1. Auch der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs (hier: Audi A4 Avant) kann grundsätzlich erst wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten, nachdem er dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese Frist erfolglos abgelaufen ist.
  2. Ein Vertragshändler muss sich das möglicherweise arglistige Verhalten des Fahrzeugherstellers nicht zurechnen lassen.

LG Düsseldorf, Urteil vom 23.08.2016 – 6 O 413/15

Sachverhalt: Mit schriftlichem Kaufvertrag vom 05.01.2012 erwarb der Kläger von der Beklagten zu 1 einen Audi A4 Avant zum Preis von 46.250 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger, der dafür einen Wartungsvertrag abschloss und Winterreifen mit Felgen sowie einen Dachgepäckträger erwarb, am 19.04.2012 übergeben. Am 29.10.2015 wies es eine Laufleistung von 44.655 km auf.

In dem Pkw befindet sich ein Dieselmotor (VW EA189), der von dem allgemein bekannten VW-Abgasskandal betroffen ist. Er verfügt über eine Software („Schummelsoftware“), die den Schadstoffausstoß erheblich senkt, sobald das Fahrzeug einem Emissionstest unterzogen wird.

Mit Schreiben vom 03.10.2015 forderte der Kläger die Beklagte zu 1 deshalb zur Rückabwicklung des in Rede stehenden Kaufvertrages bis zum 20.10.2015 auf. Gleichzeitig erklärte er vorsorglich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und stellte klar, dass er eine Nachbesserung seines Fahrzeugs ablehne. Die Beklagte zu 1 erwiderte mit Anwaltsschreiben vom 20.10.2015, dass der Volkswagenkonzern derzeit mit Hochdruck daran arbeite, einen kürzlich mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Maßnahmenplan im Rahmen eines Rückrufes der betroffenen Fahrzeuge umzusetzen. Im Januar 2016 werde mit der Nachbesserung der Fahrzeuge begonnen. Vor diesem Hintergrund sichere sie, die Beklagte zu 1, dem Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zu, sein Fahrzeug technisch nachzubessern. Hierauf verlangten die spätereren Prozessbevollmächtigten des Klägers am 09.11.2015 per E-Mail, dass die Beklagte zu 1 zur Vermeidung einer gerichtlichen Konfrontation bis zum 13.11.2005 mitteilen möge, zu welchem Preis sie bereit sei, das Fahrzeug des Klägers in Zahlung zu nehmen. Sofern der Preis angemessen sei, sei der Kläger im Rahmen einer vergleichsweisen Einigung derzeit noch dazu bereit, bei der Beklagten zu 1 einen anderen Neuwagen zu erwerben. Auf diese E-Mail antwortete die Beklagte zu 1 nicht.

Der Klägers ist der Auffassung, das von ihm erworbene Fahrzeug sei wegen der „Schummelsoftware“ mit einem erheblichen Mangel behaftet. Weil er, der Kläger, insoweit arglistig getäuscht worden sei, sei es ihm nicht zuzumuten gewesen, der Beklagten zu 1 eine Frist zur Nacherfüllung zu setzen. Dies gelte umso mehr, als unklar sei, wann sein Fahrzeug zurückgerufen werde und welche Auswirkungen die in Aussicht genommenen Nachbesserungsmaßnahmen hätten. Matthias Müller, der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, habe erklärt, dass die Nachbesserung zu einem Leistungsverlust von 3–5 km/h führen werde; zudem bestehe die Gefahr, dass sich der Kraftstoffverbrauch der betroffenen Fahrzeuge erhöhen werde. In jedem Fall – so meint der Kläger – verstreiche bis zu einer Nachbesserung seines Fahrzeugs so viel Zeit, dass von einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung der Beklagten zu 1 auszugehen sei.

Hilfsweise macht der Kläger geltend, dass durch die Manipulationsoftware die Betriebserlaubnis für sein Fahrzeug gemäß § 19 II 2 Nr. 3 StVZO erloschen sei. Bei Vorhaltekosten von kalendertäglich 19,41 € sei ihm hierdurch ein Schaden in Höhe von 28.940,31 € entstanden. Nach Abzug einer Nutzungsentschädigung von 5.900 € stehe ihm deshalb Schadensersatz in Höhe von 23.040,31 € zu.

Der Kläger hat in erster Linie beantragt, die Beklagte zu 1 zur Zahlung von 42.038,64 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Audi A4 Avant, zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten zu 1 festzustellen. Hilfsweise hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 23.040,31 € nebst Zinsen begehrt. Äußerst hilsweise hat der Kläger von den Beklagten eine schriftliche Garantieerklärung des Inhalts verlangt, dass sich durch die in Aussicht genommenen Nachbesserungsarbeiten weder die Motorleistung noch der Kraftstoffverbrauch seines Fahrzeugs verändern werde.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Die Beklagte zu 1 ist dem Kläger nicht aus §§ 434, 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V BGB zur Kaufpreisrückzahlung verpflichtet. Hierbei kann es dahingestellt bleiben, ob und inwieweit der Kaufgegenstand infolge der implementierten Manipulations-Software fehlerhaft i. S. von § 434 BGB ist. Denn in jedem Fall setzt der Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Mängeln am Kaufgegenstand nach § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung voraus. Eine solche Frist hat der Kläger der Beklagten zu 1 nicht gesetzt.

Gründe, nach denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich sein könnte, lassen sich in dem vorliegenden Fall nicht ersehen.

