1. Ein vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­ner Neu­wa­gen ist zwar i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB man­gel­haft. Ei­nem auf die­sen Man­gel ge­stütz­ten Rück­tritt des Käu­fers steht aber § 323 V 2 BGB ent­ge­gen, weil er mit ei­nem im Ver­hält­nis zum Kauf­preis ge­rin­gen Kos­ten­auf­wand durch Auf­spie­len ei­nes Soft­ware­up­dates be­ho­ben wer­den kann und das Auf­spie­len des Up­dates ei­nen Zeit­auf­wand von nicht ein­mal ei­ner Stun­de er­for­dert.
  2. Es wi­der­spricht der Le­bens­er­fah­rung, dass für die Kauf­ent­schei­dung ei­ner na­tür­li­chen Per­son ei­ne Rol­le spielt, wie viel Stick­oxid ein Neu­wa­gen un­ter Test­be­din­gun­gen aus­stößt. Für ei­nen Neu­wa­gen­käu­fer ist al­len­falls wich­tig, wel­cher Schad­stoff­klas­se das Fahr­zeug an­ge­hört.
  3. Bei ei­nem „Mon­tags­au­to“ kann dem Käu­fer ei­ne (wei­te­re) Nach­er­fül­lung i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB un­zu­mut­bar sein. Ein Neu­wa­gen ist dann als „Mon­tags­au­to“ zu qua­li­fi­zie­ren, wenn der bis­he­ri­ge Ge­sche­hens­ab­lauf aus Sicht ei­nes ver­stän­di­gen Käu­fers bei wer­ten­der und pro­gnos­ti­scher Be­trach­tung die Be­fürch­tung recht­fer­tigt, es han­de­le sich um ein Fahr­zeug, das we­gen sei­ner auf her­stel­lungs­be­ding­ten Qua­li­täts­män­geln – na­ment­lich auf schlech­ter Ver­ar­bei­tung – be­ru­hen­den Feh­ler­an­fäl­lig­keit ins­ge­samt man­gel­haft ist und das auch zu­künf­tig nicht über län­ge­re Zeit frei von her­stel­lungs­be­ding­ten Män­geln sein wird. Da­für ist es re­gel­mä­ßig er­for­der­lich, dass sich in­ner­halb ei­nes kür­ze­ren Zeit­raums ei­ne Viel­zahl her­stel­lungs­be­ding­ter – auch klei­ner – Män­gel zeigt, die ent­we­der wie­der­holt oder erst­mals auf­tre­ten und bei ver­stän­di­ger Wür­di­gung das Ver­trau­en des Käu­fers in ei­ne ord­nungs­ge­mä­ße Her­stel­lung des Fahr­zeugs ernst­haft er­schüt­tern.
  4. Der Käu­fer ei­nes man­gel­haf­ten Neu­wa­gens, der sich für ein Fahr­zeug der ge­ho­be­nen Klas­se mit um­fang­rei­cher tech­ni­scher Aus­stat­tung – hier: ei­nen VW Ti­gu­an 2.0 TDI Sport & Style – ent­schie­den und da­für 39.636 € ge­zahlt hat, muss ein ge­wis­ses Maß an Ge­duld für Nach­bes­se­rungs­maß­nah­men auf­brin­gen, be­vor er dem Ver­käu­fer durch ei­nen Rück­tritt vom Kauf­ver­trag er­heb­li­che Nach­tei­le zu­fügt.

LG Bam­berg, Ur­teil vom 19.09.2016 – 10 O 129/16

Sach­ver­halt: Der Klä­ger be­stell­te bei der Be­klag­ten, ei­ner in Bam­berg an­säs­si­gen VW-Ver­trags­händ­le­rin, im Sep­tem­ber 2013 ei­nen fa­brik­neu­en VW Ti­gu­an 2.0 TDI Sport & Style 4MO­TI­ON mit 7-?Gang-DSG. Die Be­klag­te nahm die Be­stel­lung mit Auf­trags­be­stä­ti­gung vom 18.09.2013 an. Der Klä­ger hol­te das be­stell­te Fahr­zeug am 20.11.2013 im Her­stel­ler­werk in Wolfs­burg ab; es wur­de fort­an vom Sohn des Klä­gers, dem Zeu­gen S, ge­nutzt.

