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Art. 10 II lit. l und Art. 14 I Unterabs. 2 lit. b der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates sind dahin auszulegen, dass die in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird, und zwar so lange nicht, bis diese Information dem Verbraucher ordnungsgemäß mitgeteilt wird.
- Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG ist dahin auszulegen, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, wirksam den Einwand geltend zu machen, dass der Verbraucher aufgrund seines Verhaltens zwischen dem Abschluss des Vertrags und der Ausübung des Widerrufsrechts oder sogar nach dessen Ausübung das in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe, wenn die von Art. 10 II lit. l dieser Richtlinie geforderte Angabe des zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltenden Verzugszinssatzes in Form eines konkreten Prozentsatzes nicht in dem Kreditvertrag enthalten war und auch später nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde.
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Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG ist im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der sich bei einem widerrufenen Kreditvertrag, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird, sofern diese Berechnungsmethode Faktoren einschließt, die mit der Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher nichts zu tun haben.
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Die Richtlinie 2008/48/EG ist dahin auszulegen, dass sie keine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Folgen vornimmt, die sich daraus ergeben, dass der Verbraucher sein Recht auf Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrags ausübt.
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Art. 14 1 der Richtlinie 2008/48/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der der Verbraucher nach dem Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, für den Zeitraum zwischen der Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber oder den Verkäufer den im Kreditvertrag vereinbarten Sollzins zu zahlen hat, nicht entgegensteht.
EuGH (Vierte Kammer), Urteil vom 30.10.2025 – C-143/23 (KI, FA/Mercedes-Benz Bank AG, Volkswagen Bank GmbH)
Das vorliegende Urteil betrifft die Auslegung von Art. 10 II lit. l und Art. 14 I und III lit. b der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008 L 133, 66). Es ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen KI und der Mercedes-Benz Bank AG beziehungsweise zwischen FA und der Volkswagen Bank GmbH über die Gültigkeit des von KI und FA erklärten Widerrufs der Kreditverträge, die sie in ihrer Eigenschaft als Verbraucher mit diesen Banken geschlossen hatten.
Sachverhalt: Gemäß ihren Kreditanträgen vom 01.03.2019 beziehungsweise vom 30.11.2017 schlossen KI und FA mit der Mercedes-Benz Bank AG beziehungsweise mit der Volkswagen Bank GmbH Kreditverträge zum Zweck des Kaufs eines Kraftfahrzeugs zur privaten Nutzung. Die gewährten Kredite beliefen sich im Fall von KI auf 29.500 € und im Fall von FA auf 35.300 €.
Beim Abschluss der Kreditverträge handelten die Fahrzeughändler, bei denen die Fahrzeuge gekauft wurden, als Kreditvermittler der Mercedes-Benz Bank AG beziehungsweise der Volkswagen Bank GmbH, weshalb die Kreditbeträge unmittelbar an diese Händler ausgezahlt wurden.
In keinem der Kreditverträge war der bei Vertragsschluss geltende Verzugszinssatz zahlenmäßig als Prozentsatz angegeben.
KI und FA leisteten aufgrund ihrer Verträge Anzahlungen und zahlten Kreditraten in Höhe von insgesamt 8.924,48 € beziehungsweise 24.800 €.
Mit Schreiben vom 31.10.2019 beziehungsweise vom 20.07.2020 teilten KI und FA mit, ihr Recht auf Widerruf der Kreditverträge auszuüben. Sie sind der Ansicht, ihre Widerrufe seien wirksam, weil die im deutschen Recht vorgesehene Widerrufsfrist von 14 Tagen wegen fehlerhafter Pflichtangaben in ihren Verträgen nicht zu laufen begonnen habe.
Beide Verbraucher erhoben jeweils Klage beim Landgericht Ravensburg (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, gegen die Mercedes-Benz Bank AG beziehungsweise die Volkswagen Bank GmbH.
KI beantragt im Wesentlichen die Rückzahlung der bis zu seinem Widerruf gezahlten Kreditraten und der an den Vertragshändler geleisteten Anzahlung, insgesamt 8.924,48 €, sowie die Feststellung, dass die Mercedes-Benz Bank AG sich mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befinde. Er beantragt außerdem die Feststellung, dass er keinen Ersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs zu leisten habe und dass er aufgrund des Widerrufs keinen weiteren Betrag aus dem Kreditvertrag schulde, seien es Tilgungsleistungen oder Zinsen.
FA beantragt im Wesentlichen die Rückzahlung der bis zu seinem Widerruf gezahlten Kreditraten und der an den Vertragshändler geleisteten Anzahlung, insgesamt 24.800 €, abzüglich Wertersatzes in Höhe von 24.550 Euro und nebst Zinsen. Er beantragt außerdem die Feststellung, dass er aufgrund des Widerrufs keinen weiteren Betrag aus dem Kreditvertrag schulde, seien es Tilgungsleistungen oder Zinsen, und dass die Volkswagen Bank GmbH. sich mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befinde.
Die Mercedes-Benz Bank AG beantragt die Abweisung der Klage von KI. Sie macht unter anderem die Verfristung des Widerrufs geltend und erhebt den Einwand der unzulässigen Ausübung des Widerrufrechts. Hilfsweise beantragt sie für den Fall, dass KI sein Widerrufsrecht wirksam ausgeübt und damit Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten Beträge habe, festzustellen, dass KI ihr Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs schulde. Darüber hinaus beantragt sie, KI zu verurteilen, ihr Nutzungsersatz in Höhe von 3,92 % pro Jahr auf den jeweils noch offenen Darlehenssaldo für den Zeitraum zwischen der Auszahlung der Darlehensmittel an den Verkäufer und der Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen.
Die Volkswagen Bank GmbH beantragt die Abweisung der Klage von FA und macht insbesondere die Verfristung des Widerrufs geltend.
