- Ein verständiger Käufer weiß zwar, dass der tatsächliche Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs von zahlreichen Einflüssen und der individuellen Fahrweise abhängt und deshalb nicht mit den Angaben des Herstellers, die auf einem standardisierten Messverfahren beruhen, gleichgesetzt werden darf. Der Käufer kann aber erwarten, dass die vom Fahrzeughersteller genannten Verbrauchswerte unter Testbedingungen reproduzierbar sind (im Anschluss an OLG Hamm, Urt. v. 07.02.2013 – I-28 U 94/12, juris).
- Ist der unter Testbedingungen ermittelte Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs um mehr als zehn Prozent höher als vom Hersteller angegeben, liegt ein i. S. des § 323 V 2 BGB erheblicher Mangel vor, der den Käufer grundsätzlich zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Maßgeblich ist die Abweichung vom Durchschnittswert („kombiniert“), wenn sich die Herstellerangaben auf verschiedene Fahrzyklen beziehen.
- Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug ist schon deshalb i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, weil es zwingend ein Softwareupdate benötigt, um seine Zulassung zum Straßenverkehr zu erhalten.
- Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs muss dem Verkäufer keine Frist zur Nacherfüllung von mehreren Monaten setzen. Denn auch ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug ist schlicht ein mangelhafter Gebrauchsgegenstand. Eine außerhalb des VW-Abgasskandals als angemessen bewertete Frist ist deshalb auch dann angemessen, wenn es um die Nachbesserung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs geht, zumal es schon im Ansatz nicht die Obliegenheit des Käufers ist, an einem möglichst reibungslosen Ablauf der Rückrufaktion der Volkswagen AG mitzuwirken.
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Rechtsanwaltskosten, die einem Käufer für die Geltendmachung eines Nacherfüllungsanspruchs entstehen, kann der Verkäufer dem Käufer gemäß § 439 II BGB verschuldensunabhängig zu ersetzen haben.
LG Essen, Urteil vom 16.09.2016 – 16 O 165/16
Sachverhalt: Der Kläger verlangt im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.
Er erwarb von der Beklagten, einer VW-Vertragshändlerin, auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung vom 23.12.2014 mit Kaufvertrag vom 28.12.2014 einen VW Touran 1.6 TDI BlueMotion zum Preis von 22.250 €. Zum Kraftstoffverbrauch dieses Fahrzeugs machte die Volkswagen AG als Herstellerin in einem Verkaufsprospekt seinerzeit folgende Angaben:
Kraftstoffverbrauch (l/100 km)
|
||
---|---|---|
innerorts | außerorts | kombiniert |
5,1 | 4,2 | 4,5 |
In der dem Kläger ausgehändigten Bestellübersicht heißt es darüber hinaus „CO2-Emissionen (kombiniert): 110 g/km“ und „Effizienzklasse: A“. Außerdem wurde das Fahrzeug des Klägers in einer Anlage zum Kaufvertrag unter anderem als „schadstoffarm nach Abgasnorm Euro 5“ beschrieben.
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet. Dieser Motor ist – was weder der Kläger noch die Beklagte bei Abschluss des Kaufvertrages wusste – vom VW-Abgasskandal betroffen. In dem Fahrzeug kommt eine Software zum Einsatz, die den Stickoxidausstoß optimiert, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einem Emissionstest unterzogen wird.
Nachdem der Kläger festgestellt hatte, dass sein Fahrzeug vom VW-Abgasskandal betroffen ist, wandte er sich mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2015 an die Beklagte und rügte nicht nur, dass in seinem Fahrzeug eine Manipulationssoftware zum Einsatz komme, sondern auch einen deutlich erhöhten Kraftstoffverbrauch. Gleichzeitig setzte er der Beklagten eine Frist zur Nachbesserung bis zum 02.11.2015.
Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 22.10.2015 mit, dass im Januar 2016 mit der Nachbesserung der vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge begonnen werde. Weitere Anfragen solle der Kläger an die Kundenbetreuung der Fahrzeugherstellerin richten.