In der Fol­ge­zeit tra­ten meh­re­re – teils un­strei­ti­ge – Män­gel an dem VW Ti­gu­an auf. Im Ja­nu­ar 2014 gab es Pro­ble­me mit dem Ge­trie­be, und der Zeu­ge S ver­nahm beim Hoch­schal­ten Ge­räu­sche. Die Be­klag­te tausch­te das Ge­trie­be des­halb am 17./18.03.2014 oh­ne Kos­ten für den Klä­ger aus. Im Ju­ni 2015 lös­te sich der Heck­spoi­ler des Fahr­zeugs; au­ßer­dem schloss das Pan­ora­ma­dach nicht mehr rich­tig. Bei­de Män­gel be­hob die Be­klag­te am 13.06.2015. Am 14.07.2015 be­fand sich der VW Ti­gu­an er­neut in der Werk­statt der Be­klag­ten, weil der Heck­spoi­ler nach­ge­bes­sert wer­den muss­te.

Des Wei­te­ren ist das Fahr­zeug mit ei­nem EA189-Die­sel­mo­tor aus­ge­stat­tet und da­mit vom so­ge­nann­ten VW-?Ab­gas­skan­dal be­trof­fen. Es ver­fügt über ei­ne Soft­ware, die er­kennt, ob sich der VW Ti­gu­an auf der Stra­ße be­fin­det oder ob er auf ei­nem Prüf­stand ei­nem Emis­si­ons­test un­ter­zo­gen wird. Ist Letz­te­res der Fall, wird der Stick­oxid­aus­stoß un­zu­läs­si­ger­wei­se re­du­ziert, und nur des­halb hält das Fahr­zeug – auf dem Prüf­stand – die ein­schlä­gi­gen Emis­si­ons­grenz­wer­te ein. Gleich­wohl ist die für das Fahr­zeug des Klä­gers er­teil­te EG-?Typ­ge­neh­mi­gung un­ver­än­dert wirk­sam; au­ßer­dem ist das Fahr­zeug un­ein­ge­schränkt fahr­be­reit und tech­nisch si­cher.

Die Volks­wa­gen AG hat mit dem Kraft­fahrt-?Bun­des­amt die Über­ar­bei­tung der vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge ab­ge­stimmt. Die von der Volks­wa­gen AG ent­wi­ckel­ten tech­ni­schen Lö­sun­gen se­hen für die be­trof­fe­nen 2,0-Li­ter-?Mo­to­ren (nur) ein Soft­ware­up­date vor, das oh­ne Ein­griff in die sons­ti­ge Tech­nik auf­ge­spielt wer­den kann. Da­durch soll der Stick­oxid­aus­stoß so weit re­du­ziert wer­den, dass die ein­schlä­gi­gen Grenz­wer­te ein­ge­hal­ten wer­den. Der zeit­li­che Ab­lauf der Rück­ruf­ak­ti­on steht noch nicht fest. Nach Über­prü­fung des ers­ten Fahr­zeug­typs, des VW Amo­rak, hat­te das Kraft­fahrt-?Bun­des­amt mit Be­scheid vom 27.01.2016 fest­ge­stellt, dass al­le Emis­si­ons­grenz­wer­te und sons­ti­gen An­for­de­run­gen ein­ge­hal­ten wür­den. Zum an­de­ren hat­te das Kraft­fahrt-?Bun­des­amt be­stä­tigt, dass das Soft­ware­up­date sich nicht ne­ga­tiv auf den Kraft­stoff­ver­brauch, die CO2-?Emis­sio­nen, die Mo­tor­leis­tung, das Dreh­mo­ment oder die Ge­räu­sche­mis­sio­nen aus­wir­ke. Am 04.04.2016 hat­te das Kraft­fahrt-Bun­des­amt dies auch für die ver­schie­de­nen Mo­to­ren der Mo­del­le Au­di A4, Au­di A5, Au­di A6 so­wie Au­di Q5 und SE­AT Exeo be­stä­tigt.