Das vorlegende Gericht fragt sich daher erstens, ob der Darlehensgeber, wenn der Darlehensnehmer sein Recht auf Widerruf eines Darlehensvertrags ausübt, der mit einem Kaufvertrag über ein Fahrzeug verbunden ist, Wertersatz für den Wertverlust dieses Fahrzeugs verlangen kann und, wenn ja, in welcher Höhe. Es erläutert, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Deutschland) der Darlehensnehmer nach Ausübung seines Widerrufsrechts verpflichtet sei, Ersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs zu leisten, der während des Zeitraums eingetreten sei, in dem er es in Besitz gehabt habe, auch wenn der Verbraucher unvollständig über sein Widerrufsrecht informiert worden sei. Der Bundesgerichtshof habe außerdem entschieden, dass sich dieser Wertersatz so berechne, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen werde. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass diese Berechnungsmethode, die auf zwei unterschiedliche Verkehrswerte gestützt sei, die das Ergebnis von auf unterschiedlichen Märkten erfolgten Transaktionen seien, nämlich auf dem Markt, auf dem Vertragshändler verkauften, und auf dem Markt, auf dem sie einkauften, dem Verbraucher nicht nur den Ersatz für den sich aus der Nutzung des Fahrzeugs ergebenden Wertverlust aufbürde, sondern auch die Kosten für den Weiterverkauf, eine Gewinnmarge sowie die Umsatzsteuer. Diese preiserhöhenden Positionen seien allein durch die Ausübung des Widerrufs bedingt, da sie unabhängig von einer Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher entstünden. Darüber hinaus könne der Betrag des Wertersatzes hoch ausfallen, selbst wenn das Fahrzeug vor der Ausübung des Widerrufsrechts nie angemeldet und benutzt worden sei. Diese Methode ermögliche es dem Darlehensgeber somit, dadurch einen Gewinn zu erzielen, dass er das Fahrzeug zu einem höheren als dem Händlereinkaufspreis weiterverkaufe. Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass diese nationale Rechtsprechung der Effektivität des von der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Widerrufsrechts und dem Grundsatz des Bereicherungsverbots zuwiderlaufen könnte.
Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Richtlinie 2008/48/EG mit ihrem Art. 14 III lit. b Satz 1 eine vollständige Harmonisierung der Verpflichtung des Kreditnehmers zur Zahlung von Zinsen vorgenommen hat, und zwar auch dann, wenn der finanzierte Kredit mit einem Vertrag über den Erwerb von Waren verbunden ist. In der Richtlinie 2008/48/EG sei weder geregelt, wie sich der Widerruf des verbundenen Kreditvertrags auswirke, noch, welche Leistungen die Vertragspartner des finanzierten Vertrags, vorliegend Käufer und Verkäufer, zurückzuerstatten hätten. Es sei allein Sache des nationalen Gesetzgebers, die Folgen der Ausübung des Rechts auf Widerruf eines solchen Kreditvertrags zu regeln. Es dürfte daher anzunehmen sein, dass die Mitgliedstaaten die Rückabwicklung der miteinander verbundenen Verträge nach ihrem Ermessen und auch abweichend von Art. 14 III lit. b Satz 1 der Richtlinie 2008/48/EG gestalten können.
Für den Fall, dass mit der Richtlinie 2008/48/EG keine vollständige Harmonisierung für mit einem Vertrag über die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen verbundene Verträge vorgenommen worden sei, fragt sich das vorlegende Gericht, ob es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG, vereinbar ist, wenn der Kreditnehmer nach Ausübung seines Rechts auf Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Verbraucherkreditvertrags für den Zeitraum zwischen der Auszahlung der Darlehensmittel an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber oder den Verkäufer den in dem Kreditvertrag vereinbarten Sollzins zu zahlen hat. Die nationale Rechtsprechung sei in dieser Frage uneinheitlich. Da zum einen der Verbraucher keine Bereicherung aus der Verwendung des Darlehensbetrags ziehe, da dieser zur Begleichung des Kaufpreises des Fahrzeugs vom Darlehensgeber unmittelbar an den Verkäufer ausgezahlt worden sei, und zum anderen der Verbraucher sein Widerrufsrecht nicht ohne Furcht vor finanziellen Nachteilen ausüben könne, könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts eine Pflicht des Verbrauchers, Sollzinsen zu zahlen, gegen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere das Erfordernis der praktischen Wirksamkeit des Widerrufsrechts, sowie den Grundsatz des Bereicherungsverbots verstoßen.
Drittens stellt sich das vorlegende Gericht Fragen nach der Gültigkeit der in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten erklärten Widerrufe. Aus dem Urteil vom 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, ECLI:EU:C:2021:736 – Volkswagen Bank u. a. – gehe hervor, dass die Widerrufsfrist nur dann zu laufen beginne, wenn der Verzugszinssatz konkret in Form eines Prozentsatzes angegeben werde, und der Bundesgerichtshof sei diesem Urteil gefolgt. Die in diesem Urteil gefundene Lösung sei durch das Urteil vom 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 – BMW Bank u. a.), nicht infrage gestellt worden. Das vorlegende Gericht stellt jedoch fest, dass der Bundesgerichtshof es anders verstanden habe, da er nunmehr davon ausgehe, dass die Widerrufsfrist auch dann zu laufen beginne, wenn der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags anwendbare Sollzinssatz nicht konkret in Form eines Prozentsatzes angegeben werde. Dieses Verständnis habe bei ihm die Zweifel an der Gültigkeit des Widerrufs in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten hervorgerufen.
