Der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Pkw hat gegen die Bundesrepublik Deutschland weder einen Anspruch auf Schadenersatz aus unionsrechtlicher Staatshaftung noch einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG.
OLG Dresden, Beschluss vom 09.08.2021 – 1 U 2429/20
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal aus (unionsrechtlicher) Staatshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb am 11.12.2012 für 22.117 € einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Pkw. Sämtliche Ansprüche des Klägers, die dieser wegen der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung (möglicherweise) gegen den Motorhersteller hatte, wurden mit der Zahlung von 4.100 € abgegolten. Zur Zahlung dieses Betrags hatte sich der Motorhersteller in einem mit dem Kläger geschlossenen Vergleich verpflichtet.
In dem vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger – nach Abweisung seiner Klage durch das Landgericht – im Berufungsrechtszug zuletzt die Feststellung begehrt, dass ihm die Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz leisten müsse, weil sie es entgegen Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG1Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie), ABl. 2007 L 263, 1. unterlassen habe, wirksame und abschreckende Sanktionen festzulegen, die bei Verstößen gegen die genannte Richtlinie anzuwenden sind. Hilfsweise hat der Kläger sein Begehren darauf gestützt, dass für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine Typgenehmigung erteilt worden sei. Weiter hilfsweise hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm die Beklagte die aus der Manipulation seines Fahrzeugs resultierenden Schäden ersetzen müsse, und höchst hilfsweise hat er die Zahlung von 18.017 €, Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung sowieÜbergabe und Übereignung des Pkw, verlangt.
Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. 1 Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob die Feststellungsklage wegen Vorrangs der Leistungsklage und wegen fehlender Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bereits unzulässig wäre, denn das Feststellungsinteresse ist nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 27.09.2011 – II ZR 256/09, juris Rn. 9; Urt. v. 17.04.2018 – XI ZR 446/16, juris Rn. 27). Der Klagepartei steht der behauptete Schadensersatzanspruch jedoch nicht zu, sodass die Berufung unbegründet ist.
2 Die Feststellungsklage ist sowohl im Hauptantrag wie auch im Hilfsantrag nicht begründet.
Die Auffassung des Landgerichts stimmt mit der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte überein (vgl. OLG München, Beschl. v. 25.08.2020 – 1 U 3827/20, n. v.; OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.10.2020 – 6 U 4/20, n. v.; KG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 U 1033/20, juris; OLG Jena, Beschl. v. 15.12.2020 – 4 U 364/20, n. v.; OLG Köln, Beschl. v. 17.12.2020 – 7 U 50/20, juris; Beschl. v. 21.12.2020 – 7 U 56/20, juris; Beschl. v. 29.12.2020 – 7 U 86/20, juris; OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.02.2021 – 4 U 466/20, juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.03.2021 – 4 U 138/20, juris; Beschl. v. 18.03.2021 – 1 U 183/20, juris; OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2021 – 11 U 56/20, juris). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Im Gegensatz zur Berufung hält der Senat diese Auffassung im Ergebnis und in den maßgeblichen Begründungselementen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, für richtig.
Zusammenfassend gilt daher das Folgende für den vorliegenden Fall:
2.1 Die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen die Beklagte sind nicht erfüllt. Voraussetzung eines solchen Schadensersatzanspruchs ist nach der Rechtsprechung des EuGH, dass gegen eine Rechtsnorm verstoßen worden ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (EuGH, Urt. v. 05.03.1996 – C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I‑1131 = ECLI:EU:C:1996:79 Rn. 51 – Brasserie du pêcheur und Factortame; BGH, Urt. v. 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 37 – Brasserie de Pêcheur II; Urt. v. 12.05.2011 – III ZR 59/10, BGHZ 189, 365 Rn. 13).
a) Hier fehlt es bereits an der Voraussetzung einer gerade auch die Klagepartei individuell schützenden Rechtsnorm. Die Richtlinie 2007/46/EG dient nicht dazu, einen Fahrzeugverkäufer vor wirtschaftlichen Nachteilen zu schützen, die ihm entstehen, wenn er ein Fahrzeug erwirbt, dessen Motor über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie dient vielmehr dem Schutz der Güter der Allgemeinheit, wie sie sich aus den der Richtlinie 2007/46/EG vorangestellten Erwägungsgründen ergeben.