Mit Schrei­ben vom 10.11.2015 er­klär­te der Klä­ger auf­grund der auf­ge­tre­te­nen Män­gel den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag, im Hin­blick auf den so­ge­nann­ten Ab­gas­skan­dal vor­sorg­lich auch die An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung. Er ließ sich für 12.000 mit dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug zu­rück­ge­leg­te Ki­lo­me­ter ei­ne Nut­zungs­ent­schä­di­gung von 3.559,20 € an­rech­nen und for­der­te die Be­klag­te auf, ihm den ver­blei­ben­den Kauf­preis bis zum 24.11.2015 zu er­stat­ten. Die­se Frist ver­strich frucht­los.

Der Klä­ger be­haup­tet, dass wei­te­re Män­gel an sei­nem Fahr­zeug auf­ge­tre­ten sei­en. Der Ab­dich­tungs­gum­mi an der Bei­fah­rer­tü­re ha­be sich ge­löst, und es hät­ten sich wei­ße Strei­fen im Be­reich der bei­den Heck­leuch­ten im ro­ten Glas ge­bil­det. Zwi­schen­zeit­lich sei auch Was­ser in den Kof­fer­raum ge­lau­fen. Er meint, das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug sei ein „Zi­tro­nen­au­to“, und ei­ne wei­te­re Nach­bes­se­rung sei ihm nicht zu­zu­mu­ten. Hin­zu kom­me, dass das Fahr­zeug vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen sei. Die­ser Um­stand stel­le ei­nen Man­gel im Rechts­sin­ne dar, der ihm – dem Klä­ger – ein Fest­hal­ten am Kauf­ver­trag un­zu­mut­bar ma­che, zu­mal zwei­fel­haft sei, ob in­so­weit ei­ne Nach­bes­se­rung mög­lich sei.

Die Kla­ge hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger hat ge­gen­über der Be­klag­ten kei­nen An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­tra­ges nach den Vor­schrif­ten der §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 434 I, 433 I, 346 I, II 1 Nr. 1, 323 II Nr. 3 BGB und kei­nen An­spruch we­gen er­folg­rei­cher An­fech­tung nach den Vor­schrif­ten der §§ 123 I, II, 143 I, 142 I BGB i. V. mit § 812 I 1 Fall 1 BGB.

I. Kein wirk­sa­mer Rück­tritt vom Kauf­ver­trag mit Schrei­ben vom 10.11.2015

Der Klä­ger hat ge­gen­über der Be­klag­ten kei­nen An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­tra­ges auf­grund des er­klär­ten Rück­tritts ge­mäß § 346 I BGB. Nach Wür­di­gung al­ler Um­stän­de liegt kein so­ge­nann­tes „Zi­tro­nen­au­to“ vor. Hin­sicht­lich der Be­trof­fen­heit von der Ab­gas­the­ma­tik ist be­reits kein Man­gel ge­ge­ben. Je­den­falls sind bei­de Män­gel in ei­ner Ge­samt­schau völ­lig un­er­heb­lich.

1. Das Ge­richt geht nach der durch­ge­führ­ten Be­weis­auf­nah­me durch In­au­gen­schein­nah­me des Fahr­zeugs vor dem Ge­richts­ge­bäu­de da­von aus, dass zum Zeit­punkt des Schlus­ses der münd­li­chen Ver­hand­lung zwei Män­gel vor­lie­gen.

Das Ge­richt konn­te sich da­von über­zeu­gen, dass sich am Fahr­zeug an den Heck­leuch­ten im ro­ten Be­reich je­weils ein cir­ca 4 cm gro­ßer wei­ßer Strei­fen be­fin­det. Die­se Farb­auf­fäl­lig­keit ist bei Sa­chen glei­cher Art un­üb­lich und der Käu­fer hat die­se nicht zu er­war­ten (§ 434 I 3 BGB). Wohl aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass die­ser Man­gel be­reits bei Ge­fahr­über­gang i. S. des § 446 BGB vor­lag. Die zeit­li­che Ver­mu­tung des § 476 BGB hilft nicht wei­ter. Die Klä­ger­sei­te trägt vor, dass die Strei­fen „nun­mehr“ auf­ge­tre­ten sei­en. Vor die­sem Hin­ter­grund stützt die Klä­ger­sei­te ihr Rück­ab­wick­lungs­be­geh­ren auf die (abs­trak­te) Feh­ler­an­fäl­lig­keit des Fahr­zeugs an sich.

