Ein Be­ru­fungs­ge­richt ver­letzt den An­spruch ei­nes Kraft­fahr­zeug­händ­lers auf recht­li­ches Ge­hör (Art. 103 I GG), wenn es zu Un­recht an­nimmt, der Händ­ler ha­be sein – un­ter Be­weis ge­stell­tes – erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen, ei­ner sei­ner Mit­ar­bei­ter ha­be den Käu­fer ei­nes Ge­braucht­wa­gens vor Ab­schluss des Kauf­ver­trags aus­drück­lich auf ei­nen er­heb­li­chen Un­fall­scha­den des Fahr­zeugs hin­ge­wie­sen, in zwei­ter In­stanz „fal­len ge­las­sen“, und des­halb ge­hör­s­wid­rig den von dem Händ­ler dies­be­züg­lich an­ge­bo­te­nen Be­weis auf Ver­neh­mung sei­nes Mit­ar­bei­ters nicht er­hebt.

BGH, Be­schluss vom 08.09.2021 – VI­II ZR 258/20
(nach­fol­gend: OLG Naum­burg, Ur­teil vom 30.05.2022 – 2 U 195/19)

Sach­ver­halt: Die Klä­ge­rin er­warb von der be­klag­ten Kraft­fahr­zeug­händ­le­rin im April 2018 für 31.850 € ei­nen ge­brauch­ten Pkw. Der schrift­li­che Kauf­ver­trag vom 07.04.2018 ver­weist bei „Schä­den lt. Vor­be­sit­zer“, „of­fe­ne Schä­den“ und „techn. opt. Män­gel“ auf ein – dem Kauf­ver­trag nicht bei­ge­füg­ten – Ge­braucht­wa­gen­zer­ti­fi­kat, das nach­ge­reicht wer­den soll­te. In der Ru­brik „Sons­ti­ge Ver­ein­ba­run­gen“ am En­de der Ver­trags­ur­kun­de fin­det sich in­ner­halb des – klein ge­druck­ten – Fließ­texts un­ter an­de­rem die An­ga­be: „Kun­din wur­de über Vor­scha­den Front und all­ge­mei­nen Nachla­ckie­run­gen vor­ab in­for­miert, wel­che nicht nach Her­stel­ler­richt­li­ni­en re­pa­riert wur­den. Art und Um­fang un­be­kannt.“ Das Ge­braucht­wa­gen­zer­ti­fi­kat, das die Be­klag­te der Klä­ge­rin bei Über­ga­be des Fahr­zeugs am 24.04.2018 aus­hän­dig­te, ent­hält un­ter an­de­rem die An­ga­be, dass das Fahr­zeug sei­nem Al­ter und der Lauf­leis­tung ent­spre­chen­de, ty­pi­sche Ge­brauchs­spu­ren auf­wei­se. Im wei­te­ren Ver­lauf des Texts heißt es, der Pkw sei an "Front/​Heck und lin­ke[r] Fzg.-Sei­te" in­stand­ge­setzt und nachla­ckiert wor­den; die Re­pa­ra­tur der Vor­schä­den sei nicht nach Her­stel­ler­vor­ga­be er­folgt.