Viertens und letztens fragt sich das vorlegende Gericht, ob es möglich ist, die Ausübung des in Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Widerrufsrechts als missbräuchlich einzustufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher als missbräuchlich eingestuft werden, wenn der Verbraucher das Fahrzeug weiter nutze, bis die nationalen Gerichte über die Gültigkeit des Widerrufs entschieden hätten, und sich weigere, für den sich aus seiner Nutzung ergebenden Wertverlust Ersatz zu leisten. Diese nationale Rechtsprechung stehe offenbar im Widerspruch zum Urteil vom 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, ECLI:EU:C:2021:736 – Volkswagen Bank u. a. – und zum Urteil vom 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 – BMW Bank u. a., in denen der Gerichtshof entschieden habe, dass die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher gemäß Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG nicht als missbräuchlich angesehen werden könne, wenn der Verzugszinssatz nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes im Kreditvertrag angegeben worden sei.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht Ravensburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist es vereinbar mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG, wenn bei einem widerrufenen Verbraucherkreditvertrag, der mit einem im stationären Handel geschlossenen Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, sich die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des finanzierten Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird?
2. Ist die Regelung des Art. 14 III lit. b Satz 1 der Richtlinie 2008/48/EG für Verbraucherkreditverträge, die mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden sind, vollharmonisierend und daher zwingend für die Mitgliedstaaten?
Falls die Vorlagefrage 2 verneint wird:
3. Ist es vereinbar mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG, wenn der Kreditnehmer nach Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, für den Zeitraum zwischen der Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber (oder den Verkäufer) den vertraglich vereinbarten Sollzins zu zahlen hat?
4. a) Ist Art. 10 II lit. l der Richtlinie 2008/48/EG in Verbindung mit Art. 14 I Unterabs. 2 lit. b der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen, dass die Widerrufsfrist nicht beginnt, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird?
Wenn nein:
b) Ist das Fehlen dieser Angabe geeignet, sich auf die Befähigung eines Durchschnittsverbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre?
5. a) Ist der Einwand des Kreditgebers, dass der Verbraucher aufgrund seines Verhaltens zwischen Vertragsschluss und Ausübung des Widerrufsrechts oder nach dessen Ausübung dieses Recht rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe, ausgeschlossen, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird?
Wenn nein:
b) Kann die Bewertung als rechtsmissbräuchlich insbesondere auf folgende Umstände gestützt werden?
– Der Verbraucher setzt die Nutzung des finanzierten Fahrzeugs bis zur gerichtlichen Klärung der Wirksamkeit des Widerrufs fort.
– Der Verbraucher lehnt es ab, für die Nutzung des Fahrzeugs Wertersatz zu leisten.
Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18.04.2023 ist das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache bis zu der das Verfahren beendenden Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C-38/21, C-47/21 und C-232/21 (BMW Bank u. a.) ausgesetzt worden. Gemäß der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17.12.2023 hat die Kanzlei des Gerichtshofs dem vorlegenden Gericht das Urteil vom 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 – BMW Bank u. a. – zugestellt und es gebeten mitzuteilen, ob es unter Berücksichtigung dieses Urteils sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle. Das vorlegende Gericht hat am 10.04.2024 geantwortet, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalte und es die Hinzufügung weiterer Fragen für erforderlich halte. Nach einer Ergänzung zum Vorabentscheidungsersuchen vom selben Tag, mit dem das vorlegende Gericht zwei zusätzliche Fragen gestellt hat, und zwar die vierte und die fünfte Frage, ist das Verfahren mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 16.04.2024 wieder aufgenommen worden.
Der Europäische Gerichtshof hat die Vorlagefragen wie aus dem Leitsatz ersichtlich beantwortet.
Aus den Gründen: Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
[47] Als Erstes macht die Volkswagen Bank GmbH geltend, die erste Frage sei unzulässig, da das Unionsrecht auf die Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht anwendbar sei. Die Bestimmungen der Richtlinie 2008/48/EG regelten nämlich nicht die Folgen der Ausübung des Rechts auf Widerruf eines mit einem Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen verbundenen Darlehensvertrags. Diese Folgen, insbesondere was die Pflicht des Käufers einer so finanzierten Ware betreffe, Ersatz für deren Wertverlust zu leisten, sowie die Berechnungsmethoden für diesen Ersatz, fielen allein unter das nationale Recht.
[48] Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.11.1978 – 83/78, ECLI:EU:C:1978:214 Rn. 25 – Redmond; Urt. v. 11.01.2024 – C-755/22, ECLI:EU:C:2024:10 Rn. 17 m. w. N. – Nárokuj).
[49] Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die Auslegung des Unionsrechts, um die er ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. EuGH, Urt. v. 07.09.1999 – C-355/97, ECLI:EU:C:1999:391 Rn. 22 – Beck und Bergdorf; Urt. v. 11.01.2024 – C-755/22, ECLI:EU:C:2024:10 Rn. 18 m. w. N. – Nárokuj).
[50] Dies ist in der vorliegenden Rechtssache jedoch nicht der Fall.
[51] Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht nämlich hervor, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeiten, deren tatsächliches Bestehen nicht bestritten wird, zum einen die Frage betreffen, welche Rechtsfolgen die Ausübung des Widerrufsrechts durch die betreffenden Verbraucher im Rahmen von mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Darlehensverträgen hat. Zum anderen betreffen sie die Frage, wann die Widerrufsfrist beginnt, wenn im Kreditvertrag der Verzugszinssatz nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird, und ob das Widerrufsrecht eventuell missbräuchlich ausgeübt wurde.
[52] In diesem Kontext möchte das vorlegende Gericht mit der ersten Frage im Wesentlichen wissen, ob die Methode zur Berechnung eines vom Verbraucher geschuldeten Wertersatzes – wie er von der deutschen Rechtsprechung vorgesehen wird – für den Wertverlust eines Gegenstands, wenn er dieses Widerrufsrecht ausübt, mit Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG vereinbar ist. Diese Bestimmung, deren Auslegung die erste Frage betrifft, regelt das Widerrufsrecht des Verbrauchers.