Hin­sicht­lich der Ab­gas­the­ma­tik liegt ein Ver­stoß ge­gen § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor. Das Fahr­zeug eig­net sich zwar trotz der ma­ni­pu­lier­ten Ab­gas­soft­ware für die ge­wöhn­li­che Ver­wen­dung im Stra­ßen­ver­kehr. Es weist an­ge­sichts der Ma­ni­pu­la­ti­on aber kei­ne Be­schaf­fen­heit auf, die bei Sa­chen glei­cher Art üb­lich ist und die der Käu­fer nach der Art der Sa­che er­war­ten darf. Ein Durch­schnitts­käu­fer ei­nes Neu­fahr­zeugs kann da­von aus­ge­hen, dass die ge­setz­lich vor­ge­ge­be­nen und im tech­ni­schen Da­ten­blatt auf­ge­nom­me­nen Ab­gas­wer­te nicht nur des­halb ein­ge­hal­ten und ent­spre­chend aus­ge­wie­sen wer­den, weil ei­ne Soft­ware in­stal­liert wor­den ist, die da­für sorgt, dass der Prüf­stand­lauf er­kannt und über ent­spre­chen­de Pro­gram­mie­rung der Mo­tor­steue­rung in ge­setz­lich un­zu­läs­si­ger Wei­se ins­be­son­de­re der Stick­oxid­aus­stoß re­du­ziert wird. Mit an­de­ren Wor­ten ba­siert die Man­gel­haf­tig­keit dar­auf, dass die Vor­ga­ben im Prüf­stand­lauf nur auf­grund der ma­ni­pu­lier­ten Soft­ware ein­ge­hal­ten wer­den (vgl. in die­se Rich­tung LG Bo­chum, Urt. v. 16.03.2016 – I-?2 O 425/15; LG Müns­ter, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15). Zwar ist nach all­ge­mei­ner Auf­fas­sung bei der Fest­le­gung des Vor­stel­lungs­bil­des auf den Durch­schnitts­kun­den ab­zu­stel­len, doch ist auch bei ihm zu un­ter­stel­len, dass er je­den­falls da­von aus­geht, dass der Re­al­be­trieb mit dem Test­be­trieb über­ein­stimmt (Pa­landt/Wei­den­kaff, BGB, 75. Aufl. [2016], § 434 Rn. 30).

2. Im kon­kre­ten Fall war es dem Klä­ger zu­mut­bar, ei­ne an­ge­mes­se­ne Frist zur Be­he­bung der Män­gel zu set­zen (Re­gel­fall nach § 323 I BGB).

Ob auf ei­ne nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB grund­sätz­lich er­for­der­li­che, im Streit­fall aber un­ter­blie­be­ne Frist­set­zung des Käu­fers zur Nach­er­fül­lung ver­zich­tet wer­den darf, rich­tet sich nach den Be­stim­mun­gen in § 323 II BGB und § 440 BGB, in de­nen die Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen ei­ne Frist­set­zung zur Nach­er­fül­lung für ei­nen Rück­tritt vom Kauf­ver­trag aus­nahms­wei­se ent­behr­lich ist, ab­schlie­ßend ge­re­gelt sind (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2011 – XI­II ZR 215/10, NJW 2011, 3435 Rn. 31).