aa) Wie die anderen Oberlandesgerichte geht auch der erkennende Senat davon aus, dass die von der Klagepartei herangezogenen Normen, insbesondere Art. 8 i. V. mit Art. 12 der Richtlinie 2007/46/EG sowie deren Artikel 46, nicht dem Schutz der von ihr in diesem Rechtsstreit angeführten individuellen Interessen dient. Dazu hat das OLG Köln im Beschluss vom 21.12.2020 – 7 U 56/20, juris Rn. 17 – ausgeführt:
„Die Richtlinie ist vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit verpflichtet, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 3, 14, 17 und 23 der Richtlinie 2007/46/EG auch nach Auffassung des Senats hinreichend ergibt. Die zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union zielen insofern vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 74). Sofern der Kläger sich darauf beruft, dass auch die menschliche Gesundheit und die Sicherheit des Einzelnen ganz maßgebliche Gesichtspunkte seien, die von der Richtlinie 46/2007/EG hervorgehoben würden ([…]), verkennt er, dass eine behauptete Beeinträchtigung dieser Interessen nicht Gegenstand seiner Klage ist. Der Kläger verfolgt die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten vielmehr mit der Begründung, er habe merkantilen Minderwert bei der Veräußerung des Fahrzeugs, eine rückwirkende Änderung der Kraftfahrzeugsteuer zu seinen Lasten beziehungsweise einen vorzeitigen Verschleiß des Fahrzeugs beziehungsweise dessen Komponenten durch das Aufspielen eines Softwareupdates zu befürchten. Dem Schutz dieser (Vermögens-)Interessen des Individuums dient die Richtlinie 46/2007/EG jedoch nicht ([…]).“
(ebenso im Ergebnis alle oben vor 2.1 zitierten Entscheidungen).
Weder die primär als verletzt gerügte Norm noch das Typgenehmigungsrecht der Europäischen Union, dem sie angehört, insgesamt bezwecken den Individualschutz von Fahrzeugen beziehungsweise ihren Eigentümern. Zutreffend führt das OLG Brandenburg in seinem Beschluss vom 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 15 f. –, dem sich der Senat anschließt, dazu aus:
„Notwendig hierfür ist das Ziel der europarechtlichen Norm, einem hinreichend bestimmten Personenkreis ein Recht einzuräumen, dessen Inhalt sich anhand der verletzten Norm ermitteln lässt. Dazu gehören nicht nur solche Rechte und Ansprüche, die das Recht der Union für bestimmte Personenkreise überhaupt erst geschaffen (verliehen) und deren allgemeine Einführung der Mitgliedsstaaten durch Richtlinien aufgegeben hat. Erfasst sind vielmehr alle Vergünstigungen, die das europäische Recht den Mitgliedsstaaten einzeln zu gewähren aufgibt. Die bloße Erwähnung bestimmter Interessen oder allgemeiner Ziele in den Begründungserwägungen einer Richtlinie genügt für sich dagegen nicht. Notwendig ist stets eine Auslegung der europarechtlichen Norm unter Berücksichtigung des Wortlautes, des Sinns und Zwecks der einschlägigen Bestimmung sowie der Erwägungen des Unionsgesetzgebers, die sich im Allgemeinen den Begründungserwägungen entnehmen lassen (ausführlich BeckOGK/Dörr, Stand: 01.10.2020, § 839 BGB Rn. 885).
Nach diesen Maßstäben bezwecken die genannten Vorschriften nicht, einzelnen Fahrzeugkäufern individuelle Ansprüche zu gewähren, die über ihre Rechte beim Erwerb des Fahrzeuges und im anschließenden Zulassungsverfahren für das von ihnen erworbene Fahrzeug hinausgehen.“
Die Regelungen der Richtlinie vervollständigen die für die Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union und – so das OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 17 f. –
„zielen vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung. Nach den Erwägungsgründen 2 und 23 der Richtlinie 2007/46/EG bezweckt diese in erster Linie die Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dadurch, dass die Genehmigungssysteme der Mitgliedsstaaten durch ein gemeinschaftliches Genehmigungsverfahren ersetzt werden, das auf dem Grundsatz einer vollständigen Harmonisierung beruht. Dafür sollen die technischen Anforderungen für Systeme, Bauteile, selbstständige technische Einheiten und Fahrzeuge in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, die vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielt (Erwägungsgrund 3). Die Genehmigungsvorschriften sollen ein hohes Sicherheits- und Umweltniveau sicherstellen (Erwägungsgrund 14). Sie sollen aber zugleich dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher vor ernsten Risiken dienen, die von einem Fahrzeug ausgehen (Erwägungsgrund 17). Zu diesem Zweck sollen die Hersteller den Fahrzeugbesitzern sachdienliche Informationen geben, um eine unsachgemäße Benutzung von Sicherheitseinrichtungen zu verhindern (Erwägungsgrund 18). Nach Erwägungsgrund 22 der Richtlinie bezweckt sie zudem den Schutz der Straßenverkehrsteilnehmer. In Umsetzung dessen hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung nach Artikel 18 der Richtlinie für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Nach Artikel 37 hat er zudem den Nutzern bestimmte technische und die Nutzung des Fahrzeugs betreffende Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedsstaaten sind nach Artikel 26 der Richtlinie hingegen verpflichtet, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann zu gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 versehen sind.
