1. Auch bei einem Stückkauf (hier: dem Kauf eines konkreten Neuwagens) ist eine Nacherfüllung durch Ersatzlieferung grundsätzlich möglich, falls die ersatzweise gelieferte Sache dem mangelhaften Kaufgegenstand wirtschaftlich entspricht und das Leistungsinteresse des Käufers zufriedenstellt.
  2. Liegen – was der Verkäufer darzulegen und zu beweisen hat – die Kosten für eine Nachlieferung 20 % über den Kosten, die für eine völlige Mangelbeseitigung durch Nachbesserung aufzuwenden sind („interner Kostenvergleich“), so darf der Verkäufer die Ersatzlieferung gemäß § 439 III BGB verweigern, weil sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

LG Ellwangen, Urteil vom 13.12.2002 – 3 O 219/02

Sachverhalt: Der Kläger verlangt die Nachlieferung eines Neuwagens (VW Golf). Die Beklagte fordert widerklagend die Zahlung des restlichen Kaufpreises.

Am 03.04.2002 schlossen die Parteien einen Kaufvertrag über einen Neuwagen VW Golf zum Preis von 16.395,01 €. Der Kläger leistete eine Anzahlung auf den Kaufpreis von 6.000 €. Weitere 7.395 € wurden finanziert, sodass noch ein Restbetrag von 3.000 € zur Zahlung offensteht.

Der Kläger holte den Pkw am 05.04.2002 ab. Kurz darauf bemerkte er, dass ein Fensterheber defekt ist und sich im Bereich der Scharniere des Kofferraumdeckels Roststellen befinden. Die Beseitigung dieser Mängel erfordert einen Kostenaufwand von 512,67 €. Darüber hinaus stellte der Kläger fest, dass das Fahrzeug in Südafrika produziert wurde, obwohl ihm – so behauptet der Kläger – bei den Vertragsverhandlungen erklärt worden sei, dass das Fahrzeug in Deutschland bzw. einem EU-Land produziert worden sei.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.04.2002 forderte der Kläger die Beklagte zur Lieferung eines mangelfreien Pkw auf. Dies lehnt die Beklagte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.04.2002 ab; sie bot jedoch eine Nachbesserung an. Eine solche ließ der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 06.05.2002 ablehnen und die Beklagte gleichzeitig erneut zu einer Nachlieferung auffordern. Diese verweigerte die Beklagte endgültig mit Schreiben vom 22.05.2002.

Die Klage hatte keinen Erfolg; die Widerklage war erfolgreich.

Aus den Gründen: I. … 1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache nach §§ 439 I, 437 Nr. 1, 434, 433 BGB zu.

a) Der streitgegenständliche Pkw weist – zumindest – zwei Sachmängel i. S. des § 434 I BGB auf, wobei nach neuem Schuldrecht auf die vereinbarten subjektiven Beschaffenheitsvereinbarungen abzustellen ist (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 62. Aufl., § 434 Rn. 1). Eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung ist nicht vorgetragen, sodass auf § 434 I 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB abzustellen ist. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass am Pkw VW Golf der linke hintere Fensterheber nicht funktioniert und an den Kofferraumscharnieren Roststellen vorhanden sind. Ein Käufer kann selbstverständlich erwarten, dass solche negativen Eigenschaften an einem neu angeschafften Pkw nicht vorhanden sind.

b) Der Kläger hat als weitere Anspruchsvoraussetzung (§ 437 Nr. 1 BGB) auch Nacherfüllung in Form der Lieferung einer mangelfreien Sache verlangt. Unter Nachlieferung ist die vom Verkäufer veranlasste oder vorgenommene unentgeltliche Lieferung einer anderen Sache, die der verkauften Sache gleicht, aber mangelfrei ist (Palandt/Putzo, a. a. O., § 437 Rn. 7).

c) Dem Anspruch stünde auch nicht die – bestrittene – Behauptung der Beklagten entgegen, es habe sich beim Kauf um einen Stückkauf gehandelt, da ein konkretes Fahrzeug ausgewählt worden sei, das bereits auf dem Hof der Beklagten gestanden habe. Das Gericht ist der Ansicht, dass auch im Falle des Stückkaufs die Nacherfüllung durch Ersatzlieferung grundsätzlich möglich ist, sofern es sich um Sachen handelt, die einer vertretbaren Sache wirtschaftlich entsprechen und das Leistungsinteresse des Käufers zufriedenstellen (Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114 [2116]; Palandt/Putzo, a. a. O., § 439 Rn. 15; Haas, in: Hass/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht, S. 184). Eine Unterscheidung ist deshalb nicht mehr erforderlich, weil das neue Schuldrecht bezüglich der Rechte des Käufers bei mangelhafter Lieferung nicht zwischen Stück- und Gattungsschuld differenziert (a. A. Huber, NJW 2002, 1004 [1006]). Teilweise wird sogar die Möglichkeit der Nachlieferung eines gebrauchten Vorführwagens bejaht …