All­ge­mein an­er­kannt ist, dass im Ein­zel­fall be­tref­fend ein mit dem Schlag­wort „Mon­tags­au­to“ be­zeich­ne­te Man­gel­haf­tig­keit ein wei­te­res Nach­er­fül­lungs­ver­lan­gen des Käu­fers un­zu­mut­bar (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB) ma­chen kann. Die Be­ur­tei­lung, ob die Nach­er­fül­lung den Käu­fer auf­grund der be­son­de­ren Um­stän­de des Ein­zel­falls un­zu­mut­bar ist, ist das Er­geb­nis ei­ner wer­ten­den Be­trach­tung und Be­rück­sich­ti­gung al­ler Ein­zel­um­stän­de. Ein Neu­fahr­zeug ist dann als „Mon­tags­au­to“ zu qua­li­fi­zie­ren, wenn der bis­he­ri­ge Ge­sche­hens­ab­lauf aus Sicht ei­nes ver­stän­di­gen Käu­fers bei wer­ten­der und pro­gnos­ti­scher Be­trach­tung die Be­fürch­tung recht­fer­tigt, es han­de­le sich um ein Fahr­zeug, das we­gen sei­ner auf her­stel­lungs­be­ding­ten Qua­li­täts­män­geln – na­ment­lich auf schlech­ter Ver­ar­bei­tung – be­ru­hen­den Feh­ler­an­fäl­lig­keit ins­ge­samt man­gel­haft ist und das auch zu­künf­tig nicht über län­ge­re Zeit frei von her­stel­lungs­be­ding­ten Män­geln sein wird (OLG Düs­sel­dorf, Urt. v. 23.03.2011 – 3 U 47/10, NJW-RR 2011, 1276; Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 12. Aufl., Rn. 983 f.). Re­gel­mä­ßig er­for­der­lich ist, dass sich in­ner­halb ei­nes kür­ze­ren Zeit­raums ei­ne Viel­zahl her­stel­lungs­be­ding­ter – auch klei­ne­rer – Män­gel zeigt, die ent­we­der wie­der­holt oder erst­mals auf­tre­ten (OLG Hamm, Urt. v. 26.02.2008 – 28 U 135/07, ju­ris Rn. 26). Ent­schei­dend ist aber letzt­lich, ob bei ver­stän­di­ger Wür­di­gung aus Sicht des Käu­fers das Ver­trau­en in ei­ne ord­nungs­ge­mä­ße Her­stel­lung des Fahr­zeugs durch die zu­ta­ge ge­tre­te­ne Feh­ler­an­fäl­lig­keit ernst­haft er­schüt­tert wor­den ist. Ist dies der Fall, ist dem Kun­den ei­ne Nach­er­fül­lung re­gel­mä­ßig nicht mehr zu­mut­bar (OLG Bam­berg, Urt. v. 10.04.2006 – 4 U 295/05, DAR 2006, 456). Lie­gen die­se Vor­aus­set­zun­gen nicht vor, kann ge­ge­be­nen­falls in Ver­bin­dung mit an­de­ren Um­stän­den, et­wa ei­ner Un­zu­ver­läs­sig­keit des Ver­käu­fers oder we­gen ei­ner (ge­mes­sen an den Be­dürf­nis­sen des Käu­fers) zu lan­gen Dau­er der Nach­er­fül­lungs­ar­bei­ten, die Gren­ze zur Un­zu­mut­bar­keit über­schrit­ten sein.

Zwi­schen den Par­tei­en ist un­strei­tig, dass im Ja­nu­ar 2014 ein Pro­blem mit dem Au­to­ma­tik­ge­trie­be auf­trat. Nach den Auf­zeich­nun­gen der Par­tei­en ist wei­ter un­strei­tig, dass im Ju­ni 2015 und Ju­li 2015 der Man­gel am Heck­spoi­ler des Fahr­zeugs be­ho­ben wur­de. Nach un­be­strit­te­nem Sach­vor­trag gab es auch Pro­ble­me mit dem Pan­ora­ma­dach. Das Pro­blem mit dem Ab­dich­tungs­gum­mi an der Tür kann da­hin­ste­hen. Das Ge­richt geht selbst un­ter Be­rück­sich­ti­gung al­ler klä­ger­seits vor­ge­tra­ge­nen Män­gel (ein­schließ­lich der Ab­gas­pro­ble­ma­tik) da­von aus, dass es sich bei dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug ge­ra­de nicht um ein so­ge­nann­tes Mon­tags­au­to/Zi­tro­nen­au­to han­delt. Trotz der Häu­fung der Män­gel ist dem Klä­ger zu­zu­mu­ten, ei­ne wei­te­re Nach­bes­se­rungs­frist zu set­zen. Das Ge­richt lässt sich da­bei von fol­gen­den Er­wä­gun­gen lei­ten:

