Ist ein Kaufvertrag beiderseits erfüllt worden und klagt der Käufer nach einem Rücktritt auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache, so ist Erfüllungsort und damit besonderer Gerichtsstand i. S. von § 29 I ZPO der Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts nach dem Vertrag befindet.

OLG München, Urteil vom 13.01.2014 – 19 U 3721/13

Sachverhalt: Die Klägerin begehrte die Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrags.

Mit Datum vom 22.01.2012 schloss die Klägerin mit dem in G. ansässigen Beklagten einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw Audi A4 zum Preis von 9.000 €. Das Fahrzeug wurde der Klägerin in G. übergeben und von dort nach M., wo die Klägerin ihren Wohnsitz hatte und noch hat, überführt.

Mit einem dem Beklagten am 30.7.2012 zugestellten Schreiben erklärte die Klägerin wegen arglistiger Täuschung über die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrte (erfolglos) die Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Erstattung entstandener Aufwendungen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw.

Dieses Ziel verfolgte die Klägerin anschließend mit ihrer zum LG München I erhobenen Klage weiter. Das Landgericht hat seine örtliche Zuständigkeit verneint, weil ein vom Wohnsitz des Beklagten abweichender Leistungsort weder vereinbart worden noch den Umständen zu entnehmen sei, und die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin, die meinte, das LG München I sei als Gericht des gemeinsamen Leistungsortes, an dem sich die Kaufsache vertragsgemäß befinde und an dem die Rückabwicklung des Kaufvertrages zu vollziehen sei, örtlich zuständig, hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. Das LG München I ist örtlich zuständig und die Klage auch im Übrigen zulässig.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Dies führt hier zur Zurückverweisung der noch nicht zur Entscheidung reifen Sache gemäß § 538 I Nr. 3 ZPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I.

1. Das LG München I ist gemäß § 29 I ZPO, der nicht nur für primäre vertragliche Leistungsansprüche, sondern zumindest analog auf für hier gegenständliche Ansprüche aus Rückabwicklungsverhältnissen Anwendung findet (vgl. BGHZ 132, 105 [110]; BayObLG, NJW-RR 2002, 1502 [1503]), örtlich zuständig. Streitgegenständlich ist hier der mit einem – untergeordneten – Schadensersatzanspruch verbundene Kaufpreisrückzahlungsanspruch nach erklärtem Rücktritt vom Kauf; Letzterer ist für die Gerichtstsandbestimmung maßgeblich (Wern, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl. [2013], § 29 Rn. 14 [„Kaufverträge“] m. w. Nachw.). Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin die zum Rücktritt berechtigenden Tatsachen beweisen kann; doppelrelevante Tatsachen werden erst bei Prüfung der Begründetheit festgestellt, für die Zulässigkeit genügt die schlüssige Behauptung (BGHZ 124, 241 m. w. Nachw.).

§ 29 I ZPO begründet einen besonderen Gerichtsstand an dem Ort, an dem die streitige Pflicht zu erfüllen ist (Erfüllungsort), was sich nach materiellem Recht bestimmt (BGH, NJW-RR 2007, 777 [778]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. [2014], § 29 Rn. 24; MünchKomm-ZPO/Patzina, 4. Aufl. [2013], § 29 Rn. 19), hier mangels gesetzlicher Sonderregelungen maßgeblich nach der Vorschrift des § 269 BGB (vgl. BGHZ 157, 20 [23]; BGH, NJW-RR 2007, 777 [778]). Zwar ist der Erfüllungsort für die Verbindlichkeiten beider Vertragsteile grundsätzlich einzeln und gesondert zu bestimmen, jedoch ist anerkannt, dass (ausnahmsweise) ein einheitlicher Gerichtsstand angenommen werden kann.

Für die Klage auf Rückgängigmachung des Kaufs gilt nach herrschender, nicht ganz unbestrittener, aber vom Gericht geteilter Auffassung: Ist der Kaufvertrag beiderseits erfüllt und klagt der Käufer auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache, so ist Erfüllungsort und damit besonderer Gerichtsstand i. S. von § 29 I ZPO der Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts (früher: der Wandlung) nach dem Vertrag befindet, da dort die Kaufsache zurückzugewähren ist (vgl. BGH, MDR 1962, 399; BGHZ 87, 104 [109 f.]; BayObLG, MDR 2004, 646; OLG München, NJW 2006, 449 [450]; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 29 Rn. 21; Zöller/Vollkommer, a. a. O.,, § 29 Rn. 25 [„Kaufvertrag“]; MünchKomm-ZPO/Patzina, a. a. O., § 29 Rn. 62; Musielak/Heinrich, ZPO, 10. Aufl. [2013], § 29 Rn. 28). Der Rückaustauschort oder Belegenheitsort gilt als einheitlicher Erfüllungsort des Rückgewährschuldverhältnisses (Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl., § 29 Rn. 6). Leistungsort im Falle des Rücktritts ist gemäß §§ 437 Nr. 2, 440 BGB der Ort, an dem sich die Sache vertragsgemäß befindet (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl. [2014], § 269 Rn. 16).

Auf die Rücknahme der Kaufsache hat der Käufer bei Vorliegen eines Rücktrittsgrunds einen Anspruch. Dieser Anspruch ist ebenfalls am Ort der vertragsgemäßen Belegenheit der Sache zu erfüllen; dort kann der Käufer die Kaufsache zur Verfügung stellen.