Nach der Über­ga­be des Fahr­zeugs ent­deck­te die Klä­ge­rin in des­sen In­nen­raum Blut­sprit­zer und Glas­split­ter. Dar­auf­hin such­te sie ei­ne Ver­trags­werk­statt auf. Dort wur­de ihr mit­ge­teilt, in der Da­ten­bank des Fahr­zeug­her­stel­lers sei ver­zeich­net, dass bei dem Pkw im Ja­nu­ar 2018 der Mo­tor aus­ge­tauscht wor­den sei. Das Fahr­zeug ha­be ei­nen schwe­ren Un­fall er­lit­ten, bei dem die Front-Air­bags aus­ge­löst wor­den sei­en. Die Re­pa­ra­tur ha­be ei­nen Kos­ten­auf­wand in Hö­he von cir­ca 15.000 € er­for­dert. Mit Schrei­ben vom 01.05.2018 er­klär­te die Klä­ge­rin un­ter Ver­weis auf die vor­ste­hend ge­nann­ten Um­stän­de ih­ren Rück­tritt von dem mit der Be­klag­ten ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trag. Un­ter dem 25.03.2019 er­klär­te sie vor­sorg­lich auch die An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung. Mit der vor­lie­gen­den Kla­ge hat die Klä­ge­rin die Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses, Zug um Zug ge­gen Rück­ge­währ des streit­ge­gen­ständ­li­chen Pkw, so­wie die Fest­stel­lung be­gehrt, dass die Be­klag­te mit der Rück­nah­me des Fahr­zeugs in Ver­zug sei. Das Land­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Be­klag­ten hat nur in­so­weit Er­folg ge­habt, als das Ober­lan­des­ge­richt der Be­klag­ten ei­ne Nut­zungs­ent­schä­di­gung in Hö­he von 330 € für die von der Klä­ge­rin zu­rück­ge­leg­ten Ki­lo­me­ter zu­ge­bil­ligt hat. Die Re­vi­si­on hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht zu­ge­las­sen. Mit ih­rer da­ge­gen ge­rich­te­ten Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de hat die Be­klag­te die Zu­las­sung der Re­vi­si­on we­gen Ver­let­zung ih­res An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör (Art. 103 I GG) mit dem Ziel er­strebt, dass die Kla­ge in vol­lem Um­fang ab­ge­wie­sen wird. Da­mit hat­te sie Er­folg: Das Ur­teil des Be­ru­fungs­ge­richts wur­de im Kos­ten­punkt und in­so­weit auf­ge­ho­ben, als zum Nach­teil der Be­klag­ten ent­schie­den wor­den ist. Im Um­fang der Auf­he­bung wur­de die Sa­che an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen.

Aus den Grün­den: [7]    II. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat zur Be­grün­dung sei­ner Ent­schei­dung – so­weit für das Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­ren von Be­deu­tung – im We­sent­li­chen aus­ge­führt:

[8]    Der Klä­ge­rin ste­he der von ihr gel­tend ge­mach­te An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags so­wohl auf­grund des von ihr we­gen des Sach­man­gels des Fahr­zeugs (Un­fall­wa­gen mit schwe­rem Vor­scha­den) wirk­sam er­klär­ten Rück­tritts vom Kauf­ver­trag (§ 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I 2 Nr. 2, §§ 323, 346 I, 348 BGB) als auch auf­grund der von ihr wirk­sam er­klär­ten An­fech­tung des Kauf­ver­trags we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung zu (§ 812 I 1 Fall 1, § 123 I Fall 1, § 142 I BGB). Die Klä­ge­rin ha­be we­der durch den In­halt der Kauf­ver­trags­ur­kun­de noch durch die wei­te­ren ihr von der Be­klag­ten aus­ge­hän­dig­ten Un­ter­la­gen Kennt­nis von dem ob­jek­tiv vor­lie­gen­den schwe­ren, aus ei­nem Un­fall her­rüh­ren­den Vor­scha­den er­hal­ten. Viel­mehr ha­be die Be­klag­te die­sen Vor­scha­den in un­zu­läs­si­ger – und arg­lis­ti­ger – Wei­se ver­harm­lost und ba­ga­tel­li­siert.

[9]    So­weit die Be­klag­te in ih­rer Kla­ge­er­wi­de­rung un­ter Be­weis­an­tritt noch ha­be vor­tra­gen las­sen, ihr Mit­ar­bei­ter M ha­be die Klä­ge­rin bei der Be­sich­ti­gung des Fahr­zeugs vor Kauf­ver­trags­ab­schluss aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Fahr­zeug ei­nen er­heb­li­chen Front­scha­den er­lit­ten ha­be und die­ser dem An­schein nach nicht ge­mäß den Her­stel­ler­richt­li­ni­en re­pa­riert wor­den sei, ha­be die Be­klag­te die­sen Sach­vor­trag in der Be­ru­fungs­be­grün­dung fal­len ge­las­sen. In der Be­ru­fungs­be­grün­dung ha­be die Be­klag­te da­hin ge­hend ar­gu­men­tiert, am 07.04.2018 sei ein Hin­weis auf ei­nen er­heb­li­chen Un­fall­scha­den des­we­gen nicht er­folgt, weil sie das Fahr­zeug bei An­kauf nicht un­ter­sucht ha­be. Die Be­klag­te be­strei­te in der Be­ru­fungs­be­grün­dung aus­drück­lich ei­ne po­si­ti­ve Kennt­nis von ei­nem Un­fall­scha­den. Die – zweit­in­stanz­lich ver­nein­te – Kennt­nis vom Vor­lie­gen ei­nes Un­fall­scha­dens wä­re aber den­knot­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für ei­nen – erst­in­stanz­lich noch be­haup­te­ten – Hin­weis auf ei­nen er­heb­li­chen Un­fall­scha­den.

