1. Ein als „EU-Neu­fahr­zeug“ an­ge­bo­te­ner Pkw ist man­gel­haft, wenn zwi­schen der Her­stel­lung des Fahr­zeugs und dem Ab­schluss des Kauf­ver­trags (deut­lich) mehr als zwölf Mo­na­te – Stand­zeit hier: 16 Mo­na­te – lie­gen.
  2. Ei­ne Klau­sel in den All­ge­mei­nen Ge­schäfts­be­din­gun­gen ei­nes Kfz-Händ­lers, wo­nach ein im Kauf­ver­trag als „neu“ de­kla­rier­tes EU-Fahr­zeug ein „Ge­braucht­wa­gen nach deut­schem Recht“ ist, ist als über­ra­schen­de Klau­sel ge­mäß § 305c I BGB un­wirk­sam.

LG Es­sen, Ur­teil vom 21.01.2005 – 8 O 759/04

Sach­ver­halt: Die Klä­ge­rin be­gehrt von dem Be­klag­ten, ei­nem ehe­ma­li­gen Kfz-Händ­ler, die Rück­ab­wick­lung ei­nes am 06.03.2004 ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trags über ein „neu­es EU-Fahr­zeug“. Die­ses Fahr­zeug wur­de der Klä­ge­rin am 11.03.2004 ge­gen Zah­lung des Kauf­prei­ses von 9.300 € über­ge­ben. An­schlie­ßend er­hielt die Klä­ge­rin von dem Be­klag­ten ein EEC Cer­ti­fi­ca­te of Con­for­mi­ty for com­ple­te ve­hi­cles, das ihr An­lass zu der An­nah­me gab, ihr Fahr­zeug sei am 10.10.2002 in Ko­rea ge­baut wor­den. Im Ver­lauf ei­ner au­ßer­ge­richt­li­chen Kor­re­spon­denz be­stä­tig­te die Dae­woo Au­to­mo­bi­le Deutsch­land GmbH der Klä­ge­rin mit Schrei­ben vom 01.07.2004, dass das Fahr­zeug am 28.10.2002 pro­du­ziert wur­de.

Die Klä­ge­rin meint, ihr Pkw sei man­gel­haft, da er an­ge­sichts der lan­gen Stand­zeit kein „EU-Neu­fahr­zeug“ im Sin­ne des Kauf­ver­trags mehr sei. Sie for­der­te den Be­klag­ten des­halb mit Schrei­ben vom 22.04.2004 un­ter Frist­set­zung zur Lie­fe­rung ei­nes man­gel­frei­en Pkw auf (§§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB). Da de Be­klag­te dar­auf nicht re­agier­te, er­klär­te die Klä­ge­rin mit Schrei­ben vom 28.05.2004 den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag.

Der Be­klag­te ist der Kla­ge ent­ge­gen­ge­tre­ten. Er ist der Auf­fas­sung, die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung, wo­nach ein Fahr­zeug in­fol­ge ei­ner zu lan­gen Stand­zeit nicht mehr als „fa­brik­neu“ an­zu­se­hen sei, kön­ne auf ein „EU-Neu­fahr­zeug“ nicht über­tra­gen wer­den. Bei ei­nem sol­chen Fahr­zeug be­deu­te „neu“ näm­lich le­dig­lich „neu in der EU“. Au­ßer­dem – so be­haup­tet der Be­klag­te – ha­be der Zeu­ge T die Klä­gein bei den Ver­trags­ver­hand­lun­gen dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug nicht fa­brik­neu sei. T ha­be der Klä­ge­rin zu­dem er­klärt, dass es mög­lich sei, dass das Fahr­zeug nach der Pro­duk­ti­on mehr als ein Jahr ge­stan­den ha­ben. Im Üb­ri­gen wer­de im Kauf­ver­trag auf sei­ne – des Be­klag­ten – All­ge­mei­nen Ge­schäfts­be­din­gun­gen hin­ge­wie­sen, die gut sicht­bar in sei­nen Ge­schäfts­räu­men aus­ge­han­gen hät­ten. Die­se Ge­schäfts­be­din­gun­gen hät­ten fol­gen­de Klau­sel ent­hal­ten:

„Un­se­re Fahr­zeu­ge im­por­tie­ren wir als freie Händ­ler (kein klas­si­scher Neu­wa­gen­händ­ler) über­wie­gend aus dem Aus­land. Die­se kau­fen wir von La­ger­be­stän­den auf, wel­che un­ter Um­stän­den mehr als ein Jahr nach der Pro­duk­ti­on ge­stan­den ha­ben kön­nen. Zwar sind es EU-Neu­wa­gen mit null Ki­lo­me­tern, je­doch Ge­braucht­wa­gen nach deut­schem Recht.“

Die Kla­ge hat­te im We­sent­li­chen Er­folg.

