Weicht der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch eines Neuwagens um 8,2 % von den Herstellerangaben ab, so liegt allenfalls ein geringfügiger Mangel vor, der den Käufer gemäß § 323 V 2 BGB nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.
LG Essen, Urteil vom 21.11.2007 – 3 O 313/07
Sachverhalt: Die Klägerin kaufte von der beklagten Kfz-Händlerin mit schriftlichem Vertrag vom 07.11.2005 einen Pkw Ford Fiesta (Editionsmodell „Fun“) zum Preis von 9.900 € brutto. Das mit einem Benzinmotor ausgestattete Fahrzeug wurde der Klägerin am 01.02.2006 übergeben.
Bei den Kaufvertragsverhandlungen war der – für die Klägerin für ihre Kaufentscheidung wichtige – Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs thematisiert worden. Der für die Beklagte tätige Verkaufsmitarbeiter V hatte erklärt, dass der Kraftstoffverbrauch günstig sei.
Mit Schreiben vom 15.03.2006 verlangte die Klägerin wegen eines angeblich überhöhten Kraftstoffverbrauchs ihres Pkw die Rückabwicklung des mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrags. Dies lehnte die Beklagte unter dem 22.03.2006 ab. Die Klägerin leitete daraufhin ein selbstständiges Beweisverfahren ein, das beim LG Essen unter dem Aktenzeichen 3 OH 4/06 geführt wurde und in dem der Sachverständige Dipl.-Ing. L am 15.01.2007 ein Gutachten erstattete.
Die Klägerin behauptet, vor Abschluss des Kaufvertrags habe V erklärt, der streitgegenständliche Ford Fiesta verbrauche weniger als 6 l Kraftstoff. Sie, die Klägerin, habe damals einen Pkw gehabt, der im Durchschnitt 6,5 l verbraucht habe, und ihr sei es darauf angekommen, ein Fahrzeug mit einem geringeren Kraftstoffverbrauch zu erwerben. Erst durch das im selbstständigen Beweisverfahren eingeholte Sachverständigengutachten habe sie erfahren, dass der Ford Fiesta mit unterschiedlichen Achsübersetzungen geliefert werde und ihr Fahrzeug eine Achsübersetzung von 4,06 habe. Bei dieser Ausführung betrage der Kraftstoffverbrauch ausweislich der Betriebsanleitung durchschnittlich 6,1 /100 km, während danach bei einer Achsübersetzung von 3,82 der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch 5,9 l/100 km betrage. Insoweit – so macht die Klägerin geltend – habe V sie beim Kauf des Fahrzeugs nicht richtig beraten. Die Beklagte hätte ihr den Pkw mit der geringeren Achsübersetzung verkaufen müssen; zumindest müsse die Beklagte sie, die Klägerin, so stellen, als wäre dies geschehen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch des streitgegenständlichen Fahrzeugs um 11,9 % überhöht sei, sodass der mit der Beklagten geschlossene Kaufvertrag rückababwickeln. Dies ergebe sich schon aus älteren Entscheidungen des BGH (Urt. v. 14.02.1996 – VIII ZR 65/95; Urt. v. 18.06.1997 – VIII ZR 52/96); angesichts des seitdem gesteigerten Umweltbewusstseins und der gestiegenen Benzinpreise müsse heute schon ein Kraftstoffmehrverbrauch von 5 % als erheblich angesehen werden.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 8.308,08 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgewähr des streitgegenständlichen Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Sie hat außerdem den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten (718 € nebst Zinsen) sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw in Annahmeverzug sei.
Die Beklagte behauptet, bei dem zwischen der Klägerin und V geführten Verkaufsgespräch sei ein konkreter Kraftstoffverbrauch nicht thematisiert worden. Sie macht außerdem geltend, dass der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch des streitgegenständliche Pkw nicht – wie im selbstständigen Beweisverfahren ermittelt – 6,6 l/100 km betrage. Der Sachverständige Dipl.-Ing. L habe den Verbrauch nicht unter ordnungsgemäßen Testbedingungen ermittelt, sodass der Pkw erneut sachverständig untersucht werden müsse. Selbst der ermittelte Kraftstoffverbrauch von 6,6 l/100 km rechtfertige indes keinen Rücktritt vom Kaufvertrag, zumal der ermittelte Mehrverbrauch im Bereich der technischen Toleranzen liege.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, 323, 440 BGB nicht zu.
Auf den Kaufvertrag vom 07.11.2005 ist das neue Schuldrecht anzuwenden (vgl. Art. 229 § 5 I 1 EGBGB). Die hiernach zunächst zu klärende Frage, ob ein Sachmangel i. S. des § 434 I BGB vorliegt, kann teilweise offengelassen werden.