[10]   Zwar ha­be die Be­klag­te in ih­rem Schrift­satz vom 31.07.2020 – nach ei­nem ge­richt­li­chen Hin­weis – aus­drück­lich er­klärt, dass das Be­ru­fungs­ge­richt sie falsch ver­stan­den ha­be und sie den Vor­trag aus der Kla­ge­er­wi­de­rung ha­be auf­recht­er­hal­ten wol­len. Ei­ne Be­weis­er­he­bung sei gleich­wohl nicht an­ge­zeigt ge­we­sen, denn das Sach­vor­brin­gen der Be­klag­ten wä­re un­ter den vor­ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen in sich wi­der­sprüch­lich, oh­ne dass die Be­klag­te ver­mocht hät­te, die­se Wi­der­sprüch­lich­keit nach­voll­zieh­bar zu er­klä­ren.

[11]   III. Die zu­läs­si­ge Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de hat in der Sa­che Er­folg und führt ge­mäß § 544 IX ZPO zur Auf­he­bung des Ur­teils des Be­ru­fungs­ge­richts und zur Zu­rück­ver­wei­sung des Rechts­streits, so­weit zum Nach­teil der Be­klag­ten ent­schie­den wor­den ist.

[12]   1. Wie die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zu Recht rügt, ver­letzt die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung in ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Wei­se den An­spruch der Be­klag­ten auf Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs (Art. 103 I GG). Denn das Be­ru­fungs­ge­richt ist zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, die Be­klag­te ha­be ihr un­ter Be­weis ge­stell­tes erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen fal­len ge­las­sen, wo­nach ihr Mit­ar­bei­ter M die Klä­ge­rin vor Kauf­ver­trags­ab­schluss bei Be­sich­ti­gung des Fahr­zeugs aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen ha­be, dass das Fahr­zeug ei­nen er­heb­li­chen – mit­tel­schwe­ren – Front­scha­den er­lit­ten ha­be, die­ser dem An­schein nach nicht ge­mäß den Her­stel­ler­richt­li­ni­en re­pa­riert wor­den sei und die Be­klag­te das Fahr­zeug in re­pa­rier­tem Zu­stand von ei­nem ge­werb­li­chen Zwi­schen­händ­ler ein­ge­kauft ha­be, wo­bei dem Fahr­zeug ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on über den Um­fang des Scha­dens und über die durch­ge­führ­ten Ar­bei­ten nicht bei­ge­fügt ge­we­sen sei. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat da­mit ge­hör­s­wid­rig den von der Be­klag­ten dies­be­züg­lich an­ge­bo­te­nen Be­weis auf Ver­neh­mung ih­res Mit­ar­bei­ters M als Zeu­gen nicht er­ho­ben.

