1. Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, das die Euro-5-Emissionsgrenzwerte in normalen Fahrbetrieb nicht einhält, ist i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft.
  2. Die Beweislast dafür, dass seine in der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache liegende Pflichtverletzung i. S. des § 323 V 2 unerheblich, der Mangel also geringfügig ist, trifft den Verkäufer (im Anschluss an OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.08.2014 – 2 U 150/13, NJW-RR 2015, 48; OLG München, Urt. v. 26.10.2011 – 3 U 1853/11).
  3. Der einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug anhaftende Mangel ist schon dann nicht nur unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB, wenn im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Käufers ungeklärt ist, ob eine Beseitigung des Mangels möglich ist oder schon an der fehlenden Zustimmung des Kraftfahrt-Bundesamtes scheitert. Ungeachtet dessen ist der Mangel schon deshalb keine „quasi beiläufig“ zu beseitigende Bagatelle, weil die Volkswagen AG unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes Lösungen für die verschiedenen vom VW-Abgasskandal betroffenen Motoren entwickeln musste.
  4. Bei der Prüfung, ob der Mangel, der einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug anhaftet, i. S. des § 323 V 2 BGB geringfügig und deshalb ein Rücktritt vom Kaufvertrag ausgeschlossen ist, ist zulasten des Verkäufers zu berücksichtigen, dass bislang nicht feststeht, ob die geplante Umrüstung der Fahrzeuge zu einem höheren Kraftstoffverbrauch – und jedenfalls deshalb auch zu einer Wertminderung – führt.
  5. Setzt der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs dem Verkäufer eine – zu knapp bemessene – Frist zur Nachbesserung von (hier) nur vier Wochen, wird dadurch eine angemessene Frist in Lauf gesetzt, die bis zu sechs Monaten betragen kann. Denn jedenfalls muss dem Verkäufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs mehr Zeit zur Verfügung stehen als für die Behebung „klassischer“ Mängel erforderlich. Je länger der Mangel dem Verkäufer bekannt war und je mehr Zeit ihm für die Vorbereitung und Durchführung der Mangelbeseitigung zur Verfügung stand, desto kürzer kann allerdings die Frist zur Nachbesserung bemessen werden.
  6. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung eines VW Passat 2.0 TDI (103 kW) beträgt 250.000 km.

LG Potsdam, Urteil vom 04.01.2017 – 6 O 211/16

Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug, das vom VW-Abgasskandal betroffen ist.

Er erwarb von der beklagten VW-Vertragshändlerin auf der Grundlage einer Bestellung vom 13.01.2011 einen VW Passat 2.0 TDI zum Preis von 44.714,52 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Motoren dieses Typs halten nicht die in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Europa geltenden Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden ein. Um die Problematik zu umgehen, wurden die Motoren mit einer Vorrichtung versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testbetrieb befindet. In diesem Fall optimiert eine Software die Abgasaufbereitung derart, dass der Schadstoffausstoß möglichst gering ist. Im Normalbetrieb findet eine Optimierung nicht statt; der Schadstoffausstoß ist deshalb im Normalbetrieb um ein Vielfaches höher als der gesetzlich zulässige Höchstwert. Insbesondere werden die für die Einstufung in die Schadstoffklasse Euro 5 erforderlichen Grenzwerte nicht eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete daher im Oktober 2015 den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an und forderte die Volkswagen AG auf, die Fahrzeuge in einen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand zu bringen.

Weil das Fahrzeug des Klägers zu den vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen gehört, forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 25.11.2015 auf, ihm bis zum 23.12.2015 entweder ein mangelfreies Fahrzeug zu liefern oder das gelieferte Fahrzeug nachzubessern. Die Beklagte lehnte eine Ersatzlieferung mit Schreiben vom 23.12.2015 ab und verwies den Kläger wegen einer Nachbesserung auf einen späteren Zeitpunkt. Daraufhin erklärte der Kläger mit Schreiben vom 22.01.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, das Fahrzeug bis zum 08.02.2016 zurückzunehmen und ihm den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung zu erstatten. Mit Schreiben vom 01.02.2016 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Fahrzeugs ab und erklärte, sie verzichte bis zum 31.12.2017 auf die Einrede der Verjährung für – auch bereits verjährte – Ansprüche, die im Zusammenhang mit der im Fahrzeug des Klägers zum Einsatz kommenden Software stehen.