Mit Anwaltsschreiben vom 04.01.2016 erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm bis zum 18.01.2016 den um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreis zurückzuzahlen. Den Rücktritt wies die Beklagte mit Schreiben vom 06.01.2016 zurück. Dieses Schreiben lautet auszugsweise wie folgt:
„Der aktuelle Zeitplan sieht vor, dass die ersten Fahrzeuge ab Januar 2016 auf den erforderlichen technischen Stand gebracht werden. VW arbeitet mit Hochdruck daran, dass sämtliche Maßnahmen für alle Motorvarianten so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Selbstverständlich erfolgt die Durchführung der Maßnahmen auf Kosten von VW. Wir werden Sie sobald wie möglich näher über den Zeitplan und die für Ihr Fahrzeug konkret vorgesehenen Maßnahmen informieren. Wir können Ihnen bereits jetzt versichern, dass die Volkswagen AG Ihnen zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten gerne für den Zeitraum der Durchführung der Maßnahme eine individuell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene angemessene Ersatzmobilität kostenfrei zur Verfügung stellen wird. Bis zur konkreten Durchführung der Maßnahmen möchten wir Sie um Geduld und Ihr Verständnis dafür bitten, dass wir alle notwendigen Schritte mit dem gebotenen Tempo, aber auch mit der Sorgfalt angehen, die Sie jetzt von uns erwarten dürfen. […] Das Zuwarten ist für Sie nicht nachteilig, da wir ausdrücklich bis zum 31.12.2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit Motortyp EA189 eingebauten Software bestehen, verzichten. Der Verjährungsverzicht für derartige Ansprüche gilt auch, soweit diese bereits verjährt sind. Vor diesem Hintergrund bitten wir um Ihr Verständnis, dass wir Ihrem Wunsch, Ihr Fahrzeug zurückzunehmen, nicht entsprechen können.“
Mit der Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises, und zwar unter Anrechnung von ihm gezogener Gebrauchsvorteile, die er mit 2.410,94 € bewertet. Außerdem begehrt er – neben der Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten – die Erstattung ihm vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten in Höhe von 1.171,67 €.
Der Kläger meint, er sei zum Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag berechtigt gewesen, weil – so behauptet er – das erworbene Fahrzeug zum einen mehr als doppelt so viel Kraftstoff verbrauche wie von der Volkswagen AG angegeben. Der kombinierte Verbrauch betrage mehr als 11 l/100 km, und auch unter Laborbedingungen weiche der Verbrauch um mehr als zehn Prozent von den Herstellerangaben ab. Zum anderen ist das streitgegenständliche Fahrzeug nach Auffassung des Klägers mangelhaft, weil es vom VW-Abgasskandal betroffen, das heißt mit einer Manipulationssoftware versehen sei.
Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 22.250 € abzüglich gezogener Nutzungen in Höhe von 3.228,70 € aus §§ 346 I, 347, 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Lediglich der Nutzungsersatz war geringfügig höher anzusetzen als in der Klageschrift beantragt.
1. Zwischen den Parteien hat ein Kaufvertrag (§ 433 BGB) über den streitgegenständlichen Pkw … bestanden.
2.Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung – hier am 04.01.2016 – waren insgesamt zwei Sachmängel i. S. des § 434 BGB gegeben. Dies steht auch ohne Durchführung einer Beweisaufnahme fest.
a) Der erste Sachmangel liegt in dem erhöhten Kraftstoffverbrauch begründet.
aa) Das gesetzliche Rücktrittsrecht ergibt sich insoweit daraus, dass dem vom Kläger gekauften Fahrzeug i. S. des § 434 I 2 Nr. 2, Satz 3 BGB eine Beschaffenheit fehlte, die [der Kläger] nach dem Verkaufsprospekt des Herstellers erwarten durfte.
Aus dem Verkaufsprospekt (dort Seite 11) ergibt sich, dass das von dem Kläger erworbene Modell (77 kW/105 PS, 7-Gang-DSG) nach dem vorgeschriebenen Messverfahren den aus Blatt 24 d. A. ersichtlich Kraftstoffverbrauch aufweist. Namentlich soll der kombinierte Verbrauch bei 4,5 Litern pro 100 Kilometer liegen. Daraus folgt zwar keine Soll-Beschaffenheit in dem Sinne, dass diese Verbrauchswerte im Alltagsgebrauch des konkret erworbenen Fahrzeugs erreicht werden müssten. Denn ein verständiger Käufer weiß, dass die tatsächlichen Verbrauchswerte von zahlreichen Einflüssen und der individuellen Fahrweise des Nutzers abhängen und deshalb nicht mit den Prospektangaben gleichgesetzt werden dürfen, die auf einem standardisierten Messverfahren beruhen. Der Käufer kann aber erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte unter Testbedingungen reproduzierbar sind (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 07.02.2013 – I-28 U 94/12, juris).