[13]   a) Ar­ti­kel 103 I GG ver­pflich­tet das Ge­richt, die Aus­füh­run­gen der Pro­zess­be­tei­lig­ten zur Kennt­nis zu neh­men und in Er­wä­gung zu zie­hen. Der An­spruch auf recht­li­ches Ge­hör als grund­rechts­glei­ches Recht (vgl. hier­zu nur BVerfG [1. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 19.03.2018 – 1 BvR 2313/17, ju­ris Rn. 16; BVerfG [2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 11.04.2018 – 2 BvR 328/18, ju­ris Rn. 11; Se­nat, Beschl. v. 03.07.2018 – VI­II ZR 229/17, WM 2019, 278 Rn. 68, in­so­weit in BGHZ 219, 161 nicht ab­ge­druckt) soll si­cher­stel­len, dass die Ent­schei­dung des Ge­richts frei von Ver­fah­rens­feh­lern er­geht, die ih­ren Grund in un­ter­las­se­ner Kennt­nis­nah­me und Nicht­be­rück­sich­ti­gung des Sach­vor­trags der Par­tei­en ha­ben. In die­sem Sin­ne ge­bie­tet Art. 103 I GG in Ver­bin­dung mit den Grund­sät­zen der Zi­vil­pro­zess­ord­nung die Be­rück­sich­ti­gung er­heb­li­cher Be­weis­an­trä­ge. Die Nicht­be­rück­sich­ti­gung ei­nes er­heb­li­chen Be­weis­an­ge­bots ver­stößt ge­gen Art. 103 I GG, wenn sie im Pro­zess­recht kei­ne Stüt­ze fin­det (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG [2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, ju­ris Rn. 15; BVerfG [2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 02.07.2018 – 1 BvR 612/12, NVwZ 2018, 1555 Rn. 31; BVerfG [3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 20.12.2018 – 1 BvR 1155/18, ju­ris Rn. 11; BGH, Beschl. v. 21.09.2017 – V ZR 64/17, ju­ris Rn. 8; Beschl. v. 03.07.2018 – VI­II ZR 229/17, WM 2019, 278 Rn. 68, in­so­weit in BGHZ 219, 161 nicht ab­ge­druckt; Beschl. v. 28.01.2020 – VI­II ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 4; je­weils m. w. Nachw.).

[14]   Die­se Grund­sät­ze hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht hin­rei­chend be­ach­tet. Die Ver­neh­mung des Zeu­gen M durf­te we­der aus den vom Be­ru­fungs­ge­richt an­ge­stell­ten Er­wä­gun­gen noch aus an­de­ren Grün­den zu­rück­ge­wie­sen wer­den.

[15]   b) Das Be­ru­fungs­ge­richt ist al­ler­dings noch rechts­feh­ler­frei da­von aus­ge­gan­gen, dass die Be­klag­te ihr oben ge­nann­tes erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen im Be­ru­fungs­ver­fah­ren nicht aus­drück­lich fal­len ge­las­sen hat. Auch ei­ne kon­klu­den­te Ab­stand­nah­me von die­sem Vor­brin­gen ist den Aus­füh­run­gen der Be­klag­ten je­doch – an­ders als das Be­ru­fungs­ge­richt ge­meint hat – nicht zu ent­neh­men.

[16]   aa) Die Aus­le­gung von Pro­zess­hand­lun­gen – und da­mit auch wie hier der Be­ru­fungs­be­grün­dung – un­ter­liegt nach der stän­di­gen Recht­spre­chung des BGH der frei­en re­vi­si­ons­recht­li­chen Nach­prü­fung. Sie ori­en­tiert sich an dem Grund­satz, dass im Zwei­fel das­je­ni­ge ge­wollt ist, was nach den Maß­stä­ben der Rechts­ord­nung ver­nünf­tig ist und dem recht ver­stan­de­nen In­ter­es­se ent­spricht (vgl. nur BGH, Beschl. v. 12.01.2010 – VI­II ZB 64/09, ju­ris Rn. 7 m. w. Nachw.; Beschl. v. 12.07.2016 – VI­II ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rn. 6 m. w. Nachw.; Beschl. v. 24.02.2021 – VII ZB 8/21, BauR 2021, 1008 Rn. 11).

[17]   bb) Bei die­ser Aus­le­gung ist vor­lie­gend zu be­rück­sich­ti­gen, dass nach der Recht­spre­chung des BGH mit ei­nem zu­läs­si­gen Rechts­mit­tel grund­sätz­lich der ge­sam­te aus den Ak­ten er­sicht­li­che Pro­zess­stoff ers­ter In­stanz oh­ne Wei­te­res in den zwei­ten Rechts­zug ge­langt und da­mit Ge­gen­stand des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wird (vgl. nur Se­nat, Urt. v. 27.09.2006 – VI­II ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Urt. v. 04.07.2012 – VI­II ZR 109/11, NJW 2012, 2662 Rn. 16; Beschl. v. 27.02.2018 – VI­II ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 30; je­weils m. w. Nachw.). Es be­darf hier­zu we­der ei­nes er­neu­ten Vor­trags der Par­tei­en noch ei­ner Be­zug­nah­me auf den erst­in­stanz­li­chen Vor­trag (vgl. BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – VI ZR 517/18, NJW-RR 2020, 60 Rn. 8; Münch­Komm-ZPO/​Rim­mel­s­pa­cher, 6. Aufl., § 538 Rn. 4). Zwar kann die Par­tei ih­ren im ers­ten Rechts­zug ge­hal­te­nen Vor­trag in der Be­ru­fungs­in­stanz „fal­len las­sen“, wo­mit er aus dem zweit­in­stanz­li­chen Pro­zess­stoff aus­schei­det (vgl. Münch­Komm-ZPO/​Rim­mel­s­pa­cher, a. a. O., § 538 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.01.2017 – III ZR 4/16, NJW-RR 2017, 622 Rn. 22; Beschl. v. 13.12.2012 – III ZR 282/11, NJW 2013, 386 Rn. 14).