Ein Kraftfahrzeug ist nur frei von Sachmängeln, wenn es keine technischen Mängel aufweist, welche die Zulassung sowie die Gebrauchsfähigkeit hindern oder beeinträchtigen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], § 434 Rn. 70). Nach dem unstreitigen Sachverhalt kommt hiernach allenfalls eine Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit in Betracht.
Bezogen auf die verschiedenen Fehlerdefinitionen in § 434 I BGB ist die erste – die Abweichung des Fahrzeugs von einer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit – zu verneinen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass der Kraftstoffverbrauch des zu erwerbenden Fahrzeugs unter 6 l pro 100 km liege. Die Angaben des Verkäufers V zu diesem Punkt können nur als allgemeine, unverbindliche Anpreisungen des gegenüber dem Altfahrzeug des gleichen Herstellers fortentwickelten Fahrzeugs mit neuem Motor verstanden werden.
Auch wenn der Kraftstoffverbrauch unstreitig Thema des Verkaufsgespräch war, so räumte der Zeuge N doch ein, dass der Verkäufer, der Zeuge V, ihm gegenüber sich nur allgemein über den Spritverbrauch geäußert habe, dahin gehend, dass dieser günstiger sein würde als bei dem acht Jahre alten, in Zahlung gegebenen Wagen, weil das Neufahrzeug einen neu entwickelten Motor habe. Er selbst sei danach lediglich davon ausgegangen, dass der Wagen unter 6 l verbrauche. Verkaufsprospekte hätten bei der Kaufentscheidung nicht vorgelegen.
Der Zeuge V, der glaubhaft angab, sich an das Verkaufsgespräch, wenn auch nicht an alle Einzelheiten, zu erinnern, gab an, er habe den Kraftstoffverbrauch entsprechend einer ihm beim Verkaufsgespräch vorliegenden Preisliste mitgeteilt und ergänzend erklärt, dass diese Herstellervorgaben nur einen gewissen Rahmen angeben, dass der Verbrauch natürlich ganz entscheidend von den Witterungsverhältnissen und dem Fahrverhalten sowie von den gefahrenen Strecken – Stadtverkehr oder Überlandverkehr – abhängen würde. Der Zeuge war sich sicher, dass in dem Verkaufsgespräch nicht gezielt darüber gesprochen wurde, dass das neue Fahrzeug weniger verbrauchen sollte als das alte, und dass es dabei um konkrete Verbräuche gegangen sei.
Die Klägerin kann nach allem die vertragliche Vereinbarung eines Kraftstoffverbrauchs unter 6 l zwischen den Parteien nicht beweisen. Dies bestätigen die Aussagen beiderZeugen nicht deutlich genug.
Auch einer Fehlerhaftigkeit i. S. des § 434 I 2 Nr. 1 BGB dahin gehend, dass der Wagen sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht eigne, ist hier nicht weiter nachzugehen. Die Klägerin hat nicht den Nachweis erbracht, dass die von ihr geschilderte Nutzung des Wagens überwiegend für im Kraftstoffverbrauch allgemein günstigere Überlandfahrten bei dem Vertragsgespräch thematisiert wurde, und vor allem nicht, dass dies ihrerseits die Beklagte bindend zum Vertragsinhalt gemacht wurde.
Die Klägerin muss sich demnach bei der Beurteilung, ob der Wagen mangelhaft ist, auf die Prüfung gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB verweisen lassen, ob er sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das bedeutet, das Fahrzeug ist allein unmittelbar an den Angaben in der Bedienungsanleitung zu messen. Es sind die Kraftstoffverbräuche zugrunde zu legen, die für das erworbene Fahrzeug mit einer Achse von 4,06 angegeben sind. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einen möglichen Beratungsfehler der Beklagten beim Verkauf anspricht, kann ein solcher nicht Gegenstand der Fehlerfeststellung bei der begehrten Rückabwicklung eines Kaufvertrags sein, sondern allenfalls eines hiervon unabhängigen Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo wegen mangelnder Beratung vor Abschluss des Vertrags (vgl. hierzu Palandt/Grüneberg, 66. Aufl. [2007], § 311 Rn. 17, wonach in einem solchen Fall ausnahmsweise Ansprüche aus culpa in contrahendo bestehen können). Entsprechende Ansprüche sind nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Für die Frage einer Fehlerhaftigkeit des Fahrzeugs ist mangels der vertraglich vereinbarten Voraussetzung, dass der Wagen vorrangig für Fahrten im außerstädtischen Bereich genutzt werden soll, sich allein an dem für jedermann typischen Kraftstoffverbrauch bei kombinierten Betriebsbedingungen zu orientieren. Der Sachverständige Dipl.-Ing. L ermittelte im selbstständigen Beweisverfahren hierfür einen durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch von 6,6 l auf 100 km. Das heißt, nach seiner Untersuchung wurde der in der Betriebsanleitung für dieses Fahrzeug angegebene durchschnittliche Kraftstoffverbrauchvon 6,1 l auf 100 km um 0,5 l pro 100 km oder 8,2 % überschritten.