Mit Schriftsatz vom 26.07.2016 erklärte der Kläger vorsorglich nochmals den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Seit Januar 2016 erteilt das Kraftfahrt-Bundesamt der Volkswagen AG sukzessive die Freigabe zur Umrüstung (Softwareupdate, z. T. auch Einbau eines Strömungsgleichrichters) der vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugmodelle. Die Freigabe für den VW Passat und weitere Fahrzeugmodelle wurde am 03.06.2016 erteilt.

Der Kläger meint, sein Fahrzeug sei mangelhaft, weil ihm eine i. S. des § 434 I 1 BGB vereinbarte Beschaffenheit fehle. Darüber hinaus fehlten Eigenschaften, die er als Käufer habe erwarten können, und das Fahrzeug weise auch nicht die i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB übliche Beschaffenheit auf. Eine Nachbesserung – so macht der Kläger geltend – sei unmöglich, zumindest aber unzumutbar. Denn nach den bisherigen Erkenntnissen sei die Beseitigung der Manipulationssoftware mit einem Anstieg des Kraftstoffverbrauchs um circa 10 % verbunden und führe somit zu einem neuen Mangel. Abgesehen davon lasse sich durch eine Umrüstung das Image des Fahrzeugs als „Schummel-Diesel“, das zu einem merkantilen Minderwert führe, nicht beseitigen. Der dem Fahrzeug anhaftende Mangel sei schließlich auch nicht geringfügig; dem stehe schon das der Beklagten zuzurechnende arglistige Verhalten der Volkswagen AG entgegen.

Die Klage hatte teilweise Erfolg.

Aus den Gründen: I. Der Kläger ist wirksam vom Kaufvertrag vom 12.02.2011 über den Pkw VW Passat 2.0 TDI zurückgetreten, sodass er von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 44.714,52 € abzüglich seiner Gebrauchsvorteile gemäß §§ 434, 437 Nr. 2, 323, 346 BGB verlangen kann.

1. Der Kläger hat bereits mit Schreiben vom 22.01.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Zudem hat er im Rechtsstreit mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.07.2016 erneut den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Dieser Rücktritt ist wirksam, da der Kläger aufgrund eines Mangels an dem Fahrzeug und der nicht in innerhalb angemessener Frist erfolgten Mangelbeseitigung durch die Beklagte gemäß §§ 434 I, 437 Nr. 2 BGB zum Rücktritt berechtigt war.

2. Der VW Passat 2.0 TDI mit dem Motor EA189, den der Kläger von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 12.01.2011 erworben hat, war mangelhaft. Dass das Fahrzeug, das unstreitig ein vom sogenannten Abgasskandal betroffenes Fahrzeug der Marke Volkswagen ist, mit dem eingebauten Motor des Typs EA189 die Euro-5-Norm nicht einhält, führt zu einem Mangel, der den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.

Hierbei kann offenbleiben, ob – wie von der Beklagten mit guten Gründen angezweifelt wird – die Parteien vertraglich eine Beschaffenheit des Fahrzeugs dahin gehend vereinbart haben, dass das Fahrzeug die Euro-5-Norm einhält. Ob alleine die Beschreibung im Prospekt ohne Weiteres zu einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB führen kann, unterliegt jedenfalls vor dem Hintergrund erheblichen Zweifeln, dass der Gesetzgeber diese werbenden Angaben durch Satz 3 des § 434 I BGB einer Beschaffenheit nach Satz 2 Nr. 2 und nicht nach Satz 1 zugeordnet hat.