Die Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung dienen nach Zweck und Inhalt auch dazu, das Interesse des Käufers eines Neuwagens an der (zügigen) Erstzulassung zu schützen. Insbesondere Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG soll gewährleisten, dass der Käufer eines Fahrzeuges im Besitz einer Übereinstimmungsbescheinigung ist, die es ihm erlaubt, das Fahrzeug gemäß Anlage IX dieser Richtlinie in jedem Mitgliedsstaat zuzulassen, ohne zusätzliche technische Unterlagen vorlegen zu müssen (EuGH, Urt. v. 04.10.2018 – C-668/16, ECLI:EU:C:2018:802 Rn. 87 – Kommission/Deutschland).“
Für Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG hat der EuGH zudem bereits entschieden, dass dieser nicht einmal reflexhaft Vermögensinteressen des Fahrzeugkäufers schützt. Denn der EuGH hat betont, dass Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG in erster Linie dem Ziel der Schaffung und des Funktionierens eines Binnenmarktes mit fairem Wettbewerb zwischen den Herstellern dient und überdies die in Artikel 46 der Rahmenrichtlinie vorgesehenen Sanktionen auch gewährleisten sollen, dass der Käufer eines Fahrzeugs im Besitz einer Übereinstimmungsbescheinigung ist, die es ihm erlaubt, das Fahrzeuge gemäß Anhang IX dieser Richtlinie in jedem Mitgliedsstaat zuzulassen, ohne zusätzliche technische Unterlagen vorlegen zu müssen (EuGH, Urt. v. 04.10.2018 – C-668/16, ECLI:EU:C:2018:802 Rn. 87 – Kommission/Deutschland; vgl. auch KG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 U 1033/20, juris Rn. 8).
bb) Zudem ist das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden und die weiteren Folgen dieses Entschlusses nicht tragen zu müssen, nicht vom Schutzzweck der genannten Norm erfasst (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 76; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 11; Urt. v. 08.12.2020 – VI ZR 244/20, juris Rn. 20; OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 18; OLG München, Beschl. vom 25.08.2020 und vom 05.11.2020 – 1 U 3827/20, n. v.; Beschl. vom 14.10.2020 und vom 17.12.2020 – 1 U 3855/20, n. v.; OLG Oldenburg, Beschl. vom 13.08.2020 und vom 06.10.2020 – 6 U 4/20, n. v.; KG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 U 1033/20, juris Rn. 7; OLG Köln, Beschl. v. 11.11.2020 – 7 U 86/20, juris Rn. 17). Der BGH hat in den zitierten Entscheidungen vom 25.05.2020, vom 30.07.2020 und vom 08.12.2020 unter Bezugnahme auf die vorgenannten Entscheidungen deutlich gemacht, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der Norm liegt. Die Klage zielt aber gerade auf Ersatz des Schadens, der der Klagepartei dann nicht entstanden wäre, wenn sie vor Abschluss des Vertrags über die tatsächliche Sachlage in Kenntnis gesetzt worden wäre, weil sie dann den Vertrag nicht geschlossen hätte.