Nach der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgenommenen Neuregelung des Kaufrechts gibt es für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht, kein Erheblichkeitskriterium mehr. Die von der Klägerseite zitierte BGH-Rechtsprechung ist unmittelbar auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sie zu § 459 I 2 BGB a.F. ergangen ist. Ein im vorgeschriebenen Prüfstandstestverfahren festgestellter Kraftstoffmehrverbrauch kann deshalb bereits dann einen Sachmangel darstellen, wenn der Kraftstoffmehrverbrauch jenseits desjenigen Toleranzbereichs liegt, der durch Fertigungstoleranzen und unvermeidbare Ungenauigkeiten der Verbrauchswertemessung vorgegeben ist (vgl. hierzu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl. [2005], Rn. 251). Welche Abweichungen für solche hinnehmbaren Fertigungstoleranzen und unvermeidbaren Ungenauigkeiten der Verbrauchswertemessung anzusetzen sind, ergibt sich aus dem im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten nicht und war seitens der Kammer ebenso wenig aufzuklären wie der Umstand, dass nach der Behauptung der Beklagten die seitens des Sachverständigen durchgeführten Messungen zu Ungunsten der Beklagten hinsichtlich der Rahmenbedingungen auf dem Prüfstand abwichen. Denn sollte die im selbstständigen Beweisverfahren ermittelte Abweichung im Kraftstoffverbrauch von 8,2 % zutreffend ermittelt sein und nicht mehr im Bereich hinnehmbarer Fertigungstoleranzen oder unvermeidbarer Ungenauigkeiten der Verbrauchswertemessung liegen, so dass hier ein Mangel i. S. des § 434 I BGB nach entsprechender Abwägung der weiteren Ermittlungsergebnisse noch bestätigt werden könnte, so lege dieser Mangel dann doch mit Sicherheit unter der Erheblichkeitsgrenze des § 323 V 2 BGB für das Verlangen nach Rückabwicklung des Kaufvertrags.
Die Erheblichkeitsprüfung erfordert eine umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind in der Regel der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand, bei einem nicht behebbaren Mangel die von ihm ausgehende funktionelle oder ästhetische Beeinträchtigung, aber auch die Schwere des Verschuldens des Schuldners (vgl. hierzu Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 32). Diese Kriterien sind zur Erfassung des vorliegenden Sachverhalts nur begrenzt geeignet. Es ist mangels anderweitiger Erkenntnisse von einem nicht behebbaren Mangel auszugehen, nicht jedoch von einer funktionellen oder ästhetischen Beeinträchtigung, sondern lediglich von höheren Folgekosten durch höheren Benzinverbrauch. Ein Verschulden der Beklagten, insbesondere eine arglistige Täuschung, die regelmäßig gegen eine unerhebliche Pflichtverletzung spricht, lässt sich nicht feststellen.
Die Rücknahme des Fahrzeuges durch die Beklagte, wobei die Nutzung lediglich auf Basis der allgemein üblichen Nutzungsvergütung erstattet würde, würde bei ihr einen erheblichen betriebswirtschaftlichen Ausfall bedeuten, der für den Fall der Berechtigung der Fahrzeugrückabwicklung bei einem Mehrverbrauch von nur 8,2 % letztlich als Risikopreiszuschlag bei allen Neuwagenverkäufen zulasten aller Käufer in die Preiskalkulation mit aufgenommen werden würde.
Auch bei in den letzten Jahren laufend gestiegenen Kraftstoffkosten und erhöhtem Umweltbewusstsein kann in dem Fall, in dem der Kraftstoffverbrauch allein an den Herstellerangaben in der Betriebsanleitung zu messen ist und nicht noch weitere, zulasten des Verkäufers gehende Bewertungskriterien hinzukommen, ein durchschnittlicher Mehrverbrauch von 8,2 % pro 100 km nicht als erheblich angesehen werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 437 Rn. 23, worauf bei Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 32 ausdrücklich verwiesen wird und wo bezogen auf den Kraftstoffmehrverbrauch eines Kfz ausdrücklich die Grenze von 10–15 % für die Annahme eines erheblichen Mangels genannt wird).
Nach allem sind auch die mit dem Klageantrag zu 1 zusammenhängenden Anträge zu 2 und zu 3 nicht begründet und ist die Klage insgesamt … abzuweisen. …