d) Die Beklagte konnte jedoch den ihr obliegenden Nachweis führen, die Nachlieferung sei ihr im Verhältnis zur Nachbesserung unzumutbar. § 439 III BGB ist als Einrede ausgestaltet (BT-Drs. 14/6040, S. 232; Huber, NJW 2002,1004 [1007]; Henssler/Graf von Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, § 439 Rn. 17). Nach allgemeinen Regeln der Beweislast hat somit die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen darzutun.

aa) Bei der Bestimmung der Unzumutbarkeit sind insbesondere der Wert der Sache im mangelfreien Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte (§ 439 III 2 BGB).

bb) Das Gericht ist der Ansicht, dass im konkreten Fall die Nachlieferung jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn der Kostenaufwand hierfür 30 % über dem Kostenaufwand für die Nachbesserung liegt (sog. „interner Kostenvergleich“, vgl. hierzu Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114 [2120, 2122 f.]; Schubel, JZ 2001, 1113 [1116]), wenn man die – bestrittene – Behauptung unterstellt, dem Kläger sei bei Vertragsschluss erklärt worden, der Pkw sei in Deutschland bzw. einem anderen EU-Land hergestellt worden.

Ausgangspunkt der Überlegungen zur Unzumutbarkeit muss § 251 BGB n.F. sein, der unverändert § 251 BGB a.F. übernommen hat. § 251 II BGB spricht von „unverhältnismäßigen Aufwendungen“, § 439 III BGB von „unverhältnismäßigen Kosten“, weshalb schon nach dem Wortlaut davon auszugehen ist, dass der grundsätzliche Maßstab der gleiche sein dürfte. Für § 251 II BGB a.F. hatte sich in der Rechtsprechung grundsätzlich – vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalls – eine „Faustformel“ von 30 % entwickelt (Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 251 Rn. 7). Im Hinblick darauf, dass insoweit eine Änderung des Schuldrechts nicht erfolgt ist, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass von der „Faustformel“ Abstriche zu machen sind. Es ist jedoch bei allgemeiner Betrachtung zu sehen, dass bei der Bestimmung dieser Faustformel es regelmäßig um unfallbedingt beschädigte Kraftfahrzeuge ging und man deshalb das  „Affektionsinteresse“ des Eigentümers der verunfallten Pkw berücksichtigt hat. Im vorliegenden Fall ist ein solches Affektionsinteresse gerade nicht gegeben, da eine gegenteilige Interessenlage vorliegt. Der Kläger möchte gerade nicht seinen Pkw behalten, zu dem er im Lauf der Zeit eine „Beziehung“ aufgebaut hat, sondern vielmehr einen Neuwagen im Austausch gegen sein Fahrzeug erhalten.

Das Gericht übersieht hierbei nicht, dass der Gesetzgeber im Rahmen der amtlichen Begründung (BT-Drs. 14/6040, S. 232) ein Extrembeispiel der Unzumutbarkeit gegeben hat („Waschmaschinenbeispiel“). Es ist in diesem Zusammenhang nämlich auch zu sehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung des § 439 III BGB an der bisherigen werkvertraglichen Vorschrift des § 633 II 3 BGB a.F. orientiert hat (Huber, NJW 2002, 1004 [1007]), sodass – unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Werkvertrags- und Kaufrecht – die Rechtsprechung des BGH zu § 633 II 3 BGB a.F. in die Überlegungen einbezogen werden kann (Huber, NJW 2002, 1004 [1007]; Henssler/Graf von Westphalen, a. a. O., § 439 Rn. 18 f.).

Das Gericht ist vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass als Faustformel für den „internen Vergleich“ in Fällen völliger Beseitigung der Sachmängel durch Nachbesserung eine Grenze von 20 % anzusetzen ist (Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114 [2122], schlagen sogar eine solche von nur 10 % vor).

