Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen ist zwar i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, sodass der Käufer grundsätzlich einen Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs hat (§§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB). Der Verkäufer muss dem Käufer aber anstelle eines im Juli 2010 ausgelieferten VW Tiguan („Tiguan I“) keinen VW Tiguan aus der aktuellen Serie („Tiguan II“) liefern, weil beide Fahrzeugmodelle nicht gleichartig und gleichwertig sind.
LG Aachen, Urteil vom 21.03.2017 – 10 O 177/16
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten, einer VW-Vertragshändlerin, im Rahmen des sogenannten VW-Abgasskandals gestützt auf §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB die Lieferung eines mangelfreien Neuwagens.
Er bestellte bei der Beklagten am 24.02.2010 einen VW Tiguan 2.0 TDI BMT Sport & Style 4MOTION (125 kW) zum Preis von 39.555,01 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 23.07.2010 übergeben. Es ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet, dessen Stickoxidausstoß softwaregesteuert verringert wird, sobald der VW Tiguan einem Emissionstest unterzogen wird. Die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug im regulären Straßenverkehr oder auf einem technischen Prüfstand befindet, und aktiviert dementsprechend unterschiedliche Betriebsmodi. Im regulären Straßenverkehr wird das Fahrzeug des Klägers im Modus 0 betrieben. Befindet sich das Fahrzeug zur Ermittlung der Emissionswerte auf einem Prüfstand, ist Modus 1 aktiv. In diesem Modus ist die Abgasrückführungsrate höher und deshalb der Ausstoß von Stickoxid (NOX) niedriger als im Modus 0, und nur im Modus 1 werden die Euro-5-Emissionsgrenzwerte eingehalten.
Nachdem in der Öffentlichkeit bekannt geworden war, dass in verschiedenen VW-Dieselfahrzeugen eine „Manipulationssoftware“ zum Einsatz kommt, legte das Kraftfahrt-Bundesamt der Volkswagen AG auf, diese Software aus allen betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. In der Folgezeit prüfte das Kraftfahrt-Bundesamt einen ihm von der Volkswagen AG vorgelegten Maßnahmenplan und gab zeitlich gestaffelt auf den jeweiligen Fahrzeugtyp abgestimmte Softwareupdates frei. Auch ohne ein solches Update ist das streitgegenständliche Fahrzeug fahrbereit und verkehrssicher. Auch wurde die EG-Typgenehmigung nicht entzogen, wenngleich das Kraftfahrt-Bundesamt ein Aufspielen des Softwareupdates als verpflichtend ansieht.
Mit Anwaltsschreiben vom 19.01.2016 rügte der Kläger gegenüber der Beklagten, sein Fahrzeug sei wegen der „Manipulationssoftware“ mangelhaft, und forderte sie unter Fristsetzung zur Lieferung eines mangelfreien Neuwagens auf. Die Beklagte verwies den Kläger mit Schreiben vom 22.01.2016 darauf, dass gegenwärtig ein Softwareupdate für die Motoren entwickelt werde, deren NOX-Emissionen auf dem Prüfstand optimiert würden, und widersprach der begehrten Ersatzlieferung.
Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt am 21.07.2016 das Fahrzeugmodell VW Tiguan zur Umrüstung freigegeben hatte, informierte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2017 darüber, dass für sein Fahrzeug ein Softwareupdate verfügbar sei. Der Kläger wurde – vergeblich – aufgefordert, mit der Beklagten einen Termin zum Aufspielen des Updates zu vereinbaren.
Der Kläger meint, sein Fahrzeug sei aufgrund der manipulierten Software mangelhaft. Eine erfolgreiche Nachbesserung durch Aufspielen eines Softwareupdates – so behauptet der Kläger – sei nicht möglich, weil jedenfalls ein merkantiler Minderwert verbleibe. Denn zum einen werde dem Fahrzeug trotz Nachbesserung der Makel anhaften, vom VW-Abgasskandal betroffen (gewesen) zu sein, und zum anderen sei völlig ungewiss, welche langfristigen Auswirkungen das geplante Softwareupdate habe.
Der Kläger behauptet weiter, er habe sich bewusst für das streitgegenständliche Fahrzeug mit Dieselmotor entschieden, nachdem er zuvor mit einem VW Tiguan mit Benzinmotor schlechte Erfahrungen dergestalt gemacht habe, dass der Kraftstoffverbrauch höher gewesen sei als von der Fahrzeugherstellerin angegeben. Im Rahmen des Verkaufsgesprächs habe er dem Verkaufsberater der Beklagten M mitgeteilt, dass er ein Fahrzeug wünsche, das viel weniger Kraftstoff verbrauche als das Fahrzeug mit Benzinmotor und bei dem die Herstellerangaben zum Verbrauch zumindest annähernd zuträfen. M habe daraufhin unter anderem erklärt, dass die Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch im Verkaufsprospekt richtig seien. Das streitgegenständliche Fahrzeug verbrauche indes durchschnittlich 8,3 l/100 km und nicht wie zugesagt 6,5 l/100 km.