Das ist bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug indes nicht der Fall. Der gesamte Vortrag des Klägers ist hierzu unstreitig geblieben, worauf der Klägervertreter wiederholt hingewiesen hat, ohne dass insoweit irgendeine Reaktion der Beklagtenseite erfolgt ist. Zuletzt wurde dieser Umstand in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2016 thematisiert. Auch auf den entsprechenden ausdrücklichen Hinweis des Gerichts hat die Beklagtenseite hierzu nichts vorgetragen. Danach überschreitet der Kraftstoffverbrauch bei kombiniertem Zyklus auch unter Laborbedingungen die Herstellerangaben im Verkaufsprospekt um mehr als zehn Prozent.
bb) Der Mangel ist erheblich i. S. des § 323 V 2 BGB. Eine erhebliche Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der im Verkaufsprospekt angegebene (kombinierte) Verbrauchswert um mehr als zehn Prozent überschritten wird (vgl. BGH, Beschl. v. 08.05.2007 – VIII ZR 19/05, NJW 2007, 2111 Rn. 3), was hier der Fall ist.
b) Der zweite Sachmangel liegt in dem Einbau der Manipulationssoftware begründet.
aa) Insoweit liegt ein Mangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
Ein Fahrzeug entspricht nicht schon dann der üblichen und berechtigterweise von einem Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, wenn es technisch sicher und fahrbereit ist und über alle Genehmigungen verfügt. Durch die Installation der Manipulationssoftware, die die korrekte Messung der Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vorspiegelt, weicht ein Fahrzeug vielmehr von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – I-28 W 14/16, juris).
Die Mangelhaftigkeit folgt im Übrigen schon daraus, dass das Fahrzeug auch nach dem Vorbringen der Beklagten im Laufe des Jahres 2016 einem Softwareupdate unterzogen werden muss, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen und nicht den Verlust der Allgemeinen Betriebserlaubnis zu riskieren. Wenn es dem Kläger mithin nicht freisteht, dem Rückruf seines Fahrzeugs im Laufe des Jahres 2016 Folge zu leisten und dessen Zulassung zum Straßenverkehr damit zu erhalten, dann kann aus dem derzeitigen Fehlen des beim Rückruf aufzuspielenden Softwareupdates auch auf die Mangelhaftigkeit des klägerischen Fahrzeugs geschlossen werden (vgl. LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris).
bb) Der Mangel ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch erheblich i. S. des § 323 V 2 BGB.
Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln im Grundsatz auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist bei einem behebbaren Mangel im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 30). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der (Un-)Erheblichkeit und damit auch für die Höhe der Mangelbeseitigungskosten ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (BGH, Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365 Rn. 18; vgl. zum Ganzen OLG Hamm, Urt. v. 22.03.2016 – I-28 U 44/15, juris).
Zwar ist der Vortrag der Beklagten, die Installation des Softwareupdates werde nur mit Kosten von maximal 100 €, also weniger als einem Prozent des Kaufpreises, verbunden sein, von dem Kläger nicht bestritten worden. Der Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des BGH, wonach bei solchen geringfügigen Nachbesserungskosten ein Rücktritt nach § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sei, verfängt indes nicht. Die Beklagte übersieht dabei, dass für die Beurteilung der Frage, ob die in der Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung unerheblich ist und deswegen das Rücktrittsrecht des Käufers ausschließt, auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen ist und es dem erklärten Rücktritt deshalb nicht die Wirksamkeit nimmt, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der zum Zeitpunkt des Rücktritts nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwand behebbare Mangel mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand korrigiert werden kann (BGH, Urt. v. 15.06.2011 – VIII ZR 139/09, juris Rn. 9).