Letztlich muss die Frage nicht entschieden werden, denn der unstreitige Umstand, dass der Motor des Typs EA189 im Normalbetrieb nicht die Euro-5-Norm einhält, stellt einen Mangel nach § 434 I 2 BGB dar. Das Fahrzeug weist mit diesem Motor nicht die Beschaffenheit auf, die der Käufer als bei vergleichbaren Fahrzeugen üblich erwarten konnte. Die Kammer teilt die sich in der Rechtsprechung herausbildende Einschätzung, dass durch den Einbau der Manipulationssoftware, die die korrekte Messung der tatsächlich erzeugten Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vorspiegelt, das streitgegenständliche Fahrzeug von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit abweicht (vgl. hierzu u. a. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16; OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, MDR 2016, 1016).

3. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Rücktritt wegen dieses Mangels nicht nach § 323 V 2 BGB ausgeschlossen. Das wäre nur der Fall, wenn der Mangel unerheblich wäre. Hierbei trifft die Beklagte als Verkäuferin die Beweislast für die Unerheblichkeit (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.08.2014 – 2 U 150/13, NJW-RR 2015, 48; OLG München, Urt. v. 26.10.2011 – 3 U 1853/11). Dass vorliegend der Mangel an dem streitgegenständlichen Fahrzeug unerheblich ist, kann nicht festgestellt werden.

a) Zwar wird die Erheblichkeit des Mangels vorliegend nicht bereits dadurch indiziert, dass das Fahrzeug eine vereinbarte Beschaffenheit nicht aufweist; hier ist von einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht auszugehen. Gleichwohl ist nach Auffassung der Kammer in der erforderlichen Abwägung der Interessen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 16) des Klägers als Käufers einerseits und der Beklagten als Verkäuferin andererseits von der Erheblichkeit des Mangels auszugehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 16).

Die Kammer teilt zwar bei der Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen die Auffassung der Beklagten, dass nicht bereits die Schwere des Verschuldens der Volkswagen AG zur Annahme der Erheblichkeit führt. Sie folgt der Ansicht des Klägers nicht, dass der Beklagten das Verschulden der Volkswagen AG zuzurechnen ist. Die Volkswagen AG ist nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten im Verhältnis zum Käufer (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, MDR 2016, 1016). Dass die Beklagte von der Manipulation der Motoren wusste, ist nicht ersichtlich; andere Gesichtspunkte, die ein schweres eigenes Verschulden der Beklagten begründen könnten oder ihr das Verschulden der Volkswagen AG zurechnen lassen würden, bestehen nach Ansicht der Kammer nicht. Hierauf kommt es vorliegend jedoch auch nicht an.

b) Die Erheblichkeit des Mangels ergibt sich nach Ansicht der Kammer bereits deshalb, weil der nicht ausräumbare Verdacht eines nicht ganz unerheblichen Mangels besteht. Dies genügt (vgl. BGH, Urt. v. 09.03.2011 – VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664 Rn. 17 f.).

Ob die Kosten für die Mangelbeseitigung, wie von der Beklagten behauptet und dem Kläger bestritten, tatsächlich nur 100 € und damit weniger als ein Prozent des Kaufpreises betragen, führt alleine nicht dazu, dass der Verdacht eines unerheblichen Mangels ausgeräumt wäre. Ausgehend von der vorstehend zitierten Rechtsprechung des BGH darf nach Ansicht der Kammer nicht nur der Kostenaufwand ein Prozent des Kaufpreises nicht überschreiten; vielmehr muss der Mangel auch behebbar sein (vgl. BGH, Urt. v. 09.03.2011 – VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664 Rn. 17 f.). Dass dies bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Fall war und somit der Verdacht eines erheblichen Mangels ausräumbar war, ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Beklagten nicht. Nach deren Vortrag hat die Volkswagen AG … die Zulassung des Kraftfahrt-Bundesamtes für die Umrüstung … des klägerischen Fahrzeugs … erst am 03.06.2016 erhalten; sie lag also zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers vom 22.01.2016 noch nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt war offen, ob die Beseitigung des Mangels überhaupt möglich ist oder bereits dessen Behebung möglicherweise an einer fehlenden Zulassung des Kraftfahrt-Bundesamtes scheitert.

