- Ein an der Heckklappe eines Mercedes-Benz-Pkw angebrachter „4MATIC“-Schriftzug kann beim Verkauf des Fahrzeugs zu einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) des Inhalts führen, das Fahrzeug sei allradgetrieben. Dass im schriftlichen Kaufvertrag von einem Allradantrieb keine Rede ist, steht der Annahme einer (stillschweigenden) Beschaffenheitsvereinbarung nicht entgegen. Allerdings kann der Verkäufer das Zustandekommen einer Beschaffenheitsvereinbarung verhindern, indem er den Käufer vor Abschluss des Kaufvertrages darauf hinweist, dass das angebotene Fahrzeug tatsächlich nicht über einen Allradantrieb verfügt.
- Ein pauschaler Ausschluss der Haftung des Verkäufers für Sachmängel gilt regelmäßig nicht für einen Mangel, der darin besteht, dass die Kaufsache nicht die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB) hat (im Anschluss an BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06, BGHZ 170, 86 Rn. 31).
- Durch die Klausel „gekauft wie gesehen“ in einem Kfz-Kaufvertrag wird nur in Ausnahmefällen jegliche Haftung des Verkäufers für Sachmängel ausgeschlossen. In aller Regel bezieht sich die Klausel nur auf solche Mängel, die der Käufer bei einer „normalen“ Besichtigung des Fahrzeugs und/oder bei einer Probefahrt ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen feststellen kann.
- Geht der Käufer eines Gebrauchtwagens aufgrund eines augenfälligen „4MATIC“-Schriftzugs an der Heckklappe davon aus, ein allradgetriebenes Fahrzeug zu erwerben, ist insoweit der Vorwurf grober Fahrlässigkeit (§ 442 I 2 BGB) auch dann nicht gerechtfertigt, wenn ein genaues Studium der Fahrzeugpapiere gezeigt hätte, dass ein Allradantrieb nicht vorhanden ist.
OLG Hamm, Urteil vom 07.07.2009 – 28 U 86/09
Sachverhalt: Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen in Anspruch.
Der Beklagte war Eigentümer eines im Jahr 2000 gebauten, nicht allradgetriebenen Mercedes-Benz-Pkw der E-Klasse. Bei diesem Fahrzeug ließ der Beklagte die Heckklappe gegen eine Heckklappe austauschen, auf der der Schriftzug ist. Diese Bezeichnung nutzt die Daimler AG für Fahrzeuge mit Allradantrieb.
Im Sommer 2008 wollte der Beklagte den in Rede stehenden Pkw veräußern; er bot ihn deshalb mithilfe seines Sohns in mehreren Internetportalen zum Kauf an.
Am Samstag, dem 05.04.2008, erschien in einer Tageszeitung ein Inserat, in dem der Pkw des Beklagten – als „4MATIC“-Fahrzeug bezeichnet – zum Kauf angeboten wurde. Ob der Beklagte die Veröffentlichung dieses Inserats in Auftrag gegeben hat, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls wurden dem Beklagten am 10.04.2008 für den Abdruck des Inserats 29,39 € in Rechnung gestellt, wobei der Beklagte namentlich als Inserent bezeichnet wurde. Der Rechnungsbetrag wurde anschließend vom Konto des Beklagten abgebucht.
Durch das Zeitungsinserat wurde der Kläger auf das Fahrzeug des Beklagten aufmerksam. Er rief den Beklagten am Morgen des 05.04.2008 unter den im Inserat angegebenen Telefonnummer an und besichtigte das streitgegenständliche Fahrzeug noch am selben Tag in Begleitung des C. Eine Probefahrt unternahm der Kläger unstreitig nicht; streitig ist aber, ob der Beklagte bei der Besichtigung des Pkw erklärte, es handele sich um ein „4MATIC“-Fahrzeug. Die Parteien schlossen einen schriftlichen Kaufvertrag („ADAC-Kaufvertrag für den privaten Verkauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs“), in dem die Haftung des Beklagten für Sachmängel – mit Ausnahme bestimmter Schadensersatzansprüche – formularmäßig ausgeschlossen ist. Handschriftlich wurde in dem Vertragsformular „wie gesehen … Heckklappe neu“ ergänzt. Die Laufleistung des Fahrzeugs wurde mit 156.000 km angegeben. Den Kaufpreis von 9.600 € entrichtete der Kläger am 07.04.2008.
