Frist in Gang gesetzt (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. [2020], § 281 Rn. 10). Diese Frist ist nunmehr erfolglos abgelaufen, da seit dem Rücktrittsbegehren des Klägers zum Schluss der mündlichen Verhandlung bereits beinahe zwei Jahre vergangen sind, was selbst für die Neuherstellung eines Kfz hinreichend sein dürfte.
Das Rücktrittsrecht des Klägers war auch nicht nach § 323 V 2 BGB wegen der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen. Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung, in deren Rahmen ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung aber die Erheblichkeit der Pflichtverletzung in der Regel indiziert (BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, juris Rn. 16). Hierbei ist ohne Bedeutung, ob die Behauptung der Beklagten, sämtliche Mängel könnten zum Preis von 1.758,35 € beseitigt werden, was nicht einmal einem Prozent des Kaufpreises entspreche, zutrifft. Denn wie bereits ausgeführt, können die vorliegenden Mängel gerade nicht durch Reparaturarbeiten beseitigt werden, sodass die Reparaturkosten hier nicht als Maßstab angelegt werden können, sondern die Kosten einer Nachlieferung in Bezug zu nehmen sind.
Als Rechtsfolge des Rücktritts ist der geschlossene Kaufvertrag rückabzuwickeln (§ 346 I BGB).
Die Beklagte hat gemäß § 346 I BGB den Kaufpreis zurückzuerstatten.
Der Kläger muss das Fahrzeug zurückgeben und zurückübereignen, wobei er sich gemäß § 346 I BGB auch die gezogenen Nutzungen in Form von gefahrenen Kilometern anrechnen lassen muss. Das Gericht schätzt die zu erwartende Gesamtlaufleistung nach § 287 ZPO auf 250.000 km. Der Kläger hat das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 20 übernommen. Überdies ist er mit dem Fahrzeug eine Strecke von 210 km gefahren, um das Fahrzeug zur Reparatur zu bringen, was keine Nutzung i. S. von § 100 BGB darstellt, da dem Kläger kein Vorteil verschafft wird, und die ebenfalls in Abzug zu bringen ist.
Der Wertersatz bestimmt sich nach der allgemein anerkannten Formel der linearen Wertschwundberechnung:
$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{mutmaßliche Gesamtlaufleistung}}}.$$
Der Kläger hat ferner Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die mangelunabhängigen Diagnosekosten aus § 347 II 1 BGB als notwendige Verwendung. Verwendungen sind Vermögensaufwendungen, die zumindest auch der Sache zugutekommen, indem sie ihrer Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung dienen. Eine Verwendung ist dann notwendig, wenn sie zur Erhaltung oder ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Sache nach objektiven Maßstab zum Zeitpunkt der Vornahme erforderlich ist und nicht nur Sonderzwecken des Besitzers dient. Das Fahrzeug war fahruntüchtig. Die Diagnosekosten, die zur Untersuchung des Fahrzeugs angefallen sind, sind der Sache selbst und ihrem Erhalt zugutegekommen, da es auszuschließen galt, dass eine Vertiefung des Schadens eintritt.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB, da die Beklagte durch die Rückzahlungsaufforderung des Klägers vom 13.04.2018 in Verzug geraten ist.
Die Verpflichtungen sind gemäß § 348 BGB Zug um Zug zu erfüllen. Dies betrifft auch den Anspruch auf Ersatz der Diagnosekosten, die unter dem Antrag zu 2 isoliert geltend gemacht worden sind.
II. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Gutachten des Privatsachverständigen D aus §§ 433 I, 434 I, 437 Nr. 2, § 280 I BGB. Es handelt sich um eine Aufwendung des Klägers, die als sogenannter Herausforderungsschaden zu ersetzen ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Gutachten in weiten Teilen unbrauchbar war, wie der Sachverständige O festgestellt hat. Die Mangelhaftigkeit eines berechtigt eingeholten Privatsachverständigengutachtens steht der Ersatzfähigkeit nicht im Wege, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit nicht zu vertreten hat, etwa durch Verschweigen von Vorschäden. Dies ist hier nicht erkennbar. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass der Kläger und der Privatsachverständige D in anderer Weise kollusiv zusammengewirkt haben.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB.
III. Die Beklagte befand sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem 26.04.2018 in Annahmeverzug i. S. von § 293 BGB, da die Beklagte aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis nach dem Rücktritt die Rücknahme der Kaufsache schuldete. Ein wörtliches Angebot zur Rückgabe genügte nach § 295 BGB.
V. Über die Hilfsanträge des Klägers war wegen des Erfolgs des Antrags zu 1 nicht mehr zu entscheiden.
VI. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Dieser könnte sich hier allenfalls aus Verzug ergeben. Die Beklagte befand sich jedoch zum Zeitpunkt des Gebührenanfalls durch die Aufforderung zur Nacherfüllung nicht in Verzug. Eine anderweitige Ersatzpflicht ist nicht erkennbar. Die Ausübung der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte in Form der Aufforderung zur Nacherfüllung ist auch nicht derartig komplex, dass die Ausübung der Rechte ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendigerweise gefährdet wäre. Der gewährleistungsrechtliche Nacherfüllungsanspruch ist in der Bevölkerung weithin bekannt und wird auch ohne anwaltliche Beratung regelmäßig geltend gemacht. …