Aus den Grün­den: Die Klä­ge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten ei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung von 8.801,52 € Zug um Zug ge­gen Rück­über­eig­nung des streit­ge­gen­ständ­li­chen Kraft­fahr­zeugs (§§ 346 I, 348 BGB). Die Klä­ge­rin ist nach Frist­set­zung zur Nach­er­fül­lung mit Schrei­ben vom 28.05.2004 wirk­sam vom Kauf­ver­trag zu­rück­ge­tre­ten (§§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB).

Der Pkw ist man­gel­haft i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB. Denn ein Fahr­zeug, das zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Kauf­ver­trags ei­ne Stand­zeit von deut­lich mehr als ei­nem Jahr – hier: 16 Mo­na­te – hat, ist kein „neu­es EU-Fahr­zeug“ mehr. Das Ge­richt ver­tritt die Auf­fas­sung, dass ei­ne La­ger­dau­er von mehr als ei­nem Jahr da­zu führt, dass ein Pkw nicht mehr als „EU-Neu­fahr­zeug“ zu be­zeich­nen ist.

Dem Be­klag­ten ist zwar in­so­weit zu­zu­stim­men, als die in Be­zug ge­nom­me­ne neue­re höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung (BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VI­II ZR 227/02, NJW 2004, 160) sich le­dig­lich mit der Fra­ge be­fasst, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein un­be­nutz­tes Kraft­fahr­zeug re­gel­mä­ßig noch als „fa­brik­neu“ zu be­zeich­nen ist. Die­ser Recht­spre­chung zu­fol­ge ist im Re­gel­fall da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne La­ger­zeit von mehr als 12 Mo­na­ten die „Fa­brik­neu­heit“ ei­nes Neu­wa­gens be­sei­tigt, da im Hin­blick auf den Al­te­rungs­pro­zess und die da­mit be­ding­ten Be­gleit­erschei­nun­gen wie Ma­te­ri­al­er­mü­dung, Oxi­da­ti­on und an­de­re phy­si­ka­li­sche Ver­än­de­run­gen ei­ne lan­ge Stand­dau­er für ei­nen Neu­wa­gen­käu­fer ein wert­min­dern­der Fak­tor ist. Das Ge­richt ver­tritt die Auf­fas­sung, dass der die­ser Ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­de tra­gen­de Ge­dan­ke auf die Be­zeich­nung „EU-Neu­fahr­zeug“ über­trag­bar ist. Denn aus­ge­hend vom ob­jek­ti­ven Emp­fän­ger­ho­ri­zont ei­nes durch­schnitt­li­chen Käu­fers ist die Be­zeich­nung „neu­es EU-Fahr­zeug“ da­hin ge­hend aus­zu­le­gen, dass es sich um ein „neu­es“ Fahr­zeug han­delt, und nicht um ein Fahr­zeug, das „neu aus der EU ein­ge­führt“ wur­de. Der mit den Ge­pflo­gen­hei­ten des Kfz-Han­dels in­ner­halb der EU in der Re­gel nicht im Ein­zel­nen ver­trau­te Käu­fer muss nicht da­mit rech­nen, dass die Ein­füh­rung aus ei­nem an­de­ren EU-Land als Be­gleit­erschei­nung zur Fol­ge hat, dass die­ses Fahr­zeug ei­ne deut­lich län­ge­re Stand­zeit auf­weist. Eben­so wie ein Käu­fer, der ein Fahr­zeug als „fa­brik­neu“ kauft, geht ein Käu­fer, der ein „neu­es“ EU-Fahr­zeug kauft, da­von aus, dass die­ser Pkw nicht mit sol­chen wert­min­dern­den Fak­to­ren be­haf­tet ist, die sei­ne Ei­gen­schaft als „Neu­wa­gen“ be­ein­träch­ti­gen. Die Be­zeich­nung „neu­es“ EU-Fahr­zeug wä­re ir­re­füh­rend, wenn un­ter die­ser Eti­ket­tie­rung Fahr­zeu­ge ver­kauft wür­den, die we­gen ih­rer Stand­dau­er und des da­durch be­ding­ten Al­te­rungs­pro­zes­ses nach der Ver­kehrs­auf­fas­sung nicht mehr als „neu“ an­zu­se­hen sind. Aus die­sem Grun­de hält das Ge­richt schon ei­ne Stand­zeit von mehr als ei­nem Jahr auch bei ei­nem „EU-Neu­fahr­zeug“ für ei­nen Man­gel (i. E. ähn­lich Rein­king/Eg­gert, NZV 1999, 7 [10]).

