Wird bei einem Autokauf weder über das Alter noch über die Standzeit des Fahrzeugs gesprochen, so liegt allein darin, dass das Fahrzeug als „Neufahrzeug“ verkauft wird, weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung im Hinblick auf die Standzeit.

OLG Köln, Urteil vom 01.04.2004 – 8 U 89/03

Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrags wegen angeblicher Mängel des Fahrzeuges auf Grund vermeintlich überlanger Standzeit bzw. Aufklärungspflichtverletzung.

Der Kläger kaufte von der Beklagten gemäß schriftlicher Bestellung vom 21.02.2003 – unter Erzielung eines Rabatts von 37,5 % gegenüber dem Neupreis – ein Fahrzeug zum Preis von 34.500 €. Das im Januar 2001 produzierte Fahrzeug entstammte einer Modellreihe, die – was dem Kläger bekannt war – seit spätestens März 2002 nicht mehr hergestellt wurde. Das Fahrzeug, das in den Ausstellungsräumen der Beklagten stand, wies einen Kilometerstand von ca. 100 km auf und wurde am 25.02.2003 erstmals für die Beklagte zum Verkehr zugelassen. In dem Bestellformular wurde das Fahrzeug als Geschäftswagen bezeichnet und Bezug genommen auf die „Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen“ mit Modifizierungen bezüglich des Laufs der Verjährungsfrist und der Gewährleistung. Im Rahmen der Verkaufsverhandlungen wurde zwischen den Parteien nicht über das Baujahr bzw. Herstellungsdatum des Fahrzeuges gesprochen. Nachdem der Kläger nach Übergabe des Fahrzeugs einige Mängel feststellte und von dem Alter des Fahrzeuges erfuhr, erklärte er mit Schreiben vom 31.03.2003 den Rücktritt von dem Kaufvertrag und forderte die Beklagte – erfolglos – unter Fristsetzung bis zum 10.04.2003 auf, den entrichteten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges zu erstatten.

Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Umstand, dass das Fahrzeug bereits im Januar 2001 produziert worden sei, stelle keinen zum Rücktritt berechtigenden Mangel des Fahrzeuges dar. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Das Landgericht hat den Klageanspruch zu Recht abgewiesen, weil das von dem Kläger erworbene Fahrzeug nicht mangelhaft i. S. des § 434 BGB ist und ihm deshalb kein Recht gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB zum Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zusteht. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eine abweichende und ihm günstigere Entscheidung.

1. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Parteien, die unstreitig über das Alter und die Standzeit des Fahrzeugs nicht gesprochen hatten, mit der von dem Kläger behaupteten Bezeichnung des Wagens als Neuwagen weder ausdrücklich noch konkludent hinsichtlich der Standzeit eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB getroffen haben.

Das Landgericht ist bei der Auslegung der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen, wie sie der Kläger behauptet hat, zutreffend davon ausgegangen, dass die Eigenschaft der „Fabrikneuheit“, die beim Verkauf eines „Neuwagens“ regelmäßig als zugesichert bzw. nach neuem Recht als vereinbart gelten dürfte (§ 434 I 1 BGB; vgl. Roth, NJW 2004, 330; Parlandt/Putzo, BGB, 63. Aufl. 2004, § 434 Rn. 75 f.), sich kumulativ aus den Merkmalen Modellaktualität, Beschädigungsfreiheit und dem Fehlen von Lagermängel bzw. einer höchstens zwölfmonatigen Standzeit zusammensetzt; schon das Fehlen nur eines dieser Merkmale beseitigt die Eigenschaft „fabrikneu“ (vgl. BGH, Urt. v. 06.02.1980 – VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097; Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 185/79, DB 1980, 1836; Urt. v. 22.03.2000 – VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018; Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160 [161]; OLG Zweibrücken, OLGR 1998, 400 [401 f.]; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. [2003], Rn. 214 zu Fn. 239).

Da das angeblich als „Neufahrzeug“ verkaufte Fahrzeug nicht mehr – wie dem Kläger unstreitig bekannt war – aus der aktuellen Modellserie stammte, war es demzufolge nicht mehr „neu“ i. S. von „fabrikneu“, sondern nur „neu“ in dem Sinne, dass es – unstreitig – aus neuen Materialien hergestellt und – abgesehen von den wenigen Kilometern – unbenutzt war (vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 1998, 400 [401 f.]; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 15, 204). Es konnte deshalb aufgrund der vom Kläger behaupteten Bezeichnung des Fahrzeugs als Neuwagen auch nicht ohne Weiteres stillschweigend eine bestimmte der Fabrikneuheit entsprechende Standzeit des Fahrzeugs (nicht mehr als zwölf Monate) als vereinbart gelten. Der Hinweis auf die Geltung der Neuwagen-Verkaufsbedingungen in dem Bestellformular rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal diese Bedingungen offensichtlich wegen der fehlenden Fabrikneuheit des zudem ausdrücklich als „Geschäftswagen“ bezeichneten Fahrzeugs modifiziert waren.

2. War das Fahrzeug also unstreitig nicht „fabrikneu“, konnte der Kläger allein aufgrund der Bezeichnung des Fahrzeugs als „Neuwagen“ auch nicht erwarten, dass wenn nicht das Merkmal der Modellaktualität[erfüllt sein würde], so aber doch wenigstens in allen anderen Belangen die Kriterien eines fabrikneuen Fahrzeuges erfüllt sein würden, insbesondere das Fahrzeug nur eine Standzeit von nicht mehr als zwölf Monate aufweisen würde (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB; vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 22.03.2000 – VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018). Das gilt umso mehr, als es für die Wertbemessung eines – nicht fabrikneuen – Fahrzeugs auf das Baujahr nicht ankommt, sondern entscheidend nur das Datum der Erstzulassung ist (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 209). Sonstige Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger – außer der Modellaktualität – dennoch und noch dazu bei dem erheblichen Preisnachlass von 37,5 % ein Fahrzeug mit einer der Fabrikneuheit entsprechenden Standzeit verlangen konnte und nicht nur ein neu hergestelltes und im Wesentlichen unbenutztes Fahrzeug, liegen darüber hinaus nicht vor.

3. Demzufolge hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, ob den Erklärungen und Verhaltensweisen der Parteien im konkreten Einzelfall durch Auslegung eine Vereinbarung dahingehend entnommen werden kann, dass das Fahrzeug keine Standzeit von mehr als zwölf Monaten haben sollte. Ohne Rechtsfehler i. S. von § 513 I ZPO hat das Landgericht diese Frage auf der Grundlage der vorgenannten höchstrichterlichen Rechtsprechung anhand der Kriterien des Einzelfalles verneint.

Die vom Landgericht vorgenommene Vertragsauslegung kann im Berufungsverfahren nur beschränkt nachgeprüft werden. Die Auslegung von – wie hier – Individualvereinbarungen ist als reine Tatfrage zunächst Sache des Landgerichts. Wegen der Verweisung in § 513 I ZPO auf § 546 ZPO ist die Nachprüfung der Auslegung auch im Berufungsverfahren darauf beschränkt, ob diese gegen gesetzliche oder anerkannte Auslegungsgrundsätze, gegen Denkgesetze oder gegen allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstößt, wesentliche Umstände außer Acht gelassen sind, oder ob das Erstgericht verfahrensfehlerhaft vorgegangen ist. Derartige Fehler sind hier nicht ersichtlich. Sie sind auch von dem Kläger nicht aufgezeigt; er setzt vielmehr nur seine eigene Wertung an die Stelle des Landgerichts. Gemessen an den vorgenannten Auslegungsregeln ist es indes nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht auf Grund der in den Entscheidungsgründen im Einzelnen aufgeführten Umstände, wie etwa den Angaben im Bestellformular, der Kenntnis des Kläger von dem elf Monate zurückliegenden Modellwechsel und der damit verbundenen Standzeit von wenigstens elf Monaten sowie der Kurzzeitzulassung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Parteien – weder ausdrücklich noch konkludent – eine Beschaffenheitsvereinbarung über eine bestimmte Standzeit getroffen haben, geschweige denn [eine solche] von der Beklagten garantiert (§ 434 BGB) worden ist. Dagegen spricht im Übrigen auch der ganz erhebliche Preisnachlass von 37,5 % gegenüber dem Neuwagenpreis, der nicht allein mit dem Modellwechsel zu begründen ist. Vielmehr ist auch dieser Preisnachlass ein Hinweis darauf, dass hinsichtlich der Standzeit keine Vereinbarung getroffen wurde (vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 1998, 400 [401 f.]).

4. Der Beklagten sind schließlich auch keine Aufklärungspflichtverletzungen vorzuwerfen. Eine Offenbarungspflicht dahin gehend, dass das Fahrzeug nicht mehr fabrikneu war, bestand nicht. Das wusste der Kläger, weil ihm der Modellwechsel bekannt war. Das Alter des Fahrzeugs unterliegt ebenfalls nicht der Offenbarungspflicht, wenn der Händler – wie hier – das Fahrzeug mit einer ganz geringen Laufleistung unter Hinweis auf den Modellwechsel und mit einem überdurchschnittlich hohen Rabatt verkauft, und der Käufer weiß, dass er kein fabrikneues Fahrzeug erwirbt (vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 1998, 400 [401 f.]). Denn andernfalls würden in nicht gerechtfertigter Weise die höheren Anforderungen an den Verkauf eines „fabrikneuen“ Fahrzeugs übertragen auf den Kauf (nur) „neu hergestellter“ Fahrzeuge. Es besteht kein Grund, beim Verkauf von Fahrzeugen, die eher guten und nur ganz wenig benutzten Gebrauchtfahrzeugen vergleichbar sind, und für die – wie hier – ein höherer Preis kaum gezahlt wird, strengere Maßstäbe anzulegen.

Die Beklagte brauchte ferner nicht darüber aufzuklären, dass es sich bei dem Wagen um ein Ausstellungsfahrzeug handelte. Der Wagen stand in den Ausstellungsräumen der Beklagten, als der Kläger darauf aufmerksam wurde. Es sprach nichts dafür, dass dieser Wagen, der auch aus der Sicht des Klägers schon mindestens elf Monate alt sein musste, erst kürzlich in den Ausstellungsraum verbracht worden sein könnte. Der Kläger hatte folglich auch damit zu rechnen, dass der Wagen unter Umständen fast ein Jahr oder länger dem Publikumsverkehr ausgesetzt war. Auf diesen offensichtlichen Umstand brauchte die Beklagte nicht von sich aus hinzuweisen …

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