a) In zeit­li­cher und qua­li­ta­ti­ver Hin­sicht ist aus­zu­füh­ren, dass seit Ge­fahr­über­gang im No­vem­ber 2013 ins­ge­samt sechs Män­gel vor­la­gen, wo­bei die Klä­ger­sei­te ei­ne Stre­cke von 16.000 km zu­rück­le­gen konn­te. Bis auf den Man­gel mit dem Au­to­ma­tik­ge­trie­be sind die­se un­er­heb­lich und konn­ten bzw. kön­nen durch ein­fa­che tech­ni­sche Ein­grif­fe und oh­ne gro­ßen Auf­wand be­sei­tigt wer­den. Bei den wei­ßen Strei­fen han­delt es sich um ei­ne mi­ni­ma­le op­ti­sche Be­ein­träch­ti­gung. Durch In­au­gen­schein­nah­me konn­te fest­ge­stellt wer­den, dass die Farb­un­ter­schie­de mit ei­nem Ab­stand von cir­ca drei Me­tern vom Fahr­zeug ent­fernt schon nicht mehr wahr­ge­nom­men wer­den konn­ten. Es ist oh­ne Wei­te­res da­von aus­zu­ge­hen, dass der Man­gel in kür­zes­ter Zeit in ei­ner Fach­werk­statt be­ho­ben wer­den kann.

Der Man­gel rund um den Ab­gas­skan­dal ist un­er­heb­lich i. S. des § 323 V 2 BGB. Im Rah­men der Er­heb­lich­keits­prü­fung ist ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung auf der Grund­la­ge der Um­stän­de des Ein­zel­falls vor­zu­neh­men. Bei be­heb­ba­ren Män­geln ist an­er­kannt, dass grund­sätz­lich auf die Kos­ten der Män­gel­be­sei­ti­gung ab­zu­stel­len ist (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VI­II ZR 94/13, ju­ris Rn. 17). Hier ist nach der­zei­ti­gem Er­kennt­nis­stand der Man­gel be­heb­bar, dies wird von der Be­klag­ten­sei­te [ge­meint wohl: Klä­ger­sei­te] auch nicht be­strit­ten. Das Kraft­fahrt-?Bun­des­amt hat dem von der Volks­wa­gen AG vor­ge­leg­ten Maß­nah­men­plan zu­ge­stimmt, so­dass nach Ein­schät­zung des Kraft­fahrt-Bun­des­am­tes ei­ne Be­sei­ti­gung des Man­gels er­folgt sein wird. Von ei­ner Ge­ring­fü­gig­keit ei­nes be­heb­ba­ren Man­gels und da­mit von ei­ner Un­er­heb­lich­keit der Pflicht­ver­let­zung ist nach dem BGH in der Re­gel aus­zu­ge­hen, wenn die Kos­ten der Man­gel­be­sei­ti­gung im Ver­hält­nis zum Kauf­preis ge­ring­fü­gig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VI­II ZR 94/13, ju­ris Rn. 17). Bei ei­nem Man­gel­be­sei­ti­gungs­auf­wand von un­ter 1 % des Kauf­prei­ses liegt die­ser oh­ne Zwei­fel un­ter­halb der Ba­ga­tell­gren­ze (BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VI­II ZR 363/04, ju­ris Rn. 43). Für ei­ne Ab­wei­chung vom Re­gel­fall gibt es kei­ne Ver­an­las­sung. Der Klä­ger hat nichts sub­stan­zi­iert vor­ge­tra­gen, war­um das Ein­spie­len ei­nes Soft­ware­up­dates hö­he­re Kos­ten ver­ur­sa­chen soll.