c) Selbst wenn man davon auszugehen hätte, dass zum Zeitpunkt der zweiten klägerischen Rücktrittserklärung vom 26.07.2016 auch die Umrüstung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrt-Bundesamt am 03.06.2016 genehmigt worden ist, führt die Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Ansicht der Kammer dazu, dass nicht mehr von einem unerheblichen Mangel ausgegangen werden kann. Die Kammer teilt die Ansicht der Beklagten nicht, dass deshalb von einem unerheblichen Mangel auszugehen ist, weil die Kosten für die eigentliche Umrüstung des Fahrzeugs lediglich mit 100 € anzusetzen sind, ohne dass die Höhe der anzusetzenden Kosten im Hinblick auf die oben genannte Rechtsprechung weiter aufzuklären wäre.

Bereits der Aufwand, die Zulassung für die Umrüstung einer ganz erheblichen Vielzahl von Motorvarianten beim Kraftfahrt-Bundesamt zu erreichen, und dessen offensichtlich erforderlicher Prüfdauer geben nach Ansicht der Kammer von vornherein deutliche Anzeichen, dass es sich bei dem hier vorliegenden Mangelproblem nicht um eine unerhebliche und lediglich mit 100 € Kostenwand zu behebende Abweichung von der Soll-Beschaffenheit handelt. Schon wegen der Tatsache, dass nicht lediglich mit geringem Kostenaufwand die Behebung des Mangels unmittelbar nach dessen Anzeige möglich war, sondern die Volkswagen AG das Kraftfahrt-Bundesamt einzuschalten und erst Lösungen für die verschiedenen Motorvarianten zu entwickeln hatte, kann bei verständiger Würdigung nicht mehr von einem „quasi beiläufig“ zu beseitigenden Mangel, einer Bagatelle, gesprochen werden, die nach der Intention des Gesetzgebers ausnahmsweise nicht zu einem Rücktrittsrecht führen soll.

d) Auch wenn bereits diese Gesichtspunkte in der Interessenabwägung die Unerheblichkeit des streitgegenständlichen Mangels ausschließen, sprechen auch weitere Gesichtspunkte gegen sie.

Auch nach der Beseitigung des Mangels in der Abgasbehandlung verbleibt ein Restrisiko, dem die Beklagte auch im vorliegenden Rechtsstreit zwar entgegentritt, dass sie aber bereits mit ihrem Vortrag nicht ausräumt. So steht bislang nicht fest, dass die von der Volkswagen AG geplante Umrüstung der Fahrzeuge, auch des klägerischen Fahrzeugs, nicht zu einem Mehrverbrauch – und jedenfalls infolge dessen auch zu einer Wertminderung – führt. Die Beklagte behauptet dies zwar unter Verweis auf die Bestätigung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 03.06.2016. Hieraus ergibt sich dies jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht: Ausweislich dieser von der Beklagten vorgelegten Bestätigung hat das Kraftfahrt-Bundesamt eine Prüfung des Verbrauchs nicht vorgenommen; vielmehr verweist das Kraftfahrt-Bundesamt nur auf die Prüfungen eines technischen Dienstes. Weil damit aber nicht einmal das Kraftfahrt-Bundesamt aufgrund eigener Erkenntnis Gewähr hierfür übernimmt, ist die Bestätigung vom 03.06.2016 nicht geeignet, das Risiko eines Mehrverbrauchs, wie er jedenfalls in Teilen technischer Überprüfungen für den VW Amarok nach dessen Umrüstung festgestellt worden ist, ausgeschlossen ist.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist zulasten der Beklagten darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Optionen des Käufers für die Weiterveräußerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beeinträchtigt sind; hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich beabsichtigt, das Fahrzeug zu veräußern. Bereits die abstrakten Beeinträchtigungen führen zu einer entsprechenden Beeinträchtigung seiner Entschließungsfreiheit. Dies gilt sowohl für eine Veräußerung des Fahrzeugs ohne die erforderliche Umrüstung – abzustellen ist auf den oben genannten maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung – als auch für die fehlende Zulassungsmöglichkeit in der Schweiz.