Dies ist bei einer Kaufsache, die zur Fortbewegung bestimmt ist, regelmäßig der Ort, an dem sie nach dem Vertrag überwiegend genutzt oder gewöhnlich abgestellt wird, schon in der Regel also der Wohn- oder Betriebssitz des Käufers (so auch OLG Bamberg, Beschl. v. 24.04.2013 – 8 SA 9/13, ZfS 2013, 568; OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, NJOZ 2013, 1255). Hier war dem Beklagten nach den Umständen auch erkennbar, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch des Fahrzeugs (jedenfalls überwiegend) am Wohnsitz der Klägerin erfolgen würde. Eine besondere Verwendung ist weder aus dem Vertrag ersichtlich noch von einer Partei behauptet.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist für den Gerichtsstand der Rückgewähransprüche nicht von ausschlaggebendem Gewicht, dass die Klägerin in der Nutzung des Fahrzeugs nicht auf ihren Wohnsitz beschränkt war. Auch der Erwerber einer Fotokamera oder von Dachziegeln ist nicht darauf beschränkt, den Kaufgegenstand nur an dem Ort zu nutzen, an dem die vertragsgemäße Leistung zu erfolgen hatte. Auch kann die Klägerin nicht dadurch schlechter stehen, dass sie das Fahrzeug selbst beim Beklagten abgeholt hat oder hat abholen lassen. Insofern verhält es sich beim Rückgewährschuldverhältnis anders als in Fällen der Nachbesserung (hierzu vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278), die in der Regel technisch aufwendige Diagnose- oder Reparaturarbeiten erfordern, die sinnvoll nur am Betriebsort des Händlers vorgenommen werden können und bei denen deswegen dem Umstand, dass sich Fahrzeuge typischerweise und bestimmungsgemäß nicht nur am Wohnsitz des Käufers befinden, besondere Beachtung zu schenken ist. Das Rücktrittsrecht und das Nacherfüllungsrecht sind in ihrem dogmatischen Ausgangspunkt und ihren Rechtsfolgen so verschieden, dass es an einer Vergleichbarkeit der beiden Rechte fehlt. Während Nachbesserung und Ersatzlieferung der Herbeiführung des Leistungserfolgs im Rahmen des fortbestehenden Vertrags dienen, geht es beim Rücktritt um die Rückabwicklung des Vertrags.

Im Falle der Ausübung des – verschuldensunabhängigen – Rücktrittsrechts durch den Käufer wegen eines Sachmangels oder arglistiger Täuschung ist zu berücksichtigen, dass der – schlüssig behauptete – Rücktrittsgrund aus dem Risikobereich des Verkäufers herrührt. Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 346 ff. BGB über die Rückabwicklung des Vertrags im Falle bereits erbrachter Leistungen zielen auf die Herstellung eines Zustands ab, der im Wesentlichen am negativen Interesse der Vertragsparteien ausgerichtet ist (BGH, Urt. v. 28.11.2007 – VIII ZR 16/07, NJW 2008, 911). Der Käufer muss möglichst so gestellt werden, als ob er den Vertrag nicht geschlossen hätte (vgl. BGHZ 87, 104). Dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht es daher, den Ort der vertragsmäßigen Belegenheit der Kaufsache als einheitlichen Leistungsort nicht nur für die Rücknahmeverpflichtung, sondern auch für den Kaufpreisrückgewähranspruch anzusehen.

Hierbei auf den nach dem Vertrag erkennbaren Wohnsitz des Käufers abzustellen entspricht der Interessenlage (OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, NJOZ 2013, 1255) und entspräche auch einer am Europäischen Zivilverfahrensrecht orientierten harmonischen Auslegung des § 29 I ZPO (vgl. Staudinger/Artz, NJW 2011, 3121 [3125]). Eine unbillige Härte für den Beklagten entsteht dadurch nicht, da nur der – erkennbare – vertragsmäßige Belegenheitsort einen Erfüllungsort für die Rückgewähransprüche begründet.

2. Der Rechtsstreit ist weder entscheidungsreif noch kann die Entscheidungsreife in der Sache mit zumutbarem Aufwand im Berufungsrechtszug herbeigeführt werden. Dies führt – entsprechend dem Hilfsantrag des Beklagten – zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§ 538 I Nr. 3, II 2 ZPO).

Die Frage, ob ein Rücktrittsgrund gegeben ist, ist streitig und bedarf eingehender Beweisaufnahme. Die in einem – vom Beklagten bislang nur behaupteten – strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen von Tatsachen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte sind grundsätzlich nicht bindend; der im Regierungsentwurf des 1. Justizmodernisierungsgesetzes enthaltene § 415a ZPO, wonach rechtskräftige Strafurteile den vollen Beweis der darin für erwiesen erachteten Tatsachen erbringen sollten, wurde nicht zum Gesetz. Zwar kann ein Strafurteil, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO verwerten werden und können die tatsächlichen Feststellungen in diesem Strafurteil im Rahmen der eigenen freien Beweiswürdigung und der Überzeugungsbildung des Zivilrichters (§ 286 ZPO) Berücksichtigung finden. Der Zivilrichter muss sich auch dann seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden (BGH, NJW-RR 2005, 1024). Die Anregung des Beklagten, die Strafakte beizuziehen, lässt die auf Einvernahme mehrerer Zeugen gerichteten Beweisanträge (bislang) nicht entfallen.

III. Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorzubehalten; für eine Anwendung des § 21 GKG besteht keine Veranlassung.

Auch wenn das Urteil selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinn hat, ist die Entscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da gemäß § 775 Nr. 1 ZPO und § 776 ZPO das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung aus dem erstinstanziellen Urteil erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln erst aufheben darf, wenn eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird (OLG München, NZM 2002, 1032 m. w. Nachw.).

PDF erstellen