Bei der konkreten, fallbezogenen Bestimmung der Unzumutbarkeit war also zu sehen, dass die – unstreitig – vorhandenen Mängel durch Nachbesserungsarbeiten vollumfänglich beseitigt werden, dem Kläger allerdings im Verhältnis zur Neulieferung der Nachteil verbleibt, einen – wenn auch fachgerecht – reparierten Wagen zu haben. Hierbei ist zu sehen, dass es sich um kleine Mängel handelt, sodass das Gericht einen Wertverlust, der mit diesen Reparaturarbeiten einhergeht, nicht erkennen kann. Des Weiteren ist einzustellen, dass nach durchgeführter Nachbesserung die Tatsache verbleibt, dass der Pkw entgegen der klägerseits behaupteten Zusage nicht in einem EU-Land, sondern in Südafrika hergestellt wurde. Das Gericht geht davon aus, dass es sich hierbei um einen Mangel i. S. des § 434 BGB handelt, nachdem, wie oben ausgeführt, der Sachmängelbegriff an die konkrete Beschaffenheitsvereinbarung anknüpft. Im Hinblick auf den nunmehr unstreitig vorhandenen subjektiven Fehlerbegriff (vgl. u. a. BT-Drs. 14/6040, S. 211) kann in dieser Konstellation nicht darauf zurückgegriffen werden, dass beispielsweise eine Herkunft aus Lagerbestand beim Neuwagenkauf keinen Sachmangel i. S. des § 459 BGB a.F. darstellte (BGH, Urt. v. 22.03.2000 – VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018). Zu einer erheblichen Änderung der Zumutbarkeitsgrenze führt dies jedoch nicht, da aus dem sonstigen Vortrag des Klägers nicht ersichtlich wird, dass er auf diesen Umstand gesteigerten Wert gelegt hat. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass im Klageantrag nicht die Neulieferung eines Pkw verlangt wird, der in der EU hergestellt wurde.

cc) Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Kosten der Nachlieferung 565 % über den Kosten der Nachbesserung liegen. Als Kosten der Nachlieferung ergeben sich folgende Posten:

Listenpreis für einen neuen Golf der gleichen Baureihe 18.653,00 €
Aufpreis für Extras (Ausstattung wie Sondermodell „Spezial“) 1.200,00 €
15,2 % Händlerrabatt 3.017,66 €
Neupreis des streitgegenständlichen Golfs 16.395,01 €
15 % Wertverlust dieses Modells 2.459,25 €
Gesamtkosten der Nachlieferung (16.835,34 € − 13.935,75 €) 2.899,58 €

Die festgestellten Werte ergeben sich aus den glaubhaften, in sich schlüssigen, nachvollziehbaren und von schriftlichen Unterlagen unterstützten Angaben des Zeugen Z, bei dessen Aussageverhalten auch zu sehen war, dass er keinerlei Belastungs- bzw. Entlastungstendenzen zeigte und zudem tatsächlich nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt ist. Der Zeuge Z führte zum einen nachvollziehbar aus, dass die Kosten einer Neulieferung eines Golfs der fraglichen Baureihe den oben aufgezeigten Betrag ausmachen, der Händlerrabatt insbesondere nicht verhandelbar sei und eine Ersatzbeschaffung aus dem Kontingent des Sondermodells zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Die Angaben des Zeugen zur Höhe der Anschaffungskosten und des Händlerrabatts decken sich auch mit den vorgelegten Unterlagen. Des Weiteren führte er überzeugend aus, dass der Wertverlust durch die Zulassung bei einem VW Golf ca. 15 % betrage. Dies deckt sich im Übrigen mit dem gerichtsbekannten Wertverlust von Pkw dieser Klasse durch die Zulassung. Des Weiteren ist insoweit zu sehen, dass es sich hierbei auch um einen Betrag handelt, der sich in der juristischen Literatur in Beispielsfällen zum neuen Kaufrecht findet (vgl. Heinrich, Die Schuldrechtsreform, S. 57 [www.schuldrechtsreform.com]).

2. Nachdem ein Anspruch schon nicht besteht, liegt zwingend auch kein Annahmeverzug vor.

II. Die Widerklage ist … begründet …

1. Die Beklagte hat gegen den Kläger Anspruch auf Zahlung restlichen Kaufpreises in Höhe von 3.000 € aus § 433 II BGB.

a) Zwischen den Parteien besteht unstreitig ein Restzahlungsanspruch in Höhe von  3.000 € aufgrund Kaufvertrags vom 03.04.2002.

b) Wie oben ausgeführt sind am vorhandenen Kaufobjekt Mängel vorhanden, die dem Kläger aus §§ 439, 437 Nr. 1, 434 BGB ein Recht auf Nachbesserung geben, welches dem Käufer die Möglichkeit der Erhebung der Einrede des nichterfüllten Vertrags (§§ 320, 433 BGB) ermöglicht. In einem solchen Fall ist nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung möglich. Nachdem eine solche beantragt wurde, steht dem Klaganspruch nichts entgegen …

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