Jedenfalls in der Gesamtschau all dieser Umstände ist in der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen von einem erheblichen Mangel auszugehen.

e) Die Interessen der Beklagten stehen dem nicht in erheblichem Maße entgegen. Wie nachfolgend aufzuzeigen sein wird, wird den Interessen der Beklagten durch die Angemessenheit der Frist zur Nacherfüllung/Nachbesserung hinreichend Rechnung getragen. Weitere Gesichtspunkte, die gegenüber den vorstehend aufgezeigten Interessen des Käufers die Feststellung rechtfertigen, der streitgegenständliche Mangel am Abgassystem sei unerheblich, sind für die Kammer auch unter Berücksichtigung aller Argumente der Beklagten nicht erkennbar.

4. Der Kläger hat der Beklagten gemäß § 323 I BGB mit Schreiben vom 25.11.2015 eine Frist zur Nachbesserung bis zum 23.12.2015 gesetzt. Auch wenn der Kläger der Beklagten zur Beseitigung des Mangels damit eine Frist von vier Wochen gesetzt war, war die Frist nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung aller Umstände nicht angemessen lang genug. Weil sie unangemessen kurz war, wurde durch sie die angemessene Frist in Lauf gesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640).

Nach Ansicht der Kammer beträgt im hiesigen Einzelfall die angemessene Frist sechs Monate, sodass sie zum Ende Mai 2016 ablief. Die Kammer folgt in ihrer Bewertung, von welcher angemessenen Frist auszugehen ist, der vom LG München I in seiner Entscheidung vom 14.04.2016 – 23 O 23033/15 – niedergelegten Auffassung. Die ursprünglich vom Kläger gesetzte Frist von vier Wochen ist in Anbetracht der Komplexität der Mangelbeseitigung und der Vielzahl der durchzuführenden Umrüstungen zu kurz bemessen. Zwar ist nach Ansicht der Kammer in allen Fällen zu berücksichtigen, dass der Käufer Anspruch auf die Lieferung einer mangelfreien Ware hat; Fehler muss er nicht hinnehmen, sondern kann deren Beseitigung verlangen. Er muss dem Verkäufer nur eine angemesse Zeit für die Beseitigung des Mangels einräumen, wobei das Kaufrecht auf eine zeitnahe Regulierung von Gewährleistungsrechten ausgerichtet ist. Dies zeigt sich an ihrer kurzen Verjährung, aber auch der Vermutung des § 476 BGB. Insbesondere bei schwerwiegenden Fehlern kann es angemessen sein, die dem Verkäufer zur Beseitigung des Mangels einzuräumenden Zeit kurz zu bemessen. Zutreffend gehen daher die von der Klägerseite herangezogenen Entscheidungen auch in den Fällen des hier vorliegenden Mangels grundsätzlich von kurzen Fristen als angemessen aus. Gleichwohl berücksichtigen diese Entscheidungen nach Ansicht der Kammer … nicht hinreichend den von der Beklagten respektive der Volkswagen AG zu betreibenden Aufwand, sowohl eine technische Lösung zu entwickeln als auch die Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes einzuholen und schließlich die Umrüstung bei einer Vielzahl von Fahrzeugen durchzuführen. Diese Gesichtspunkte, die wie oben ausgeführt aufgrund des außerordentlichen Aufwands bereits gegen die Unerheblichkeit des vorliegenden Mangels sprechen, führen nach Ansicht der Kammer dazu, dass dem Verkäufer eine über die übliche erforderliche Zeit für die Behebung „klassischer“ Mängel zur Verfügung stehen muss. Dabei ist – wobei Ausnahmen in Betracht kommen können, die hier aber nicht gegeben sind – auch zu berücksichtigen, dass dem Käufer die Nutzung seines Fahrzeugs ohne Einschränkungen möglich ist. Da es sich vorliegend nicht um sicherheitsrelevante Mängel des Fahrzeugs handelt, ist wie bei anderen Rückrufaktionen eines Fahrzeugherstellers nach Bekanntwerden eines Mangels von einer längeren Frist anzugehen.