b) Im Hin­blick auf die Be­ein­träch­ti­gun­gen des Käu­fers ist aus­zu­füh­ren: Für den Aus­tausch des Au­to­ma­tik­ge­trie­bes war das Fahr­zeug le­dig­lich zwei Ta­ge in der Werk­statt der Be­klag­ten. Der Aus­tausch er­folg­te auf Kos­ten der Be­klag­ten­sei­te. Der Heck­spoi­ler wur­de am Ta­ge der Vor­stel­lung re­pa­riert. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die wei­ßen Strei­fen und der Ab­dich­tungs­gum­mi in­ner­halb kür­zes­ter Zeit re­pa­riert wer­den könn­ten. Die Be­klag­ten­sei­te trägt vor, dass das Auf­spie­len der Soft­ware nicht ein­mal ei­ne Ar­beits­stun­de in An­spruch neh­men wür­de. Die­ser Vor­trag ist nach­voll­zieh­bar, und von Klä­ger­sei­te wird nicht sub­stan­zi­iert er­wi­dert. Mit­hin muss­te bzw. muss die Klä­ger­sei­te zu kei­nem Zeit­punkt über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum auf die Nut­zung des Fahr­zeugs ver­zich­ten. Der Klä­ger trägt in die­sem Zu­sam­men­hang nicht vor, dass er un­be­dingt auf das Fahr­zeug an­ge­wie­sen sei und sich um Er­satz be­mü­hen muss.

c) In tech­ni­scher Hin­sicht ist zu be­rück­sich­ti­gen: Die auf­ge­tre­te­nen Män­gel sind un­ter­schied­lichs­ter Na­tur. Der Man­gel mit dem Au­to­ma­tik­ge­trie­be ist dem tech­ni­schen Be­reich zu­zu­ord­nen, bei den Pro­ble­men mit dem Ab­dich­tungs­gum­mi und dem Pan­ora­ma­dach han­delt es sich um Feuch­tig­keits­pro­ble­me. Bei den auf­ge­tre­te­nen wei­ßen Strei­fen han­delt es sich um op­ti­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen, die Ab­gas­the­ma­tik be­trifft wie­der­um ei­nen ganz an­de­ren Be­reich. Vor die­sem Hin­ter­grund muss der Klä­ger eben nicht da­von aus­ge­hen, dass gleich­ge­la­ger­te Pro­ble­me in­ner­halb kür­zes­ter Zeit wie­der auf­tre­ten wer­den. An­halts­punk­te hier­für lie­gen nicht vor.

d) Das Ge­richt be­zieht bei der Wür­di­gung und Ab­wä­gung die Hö­he des Kauf­prei­ses von 39.636 € mit ein. Es han­delt sich um ein neu­es Fahr­zeug der ge­ho­be­nen Klas­se mit um­fang­rei­cher tech­ni­scher Aus­stat­tung. Das Ge­richt ist der An­sicht, dass ge­ra­de in die­sem Fall dem Käu­fer ein ge­wis­ses Maß an Ge­duld auf­er­legt wer­den muss, be­vor die er­heb­li­chen Nach­tei­le des Rück­tritts den Ver­käu­fer tref­fen.

e) Das Ge­richt lässt sich wei­ter bei sei­ner Ab­wä­gung von den Vor­ga­ben des BGH im Ur­teil vom 23.01.2013 – VI­II ZR 140/12 – lei­ten. Im dor­ti­gen Fall tra­ten bei ei­nem neu­en Wohn­mo­bil seit Ab­lie­fe­rung am 14.06.2008 in­ner­halb von cir­ca 1,5 Jah­ren un­zäh­li­ge Män­gel auf und der Käu­fer muss­te das Fahr­zeug cir­ca zwan­zig­mal in die Werk­statt der Ver­käu­fe­rin ver­brin­gen. Vor­lie­gend ver­hal­ten sich die Um­stän­de an­ders: In ei­nem Zeit­raum von cir­ca 2,5 Jah­ren tra­ten ver­ein­zelt an un­ter­schied­lichs­ten Bau­tei­len Män­gel auf, und die Klä­ger­sei­te muss­te auf das Fahr­zeug nicht län­ger ver­zich­ten.