b) Zudem ist der Beklagten weder ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Verpflichtung des Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG, wirksame und abschreckende Sanktionen vorzusehen, vorzuwerfen (unten aa), noch hat die Beklagte vorwerfbar ihre Kontroll- und Überwachungspflichten im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens in qualifizierter Weise verletzt (unten bb).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Verstoß dann hinreichend qualifiziert, wenn der Mitgliedsstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Bei der Beurteilung dieser Frage sind neben dem Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift insbesondere der Umfang des durch die Vorschrift eingeräumten Ermessensspielraums, der mögliche Vorsatz beim Verstoß und bei der Schadenszufügung, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand zu berücksichtigen, dass die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden. Jedenfalls ist ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht offenkundig qualifiziert, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren oder aber einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des EuGH, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat (EuGH, Urt. v. 05.03.1996 – C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I‑1131 = ECLI:EU:C:1996:79 Rn. 56 f. – Brasserie du pêcheur und Factortame). Während danach die nicht rechtzeitige Umsetzung einer Richtlinie prinzipiell ohne Weiteres einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt, fehlt es hieran, soweit dem nationalen Gesetzgeber auf dem infrage stehenden Rechtsgebiet noch ein Ermessensspielraum zusteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Norm den Umfang des Ermessens nicht hinreichend genau umschreibt, sodass den Mitgliedsstaaten bis zu einer Klärung durch den EuGH ein entschuldbarer Rechtsirrtum zugutezuhalten ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 19; BeckOGK/Dörr, a. a. O., § 839 BGB Rn. 903).
Nach diesen Maßstäben liegt hier kein hinreichend qualifizierter Verstoß vor.
aa) Die Beklagte hat ihren bei der Umsetzung der Richtlinie eingeräumten Ermessensspielraum weder offenkundig noch erheblich überschritten. Die Richtlinie überlässt den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Es war damit in das Ermessen der Beklagten gestellt, mit welchen Mitteln sie die Verstöße gegen das europäische Typgenehmigungsrecht in „wirksamer“ und „abschreckender“ Art und Weise sanktioniert. Die von der Beklagten vorgesehenen Sanktionen sind für die in Rede stehenden Verstöße auch mit Blick auf das einschlägige allgemeine Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (vgl. § 37 EG-FGV i. V. mit § 24 StVG, § 263 StGB und § 30 OWiG) und den verwaltungsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten (§ 25 EG-FGV) jedenfalls nicht offenkundig ungeeignet (vgl. u. a. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 20; OLG Oldenburg, Beschl. vom 13.08.2020 und vom 06.10.2020 – 6 U 4/20, n. v.; KG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 U 1033/20, juris Rn. 11).
Im Übrigen war die Beklagte gemäß Art. 46 Satz 3 der Richtlinie 2007/46/EG verpflichtet, der Kommission bis spätestens 29.04.2009 die einschlägigen Vorschriften mitzuteilen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kommission wegen aus ihrer Sicht insoweit etwaig unzureichender Umsetzung der Richtlinie zu einem Zeitpunkt vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei eine unzureichende Umsetzung gerügt oder etwaig ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Beklagte eingeleitet hätte.
bb) Auch in der Erteilung der Typengenehmigung für den konkreten Fahrzeugtyp liegt kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen europäisches Typgenehmigungsrecht (vgl. hierzu OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 23):
Das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung wurde der Zulassungsbehörde nicht mitgeteilt. Sie wurde durch die Fahrzeugherstellerin vielmehr arglistig hierüber getäuscht (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 25). Zwar sind nach Art. 4 I der Richtlinie 2007/46/EG die Mitgliedsstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass die Hersteller, die eine Genehmigung beantragen, ihre Pflichten gemäß dieser Richtlinie erfüllen. Sie dürfen nach Absatz 2 dieser Vorschrift eine Genehmigung für ein Fahrzeug auch nur dann erteilen, wenn dieses den Anforderungen dieser Richtlinie entspricht. Die von dem Hersteller im unter anderen von der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 692/20082Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18.07.2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. 2008 L 199, 1. europarechtlich vereinheitlichten Verfahren einzureichenden Unterlagen enthielten aber zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens keine Vorschrift, die den Hersteller verpflichtet hätte, Angaben zu unzulässigen Abschalteinrichtungen zu machen. Erst die Verordnung (EU) 2016/646 vom 20.04.20163Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6), ABl. 2016 L&nbbs109, 1. ergänzte die Verordnung dahin gehend und war insoweit eine Reaktion auf den Abgasskandal, der deutlich gemacht hatte, dass die Durchsetzung von Rechtsvorschriften über das Verbot von Abschalteinrichtungen verstärkt werden muss. Zuvor war offensichtlich auch dem europäischen Gesetzgeber nicht bewusst, dass das Typgenehmigungsverfahren in großer Breite manipuliert wurde.