[53] Somit ist nicht offensichtlich, dass die mit dieser Frage erbetene Auslegung der Richtlinie 2008/48/EG in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten steht oder dass das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist. Der Einwand der Unanwendbarkeit dieser Bestimmung auf das Ausgangsverfahren betrifft daher vorliegend nicht die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, sondern den Inhalt der Fragen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 24.02.2022 – C-389/20, ECLI:EU:C:2022:120 Rn. 31 m. w. N. – TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten]).
[54] Damit ist die erste Frage zulässig.
[55] Als Zweites bestreitet die Mercedes-Benz Bank AG die Zulässigkeit der vierten und der fünften Frage. Sie trägt zum einen vor, dass das Urteil vom 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 – BMW Bank u. a. – darauf bereits eine Antwort gegeben habe, und zum anderen, dass das vorlegende Gericht die auf die Bestimmungen der Richtlinie 2008/48/EG, wie sie mit diesem Urteil ausgelegt worden seien, gestützte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infrage stellen wolle. Hierzu macht die Mercedes-Benz Bank AG geltend, dass das vorlegende Gericht gestützt auf seine eigene Auslegung dieser Bestimmungen damit die in diesem Urteil enthaltenen Feststellungen des Gerichtshofs infrage stellen wolle.
Vorliegend ersucht das vorlegende Gericht mit seiner vierten und seiner fünften Frage den Gerichtshof um die Auslegung von Art. 10 II lit. l der Richtlinie 2008/48/EG betreffend die Notwendigkeit, den Satz der Verzugszinsen im Kreditvertrag anzugeben, und von Art. 14 I dieser Richtlinie betreffend die Frage, ab wann die 14-tägige Widerrufsfrist zu laufen beginnt. Diese beiden Fragen beziehen sich darauf, wann die Widerrufsfrist beginnt und ob die Ausübung des Widerrufsrechts als missbräuchlich eingestuft werden kann.
[57] Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die innerstaatlichen Gerichte selbst bei Vorliegen einer Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der betreffenden Rechtsfrage das unbeschränkte Recht zur Vorlage an den Gerichtshof behalten, wenn sie es für angebracht halten, ohne dass der Umstand, dass die Bestimmungen, um deren Auslegung ersucht wird, vom Gerichtshof bereits ausgelegt worden sind, einer neuerlichen Entscheidung des Gerichtshofs entgegenstünde (EuGH, Urt. v. 06.10.2021 – C-561/19, ECLI:EU:C:2021:799 Rn. 37 m. w. N. – Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi).
[58] Sodann lässt sich die in Randnummer 49 des vorliegenden Urteils genannte Vermutung der Entscheidungserheblichkeit nicht durch den bloßen Umstand widerlegen, dass eine der Parteien des Ausgangsverfahrens die vom vorlegenden Gericht vorgenommene Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften bestreitet, und zwar auch dann nicht, wenn diese bereits vom Gerichtshof ausgelegt wurden (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 20.09.2018 – C-51/17, ECLI:EU:C:2018:750 Rn. 41 – OTP Bank und OTP Faktoring).
[59] Schließlich muss es einem Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, freistehen, dem Gerichtshof die Fragen vorzulegen, die sich ihm stellen, insbesondere wenn es der Ansicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung eines übergeordneten Gerichts zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte (vgl. EuGH, Urt. v. 16.01.1974 – 166/73, ECLI:EU:C:1974:3 Rn. 4 – Rheinmühlen-Düsseldorf; Urt. v. 18.05.2021 – C-83/19, C-127/19, C-195/19, C-291/19, C-355/19 und C-397/19, ECLI:EU:C:2021:393 Rn. 133 m. w. N. – Asocia?ia „Forumul Judec?torilor din România“ u. a.).
[60] Infolgedessen sind die vierte und die fünfte Frage ebenfalls zulässig.
Zur Beantwortung der Fragen
[61] In einem ersten Schritt sind die vierte und die fünfte Frage zu prüfen, da sie sich darauf beziehen, wann die Widerrufsfrist beginnt, wenn es um mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundene Kreditverträge geht, und ob die Ausübung des Widerrufsrechts als missbräuchlich eingestuft werden kann. Die Fragen 1 bis 3, die im Wesentlichen die Folgen des Widerrufs betreffen, werden in einem zweiten Schritt geprüft werden.
Zur vierten Frage
[62] Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 II lit. l und Art. 14 I Unterabs. 2 lit. b der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen sind, dass die in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsfrist nur dann zu laufen beginnt, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Verzugszinssatz in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird. Wenn diese Frage verneint wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Fehlen dieser Angabe geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre.
[63] Nach Art. 14 I Unterabs. 2 lit. b der Richtlinie 2008/48/EG beginnt die Widerrufsfrist von 14 Tagen erst an dem Tag, an dem der Verbraucher unter anderem die Informationen gemäß Art. 10 der Richtlinie erhalten hat, sofern dieser nach dem Tag des Abschlusses des Kreditvertrags liegt.
[64] Nach Art. 10 II lit. l der Richtlinie 2008/48/EG sind im Kreditvertrag der Satz der Verzugszinsen gemäß der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags geltenden Regelung und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten anzugeben.
[65] Das durch die Richtlinie 2008/48/EG geschaffene Schutzsystem beruht auf der Vorstellung, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Unternehmer in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Unternehmer vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 259 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[66] Es ist für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung, dass er vor und bei Abschluss des Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insbesondere auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Unternehmer vorformulierten Bedingungen binden möchte (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 260 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[67] Insoweit trägt die in Art. 10 II der Richtlinie 2008/48/EG aufgestellte Informationspflicht zur Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels bei, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 7 und 9 ergibt, darin besteht, in Bezug auf Verbraucherkredite in einigen Schlüsselbereichen eine vollständige und obligatorische Harmonisierung vorzusehen, die als notwendig erachtet wird, um für alle Verbraucher in der Europäischen Union ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 262 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[68] Aus Art. 10 II der Richtlinie 2008/48/EG ergibt sich nämlich im Licht ihres 31. Erwägungsgrundes, dass das Gebot, in Kreditverträgen auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger die in dieser Vorschrift benannten Punkte in klarer, prägnanter Form anzugeben, erforderlich ist, damit der Verbraucher seine Rechte und Pflichten zur Kenntnis nehmen kann. Für die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung und insbesondere für die Ausübung dieser Rechte ist es erforderlich, dass er die Punkte, die der Kreditvertrag zwingend enthalten muss, kennt und gut versteht (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 263 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[69] Falls sich eine dem Verbraucher vom Kreditgeber gemäß Art. 10 II der Richtlinie 2008/48/EG erteilte Information als unvollständig oder fehlerhaft erweist, beginnt die Widerrufsfrist somit nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 265 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[70] Eine Situation, in der eine unvollständige oder fehlerhafte Information erteilt wurde, ist allerdings von einer Situation zu unterscheiden, in der die erforderliche Information fehlt (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 264 – BMW Bank u. a.).