Soweit die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung am 16.09.2016 ausgeführt hat, bereits im November 2015 seien die Kosten der Nachrüstung „bekannt“ gewesen, so ist dieser Vortrag unerheblich. Es ist nämlich zum einen nicht vorgetragen worden, dass dem Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt eine solche Mitteilung für sein konkretes Fahrzeugmodell gemacht worden ist. Zum anderen ist bis heute nicht eindeutig geklärt, ob die vom Hersteller beabsichtigte Maßnahme auch für das klägerische Fahrzeug erfolgreich sein wird. Die Beklagtenseite hat insbesondere mit Schriftsatz vom 24.05.2016 lediglich allgemeine Ausführungen dazu gemacht, dass das Kraftfahrt-Bundesamt bereits diverse nachgerüstete Fahrzeug geprüft habe. Hierzu hat sie unter anderem ausgeführt:
„Auch alle anderen Modellreihen werden nach Umsetzung der technischen Maßnahmen vom Kraftfahrt-Bundesamt überprüft werden. Genau wie für die oben genannten Modellreihen wird es also auch für die anderen Modellreihen, unter anderem für diejenige des Klägers, im Anschluss an deren technische Überarbeitung einen amtlichen Prüfbescheid geben. Es wird Auskunft darüber geben, ob alle im Hinblick auf die Schadstoffemissionen geltenden Grenzwerte eingehalten werden und die Umsetzung der technischen Maßnahme erfolgreich war.“
Daraus ergibt sich indes, dass für den Kläger zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung noch gar nicht absehbar war, wann eine Überprüfung der Modellreihe seines Fahrzeugs erfolgen und ob diese erfolgreich sein wird. Auf die sich daraus ergebene Unsicherheit musste sich der Kläger nicht einlassen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2016 hat die Beklagtenvertreterin überdies bestätigt, dass sogar bis zum heutigen Zeitpunkt kein amtlicher Prüfbescheid für die Modellreihe des klägerischen Fahrzeugs ergangen ist.
Der aufgrund der eingebauten Manipulationssoftware bestehende Mangel ist auch in Ansehung der verbleibenden zeitlichen Unsicherheit des Klägers erheblich. Die umfangreichen schriftlichen Ausführungen der Beklagtenseite zum Zeit- und Maßnahmenplan des Herstellers sind insoweit nicht zielführend. Entscheidend ist die Vorgehensweise im konkreten Fall, das heißt bezogen auf das klägerische Fahrzeug. Die Beklagtenvertreterin musste indes in der mündlichen Verhandlung am 16.09.2016 einräumen, dass nach wie vor kein konkreter Termin für die Nachrüstung des Klägerfahrzeuges feststeht.
3. Die weiteren Voraussetzungen des Rücktritts gemäß § 323 I BGB sind ebenfalls erfüllt.
Der Kläger hat der Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2015 eine angemessene Frist zur Nachbesserung gesetzt.
Die Angemessenheit der Frist bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Vertrages, wobei die Interessen beider Vertragsparteien zu berücksichtigen sind. Einerseits hat der Gläubiger ein Interesse an alsbaldiger Klarheit darüber, ob der Schuldner die Leistung erbringen wird; andererseits soll dem Schuldner die letzte Möglichkeit gegeben werden, die Leistung tatsächlich noch zu erbringen. Die Frist muss daher so lang bemessen sein, dass der Schuldner in der Lage ist, die bereits begonnene Erfüllung zu beschleunigen und zu vollenden. Sie braucht jedoch nicht so lang zu sein, dass der Schuldner die Möglichkeit hat, erst jetzt mit der Leistungsvorbereitung zu beginnen (vgl. statt aller LG Wuppertal, Urt. v. 23.04.2015 – 9 S 255/14, juris m. w. Nachw.).
a) Hinsichtlich des erhöhten Kraftstoffverbrauchs ist die mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2015 gesetzte Nachbesserungsfrist bis zum 02.11.2015 ohne Weiteres angemessen. In diesem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, dass der erhöhte Kraftstoffverbrauch seine Ursache offenbar in einer Funktionsstörung der Kraftstoffanlage bzw. des Motors habe. Es sind keine Gründe vorgetragen oder ersichtlich, warum es der Beklagten nicht möglich gewesen sein sollte, diesen Defekt innerhalb der oben genannten Frist zu beheben. Die Beklagte hat sich hierzu auch vorgerichtlich nicht erklärt, und zwar weder mit Schreiben vom 22.10.2015 noch mit Schreiben vom 06.01.2016.
b) Das Gericht bewertet die vom Kläger mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2015 gesetzte Nachbesserungsfrist aber auch hinsichtlich der Manipulationssoftware als angemessen. Zumindest war eine Fristsetzung nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 22.10.2015 entbehrlich (§ 323 II Nr. 3 BGB).
Das Gericht hat hierbei folgende Umstände in die Betrachtung einbezogen:
Zwar ist das Interesse der Beklagten als Autohändlerin verständlich, von negativen wirtschaftlichen Folgen als Konsequenz des „Abgasskandals“ verschont zu bleiben und daher den Kunden zu einem geduldigen Zuwarten bis zur Abarbeitung des Zeit- und Maßnahmenplans des Herstellers verpflichten zu wollen. Es ist aber schon im Ansatz nicht die Obliegenheit des Klägers, als betroffener Kunde an einem möglichst reibungslosen Ablauf der Nachrüstungsaktion mitzuwirken.
Die Beklagte verkennt zudem, dass es vorliegend schlicht um einen mangelhaften Gebrauchsgegenstand geht. Insoweit stellen sich Nachbesserungsfristen von mehreren Monaten als unangemessen lang dar. Derart außerordentlich lange Fristen haben, soweit ersichtlich, für Gebrauchsgegenstände wie Fahrzeuge oder Ähnliches in der obergerichtlichen Rechtsprechung keinen Niederschlag gefunden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet im vorliegenden Fall eine Ausnahme gemacht werden soll.
Darüber hinaus würde eine mehrmonatige Nachbesserungsfrist die Beklagte nicht lediglich in die Lage versetzen, eine begonnene Erfüllung zu vollenden. Vielmehr würde der Beklagten die – vom Sinn und Zweck der Nachbesserungsfrist nicht umfasste – Möglichkeit eröffnet, überhaupt erst den Versuch der Bewirkung einer Leistung zu unternehmen.
Zudem muss die Bemessung der Nachfrist in Relation zur üblichen Nutzungszeit bewertet werden. Kraftfahrzeuge werden regelmäßig nicht mehrere Jahrzehnte genutzt, sondern nach einigen Jahren ausgetauscht. Selbst wenn man eine durchschnittliche Nutzungszeit von zehn Jahren zugrunde legt, umfasst die dem Kläger von der Beklagten zugemutete Wartezeit mittlerweile fast ein Jahr und damit bereits ein Zehntel der Gesamtnutzungszeit. In diesem Zusammenhang ist auch zu konstatieren, dass die Dispositionsfreiheit des Klägers über das streitgegenständliche Fahrzeug durch eine mehrmonatige Wartezeit in erheblicher Weise eingeschränkt wird. Solange die Nachrüstung des Pkw nicht erfolgt, kann der Kläger im Falle eines beabsichtigen Weiterverkaufs seines Fahrzeugs lediglich einen mangelhaften Kaufgegenstand anbieten, der ihm seinerseits Hinweispflichten gegenüber dem Kaufinteressenten auferlegt.
Die weitere Argumentation der Beklagten, wonach sich eine angemessene Frist i. S. des § 323 I BGB an den Vorgaben des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Hersteller zu orientieren habe, ist nicht überzeugend. Die Maßnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes sind für die rechtliche Bewertung des Gerichts nicht bindend. Zudem richten sich die Maßnahmen an den Hersteller und nicht an die einzelnen Käufer. Das Kraftfahrt-Bundesamt mag – verständlicherweise – insbesondere aus volkswirtschaftlichen Gründen den Zeit- und Maßnahmenplan des Herstellers akzeptiert haben, um die Stilllegung von mehreren Hunderttausend Fahrzeugen zu vermeiden. Die hingegen von der Beklagten angedeutete Intention des Kraftfahrt-Bundesamtes, den betroffenen Käufern eine „Wartepflicht“ hinsichtlich der Nachrüstungsaktion zu signalisieren, ist abwegig.
Nach Würdigung aller vorgenannten Umstände hält das Gericht die vom Kläger gesetzte zweiwöchige Nachbesserungsfrist für angemessen.
Jedenfalls war eine Fristsetzung nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 22.10.2015 entbehrlich i. S. des § 323 II Nr. 3 BGB.