Nach Ansicht der Kammer findet die dem Kläger zumutbare Frist aber eine Grenze nach sechs Monaten. Hierbei gilt zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem Ansatz nicht um eine starre Frist handeln kann. Je länger der Mangel dem Verkäufer bekannt war und je mehr Zeit ihm für die Vorbereitung und Durchführung der Mangelbeseitigungsmaßnahmen zur Verfügung stand, desto geringer sind in der erforderlichen Interessenabwägung seine Belange zu berücksichtigen und führen deshalb zu kürzeren Fristen. Im Grundsatz folgt die Kammer damit dem Ansatz auch anderer Gerichte, die der Beklagten zur Verfügung stehende angemessene Frist nach einem festen Endzeitpunkt zu bemessen. Anders als von der Beklagten angeführte Entscheidungen hält die Kammer eine Frist bis zum Ablauf des Jahres 2016 und damit einen Zeitraum von deutlich mehr als einem Jahr nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 für deutlich zu lang.

Auch unter Berücksichtigung der Komplexität, eine technische Lösung anzubieten, erscheint ein Zeitraum von wesentlich mehr als sechs Monaten mit der vom Gesetzgeber gewollten grundsätzlich zeitnahen Mangelbeseitigung nicht mehr vereinbar und für den Käufer in der erforderlichen Abwägung nicht mehr zumutbar. Wenn man im vorliegenden Fall diese Frist von sechs Monaten nicht an das Bekanntwerden des Abgasskandals, sondern an die Mangelbeseitigungsaufforderung des Klägers vom 25.11.2015 knüpft, endete damit die nach § 323 I BGB angemessene Frist Ende Mai 2016, ohne dass die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt die Mangelbeseitigung durchgeführt hatte.

Auf die weiteren vom Kläger herangezogenen Gesichtspunkte für die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung nach § 323 II BGB, deren Voraussetzungen nach Ansicht der Kammer nicht vorliegen, kommt es daher nicht mehr an.

5. Dass der Kläger bereits mit Schreiben vom 22.01.2016 und damit vor Ablauf der angemessenen Frist den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt hat, steht der Wirksamkeit des Rücktritts nicht entgegen. Einerseits hat er mit Schriftsatz vom 26.07.2016 und damit nach Ablauf der angemessenen Frist den Rücktritt vom Kaufvertrag erneut erklärt. Andererseits bedurfte es dieser erneuten Erklärung nicht.

Grundsätzlich kann der Rücktritt auch bereits bei der Nachfristsetzung für den Fall der Nichtabhilfe erklärt werden. Gerade in den Fällen, in denen die gesetzte Frist nicht angemessen lang war und ihre Länge und ihr Ablauf letztlich durch gerichtliche Entscheidung bestimmt werden, würde es eine bloße Förmelei bedeuten, wollte man vom Käufer die ständige Wiederholung seiner Rücktrittserklärung verlangen. Daher ist in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich davon auszugehen, dass der nach Ablauf der gesetzten Frist erklärte Rücktritt auch für den Fall einer später anders bemessenen angemessenen Frist erklärt sein soll. Der Bestand des Kaufvertrags befindet sich allerdings so lange in einem Schwebezustand, den der Verkäufer dadurch abwenden kann, dass er die Leistung respektive die Nachbesserung erbringt oder anbietet (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 323 Rn. 33).

Weil im hier zu entscheidenden Fall jedoch die Beklagte bis zum Ablauf der angemessenen Nachfrist Ende Mai 2016 weder die Mangelbeseitigung erbracht noch zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten hat, führt der am 22.01.2016 erklärte Rücktritt des Klägers mit Ablauf der angemessenen Frist Ende Mai 2016 zur Rückabwicklung des Kaufvertrages. Weil damit bereits zu diesem Zeitpunkt der Rücktritt wirksam geworden ist, kommt es auf die oben aufgegriffenen Gesichtspunkte, dass das Kraftfahrt-Bundesamt unter dem 03.06.2016 der Umrüstung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zugestimmt hat, nicht mehr an. Bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der angemessenen Nachfrist und dem maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 16), sofern für sie ebenfalls auf den Ablauf der Nachfrist abzustellen wäre, lag diese Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht vor, sodass zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt in Ergänzung der oben in Ziffer 3 lit. a niedergelegten Abwägung die Behebbarkeit des Mangels nicht feststand und daher der streitgegenständliche Mangel ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des BGH nicht als unerheblich angesehen werden kann.