Im August 2008 wurde der Kläger in einer Kfz-Werkstatt darauf aufmerksam gemacht, dass sein Fahrzeug nicht allradgetrieben sei. Davon unterrichte er den Beklagten am 28.08.2008 telefonisch. Mit Anwaltsschreiben vom 08.09.2008 erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag. Zur Begründung berief er sich darauf, dass der streitgegenständliche Pkw kein „4MATIC“-Fahrzeug sei, obwohl der Beklagte unter anderem erklärt habe, die Winterreifen, mit denen der Pkw ausgerüstet sei, seien wegen des „4MATIC“-Antriebs eigentlich nicht nötig.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nicht bewiesen, dass der Beklagte ausdrücklich von einem „4MATIC“-Fahrzeug oder einem Fahrzeug mit Allradantrieb gesprochen habe. Das Zeitungsinserat könne auch ohne Zutun des Beklagten veröffentlicht worden sein.
Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs folgt aus §§ 346 I, 348 BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 BGB.
1. Die Parteien eines Kaufvertrages können stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarungen treffen (vgl. BGH, Urt. v. 07.11.2008 – V ZR 138/07, juris Rn. 14 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 23.11.1994 – VIII ZR 133/93, NJW-RR 1995, 364 [unter II 1 c]). Im vorliegenden Fall haben die Parteien eine stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB getroffen, wonach das vom Beklagten veräußerte Fahrzeug mit einem Allradgetriebe ausgerüstet sei.
a) Das ergibt sich aus dem Schriftzug „4MATIC“ auf der vom Beklagten angebrachten Heckklappe. Die Kurzbezeichnung „4MATIC“ steht beim Fahrzeughersteller Daimler-Benz für ein Allradgetriebe. Dass der Beklagte dies nicht gewusst haben will, ist unerheblich, weil es maßgeblich auf den Empfängerhorizont des Käufers ankommt. Es handelt sich nicht nur um einen unverbindlichen Hinweis oder eine unverbindliche Wissenserklärung, sondern um eine eindeutig bestimmte Eigenschaft des Fahrzeugs, die eine Objektbeschreibung zum Gegenstand hat (zu den Anforderungen an eine Beschaffenheitsvereinbarung: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl., Rn. 1313 ff.). Die vereinbarte Beschaffenheit weist der vom Beklagten veräußerte Wagen nicht auf. Als Käufer durfte der Kläger indes annehmen, dass der auf der Heckklappe angebrachte Schriftzug die Eigenart des Fahrzeugs zutreffend wiedergibt.
b) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Heckklappe ausgetauscht und der Kläger über den Austausch unterrichtet worden ist. Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass die Heckklappe einer anderen Baureihe eingebaut und das Fahrzeug dadurch scheinbar aufgewertet worden war. Denn in diesem Fall hätte es nahegelegen, dass der Beklagte als Verkäufer den Käufer darüber in Kenntnis setzt, dass der Schriftzug auf der Heckklappe unrichtig ist.
Einer Beschaffenheitsvereinbarung steht auch nicht entgegen, dass im schriftlichen Kaufvertrag nicht die Rede von „4MATIC“ ist. Ergänzend zum schriftlichen Kaufvertrag sind ohne Weiteres Zusatz- und Nebenabreden der Parteien möglich. Einer gesonderten Aufnahme in den schriftlichen Kaufvertrag bedurfte es hier nicht, weil das Fahrzeug selbst mit dem betreffenden Schriftzug versehen ist. Nach seiner glaubhaften Darstellung wollte der Kläger ein allradgetriebenes Fahrzeug erwerben; dies hat der Zeuge C in seiner erstinstanzlichen Aussage bestätigt. Mit Rücksicht auf den Schriftzug auf der Heckklappe durfte Kläger mit Recht annehmen, dass es sich um ein Fahrzeug mit Allradantrieb handelt. Diesen Eindruck hätte der Beklagte durch entsprechende Unterrichtung des Klägers zwar zerstören können. Dies hat der Beklagte jedoch unterlassen. Da der Kläger nicht über Internetportale auf den Wagen aufmerksam wurde, sondern über das Inserat in der [Zeitung], ist es auch nicht erheblich, dass im Internet nicht die Bezeichnung „4MATIC“ … verwendet worden ist.
