- Damit er gemäß §§ 929 Satz 1, 932 I 1, II BGB gutgläubig das Eigentum an einem Kraftfahrzeug erwerben kann, muss sich der Käufer zumindest den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) vorlegen lassen, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Erfüllt der Käufer diese Mindestanforderung, ist ein gutgläubiger Erwerb gleichwohl ausgeschlossen, wenn besondere Umstände Zweifel daran begründen, dass der Veräußerer Eigentümer des Fahrzeugs ist, und der Erwerber diese Umstände unbeachtet lässt.
- Besondere Umstände, die den Verdacht des Käufers erregen müssen, können „Ungereimtheiten“ in den Fahrzeugpapieren sein (hier: „Potzdam“ statt „Potsdam“; Angabe einer vier- statt einer fünfstelligen Postleitzahl; keine Angabe, wann die nächste Hauptuntersuchung durchzuführen ist; Fahrzeugbrief ohne Ausstellungsdatum).
KG, Urteil vom 24.05.2002 – 25 U 167/01
Sachverhalt: Am 21.02.2000 erschien bei der Autohaus E-GmbH & Co. KG in V. eine unbekannt gebliebene männliche Person, die sich mit auf den Namen J ausgestellten Papieren auswies, um eine Probefahrt mit einem VW T4 Multivan zu unternehmen. Dieses Fahrzeug stand im Eigentum der Autohaus E-GmbH & Co. KG, deren Versicherer die Beklagte ist.
„J“ erhielt den zu dem VW T4 Multivan gehörenden Fahrzeugschein und einen Schlüssel. Von der Probefahrt mit dem Fahrzeug kehrte er nicht zurück.
Am 19.03.2000 besichtigte die Klägerin, die einen Pkw erwerben wollte, das Fahrzeug Anwesenheit ihres Ehemanns sowie ihrer Schwiegereltern. Der VW T4 Multivan trug zu diesem Zeitpunkt falsche Kennzeichen und wurde von einer ebenfalls unbekannt gebliebenen männlichen Person zum Kauf angeboten. Diese Person wies sich mit einem auf den Namen G ausgestellten vorläufigen Personalausweis aus, der gefälscht war. „G“ legte der Klägerin einen Fahrzeugschein und einen Fahrzeugbrief vor. Bei diesen Fahrzeugpapieren handelte es sich um Originalformulare, die – unter anderem mit dem falschen Kennzeichen – ausgefüllt und mit Stempeln versehen worden waren.
Im Fahrzeugschein findet sich zweimal die Bezeichnung „Potzdam“ statt „Potsdam“. Außerdem fehlt das Datum der nächsten Hauptuntersuchung. Im Fahrzeugbrief wurde in der Rubrik „Bescheinigung des Inhabers einer Allgemeinen Betriebserlaubnis“ eingetragen: „[vierstellige Postleitzahl] Wolfsburg, den …“.
Am 20.03.2000 kaufte die Klägerin das Fahrzeug zum Preis von 42.500 DM. Der Verkäufer übergab ihr gegen Zahlung des Kaufpreises die genannten Fahrzeugpapiere und zwei Fahrzeugschlüssel. Das Geschäft wurde auf dem Gelände einer Tankstelle an der Autobahnabfahrt Michendorf abgewickelt.
Am 21.03.2000 beschlagnahmte die Polizei das Fahrzeug. Es wurde der Klägerin am 28.08.2000 zurückgegeben; die Fahrzeugpapiere verblieben in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft.
Die Klägerin begehrt in erster Linie die Herausgabe der echten Fahrzeugpapiere und hilfsweise die Feststellung, dass sie Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei. Ihren Herausgabeanspruch richtet sie gegen die Beklagte, weil die Rechte an dem VW T4 Multivan auf die Beklagte übergegangen sind, nachdem sie die Versicherungssumme an die Autohaus E-GmbH & Co. KG ausgezahlt hat.
Das Landgericht (LG Berlin, Urt. v. 17.07.2001 – 36 O 33/01) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe das Eigentum an dem VW T4 Multivan nicht nach §§ 929 Satz 1, 932 BGB erworben, da sie nicht in gutem Glauben gewesen sei. Sie könne deshalb weder mit Erfolg die Herausgabe der Fahrzeugpapiere noch die Feststellung verlangen, dass sie Eigentümerin des Wagens sei. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, weil nach den gesamten Umständen erhebliche Zweifel daran bestanden hätten, dass der Veräußerer Eigentümer des Fahrzeugs gewesen sei. Die Klägerin habe sich über offenliegende und mühelos erkennbare Verdachtsgründe hinweggesetzt; sie sei verpflichtet gewesen, bei der Zulassungsbehörde oder der Polizei weitere Erkundigungen einzuholen.
Die Schreibweise „Potzdam“ in dem der Klägerin vorgelegten Fahrzeugschein könne nur mit einem Versehen der Verwaltungsbehörde oder damit erklärt werden, dass der Fahrzeugschein gefälscht sei. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Verwaltungsbehörde einen Fahrzeugschein ausgebe, in dem der Name ihres Sitzes falsch geschrieben sei. Die Schreibfehler begründeten vielmehr den Verdacht einer Fälschung, über den sich die Klägerin im Zusammenhang mit den weiteren Unregelmäßigkeiten (Fehlen der Eintragung, wann das Fahrzeug zur nächsten Hauptuntersuchung angemeldet werden müsse; Fehlen des Ausstellungsdatums im Fahrzeugbrief; Vierstellige statt fünfstellige Postleitzahl von Wolfsburg) nicht habe hinwegsetzen dürfen.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin angesichts des Umstands, dass sie den Kaufvertrag über den Pkw am 20.03.2000 zusammen mit ihrem Ehemann unterzeichnet hat, hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche (allein) aktivlegitimiert sein kann, steht ihr weder ein Anspruch auf Herausgabe der Fahrzeugpapiere nach §§ 985, 952 II BGB zu, noch kann sie die Feststellung verlangen, Eigentümerin des Fahrzeugs zu sein. Denn die Klägerin hat kein Eigentum an dem VW Multivan erworben.
Ein Erwerb nach §§ 929 Satz 1, 932 I BGB kommt nicht in Betracht. Bei einer Veräußerung nach § 929 Satz 1 BGB, also durch Einigung und Übergabe, wird ein Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht in gutem Glauben war (§ 932 I 1 BGB). Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört (§ 932 II BGB). Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 [16]; Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93, NJW 1994, 2022 [2023]).
Die Klägerin hat grob fahrlässig gehandelt.
Die Klägerin hat sich nach ihren Darlegungen den Fahrzeugbrief zeigen lassen und diesen geprüft (vgl. zur groben Fahrlässigkeit bei Nichtvorlage: BGH, Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735 [736]). Legt man diesen Vortrag zugrunde, dann hat sie zwar die Mindestvoraussetzungen für einen Gutglaubenserwerb erfüllt (BGH, Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, NJW 1996, 2226 [2227]). Allerdings kann auch in einem solchen Fall die Annahme, der Erwerber sei gutgläubig gewesen, ausgeschlossen sein, wenn nach den gesamten Umständen erhebliche Zweifel daran bestehen, dass der Veräußerer auch wirklich Eigentümer ist. Über ihm bekannte und offenliegende, mühelos erkennbare Verdachtsgründe darf sich der Erwerber nicht hinwegsetzen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457]). In einem solchen Fall ist es gerechtfertigt, dem Erwerber eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers aufzuerlegen (vgl. zur Frage der Nachforschungspflicht: BGH, Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735 [736]; Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457]; Urt. v. 09.10.1991 – VIII ZR 19/91 NJW 1992, 310).
Hier lagen nach den Gesamtumständen derartige Verdachtsgründe vor. Zutreffend stellt das Landgericht zunächst darauf ab, dass die fehlerhafte Schreibweise der Stadt Potsdam ohne Weiteres und „ex ante“ erkennbar war. Diese „Ungereimtheit“ musste bereits bei flüchtiger Betrachtung auffallen. Denn auf der gleichen Seite im Fahrzeugschein war der Name der Stadt Potsdam zutreffend geschrieben. Hinzukommt, dass im Fahrzeugschein das Datum der nächsten Hauptuntersuchung fehlte. Es handelt sich dabei um eine Angabe, die auch für einen privaten Autokäufer von besonderer Wichtigkeit ist, sodass ihr Fehlen Misstrauen erwecken muss. Des Weiteren fehlte im Fahrzeugbrief eine Stelle bei der Postleitzahl der Stadt Wolfsburg. Des Weiteren enthält der Brief kein Ausstellungsdatum. Hierauf konnte das Augenmerk schon deshalb schnell fallen, weil diese Seite des Fahrzeugbriefs nur wenige weitere Eintragungen aufweist. Wenn diese Umstände nicht aufgefallen sind, kann, obwohl die Fahrzeugpapiere sowohl am 19.03. als auch am 20.03.2000 vorlagen, nicht von einer hinreichenden Prüfung der Klägerin ausgegangen werden. Die genannten Faktoren, verbunden mit dem Erwerb von einer jedenfalls nicht bekannten Person zu einem äußerst günstigen Preis, verpflichteten die Klägerin zu weiteren Nachforschungen.
Die Klägerin hat nach Ansicht des Senats keine hinreichenden Umstände dargelegt, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten. Dass sie unter Anspannung gestanden haben will, entbindet nicht von den genannten Prüfungspflichten. Auch konnte die Klägerin angesichts der Vorlage von Originaldokumenten und – stempeln sich nicht über die Verdachtsgründe hinwegsetzen. Eine gegenteilige Sichtweise würde dazu führen, dass ein potenzieller Erwerber von jeglicher Überprüfung der Dokumente entbunden wäre, wenn nur der Schein der Echtheit hinreichend erweckt wird. Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf stützen, dass die Polizeibeamten erst nach vierzig Minuten die Fehlerhaftigkeit der Papiere festgestellt haben mögen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die oben dargelegten Umstände solche sind, die für einen möglichen Erwerber von besonderer Bedeutung sind, hingegen für die mit der Aufklärung von Straftaten beschäftigten Polizeibeamten lediglich einen Teil zu überprüfender Angaben darstellen …