6. Der Kläger hat sich – wovon auch er ausgeht – einen Wertersatz für die Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 I, II 1 Nr. 1 BGB anrechnen zu lassen.

Der Kläger hat sich Gebrauchsvorteile für die Zeit der Nutzung des Fahrzeugs in Höhe von 19.255,86 € anrechnen zu lassen. Die Kammer schätzt die Höhe der Gebrauchsvorteile … gemäß § 287 ZPO aufgrund folgender Gesichtspunkte:

Die Gebrauchsvorteile bemessen sich regelmäßig nach den gefahrenen Kilometern. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung ist von einem Kilometerstand von 107.660 km auszugehen. Die für die zu ihren Gunsten zu berücksichtigenden Gebrauchsvorteile darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat diese Angabe des Klägers zwar mit Nichtwissen bestritten. Sie hat aber nicht dargelegt, dass von einer höheren Laufleistung auszugehen ist. Auch die von ihr im Schriftsatz vom 09.11.2016 angebotene Inaugenscheinnahme ersetzt den erforderlichen Vortrag nicht. Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger mit dem erworbenen Neufahrzeug 107.660 km gefahren ist, weil er sich diesen Vorteil anrechnen lässt.

Bei dem vorliegenden Fahrzeug ist von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km auszugehen. Bei dem veräußerten Fahrzeug handelt es sich um ein Dieselfahrzeug, bei dem von vornherein mit einer höheren Gesamtfahrleistung als bei einem mit einem kleinen Benzinmotor ausgestatteten Fahrzeug auszugehen ist. Die Annahme einer Fahrleistung von 250.000 km entspricht der allgemeinen Erfahrung. Die nicht näher mit Tatsachen und erheblichen Gesichtspunkten untermauerte pauschale Behauptung der Beklagten, es sei von einer Gesamtfahrleistung von lediglich 200.000 km auszugehen, machte daher eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Die Kammer folgt aber auch nicht dem Kläger in seinem Ansatz von einer Gesamtfahrleistung von 350.000 km; … Vielmehr schätzt die Kammer (§ 287 ZPO) die Gesamtfahrleistung des relativ kleinen (2.0 l Hubraum) und relativ leistungsstarken (103 kW) Aggregats auf 250.000 km.

War demnach beim Kauf des Fahrzeugs zum Preis von 44.714,52 € noch mit einer Restlaufleistung von 142.300 km zu rechnen, beträgt der geschätzte Gebrauchsvorteil bei gefahrenen 107.660 km insgesamt 19.255,86 €.

7. Damit ergibt sich ein Anspruch des Klägers in Höhe von (44.714,52 € − 19.255,86 € =) 25.458,66 €, der gemäß § 291 BGB ab dem 01.05.2016 zu verzinsen ist. Da – wie ausgeführt – die vom Kläger der Beklagten gesetzte Frist zur Nacherfüllung nicht angemessen war, befand die Beklagte sich nicht seit dem 09.02.2016 im Verzug.

8. Die Beklagte befindet sich nach der Erklärung des Rücktritts und der Aufforderung des Klägers, das Fahrzeug zurückzunehmen, im Verzug der Annahme. Selbst unter der Annahme, dass die Beklagte zur Rücknahme des Fahrzeugs vor Ablauf der angemessenen Nachfrist nicht verpflichtet war, ist sie spätestens mit der Verweigerung der Rücknahme im Rechtsstreit in den Verzug der Annahme geraten.

9. Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Ersatz seiner vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.613,24 €zu. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 434, 437 Nr. 3, 280 I BGB. Der Ansatz [einer zweifachen Geschäftsgebühr] ist nicht zu beanstanden, da, wie sich nicht zuletzt aus der Einlassung der Beklagten ergibt, die Auseinandersetzung schwierige und höchstrichterlich noch nicht entschiedene Tatsachen- und Rechtsfragen betrifft …

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