[18]   Ein Ver­zicht auf Rech­te ist im All­ge­mei­nen je­doch nicht zu ver­mu­ten, so­dass de­ren Auf­ga­be nur un­ter stren­gen Vor­aus­set­zun­gen, näm­lich ei­nem da­hin ge­hen­den un­zwei­deu­ti­gen Ver­hal­ten oder ein­deu­ti­gen An­halts­punk­ten, an­ge­nom­men wer­den kann (vgl. Se­nat, Beschl. v. 14.11.2017 – VI­II ZR 101/17, NJW 2018, 1171 Rn. 17 m. w. Nachw.). Das gilt in glei­cher Wei­se für pro­zes­sua­les Vor­brin­gen, bei dem hin­zu­kommt, dass et­wai­ge Zwei­fel über sei­nen Fort­be­stand ei­ne Auf­klä­rung nach § 139 I ZPO ge­bie­ten (vgl. Se­nat, Beschl. v. 14.11.2017 – VI­II ZR 101/17, NJW 2018, 1171 Rn. 17).

[19]   cc) Ein sol­ches un­zwei­deu­ti­ges Ver­hal­ten der Be­klag­ten oder sonst ein­deu­ti­ge An­halts­punk­te, aus de­nen sich er­gä­be, dass die Be­klag­te ih­ren oben (un­ter III 1) ge­nann­ten erst­in­stanz­li­chen Vor­trag im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hät­te fal­len­las­sen wol­len, hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht fest­ge­stellt und sind auch nicht er­kenn­bar.

[20]   So­weit das Be­ru­fungs­ge­richt sei­ne ge­gen­tei­li­ge An­nah­me dar­auf ge­stützt hat, die Be­klag­te ha­be im Be­ru­fungs­ver­fah­ren ei­ne po­si­ti­ve Kennt­nis von ei­nem Un­fall­scha­den des Fahr­zeugs aus­drück­lich be­strit­ten und in die­sem Zu­sam­men­hang vor­ge­tra­gen, ein Hin­weis an die Klä­ge­rin auf ei­nen un­er­heb­li­chen Un­fall­scha­den sei bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags des­halb nicht er­folgt, weil die Be­klag­te das Fahr­zeug bei des­sen An­kauf nicht un­ter­sucht ha­be und hier­zu auch nicht ver­pflich­tet ge­we­sen sei, ver­kennt das Be­ru­fungs­ge­richt – wie die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de mit Recht rügt – den Ge­samt­zu­sam­men­hang die­ses Vor­brin­gens der Be­klag­ten. Die­se hat in der Be­ru­fungs­be­grün­dung er­sicht­lich le­dig­lich im Hin­blick auf die von dem erst­in­stanz­li­chen Ge­richt ver­tre­te­ne An­sicht, wo­nach die Be­klag­te den Un­fall­scha­den ba­ga­tel­li­siert ha­be, aus ih­rer Sicht rich­tig­stel­len wol­len, dass sie nicht ge­hal­ten ge­we­sen sei, ge­gen­über der Klä­ge­rin im Zeit­punkt des Kauf­ver­trags­schlus­ses ge­naue Aus­füh­run­gen zu den ihr im De­tail da­mals nicht be­kann­ten Vor­schä­den des Fahr­zeugs zu ma­chen. Die Aus­füh­run­gen der Be­klag­ten in der Be­ru­fungs­be­grün­dung sind vor die­sem Hin­ter­grund da­hin zu ver­ste­hen, sie sei le­dig­lich ver­pflich­tet ge­we­sen, ihr Wis­sen von den Vor­schä­den an die Klä­ge­rin wei­ter­zu­ge­ben, was sie auch ge­tan ha­be.