Auch in ei­ner Ge­samt­schau ist die im Re­gel­fall vor­ge­se­he­ne Frist­set­zung nicht ent­behr­lich. Die Kla­ge ist dies­be­züg­lich als der­zeit un­be­grün­det ab­zu­wei­sen.

II. Hilfs­wei­se An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung

Das Ge­richt geht da­von aus, dass kei­ne Kau­sa­li­tät zwi­schen ei­ner an­geb­li­chen Täu­schung und dem Ab­schluss des Kauf­ver­tra­ges be­stand.

Vor­aus­set­zung des An­spru­ches ist, dass der an­geb­lich Ge­täusch­te oh­ne die Täu­schung über­haupt nicht, oder mit ei­nem an­de­ren In­halt ab­ge­ge­ben hät­te (BGH, Urt. v. 22.01.1964 – VI­II ZR 103/62, NJW 1964, 811; Pa­landt/El­len­ber­ger, BGB, 75. Aufl. [2016], § 123 Rn. 24). Die­ses Kau­sa­li­täts­er­for­der­nis ist nur dann er­füllt, wenn der Klä­ger den Kauf­ver­trag nicht ab­ge­schlos­sen hät­te, wenn er die Ver­wen­dung der Soft­ware ge­kannt hät­te. Der Klä­ger trägt nicht vor, dass sei­ne Kauf­ent­schei­dung ge­ra­de von ei­nem be­stimm­ten Aus­stoß an Stick­oxi­den im Prüf­be­trieb ab­hing. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die­ser Um­stand für die Kauf­ent­schei­dung über­haupt kei­ne Rol­le spiel­te. Für den End­kun­den kommt es im Zu­sam­men­hang mit den Emis­sio­nen ei­nes Fahr­zeugs al­len­falls auf die Zer­ti­fi­zie­rung nach ei­ner be­stimm­ten Emis­si­ons­klas­se an. Ge­ra­de die­se Zer­ti­fi­zie­rung liegt bei dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug wei­ter­hin vor. Es ist un­strei­tig, dass das Kraft­fahrt-?Bun­des­amt die wirk­sa­me EG-?Typ­ge­neh­mi­gung nicht auf­ge­ho­ben hat. Es wi­der­spricht der all­ge­mei­nen Le­bens­er­fah­rung, dass die Emis­si­on von Stick­oxi­den im Prüf­be­trieb bei der Kauf­ent­schei­dung ei­ner na­tür­li­chen Per­son ei­ne Rol­le spielt.

Dies lässt sich auch zwang­los aus den vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen ab­lei­ten. Aus der in­halt­li­chen Ge­stal­tung des Schrei­bens vom 10.11.2015 geht her­vor, dass die Ab­gas­the­ma­tik vor­der­grün­dig als Grund für den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag her­an­ge­zo­gen wur­de. Der Klä­ger trägt vor, dass es sich um ein so­ge­nann­tes „Mon­tags- bzw. Zi­tro­nen­au­to“ hand­le und dies des­halb um­so mehr, als es al­ler Vor­aus­sicht nach im Rah­men der Be­sei­ti­gung des Man­gels be­tref­fend den Ab­gas­skan­dal zu ei­ner Leis­tungs­ein­bu­ße ver­bun­den mit ei­nem Mehr­ver­brauch kom­men wer­de. „Höchst­vor­sorg­lich und gleich­zei­tig“ wird die An­fech­tung des Kauf­ver­tra­ges we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung er­klärt. Wei­te­re Aus­füh­run­gen hier­zu fin­den sich nicht.

Hin­zu kommt, dass zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig ist, dass der Zeu­ge S das Fahr­zeug sei­nes Va­ters (aus­schließ­lich) nutz­te. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Klä­ger sich dem­nach über­haupt kei­ne Vor­stel­lung von dem Aus­stoß der Stick­oxi­de im Prüf­be­trieb bei sei­ner Kauf­ent­schei­dung ge­macht hat. Er soll­te das Fahr­zeug oh­ne­hin nicht nut­zen. …

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