[71] Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass in keinem der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditverträge der bei Vertragsschluss geltende Verzugszinssatz konkret in Form eines Prozentsatzes angegeben war. Ebenso wenig geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass den betreffenden Verbrauchern diese Information nach Abschluss dieser Verträge mitgeteilt worden wäre.
[72] In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Pflicht, gemäß Art. 10 II lit. l der Richtlinie 2008/48/EG im Kreditvertrag den konkreten Verzugszinssatz in Form eines Prozentsatzes anzugeben, dem Verbraucher ermöglicht, die Konsequenzen seines eventuellen Zahlungsverzugs in Erfahrung zu bringen. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass in einem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu beschreiben ist (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, ECLI:EU:C:2021:736 Rn. 92, 95 – Volkswagen Bank u. a.).
[73] Die Angabe des bei Zahlungsverzug geltenden Zinssatzes in Form eines konkreten Prozentsatzes erweist sich im Rahmen eines Kreditvertrags unerlässlich, damit der Verbraucher den Umfang seines vertraglichen Engagements abschätzen kann, insbesondere was die finanziellen Folgen betrifft, die sich aus einem Verstoß gegen seine Zahlungspflicht oder einem Zahlungsverzug ergeben können. Diese Information kann daher nicht nur die Entscheidung des Verbrauchers beeinflussen, den Vertrag abzuschließen, sondern auch seine Fähigkeit, die Rückzahlung des aufgenommenen Kredits zu organisieren.
[74] Wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags geltende Verzugszinssatz nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben ist, beginnt die in diesem Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehene Widerrufsfrist infolgedessen nicht zu laufen, bevor diese Information dem Verbraucher mitgeteilt wurde (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, ECLI:EU:C:2021:736 Rn. 117 – Volkswagen Bank u. a.).
[75] Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 10 II lit. l und Art. 14 I Unterabs. 2 lit. b der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen sind, dass die in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird, und zwar so lange nicht, bis diese Information dem Verbraucher ordnungsgemäß mitgeteilt wird.
Zur fünften Frage
[76] Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, wirksam den Einwand geltend zu machen, dass der Verbraucher aufgrund seines Verhaltens zwischen dem Abschluss des Vertrags und der Ausübung des Widerrufsrechts oder sogar nach dessen Ausübung das in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe, wenn in dem Kreditvertrag unter Verstoß gegen Art. 10 II lit. l dieser Richtlinie der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Verzugszinssatz nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben ist. Wenn diese Frage verneint wird, möchte dieses Gericht wissen, ob die Einstufung als Rechtsmissbrauch darauf gestützt werden kann, dass der Verbraucher das Fahrzeug weiter nutzt, bis die nationalen Gerichte über die Gültigkeit des Widerrufs entschieden haben, und sich weigert, für den Wertverlust des Fahrzeugs Ersatz zu leisten.
[77] In diesem Zusammenhang ist als Erstes festzustellen, dass die Richtlinie 2008/48/EG keine Bestimmungen enthält, die die Frage des Missbrauchs der Rechte, die dem Verbraucher nach der Richtlinie zustehen, durch ihn regeln (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 280 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[78] Nach ständiger Rechtsprechung gibt es jedoch im Unionsrecht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach sich die Bürger nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf unionsrechtliche Normen berufen dürfen (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 281 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[79] Die Beachtung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist zwingend. Die Anwendung der Unionsregelung kann nämlich nicht so weit reichen, dass Vorgänge geschützt werden, die dazu dienen, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss im Unionsrecht vorgesehener Vorteile zu gelangen (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 282 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[80] Aus diesem Grundsatz folgt somit, dass ein Mitgliedstaat die Inanspruchnahme von Bestimmungen des Unionsrechts versagen muss – auch wenn das nationale Recht keine Bestimmungen enthält, die eine solche Versagung vorsehen –, falls sie von einer Person nicht geltend gemacht werden, um die Ziele der Bestimmungen zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu gelangen, obwohl die im Unionsrecht aufgestellten objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils lediglich formal erfüllt sind (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 283 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[81] Als Zweites setzt nach gefestigter Rechtsprechung die Feststellung eines Missbrauchs zum einen eine Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 285 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[82] Letztlich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das Vorliegen einer missbräuchlichen Praxis in den bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu prüfen und dabei alle Tatsachen und Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich derjenigen aus der Zeit nach dem Vorgang, dessen missbräuchlicher Charakter geltend gemacht wird (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 286 m. w. N. – BMW Bank u. a.). Der Gerichtshof kann dem nationalen Gericht jedoch eine Richtschnur für seine Beurteilung geben.
[83] Hierzu geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Kreditgeber nicht aufgrund dessen, dass zwischen dem Vertragsschluss und der Ausübung des in Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Widerrufsrechts durch den Verbraucher erhebliche Zeit vergangen ist, einen Rechtsmissbrauch annehmen darf, wenn eine der in Art. 10 II der Richtlinie vorgesehenen Pflichtangaben weder im Kreditvertrag enthalten war noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, ECLI:EU:C:2021:736 Rn. 127 – Volkswagen Bank u. a.).