Die Volkswagen AG biete den VW Tiguan so, wie er – der Kläger – ihn erworben habe auch derzeit noch an. Einzig der (mangelhafte) Motor sei durch ein neues, den Anforderungen der Euro-6-Abgasnorm entsprechendes Aggregat ersetzt worden, und die Motorleistung habe sich verändert.
Die im Wesentlichen auf Lieferung eines fabrikneuen VW Tiguan aus der aktuellen Baureihe gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Landgericht hat sie mit Versäumnisurteil vom 16.11.2016 abgewiesen und dieses Urteil nach einem zulässigen Einspruch des Klägers aufrechterhalten.
Aus den Gründen: I. … 2. … Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien fabrikneuen typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen VW Tiguan nicht zu.
a) Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.01.2016 hat der Kläger gegenüber der Beklagten sein Wahlrecht aus § 439 I BGB ausgeübt und ausdrücklich die Variante … der Neulieferung gewählt. Eine etwaige Nachbesserung in Form des Aufspielens des Softwareupdates hat er bislang ausdrücklich abgelehnt.
b) Die Parteien waren durch den im Februar 2010 geschlossenen Kaufvertrag über den streitgegenständlichen VW Tiguan vertraglich miteinander verbunden. Der Pkw war indes zum Zeitpunkt der Übergabe am 23.07.2010 mangelhaft, da er aufgrund der Ausstattung mit zwei Betriebsmodi sowie einer auf das Motorsteuerungsgerät einwirkenden Software jedenfalls nicht die übliche Beschaffenheit i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB aufwies.
Nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB ist ein Kaufgegenstand frei von Sachmängeln, wenn er sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache verlangen kann. Maßgeblich ist die objektiv berechtigte Käufererwartung (vgl. BGH, Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872 Rn. 12 m. w. Nachw.). Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeugs – wie der Kläger – kann berechtigterweise davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der NOX-Ausstoß reduziert wird (vgl. LG Oldenburg, Urt. v. 01.09.2016 – 16 O 790/16, juris Rn. 26; LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15, juris Rn. 18). Dabei ist der Beklagten zuzugestehen, dass die unter Laborbedingungen erzielten Werte im Straßenverkehr nicht eingehalten werden müssen. Indes erweist es sich als beanstandungswürdig, wenn der verbaute Motor die gesetzlichen Vorgaben im Prüfstandlauf nur deshalb einhält, weil die Software regulierend einwirkt und die Motorsteuerung in den NOX-optimierten Modus 1 schaltet. Zwar gibt der Prüfstandmodus, wie allgemein bekannt ist, nicht den realen Motorbetrieb wieder. Allerdings geht ein Käufer von einer grundsätzlichen Übertragbarkeit der dort ermittelten Werte auf das Verbrauchsverhalten und die zu erwartenden Emissionswerte des jeweiligen Fahrzeugs auch im realen Straßenverkehr aus (vgl. LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 25; LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15, juris Rn. 17; LG Bückeburg, Urt. v. 11.01.2017 – 2 O 39/16, juris Rn. 39). Dieser grundsätzlichen Vergleichbarkeit wird aber durch den Einsatz der Software die Grundlage entzogen. Im Ergebnis stellt die Beklagte auch nicht in Abrede, dass der Modus 1 mit höherer Abgasrückführung ausschließlich bei der Prüfstandfahrt verwendet wird. Dies führt im vorliegenden Fall zu einer Täuschung des Klägers über die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der in Prospekten und Werbung veröffentlichen Messwerte mit den im realen Fahrbetrieb zu erwartenden Emissionswerten.
Gleichermaßen wies das klägerische Fahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrenübergangs überdies deshalb nicht die zu erwartende Beschaffenheit auf, weil das Fahrzeug – auch nach dem Vorbringen der Beklagten – zwingend einem Softwareupdate unterzogen werden muss, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen und keine Betriebsuntersagung gemäß § 5 FZV zu riskieren (vgl. LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, BeckRS 2016, 08996).
c) Jedoch ist der Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Ersatzfahrzeugs zum einen nach § 275 I BGB und zum anderen nach § 439 III BGB ausgeschlossen.
aa) Der Beklagten ist eine Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs, das mit dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug in allen Merkmalen übereinstimmt, unmöglich i. S. des § 275 I BGB. Soweit die Beklagte noch im Besitz von gleichartigen Fahrzeugen sein sollte, wären diese sämtlich mit dem 2,0-Liter-Dieselmotor vom Typ EA189 und damit auch mit der Manipulationssoftware ausgestattet und wiesen damit gleichermaßen einen Sachmangel auf (s. oben). Im Übrigen wird das Modell des klägerischen Fahrzeugs – insoweit unstreitig – nicht mehr hergestellt.