d) Vor dem Hintergrund der stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung kommt es nicht darauf an, ob die Parteien bei den Verkaufsverhandlungen zusätzlich eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben, etwa in Gestalt von mündlichen Erklärungen des Beklagten über die Antriebsart. Es ist auch nicht von Bedeutung, ob die Anzeige in der [Zeitung], in der „4MATIC“ als besondere Eigenschaft hervorgehoben wurde, vom Beklagten bzw. auf sein Geheiß aufgegeben worden ist.
2. Ein pauschaler Ausschluss der Sachmängelhaftung ist regelmäßig – und auch hier – dahin auszulegen, dass der Haftungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB) gelten soll (s. BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06, BGHZ 170, 86 Rn. 31; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1976).
Dem Rücktritt vom Kaufvertrag steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte das Fahrzeug „wie gesehen“ verkauft hat. Durch die vorgenannte Klausel wird im Allgemeinen die Sachmängelhaftung nur für solche Mängel ausgeschlossen, die der Käufer bei einer normalen Besichtigung und/oder Probefahrt ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen hätte feststellen können (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1971 ff.); in Sonderfällen kann die Klausel unter Umständen einen vollständigen Ausschluss der Sachmängelhaftung bedeuten (OLG Saarbrücken, Urt. v. 06.09.2005 – 4 U 163/04-32, OLGR 2006, 51). Weder das eine noch das andere kommt hier zum Tragen.
Der Beklagte macht ohne Erfolg geltend, es sei auf den „auf den ersten Blick“ erkennbar gewesen und vom Kläger auch „ohne Weiteres erkannt“ worden, dass der Wagen nicht mit einem Allradgetriebe ausgerüstet sei. Die Antriebsart lässt sich zwar aus dem Fahrzeugschein erschließen; wie im Senatstermin anhand des vom Kläger vorgelegten Fahrzeugscheins erörtert worden ist, wird dies erst durch Studium und Abgleich verschiedener Formularzeilen deutlich. Dazu bestand für den Kläger wegen des augenfälligen Schriftzugs auf der Heckklappe, der mit dem Zeitungsinserat übereinstimmte, kein Anlass. Der Kläger hat im Senatstermin auch glaubhaft erklärt, dass ihn erst seine Werkstatt darauf hingewiesen habe, dass die Vorderachse nicht angetrieben sei. Es musste dem Kläger zudem nicht auffallen, dass das Cockpit nicht mit einem besonderem Schaltknopf ausgestattet ist, um das Allradgetriebe gesondert zu- oder abschalten; denn ein Allradantrieb muss nicht gesondert zuschaltbar sein, weil es auch permanent allradgetriebene Fahrzeuge gibt.
3. Zwar sind Sachmängelrechte des Käufers ausgeschlossen, wenn er erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass der Kaufgegenstand mangelhaft ist (§ 442 I BGB). Dies kommt dem Beklagten hier jedoch nicht zugute. Grobe Fahrlässigkeit des Käufers im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt vor, wenn nach bestimmten, dem Käufer bekannten Indizien und Tatsachen der Schluss auf mögliche Mängel so nahe liegt, dass es unverständlich erscheint, diesem Verdacht nicht weiter nachzugehen; der Käufer muss dringend zur Vorsicht und zur weiteren Prüfung anhaltende Umstände außer Acht gelassen haben (MünchKomm-BGB/Westermann, 5. Aufl., § 442 Rn. 9; Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 442 Rn. 11; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 602). Als Verkäufer ist der Beklagte darlegungs- und beweisbelastet (MünchKomm-BGB/Westermann, a. a. O., § 442 Rn. 21). Mit Rücksicht auf die Ausführungen unter 2 kann weder Kenntnis noch grobe Fahrlässigkeit des Klägers festgestellt werden. Angesichts des Schriftzugs auf der Heckklappe musste der Kläger insbesondere weder den Fahrzeugschein noch die Bedienungsanleitung daraufhin prüfen, ob der Schriftzug der Richtigkeit entspricht.