[84] Folglich kann sich ein Kreditgeber nicht auf eine missbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts berufen, wenn im Kreditvertrag der zum Zeitpunkt seines Abschlusses geltende Verzugszinssatz, der zu den verpflichtenden Angaben gehört, nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben ist. Wie aus Randnummer 75 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hat die Widerrufsfrist in einem solchen Fall nämlich nicht begonnen.
[85] Nach alledem ist auf den ersten Teil der fünften Frage zu antworten, dass Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, wirksam den Einwand geltend zu machen, dass der Verbraucher aufgrund seines Verhaltens zwischen dem Abschluss des Vertrags und der Ausübung des Widerrufsrechts oder sogar nach dessen Ausübung das in diesem Art. 14 I vorgesehene Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe, wenn die von Art. 10 II lit. l dieser Richtlinie geforderte Angabe des zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltenden Verzugszinssatzes in Form eines konkreten Prozentsatzes nicht in dem Kreditvertrag enthalten war und auch später nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde.
Zur ersten Frage
[86] Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der sich bei einem widerrufenen Kreditvertrag, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird.
[87] Nach Art. 3 lit. n der Richtlinie 2008/48/EG wird ein „verbundener Kreditvertrag“ als Kreditvertrag definiert, bei dem der betreffende Kredit ausschließlich der Finanzierung eines Vertrags über unter anderem die Lieferung von Waren dient, sofern die beiden Verträge objektiv betrachtet eine wirtschaftliche Einheit bilden.
[88] Vorliegend geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditverträge dem Kauf von Kraftfahrzeugen zum privaten Gebrauch dienten. Ebenfalls geht daraus hervor, dass die Kredite direkt an die Fahrzeughändler ausgezahlt wurden, bei denen die Fahrzeuge gekauft wurden. Infolgedessen fallen diese Verträge unter den Begriff „verbundene Kreditverträge“ im Sinne von Art. 3 Buchst. n der Richtlinie 2008/48/EG.
[89] Nach Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG kann der Verbraucher den Kreditvertrag innerhalb von 14 Kalendertagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Richtlinie 2008/48/EG enthält jedoch keine Bestimmungen darüber, welche Folgen der Widerruf eines verbundenen Kreditvertrags durch den Verbraucher für den Vertrag über die Lieferung von Waren hat. Überdies heißt es im 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass sie unbeschadet anderer Vorschriften der Mitgliedstaaten gelten sollte, die die Rückgabe der durch den Kredit finanzierten Waren oder damit zusammenhängende Fragen regeln (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 302 – BMW Bank u. a.).
[90] Mangels einschlägiger spezifischer Vorschriften des Unionsrechts sind die Modalitäten der Umsetzung des in dieser Richtlinie vorgesehenen Verbraucherschutzes nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige innerstaatliche Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der durch die Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 303 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[91] Zu dem in der vorliegenden Rechtssache allein relevanten Effektivitätsgrundsatz ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 304 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[92] Somit dürfen die nationalen Bestimmungen – und die sie gegebenenfalls umsetzende nationale Rechtsprechung – zur Regelung der Frage, welche Folgen der Widerruf eines mit einem Vertrag über die Lieferung von Waren verbundenen Kreditvertrags durch den Verbraucher hat, die Wirksamkeit und die Effektivität des in Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Widerrufsrechts nicht beeinträchtigen.
[93] Vorliegend geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen erstens hervor, dass der Verbraucher nach § 357 VII BGB Wertersatz für einen Wertverlust der Ware zu leisten hat, wenn der Wertverlust auf einen Umgang mit der Ware zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware nicht notwendig war, und der Unternehmer den Verbraucher über dessen Widerrufsrecht unterrichtet hat. Zweitens berechnet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dieser Wertersatz unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens so, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird.
[94] Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts beruht diese Berechnungsmethode auf verschiedenen Verkehrswerten, die das Ergebnis von Transaktionen auf verschiedenen Märkten sind, und zwar zum einen dem Markt, auf dem Vertragshändler verkaufen, und zum anderen dem Markt, auf dem sie einkaufen. Diesen Angaben zufolge belastet diese Methode den Verbraucher nicht nur mit dem Wertersatz für den Wertverlust infolge der Nutzung der Ware, sondern auch mit den Kosten des Weiterverkaufs, einem Gewinnaufschlag und der Umsatzsteuer. Es handele sich nämlich um Belastungen, die der Ausübung des Widerrufsrechts immanent seien und unabhängig von einer Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher entstünden. Dies laufe darauf hinaus, dem Verbraucher eine Ersatzpflicht für die bloße Ausübung des Widerrufsrechts aufzuerlegen. Daraus folge, dass der Betrag des Wertersatzes hoch ausfallen könne, und zwar auch dann, wenn das Fahrzeug vor der Ausübung des Widerrufsrechts nie angemeldet und benutzt worden sei.
[95] Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof bereits zu dem von der Richtlinie 97/7/EG vorgesehenen Widerrufsrecht bei einem Fernabsatzvertrag entschieden hat, dass die den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen, unter Beachtung der Zielsetzung dieser Richtlinie auszuüben ist und nicht die Wirksamkeit und die Effektivität dieses Rechts beeinträchtigen darf. Dies wäre jedoch der Fall, wenn die Höhe eines vom Verbraucher dem Kreditgeber bei Rückgabe der Ware geschuldeten Wertersatzes außer Verhältnis zum Kaufpreis dieser Ware stünde (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – C-489/07, ECLI:EU:C:2009:502 Rn. 27 – Messner).