Dass Bedienstete der Beklagten hiervon Kenntnis hatten, ist nicht ersichtlich. Der Klagevortrag zeigt auch keine hinreichenden Verdachtspunkte auf, die die Beklagte hätte veranlassen müssen, über die europarechtlich vorgeschriebenen Prüfungen hinaus nach verbotenen Abschalteinrichtungen zu forschen. Auch ein Versäumnis des Kraftfahrt-Bundesamtes bei der Erteilung der Typgenehmigung und der Überwachung, ob deren Voraussetzung eingehalten sind, kann der Senat nicht feststellen. Aufgrund des Vorgehens des verantwortlichen Herstellers der Motoren bestanden bis zum Jahr 2015 keine konkreten Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Vielmehr hat der Hersteller erheblichen Aufwand für die Verschleierung des Verstoßes gegen die Abgasnormen betrieben. Soweit die Klagepartei behauptet, es habe konkrete Anhaltspunkte für Manipulationen gegeben, weshalb das Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeughersteller bei Anträgen auf Erteilung von Typgenehmigungen hätte genauer kontrollieren und prüfen müssen, ist diese Behauptung nicht durch konkreten Vortrag unterlegt (vgl. insoweit im Übrigen auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.10.2020 – 6 U 4/20, n. v.).
c) Aus den vorgenannten Gründen besteht auch kein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten wegen etwaiger der Klagepartei durch die Fahrzeugmanipulation entstandenen Schäden.
d) Zudem ist der von den Klägern zur Begründung ihrer Ansprüche behauptete vermeintliche Verstoß gegen Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG für den behaupteten Schaden nicht kausal. Der Senat kann nicht erkennen, dass ein etwaiger Verstoß gegen die Sanktionsverpflichtung (so er vorliegen sollte, was der Senat verneint) kausal für den geltend gemachten Schaden geworden wäre. Auch die im Verhältnis zum bundesdeutschen Recht drakonischen Sanktionen in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) waren offenkundig nicht abschreckend genug und haben den Hersteller nicht gehindert, die mit der manipulierten Software versehenen Fahrzeuge auf den dortigen Markt zu bringen.
e) Der Senat kann nach alldem offenlassen, ob der Klagepartei überhaupt ein Schaden entstanden ist.
2.2 Ansprüche aus § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG scheiden bereits nach § 839 I 2 BGB aus. Die Klagepartei hat mit dem Hersteller des Fahrzeugs einen Vergleich geschlossen.
3 Das Berufungsverfahren ist auch nicht nach § 148 ZPO auszusetzen. Die vom LG Stuttgart dem EuGH in dem Verfahren 3 O 236/20 vorgelegten Fragen betreffen zum einen nicht konkret dieselben im vorliegenden Fall streitentscheidenden Fragen zum Individualschutz der Richtlinie. Letztlich ist die Vorlage des LG Stuttgart an den EuGH aber auch deshalb nicht vorgreiflich, weil die Klage selbst bei einem individualschützenden Charakter der streitentscheidenden europarechtlichen Normen keinen Erfolg hätte. Es fehlte zudem sowohl an einem qualifizierten Verstoß gegen die Richtlinie als auch, zumindest in Bezug auf den gerügten Verstoß gegen Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG, an der Kausalität eines solchen für den geltend gemachten Schaden.
4 Soweit die Klagepartei mit dem weiteren Hilfsantrag Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs begehrt, verkennt sie, dass der Schadensersatzanspruch allein auf das negative Interesse gerichtet sein kann. Die Beklagte ist jedoch nicht Vertragspartner der Klagepartei gewesen, sodass ein Staatshaftungsanspruch auf Ersatz des negativen Interesses allein auf Geldzahlung und nicht auf schadensersatzrechtliche „Rückabwicklung“ eines Kaufvertrags gerichtet sein kann. Im Übrigen gelten die Ausführungen unter 2 entsprechend.
Zudem wäre der Hilfsantrag bereits deshalb unbegründet, weil die Klagepartei den aktuellen Kilometerstand nicht vorträgt, eine Feststellung der gezogenen Nutzungen daher nicht möglich ist. Entgegen ihrer Auffassung müsste sie sich nämlich die über Jahre gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. auch BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 65 ff.).