Die Klä­ge­rin hat­te ent­ge­gen der Be­haup­tung des Be­klag­ten bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags kei­ne Kennt­nis von der lan­gen Stand­zeit des Fahr­zeugs. Der Be­klag­te hat nicht be­wie­sen, dass sein Mit­ar­bei­ter T der Klä­ge­rin bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags er­klärt hat, es kön­ne sein, dass das Fahr­zeug mehr als ein Jahr nach der Pro­duk­ti­on ge­stan­den ha­be. Der Zeu­ge hat viel­mehr un­miss­ver­ständ­lich aus­ge­sagt, er „ge­he mal da­von aus, dass er das nicht ge­sagt ha­be“.

Die Ein­wen­dun­gen des Be­klag­ten, im Kauf­ver­trag sei auf die in den Ge­schäfts­räu­men aus­hän­gen­den All­ge­mei­nen Ge­schäfts­be­din­gun­gen hin­ge­wie­sen wor­den, ist un­er­heb­lich. Denn selbst, falls dies zu­tref­fen soll­te, kann er kei­ne Rech­te dar­aus her­lei­ten. Ei­ne All­ge­mei­ne Ge­schäfts­be­din­gung, die ein nach dem Kauf­ver­trag als „neu­es“ Kfz de­kla­rier­tes Fahr­zeug als „Ge­braucht­wa­gen nach deut­schem Recht“ be­schreibt, ist als über­ra­schen­de Klau­sel un­wirk­sam ge­mäß § 305c I BGB.

Die Klä­ge­rin hat ge­mäß § 346 I BGB die von ihr ge­zo­ge­nen Nut­zun­gen zu er­stat­ten, de­ren Wert auf 0,67 % des Brut­to­kauf­prei­ses pro an­ge­fan­ge­ne 1.000 km ge­mäß § 287 ZPO zu schät­zen ist, hier al­so auf 498,48 €.

Der Zins­an­spruch folgt aus §§ 291, 288 I BGB.

Der Be­klag­te, der die Rück­nah­me des Fahr­zeugs nach Auf­for­de­rung durch die Klä­ge­rin ab­ge­lehnt hat, be­fin­det sich spä­tes­tens seit dem 14.06.2004 in An­nah­me­ver­zug (§§ 293, 295 BGB).

Im Üb­ri­gen war die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Klä­ge­rin er­gibt sich ein An­spruch auf Ver­zin­sung des Kauf­prei­ses für die Zeit vom 11.03.2004 bis zur Kla­ge­zu­stel­lung nicht aus § 346 I BGB. Es kommt ge­mäß § 346 I BGB viel­mehr dar­auf an, ob der Be­klag­te den Kauf­preis ge­winn­brin­gend an­ge­legt hat. Die­ser hat hier­zu er­klärt, das Geld sei nur kurz­fris­tig auf dem Kon­to der Fir­ma A in O. ver­blie­ben, da von die­sem Kon­to der An­kauf wei­te­rer Fahr­zeu­ge fi­nan­ziert wor­den sei. Es er­gibt sich un­ter Be­rück­sich­ti­gung die­ses Vor­brin­gens da­her auch nicht, dass der Ver­käu­fer nach den Re­geln ei­ner ord­nungs­ge­mä­ßen Wirt­schaft Zin­sen hät­te er­zie­len kön­nen (§ 347 I 1 BGB). …

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