4. Zwar hat der Kläger den Beklagten vor der Rücktrittserklärung nicht gemäß § 439 I Fall 1 BGB zur Mängelbeseitigung … aufgefordert. Eine solche Aufforderung war hier jedoch entbehrlich, weil es entweder nicht möglich ist, den Wagen nachträglich mit einem Allradgetriebe auszustatten (§ 326 V BGB, § 275 I BGB) oder dies jedenfalls angesichts der Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem mit der Mängelbeseitigung erzielbaren Erfolg stünde (§ 326 V BGB, § 275 II BGB), zumal es sich um ein mehrere Jahres altes Gebrauchtfahrzeug mit erheblicher Laufleistung handelt. Zu dieser Feststellung bedarf der schwerpunktmäßig mit Streitigkeiten über Ansprüche aus Kaufverträgen über Kraftfahrzeuge befasste Senat keines Sachverständigengutachtens. Auch der Beklagte hat nicht in Zweifel gezogen, dass eine Nachbesserung nicht in Betracht kommt. Die andere Art der Nacherfüllung, die Ersatzlieferung (§ 439 I Fall 2 BGB), ist bei einem Gebrauchtfahrzeugkauf im Regelfall, von dem eine Ausnahme hier nicht besteht, ohnehin nicht möglich (BGH, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 22 ff.).
5. Der Kläger lässt sich zu Recht eine Nutzungsvergütung anrechnen (§ 346 I BGB, § 287 ZPO). Er hat mit dem Fahrzeug, das ihm mit einem Kilometerstand von 156.000 veräußert wurde, 2.500 km zurückgelegt. Bei einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km, über die unter den Parteien kein Streit besteht, errechnet sich eine Nutzungsvergütung von 262,30 €. Dabei hat der Senat die bei Gebrauchtwagen zur Ermittlung des Gebrauchsvorteils maßgebliche Berechnungsformel zugrunde gelegt:
$${\frac{\text{9.600 € [Bruttokaufpreis]}\times\text{2.500 km [gefahrene Kilometer]}}{\text{(250.000 km − 158.000 km) [mutmaßliche Restlaufleistung]}}}$$
(s. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1753).
6. Der Feststellungsantrag ist zulässig (§ 256 I, § 756 ZPO) und begründet. Der Beklagte befindet sich im Annahmeverzug. Der Kläger hat ihm die ihm obliegende Leistung spätestens mit der auf eine Zug-um-Zug-Verpflichtung gerichteten Klage tatsächlich angeboten (§§ 293, 294 BGB).
7. Der Anspruch des Klägers auf Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten folgt aus §§ 280 I, 249 BGB. Der Beklagte hat seine Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Kaufsache fahrlässig verletzt (§§ 280 I 2, 276 II BGB), weil er den Kläger nicht darüber unterrichtet hat, dass die ausgetauschte Heckklappe nicht den Eigenarten des Fahrzeugs entspricht. Die Forderungsberechnung auf der Grundlage einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) nach einem Streitwert von bis zu 10.000 € ist nicht zu beanstanden.
8. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB. …
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 II 1 Nr. 1 ZPO); die Fortbildung des Rechts (§ 543 II 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 II 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Dass Beschaffenheitsvereinbarungen auch stillschweigend getroffen werden können, ist nicht klärungsbedürftig. Ob ein bestimmter, auf einem Fahrzeug angebrachter Schriftzug als stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung … zu werten ist, ist keine der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage, sondern hängt von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab.