Eine wegen Diebstahlverdachts nach § 94 I StPO vorgenommene Sicherstellung eines Gebrauchtwagens kann ein Rechtsmangel sein, wenn sie zu einem dauerhaften Entzug des Fahrzeugs führt. In diesem Fall kann der Käufer allerdings grundsätzlich nicht sofort vom Kaufvertrag zurücktreten. Vielmehr ist ein Rücktritt im Regelfall erst wirksam, nachdem der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine Frist gesetzt hat, um für die Freigabe des Fahrzeugs zu sorgen und es gegebenenfalls vom – vermeintlich – wahren Eigentümer zu erwerben.

LG Bielefeld, Urteil vom 19.05.2011 – 9 O 205/10
(nachfolgend: OLG Hamm, Urteil vom 29.03.2012 – I-28 U 150/11)

Sachverhalt: Unter dem 22.07./28.07.2008 veräußerte der Beklagte an den Ehemann der Klägerin einen gebrauchte Ford Fiesta 1.4 TDCi. Der Kaufpreis betrug 6.200 €. Der Beklagte verwendete ein vorgefertigtes Kaufvertragsformular, welches mit „Verbindliche Bestellung für gebrauchte Kraftfahrzeuge und Anhänger“ überschrieben war. Dieses Formular, in dem auch auf die umseitig abgedruckten Geschäftsbedingungen des Beklagten hingewiesen wird, unterzeichnete der Ehemann der Klägerin.

In den Geschäftsbedingungen des Beklagten heißt es unter „VI. Sachmangel“: „Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung des Kaufgegenstandes.“

Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs war ursprünglich die Firma T. Unter dem 22.12.2009 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Bonn das Fahrzeug, den Fahrzeugschein und den Fahrzeugbrief.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 06.04.2010 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung zur Rückzahlung des Kaufpreises auf. Der Ehemann der Klägerin trat am 27.10.2010 sämtliche ihm aus dem Kaufvertrag zustehenden Ansprüche gegen den Beklagten an die Klägerin ab. Diese nahm die Abtretung an.

Die Klägerin behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei der T gestohlen worden. Sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.200 € nebst Zinsen zu zahlen und sie von der Verpflichtung, Rechtsanwaltskosten in Höhe von 507,50 € netto (603,93 € brutto) freizustellen. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus abgetretenen Recht aus §§ 437 Nr. 3, 435, 311a I, 398 BGB nicht zu. Es kann dahinstehen, ob es dem Beklagten tatsächlich unmöglich war, seine kaufvertragliche Verpflichtung, der Klägerin bzw. dem Ehemann der Klägerin Eigentum an dem Fahrzeug zu verschaffen, zu erfüllen, und ob der Beklagte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass es sich möglicherweise um ein gestohlenes Fahrzeug handelt, da etwaige Gewährleistungsrechte der Klägerin verjährt sind.

Die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung ist nicht verspätet. Die Einrede ist zuzulassen, da ihre Erhebung und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Parteien unstreitig sind und nach freier Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.

Die Geschäftsbedingungen, auf die unstreitig in der seitens des Ehemannes der Klägerin unterschriebenen Bestellung vom 22.07.2008 Bezug genommen wird, regeln in Ziffer VI. Nr. 1 wirksam die Verjährung von Sachmängelansprüchen innerhalb eines Jahres ab Ablieferung des Kaufgegenstands. Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte unstreitig am 28.07.2008. Die Klage ist mithin nicht mehr vor Eintritt der Verjährung erhoben worden. Die Verjährung konnte auch nicht durch das Führen von Verhandlungen i. S. des § 203 BGB rechtzeitig gehemmt werden. Unstreitig hat die Klägerin erstmalig mit anwaltlichen Schreiben vom 06.04.2010 und damit zu einem Zeitpunkt, in dem bereits Verjährung eingetreten war, entsprechende Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend gemacht …

Hinweis: Die Berufung der Klägerin hat das OLG Hamm mit Urteil vom 29.03.2012 – I-28 U 150/11 – zurückgewiesen. In der Entscheidung heißt es unter anderem:

„II. … Zwar hat das Landgericht die Klage mit unzutreffender Begründung abgewiesen, weil es auf die vom Beklagten formularmäßig auf ein Jahr verkürzte Verjährungsfrist für Sachmängel abgestellt hat. Um einen Sachmangel geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Im Ergebnis erweist sich das angefochtene Urteil aber als richtig, ohne dass es auf die Frage der Anspruchsverjährung ankommt.