[96] Diese Auslegung gilt auch für die Richtlinie 2008/48/EG. Ebenso wie die Richtlinie 97/7/EG, in deren 14. Erwägungsgrund es hieß, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen, räumt nämlich die Richtlinie 2008/48/EG den Mitgliedstaaten einen Beurteilungsspielraum ein, da sie es ihnen, wie bereits in Randnummer 89 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde, überlässt, die Rückgabe der durch den Kredit finanzierten Ware oder andere damit zusammenhängende Fragen zu regeln. Wie aus Randnummer 92 des vorliegenden Urteils hervorgeht, verlangt der Grundsatz der Effektivität zudem, dass die nationalen Bestimmungen, die die Folgen der Ausübung des Widerrufsrechts regeln, die Wirksamkeit und die Effektivität dieses Rechts nicht derart beeinträchtigen, dass die Ausübung dieses Rechts praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.
[97] Ob der Wertersatz, der dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts abverlangt werden kann, verhältnismäßig ist, ist nach einer eingehenden Prüfung zu beurteilen, wie der betreffende Gegenstand tatsächlich genutzt wurde und in welchem Zustand sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Rückgabe befand, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige sich aus dieser Nutzung ergebende mechanische Abnutzung oder ästhetische Veränderung. Die bloße Tatsache, dass der so berechnete Wertersatz im Vergleich zu dem vom Verbraucher bezahlten Kaufpreis hoch ausfallen kann, kann als solche nicht für die Feststellung dienen, dass dieser Wertersatz unverhältnismäßig ist und dass die Methode zur Berechnung dieses Wertersatzes die Ausübung des Widerrufsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, sofern die Höhe dieses Wertersatzes objektiv den tatsächlichen Wertverlust des Fahrzeugs, der sich aus seiner Nutzung durch den Verbraucher und aus seinem Zustand zum Zeitpunkt seiner Rückgabe ergibt, widerspiegelt.
[98] Vorbehaltlich der Prüfungen, die das vorlegende Gericht vornehmen muss, ist jedoch davon auszugehen, dass eine Berechnungsmethode, die nur auf den Preisunterschied zwischen Kauf- und Wiederverkaufspreis des Fahrzeugs gestützt ist und einseitig vom Fahrzeughändler bestimmte Faktoren, die nichts mit der Nutzung des Fahrzeugs zu tun haben, wie zum Beispiel Gewinnspannen und Kosten für den Weiterverkauf, sowie die Umsatzsteuer einschließt, nicht ermöglicht, den sich aus der Nutzung durch den Verbraucher ergebenden Wertverlust zu bewerten. Wie das vorlegende Gericht ausführt, treten diese Faktoren außerdem selbst dann auf, wenn das Fahrzeug vor der Ausübung des Widerrufsrechts nie angemeldet und benutzt worden ist. Diese Methode scheint somit dem Verbraucher eine Belastung aufzuerlegen, die sich ausschließlich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergibt.
[99] Infolgedessen kann eine Methode zur Berechnung des Wertersatzes für den Wertverlust einer Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu Wertersatz in einer Höhe führen, die außer Verhältnis zum Kaufpreis dieser Ware steht, und die Ausübung des Widerrufsrechts praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
[100] Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der sich bei einem widerrufenen Kreditvertrag, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird, sofern diese Berechnungsmethode Faktoren einschließt, die mit der Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher nichts zu tun haben.
Zur zweiten Frage
[101] Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2008/48/EG im Hinblick auf ihren Art. 14 III lit. b Satz 1 dahin auszulegen ist, dass sie eine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Folgen vornimmt, die sich daraus ergeben, dass der Verbraucher sein Recht auf Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrags ausübt.
[102] Hierzu ist erstens festzustellen, dass aus Art. 22 I der Richtlinie 2008/48/EG, ausgelegt im Licht ihrer Erwägungsgründe 9 und 10, hervorgeht, dass die Richtlinie eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge vornimmt und, wie sich aus der Überschrift von Art. 22 ergibt, unabdingbar ist. Folglich ist es den Mitgliedstaaten in den spezifisch von dieser Harmonisierung erfassten Bereichen nicht gestattet, von der Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 295 m. w. N. – BMW Bank u. a.).
[103] Art. 2 I der Richtlinie 2008/48/EG sieht vor, dass diese für Kreditverträge gilt, und „verbundene Kreditverträge“ gehören zur Kategorie „Kreditverträge“, wie aus Art. 3 lit. n dieser Richtlinie hervorgeht, dessen Wortlaut in Randummer 87 des vorliegenden Urteils wiedergegeben wurde. Daraus folgt, dass verbundene Kreditverträge im Sinne dieses Art. 3 lit. n nicht allein wegen ihres Gegenstands vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sind.
[104] Art. 14 III lit. b der Richtlinie 2008/48/EG sieht allerdings lediglich vor, dass, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, er dem Kreditgeber unverzüglich, spätestens jedoch binnen 30 Kalendertagen nach Absendung der Widerrufserklärung an den Kreditgeber das Darlehen einschließlich der ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Kredits bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens aufgelaufenen Zinsen zurückzahlen muss. Die Zinsen sind auf der Grundlage des vereinbarten Sollzinssatzes zu berechnen.
[105] Zweitens ist zunächst hervorzuheben, dass, wie in Randnummer 89 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, die Richtlinie 2008/48/EG keine Bestimmungen darüber enthält, welche Folgen der Widerruf eines verbundenen Kreditvertrags durch den Verbraucher für den Vertrag über die Lieferung von Waren hat. Überdies heißt es im 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass sie unbeschadet anderer Vorschriften der Mitgliedstaaten gelten sollte, die die Rückgabe der durch den Kredit finanzierten Waren oder damit zusammenhängende Fragen regeln (EuGH, Urt. v. 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014 Rn. 302 – BMW Bank u. a.).
