Zur Haftung der Volkswagen AG nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens (kein Wegfall des Schadens durch Softwareupdate).

BGH, Urteil vom 27.07.2021 – VI ZR 365/20

Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Er erwarb am 22.06.2015 von einem Kraftfahrzeughändler für 12.600 € einen gebrauchten VW Golf mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 (Euro 5). Motoren dieser Baureihe waren mit einer Vorrichtung versehen, die die Abgasrückführung steuert. Das System erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus auf Schadstoffemissionen getestet wurde. In diesem Fall schaltete es in einen bestimmten Betriebsmodus („Modus 1“), in dem die Abgasrückführungsrate höher und damit verbunden der Stickoxid(NOX)-Ausstoß geringer war als in dem Modus, in dem der Pkw insbesondere im gewöhnlichen Straßenverkehr wurde betrieben wurde („Modus 0“).

Das Kraftfahrt-Bundesamt wertete diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung und erließ mit Bescheiden vom 14. und vom 15.10.2015 Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, um die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Die Beklagte rief diese Fahrzeuge zurück, um sie durch Aufspielen eines – vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebenen – Softwareupdates technisch zu überarbeiten. Beim Fahrzeug des Klägers wurde das Softwareupdate installiert.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision des Klägers, der damit seine Berufungsanträge weiterverfolgte, hatte Erfolg.

Aus den Gründen: [6]    I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass § 826 BGB grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar sei. Die Beklagte habe gegenüber dem Kläger nicht sittenwidrig gehandelt. Soweit bislang bei der Beurteilung des „VW-Abgasskandals“ ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten angenommen worden sei, sei als entscheidend angesehen worden, dass bei lebensnaher Betrachtung als Beweggrund für die Vornahme der Manipulationen an der Abgassteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht komme. Die weiteren besonderen Umstände (Täuschungen in großem Umfang, Umgehung von Zulassungsvorschriften mit erheblichem technischen Aufwand, planmäßige Verschleierung des Handelns) führten dazu, dass dieses Handeln aus Gewinnstreben als verwerflich und damit als sittenwidrig i. S. des § 826 BGB bewertet worden sei. Der Beweggrund der Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen könne jedoch – wenn überhaupt – nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens durch die Beklagte eine Rolle spielen. Jedenfalls liege beim Kläger kein Schaden mehr vor, da dieser durch das Aufspielen des Softwareupdates entfallen sei und die Betriebsuntersagung nicht mehr drohe. Außerdem wären nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich fielen. Alle europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten gerade keinen individualschützenden Charakter, sondern dienten gesamtgesellschaftlichen Zielen. Die Beklagte habe auch den Tatbestand des Betrugs nicht zum Nachteil des Klägers verwirklicht.

[7]    II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB nicht abgelehnt werden.

[8]    Der Kläger hat vorgetragen, dass die Beklagte getäuscht habe. Die Beklagte habe den Mangel ganz gezielt und vorsätzlich herbeigeführt, um sich dadurch einen Vorteil zulasten potenzieller Käufer und damit auch des Klägers zu verschaffen. Sie habe so weitere Entwicklungskosten einsparen oder aber die Unfähigkeit der Entwickler, einen Motor ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu marktgerechten Preisen herzustellen, verschleiern wollen. Der Beklagten obliege die sekundäre Darlegungslast im Hinblick auf eine Verantwortlichkeit des Vorstands für die Manipulationen. Bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.

[9]    Das vom Kläger vorgetragene und der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verhalten der Beklagten ist ihm gegenüber als objektiv sittenwidrig i. S. des § 826 BGB anzusehen (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 13 ff.; Urt. v. 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2020, 368 = juris Rn. 12 f.; Urt v. 11.05.2021 – VI ZR 80/20, juris Rn. 12 m. w. Nachw.). Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte, ändert daran nichts (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 25; Urt. v. 18.05.2021 – VI ZR 452/19, juris Rn. 10 m. w. Nachw.). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden entfiele nicht wegen des durchgeführten Softwareupdates (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff., insbesondere Rn. 58; Urt. v. 18.05.2021 – VI ZR 452/19, juris Rn. 13; Urt. v. 20.07.2021 – VI ZR 633/20, zur Veröffentlichung bestimmt). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 I EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an (vgl. Senat, Urt. v. 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2020, 368 = juris Rn. 24 m. w. Nachw.; Urt. v. 18.05.2021 – VI ZR 452/19, juris Rn. 11).

[10]   III. Daher ist die angegriffene Entscheidung aufzuheben (§ 562 I ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 III ZPO) und daher zur neuen Verhandlung sowie Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO). Es wird Gelegenheit haben, sich mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren zu befassen.

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