Nach § 323 II Nr. 1 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. An das Vorliegen einer Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Weigerung des Schuldners muss als sein letztes Wort aufzufassen sein (BGH, Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872; Urt. v. 01.07.2015 – VIII ZR 226/14, WM 2015, 1591). Zu einer so verstandenen Erfüllungsverweigerung durch die Beklagte zu 1 ist es hier nicht gekommen. Diese hat dem Kläger vielmehr in ihrem anwaltlichen Schreiben vom 20.10.2015 angekündigt, das Fahrzeug technisch nachzubessern.

Gemäß § 323 II Nr. 3 BGB ist eine Fristsetzung gleichfalls im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Solche Umstände können unter anderem dann vorliegen, wenn der Verkäufer einen Mangel der vom Käufer erworbenen Sache arglistig verschwiegen hat (BGH, Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835; Urt. v. 09.01.2008 – VIII ZR 210/06, NJW 2008, 1371). Dies ist hier im Hinblick auf die Beklagte zu 1. nicht der Fall.

Arglist setzt in Fällen der vorliegenden Art ein Wissen des Verkäufers von Umständen voraus, die für die Entschließung des Käufers zum Vertragsabschluss wesentlich sind. Ein solches Wissen der Beklagten zu 1 bei Abschluss des Kaufvertrages lässt sich hier nicht ersehen und ist vom Kläger auch nicht schlüssig vorgetragen worden. Nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen will die Beklagte zu 1 von der Manipulationssoftware erst im September 2015 und somit lange nach Abschluss des Kaufvertrages … erfahren haben. Ein zeitlich früheres Wissen der Beklagten zu 2 muss sich die Beklagte zu 1 nicht zurechnen lassen. Als selbstständiger Vertragshändler ist sie kein Handelsvertreter, sondern ein sonstiger Absatzvermittler, für den der Geschäftsherr schon nicht nach § 31 BGB haftet. Noch weniger haftet umgekehrt der Vertragshändler für ein etwaiges Verschulden des Herstellers, dessen Produkte er vertreibt (LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris). Auch findet im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller keine Wissenszurechnung in entsprechender Anwendung von § 166 BGB statt (LG Bielefeld, Urt. v. 03.02.2010 – 3 O 222/09, juris).

Besondere Umstände, die zu einem sofortigen Rücktritt vom Vertrag rechtfertigen, folgen hier auch nicht aus dem erheblichen Vorlauf, den die Beklagten für die angekündigte Rückrufaktion und die Nachbesserung der Motorsoftware benötigen. Denn es liegt für die angesprochenen Verkehrskreise auf der Hand, dass sich eine solche flächendeckende Rückrufaktion nicht innerhalb von wenigen Wochen organisieren und durchführen lässt. Demgegenüber fällt der Umstand, dass der Kläger ein Fahrzeug erworben hat, dessen Betriebserlaubnis eigentlich gemäß § 19 II 2 Nr. 3 StVZO erloschen ist, nicht entscheidend ins Gewicht. Denn durch die fehlende Zulassungskonformität wird der Kläger in der Nutzung seines Fahrzeuges nicht wesentlich beeinträchtigt; ist es doch unbestritten und allgemein bekannt, dass das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt allein wegen dieses Umstandes von einer Fahrzeugstilllegung bis zur Durchführung der Rückrufaktion absieht.

II. Aus den zuvor ausgeführten Gründen kann der Kläger von der Beklagten zu 1 auch nicht aus § 812 I 1 Fall 1 BGB Herausgabe des Kaufpreises verlangen. Die Zuwendung des Kaufpreises ist mit Rechtsgrund erfolgt. Dieser Rechtsgrund besteht fort. Er ist nicht rückwirkend nach §§ 123, 142 BGB durch die vom Kläger mit Schreiben vom 03.10.2015 erklärte Aufrechnung erloschen. Ein diesbezügliches Anfechtungsrecht setzt eine arglistige Täuschung des Klägers voraus. Wie zuvor ausgeführt hat die Beklagte zu 1 eine solche Täuschung weder verübt, noch muss sie sich ein eventuell arglistiges Verhalten der Beklagten zu 2 zurechnen lassen.

III. Weil die Beklagte zu 1 aufgrund der vorstehenden Ausführungen weder zur Kaufpreisrückgabe verpflichtet noch zur Zurücknahme des Kaufgegenstandes gehalten ist, hat auch der Feststellungsantrag des Klägers, demgemäß sich die Beklagte zu 1 in Annahmeverzug befinden soll, keinen Erfolg.

IV. Nichts anderes gilt für den Hilfsantrag des Klägers auf Ersatz seiner Vorhaltekosten. Diese Kosten brauchen die Beklagten dem Kläger nicht nach §§ 280 I, 249, 421 BGB zu ersetzen. Denn allein die fehlende Zulassungskonformität führt nicht dazu, dass der Kläger in der Nutzung des erworbenen Kraftfahrzeugs wesentlich beeinträchtigt ist. Wie bereits ausgeführt macht das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt wegen dieses Umstandes von der Möglichkeit einer Stilllegung bis zur Durchführung der Rückrufaktion keinen Gebrauch. Der Kaufgegenstand steht daher dem Kläger unbeschadet dessen als Kraftfahrzeug zur Verfügung. So hat denn auch der Kläger angegeben, dass er mit seinem Pkw bis zu 29.10.2015 eine Fahrstrecke von 44.655 km zurückgelegt hat.

V. Für den weiteren Hilfsantrag auf Vorlage eines schriftlichen Garantieversprechens lässt sich eine tragfähige Anspruchsgrundlage nicht ersehen. Diese ist vom Kläger auch nicht angegeben worden, sodass die Klage auch in diesem Punkt abzuweisen ist …

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