1. Die Klägerin macht (aus gemäß § 398 BGB abgetretenem Recht ihres Ehemannes) ohne Erfolg einen Schadensersatzanspruch statt der (ganzen) Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 311a II 1 Fall 1 BGB geltend. Der Anspruch setzt unter anderem voraus, dass das Fahrzeug dem Voreigentümer, dem Autohaus T, entwendet worden ist und der Beklagte dem Ehemann der Klägerin das Eigentum nicht verschaffen konnte (§§ 275 I, 929, 935 BGB).

a) Ein Diebstahl des Fahrzeugs steht jedoch nicht fest. Es ist ebenso möglich, dass das Fahrzeug mit dem Willen des Autohauses T in den Verkehr gegeben worden ist. Dafür spricht der Umstand, dass es an einen „Kunden“ zum Zwecke der Probefahrt übergeben worden sein soll, ohne dessen Personalien festzuhalten; bereits das ist lebensfremd. Gegen einen Diebstahl spricht auch der weitere Umstand, dass das Verschwinden des Fahrzeugs über Wochen unbeachtet geblieben sein soll; die Tatzeit konnte von der Firma T nur sehr vage angegeben werden. Für einen vorgetäuschten Diebstahl kann auch sprechen, dass die (vermeintliche) Tat am 21.04.2005 angezeigt wurde und das Fahrzeug einen Tag später, nämlich 22.04.2005, wieder in den Verkehr gelangte, nunmehr mit einer manipulierten Fahrzeugidentitätsnummer. Da über das Vermögen des Autohauses wenige Monate später das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist ein Motiv denkbar, Vermögen beiseitezuschaffen.

b) Die Frage, ob der Beklagte die Verschuldensvermutung des § 311a II 2 BGB entkräftet hat, weil er keinen Anlass zur Prüfung hatte, ob die Fahrzeugidentitätsnummer manipuliert war, ist vor diesem Hintergrund nicht entscheidungserheblich.

2. Ein Schadensersatzanspruch wegen eines Rechtsmangels (§§ 437 Nr. 3, 281433 I 2, 435 BGB) bzw. ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsmangels (§§ 437 Nr. 2, 435, 323, 346 III Nr. 3 BGB) besteht ebenfalls nicht.

a) Die (behauptete) Nichtverschaffung des Eigentums stellt grundsätzlich keinen Rechtsmangel i. S. von § 435 BGB dar. Die Pflicht zur Verschaffung des Eigentums ergibt sich schon aus § 433 I 1 BGB, nicht erst aus § 433 I 2 BGB. Die Nichterfüllung einer Hauptleistungspflicht stellt nicht zugleich einen Mangel dar (BGH, Urt. v. 19.10.2007 – V ZR 211/06, BGHZ 174, 61 Tz. 27; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 392). Es handelt sich um einen Fall der Nichterfüllung (Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 435 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 435 Rn. 1). Der Verkauf eines gestohlenen Fahrzeugs fällt nicht unter die Rechtsmängelhaftung (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 4651, 4764).

b) Die Klägerin kann die Klage auch nicht darauf stützen, dass das Fahrzeug am 22.12.2009 gemäß § 94 StPO polizeilich sichergestellt wurde und später auf Anordnung der Staatsanwaltschaft an den Insolvenzverwalter des Autohauses herausgegeben wurde, der es verwerten ließ.