Die Beklagte ist auch im Rahmen des vorliegenden Gattungskaufs nicht verpflichtet, dem Kläger ein Ersatzfahrzeug aus ihrer neuen Modellreihe zu liefern, weil dieses nicht zu der geschuldeten Gattung gehört (vgl. LG Hagen, Urt. v. 07.10.2016 – 9 O 58/16, juris Rn. 41). Denn geschuldet ist im Rahmen des § 439 I Fall 2 BGB die nochmalige Erfüllung der ursprünglich vom Verkäufer geschuldeten Leistung, mithin ist anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie, im Übrigen aber gleichartige und gleichwertige Sache zu liefern, nicht mehr und nicht weniger (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135 = NJW 2013, 220 Rn. 24; Urt. v. 15.07.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837 Rn. 18). Indes verfügt der VW Tiguan in der nunmehr auf dem Markt verfügbaren zweiten Generation über eine geänderte Motorisierung und erweist sich bereits deshalb nicht als gleichartig und gleichwertig. Diese fehlende Gleichartigkeit ist für den Laien auch ohne Weiteres erkennbar, da der streitgegenständliche VW Tiguan ausweislich der Herstellerangaben die Grenzwerte der Euro-5-Norm einhalten sollte, wohingegen der VW Tiguan II, das Nachfolgemodell, bereits die Grenzwerte der Euro-6-Norm einhält und damit sogar eine blaue Plakette erhalten kann.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der behauptet einbezogenen Neuwagen-Verkaufsbedingungen. Denn diese lassen nur Änderungen bis zum Zeitpunkt der (erstmaligen) Auslieferung zu. Durch die Auslieferung des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 23.07.2010 ist eine endgültige Spezifizierung des geschuldeten Kaufvertragsgegenstandes erfolgt und die geschuldete Fahrzeuggattung festgelegt worden. Eine Abänderung im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs ist hingegen nicht mehr möglich.
bb) Zudem wäre eine etwaig mögliche Neulieferung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden, sodass die Beklagte die klägerseits gewählte Art der Nacherfüllung nach § 439 III BGB verweigern durfte.
Im Falle der Nachlieferung müsste die Beklagte dem Kläger einen Neuwagen übereignen und erhielte den streitgegenständlichen, bereits mehr als sechs Jahre alten Wagen zurück. Durch den Zeitablauf und die Nutzung hat das Fahrzeug erheblich an Wert verloren. In Höhe der Differenz zwischen dem Wert beider Fahrzeuge entstünde der Beklagten ein erheblicher Schaden, weil der Kläger als Verbraucher nach §§ 474 V 1, 439 IV, 346 I BGB nicht zur Leistung von Wertersatz für die zwischenzeitliche Nutzung verpflichtet wäre.
Höhere Kosten ergeben sich auch nicht unter Berücksichtigung des Aufwands für die Durchführung der vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigten Nachbesserungsmaßnahme. Denn das Aufspielen eines Softwareupdates, gleich welcher Art, ist erfahrungsgemäß lediglich mit einem überschaubaren Aufwand verbunden. Dabei fallen die Kosten für die Herstellung des Updates nicht erheblich ins Gewicht, da diese zum einen ausschließlich beim Fahrzeughersteller und nicht bei der Beklagten anfallen und zum anderen auf die Vielzahl der betroffenen Fahrzeuge aufzuteilen sind.
Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass der Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs isoliert betrachtet für ihn erhebliche Bedeutung hat. Die Beklagte lässt insoweit außer Acht, dass der Kläger sein Fahrzeug nur derzeit ohne Einschränkungen nutzen kann. Denn es steht dem Kläger nicht grundsätzlich frei, sich an der Rückrufaktion des VW-Konzerns zu beteiligen, da bei Nichtteilnahme eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 FZV erfolgen könnte. Allerdings kann dies vorliegend dem Kläger im Rahmen der Abwägung nach § 439 III 2 BGB nicht zugutekommen, weil der Kläger jedenfalls bislang nicht bereit ist, entsprechend den Aufforderungen des Herstellers ein Softwareupdate aufspielen zu lassen. Dem Kläger ist in solch einer Situation durchaus zuzumuten, zunächst das Softwareupdate aufspielen zu lassen und dann nach etwaiger Erfolglosigkeit der Nacherfüllungsbemühungen Sekundärgewährleistungsrechte gegen die Beklagte geltend zu machen.
2. Nachdem sich das auf Lieferung eines mangelfreien Ersatzfahrzeugs gerichtete Begehren des Klägers als unbegründet erweist, befand sich die Beklagte nicht mit der Erfüllung etwaiger Verpflichtungen im Rahmen der Nacherfüllung im Annahmeverzug nach §§ 293, 294 BGB.
Gleichermaßen folgen die Ansprüche auf Freistellung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.530,64 € und auf entsprechende Verzinsung in ihrem Schicksal dem Hauptantrag. Mangels wirksamer Ausübung der Gewährleistungsrechte sind auch die Nebenforderungen unbegründet. …