[106] Wie der Generalanwalt in den Nummern 34 und 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, regelt sodann Art. 14 III lit. b Satz 1 der Richtlinie 2008/48/EG weder das Schicksal des finanzierten Gegenstands noch etwaige Wechselwirkungen zwischen dem verbundenen Kreditvertrag und dem Kaufvertrag über das Fahrzeug. Die einzige Bestimmung dieser Richtlinie, die sich auf die Folgen der Ausübung eines Widerrufsrechts bei verbundenen Kreditverträgen bezieht, nämlich ihr Art. 15 I, betrifft lediglich den Fall, dass ein Verbraucher ein solches vom Unionsrecht vorgesehenes Recht in Bezug auf einen Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen ausübt. Keine Bestimmung der Richtlinie 2008/48/EG regelt jedoch den Fall, dass das vom Verbraucher ausgeübte Widerrufsrecht den verbundenen Kreditvertrag selbst betrifft.
[107] Wie bereits in Randnummer 90 des vorliegenden Urteils erläutert wurde, sind schließlich mangels einschlägiger spezifischer Vorschriften des Unionsrechts die Modalitäten der Umsetzung des in der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Verbraucherschutzes nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige innerstaatliche Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der durch die Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).
[108] Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber gewährleisten wollte, dass die Ausübung des Widerrufsrechts wirksam ist, den Mitgliedstaaten aber auch einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung dieses Widerrufs im spezifischen Rahmen verbundener Kreditverträge belassen wollte. Die Richtlinie 2008/48 nimmt somit keine vollständige Harmonisierung sämtlicher Rechtsfolgen vor, die sich aus dem Widerruf eines solchen Vertrags ergeben können.
[109] Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität die Wirkungen der Ausübung des Widerrufsrechts im Rahmen eines mit einem Vertrag über die Lieferung von Waren verbundenen Kreditvertrags zu präzisieren, auch was gegebenenfalls die Pflicht zur Zahlung der angefallenen Zinsen sowie deren Modalitäten betrifft.
[110] Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass sie keine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Folgen vornimmt, die sich daraus ergeben, dass der Verbraucher sein Recht auf Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrags ausübt.
Zur dritten Frage
[111] Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Verbraucher nach dem Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, für den Zeitraum zwischen der Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber oder den Verkäufer den im Kreditvertrag vereinbarten Sollzins zu zahlen hat.
[112] Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG sieht ein Widerrufsrecht zugunsten des Verbrauchers vor, ohne dass dieser seine Entscheidung zu rechtfertigen hätte. Aus Art. 14 III lit. b Satz 1 dieser Richtlinie geht außerdem hervor, dass der Verbraucher, wenn er sein Widerrufsrecht ausübt, verpflichtet ist, das Darlehen sowie die Sollzinsen zu dem vereinbarten Zinssatz für den Zeitraum zwischen der Zurverfügungstellung der Mittel und ihrer vollständigen Rückzahlung zurückzuzahlen.
[113] Aus der Antwort auf die zweite Frage ergibt sich, dass Art. 14 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Richtlinie 2008/48 keine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Folgen vornimmt, die sich daraus ergeben, dass der Verbraucher sein Recht ausübt, einen Kreditvertrag zu widerrufen, der mit einem Vertrag über die Lieferung einer Ware, wie z. B. dem Kauf eines Fahrzeugs, verbunden ist.
[114] Wie aus dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/48/EG hervorgeht, soll mit dieser Bestimmung jedoch ein Gleichgewicht zwischen dem Verbraucherschutz und dem freien Verkehr von Kreditangeboten sichergestellt werden. Folglich ist davon auszugehen, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass Verbraucher, wenn sie im Rahmen eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrags den Widerruf erklären, verpflichtet sind, Sollzinsen für den Zeitraum zwischen der tatsächlichen Zurverfügungstellung der Mittel bis zur Rückgabe der Ware zu zahlen, nicht entgegensteht.
[115] Diese Beurteilung wird zum einen durch die Tatsache bestätigt, dass der Kreditgeber vorübergehend den Kreditbetrag, der zugunsten des Verbrauchers an den Verkäufer des Fahrzeugs gezahlt wurde, aus der Hand gegeben hat, was für ihn eine Immobilisierung der Mittel und ein finanzielles Risiko darstellt. Zum anderen stellen die aufgelaufenen Zinsen keine Bestrafung, sondern die Gegenleistung für den Zugang zum Kredit dar, der unabhängig von der Ausübung des Widerrufsrechts grundsätzlich ein entgeltliches Geschäft ist.
[116] Zudem erlaubt, wie der Generalanwalt in Nummer 49 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die dem Verbraucher eventuell auferlegte Pflicht, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Dauer der Zurverfügungstellung der Mittel berechnete Sollzinsen zu zahlen, das vertragliche Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Diese Pflicht verhindert, dass eine Partei durch die Ausübung ihres Widerrufsrechts einen ungerechtfertigten Gewinn zulasten der anderen Partei erzielt, und gewährleistet eine gerechte Verteilung der Kosten und Gewinne, die sich aus der – auch nur teilweisen und vorübergehenden – Erfüllung des Kreditvertrags ergeben.
[117] Es ist gleichwohl darauf hinzuweisen, dass, wie bereits in den Randnummer 90 und 91 des vorliegenden Urteils erläutert wurde, mangels einschlägiger spezifischer Vorschriften des Unionsrechts die Modalitäten der Umsetzung des in der Richtlinie 2008/48/EG vorgesehenen Verbraucherschutzes nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen sind und diese Modalitäten die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachten müssen.
[118] Darüber hinaus sind die Antworten des Gerichtshofs auf die erste sowie auf die vorliegende Frage geeignet, dem vorlegenden Gericht Antworten auf seine Fragen hinsichtlich einer eventuellen ungerechtfertigten Bereicherung, sei es zugunsten des Verbrauchers oder des Kreditgebers, zu geben.
[119] Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 14 I der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der der Verbraucher nach dem Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, für den Zeitraum zwischen der Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber oder den Verkäufer den im Kreditvertrag vereinbarten Sollzins zu zahlen hat, nicht entgegensteht.