aa) Unter den Begriff der Rechte Dritter i. S. des § 435 Satz 1 BGB fallen zwar auch öffentlich-rechtliche Befugnisse wie eine staatliche Sicherstellung bzw. Beschlagnahme, sofern diese tatsächlich ausgeübt wird, zu Recht erfolgt und den Verfall oder die Einziehung der Sache zur Folge haben kann (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [unter II 1] m. w. Nachw.). Dies gilt auch für Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, die auf § 111b StPO gestützt sind, und auch für solche Maßnahmen, die sowohl auf § 111b StPO als auch auf § 94 StPO gestützt sind (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [unter II 2]). Die Sicherstellung des Fahrzeugs diente im Streitfall indes nicht zum Zweck des Verfalls oder der Einziehung, sondern nur zu Beweiszwecken.

bb) Der BGH hat in dem vorgenannten Urteil offenlassen können, ob eine lediglich nach § 94 StPO vorgenommene Sicherstellung der verkauften Sache als Beweismittel einen Rechtsmangel darstellen kann (Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [unter II 2]). Dies wird überwiegend verneint (siehe Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 435 Rn. 13 m. w. Nachw.; anders Erman/Grunewald, a. a. O., § 435 Rn. 10). Die überwiegende Meinung führt an, dass die Eigentümerposition des Käufers nicht beeinträchtigt werde; eine vorübergehende Entziehung der Sache nach Gefahrübergang sei allgemeines Lebensrisiko des Käufers. Für einen Rechtsmangel könnte vor diesem Hintergrund allerdings unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles der Gesichtspunkt sprechen, dass die Sicherstellung gemäß § 94 I StPO im Ergebnis gleichwohl zu einem dauerhaften Entzug des Fahrzeugs geführt hat. Dies kann jedoch auf sich beruhen.

cc) Denn weder der Ehemann der Klägerin noch diese selbst haben den Beklagten zur Nacherfüllung aufgefordert (§ 439 I BGB). Davon hängt nicht nur der Rücktritt vom Kaufvertrag, sondern auch ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ab (siehe § 323 BGB und § 281 BGB). Auch in dem anwaltlichen Aufforderungsschreiben vom 06.04.2010 ist dies unterblieben; vielmehr forderte die Klägerin sogleich Rückzahlung des Kaufpreises. Die Klägerin bzw. ihr Ehemann hätte dem Beklagten jedoch eine Nachfrist setzen müssen, um für die Freigabe des Fahrzeugs zu sorgen und es gegebenenfalls vom – vermeintlich – wahren Eigentümer zu erwerben. Eine Fristsetzung war nicht entbehrlich.

(1) Nacherfüllung war nicht unmöglich (§ 326 V BGB). Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich der Diebstahlsverdacht bestätigt und der wahre Eigentümer nicht zum Verkauf bereit ist (Wertenbruch, ZGS 2004, 367 [369]). So war es hier nicht, denn der Insolvenzverwalter hat das Fahrzeug verwerten lassen. Das zeigt, dass er zum Verkauf bereit gewesen wäre.

(2) Eine Nacherfüllungsaufforderung war der Klägerin nicht unzumutbar (§§ 323 II Nr. 3, 440 Satz 1 Fall 2 BGB). Das wäre zwar möglicherweise anzunehmen, wenn der Beklagte an einer Straftat beteiligt gewesen wäre oder er beim Verkauf arglistig getäuscht hätte. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Klägerin macht das auch nicht geltend.

(3) Es liegt keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung i. S. von §§ 281 II, 323 II Nr. 1 BGB vor. Der Beklagte hat vorprozessual mit Anwaltsschreiben vom 05.05.2010 lediglich um eine Überlegungsfrist gebeten und sich dann nicht mehr gemeldet. Daran liegt keine Erfüllungsverweigerung (zu deren Voraussetzungen siehe BGH, Urt. v. 21.12.2005 – VIII ZR 49/05, NJW 2006, 1195 Tz. 25; Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, NJW 2010, 1956 Tz. 22). Das Prozessverhalten des Beklagten ist im Übrigen zulässige Rechtsverteidigung …

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