Die Beklage hat sich in ihrer Reaktion auf die Nachfristsetzung am 22.10.2015 ausschließlich darauf beschränkt, den Kläger an den Hersteller zu verweisen. Eine eigenverantwortliche Nachbesserung hat die Beklagte dem Kläger nicht angeboten. Einen konkreten Termin für die Durchführung der Nachrüstung hat die Beklagte dem Kläger nicht genannt, wozu sie auch bis heute nicht in der Lage ist. Bei objektiver Würdigung des Schreibens der Beklagten vom 22.10.2015 musste der Kläger davon ausgehen, dass weitere, an seinen Vertragspartner gerichtete Fristsetzungen sinnlos sein werden. Zwar befindet sich die Beklagte nachvollziehbar in einer schwierigen Lage, weil sie die Nachbesserung selbst nicht eigenverantwortlich gestalten kann, sondern auf die Maßnahmen des Herstellers in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen ist. Dieser Umstand liegt aber allein in der Risikosphäre der Beklagten.
4. Die erforderliche Rücktrittserklärung des Klägers i. S. des § 349 BGB ist mit dem Anwaltsschreiben vom 04.01.2016 gegeben.
5. Der Kläger hat gegen die Beklagte infolge des Rücktritts einen Anspruch auf Rückzahlung des von ihm geleisteten Kaufpreises in Höhe von 22.250 € abzüglich gezogener Nutzungen in Höhe von 3.228,70 € und hat seinerseits das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen (§ 346 I BGB).
Gemäß § 346 I, II 1 Nr. 1 BGB hat der Kläger Wertersatz für die gezogenen Nutzungen zu leisten. Im Zeitpunkt des Gefahrübergangs hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 18.500 km. Während der Besitzzeit des Klägers wurde eine Laufleistung von 41.500 km erreicht, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2016 unwidersprochen erklärt hat. Ausgangspunkt ist damit eine Laufleistung von 23.000 km.
Für die Berechnung der Nutzungsvorteile ist das Gericht gemäß § 287 ZPO von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Pkw von 200.000 km ausgegangen. Bei Berücksichtigung dieser Gesamtfahrleistung ergibt sich ein Wert von
$${\frac{\text{22.250,00 € (Kaufpreis)}}{\text{158.000 km (erwartete Restlaufleistung)}}} = \text{0,14037855 €/km}.$$
Bei den gefahrenen Kilometern ergibt dies einen Nutzungsvorteil von gerundet (23.000 km × 0,14037855 € =) 3.228,70 €.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs aus §§ 293 ff. BGB. Die Beklagte befindet sich spätestens aufgrund des Klageabweisungsantrags vom 24.05.2015 in Annahmeverzug.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € auf Grundlage des § 439 II BGB zu erstatten.
§ 439 II BGB stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar und erfasst verschuldensunabhängig auch diejenigen Kosten, die einem Käufer entstehen, um zur Vorbereitung eines Nacherfüllungsanspruchs die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.2014 – VIII ZR 275/13, BGHZ 201, 83 Rn. 12 ff.).
Die mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2015 erfolgte Mängelanzeige mit Fristsetzung diente seinerzeit auch der Klärung der Einstandspflicht der Beklagten, um damit die Durchsetzung eines Nacherfüllungsanspruchs zu ermöglichen. Die Beauftragung eines Anwalts war bei objektiver Würdigung auch erforderlich. Der Kläger als juristischer Laie musste sich nicht darauf einlassen, ohne anwaltlichen Beistand die sich aus dem VW-Abgasskandal ergebenden – und im Einzelnen hoch umstrittenen – Rechte des Käufers gegenüber der Beklagten geltend zu machen.
Dem Ersatzanspruch des Klägers aus § 439 II BGB steht auch nicht entgegen, dass er mittlerweile keine Nacherfüllung mehr verlangt, sondern den Rücktritt erklärt hat. Dies ändert nichts daran, dass die angefallenen Anwaltskosten jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden sind und aus damaliger Sicht zur Klärung der Zurechnung des Sachmangels erforderlich waren (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.2014 – VIII ZR 275/13, BGHZ 201, 83 Rn. 18).
Der in Ansatz gebrachte Gegenstandswert von bis zu 19.839,06 € ist nicht zu beanstanden. Abzustellen ist hierbei auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung und die Höhe des Kaufpreises. Auf dieser Grundlage ist auch die Berechnung der Kosten auf Seite 7 der Klageschrift zutreffend …