[21]   Die­se Aus­le­gung des Vor­brin­gens der Be­klag­ten wird da­durch be­stä­tigt, dass sie auf den Hin­weis des Be­ru­fungs­ge­richts aus­drück­lich klar­ge­stellt hat, dass sie ih­ren oben ge­nann­ten erst­in­stanz­li­chen Vor­trag auf­recht­er­hal­ten woll­te. An­ge­sichts die­ser ein­deu­ti­gen Er­klä­rung bleibt – ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts – kein Raum für die An­nah­me ei­ner kon­klu­den­ten Ab­stand­nah­me der Be­klag­ten von dem erst­in­stanz­li­chen Vor­trag.

[22]   c) So­weit das Be­ru­fungs­ge­richt von der Ver­neh­mung des von der Be­klag­ten be­nann­ten Zeu­gen M (hilfs­wei­se) mit der Be­grün­dung ab­ge­se­hen hat, das Sach­vor­brin­gen der Be­klag­ten sei in sich wi­der­sprüch­lich, oh­ne dass es die Be­klag­te ver­mocht hät­te, die Wi­der­sprüch­lich­keit nach­voll­zieh­bar zu er­klä­ren, recht­fer­tigt auch dies ein Ab­se­hen von der Be­weis­er­he­bung nicht.

[23]   aa) Denn auch ein mög­li­cher­wei­se wi­der­sprüch­li­cher Vor­trag er­laubt es dem Ge­richt nicht, den be­nann­ten Zeu­gen nicht zu hö­ren. Ei­ne Par­tei ist nicht ge­hin­dert, ihr Vor­brin­gen im Lau­fe des Rechts­streits zu än­dern, ins­be­son­de­re zu prä­zi­sie­ren, zu er­gän­zen oder zu be­rich­ti­gen (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.2018 – IX ZR 129/17, NJW-RR 2018, 1150 Rn. 21 m. w. Nachw.). Et­wai­ge Wi­der­sprüch­lich­kei­ten im Par­tei­vor­trag kön­nen al­len­falls im Rah­men der Be­weis­wür­di­gung Be­ach­tung fin­den (vgl. BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728 Rn. 16; Urt. v. 21.06.2018 – IX ZR 129/17, NJW-RR 2018, 1150 Rn. 21; je­weils m. w. Nachw.). Je­doch kön­nen sie nicht da­zu füh­ren, dass Be­wei­se über­haupt nicht er­ho­ben wer­den (BGH, Beschl. v. 27.07.2016 – XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291 Rn. 12 m. w. Nachw.). Dies kä­me ei­ner vor­weg­ge­nom­me­nen Be­weis­wür­di­gung gleich, die das recht­li­che Ge­hör der über­gan­ge­nen Par­tei ver­letzt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – VI­II ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 18; Beschl. v. 27.07.2016 – XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291 Rn. 12; je­weils m. w. Nachw.).

[24]   bb) Im Üb­ri­gen ist es, an­ders als das Be­ru­fungs­ge­richt ge­meint hat, auch nicht als wi­der­sprüch­lich an­zu­se­hen, wenn der Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten nach de­ren Vor­trag die Klä­ge­rin münd­lich auf ei­nen er­heb­li­chen Front­scha­den hin­ge­wie­sen ha­ben soll, die Be­klag­te gleich­zei­tig aber kei­ne ge­naue Kennt­nis von der Art und dem Um­fang des Scha­dens ge­habt ha­ben will. Denn der Ver­käu­fer ei­nes Fahr­zeugs kann durch­aus von ei­ner frü­he­ren er­heb­li­chen Be­schä­di­gung wis­sen, oh­ne ge­naue Ein­zel­hei­ten die­ses Vor­scha­dens zu ken­nen. Dies ent­spricht auch den An­ga­ben im Kauf­ver­trag der Par­tei­en, wo­nach das Fahr­zeug ei­nen Vor­scha­den im Front­be­reich auf­wies, des­sen Art und Um­fang der Be­klag­ten aber un­be­kannt ge­we­sen sein sol­len.

[25]   d) Ent­ge­gen der An­sicht der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­er­wi­de­rung lie­fe die Er­he­bung des von der Be­klag­ten an­ge­bo­te­nen Be­wei­ses auch nicht auf die Er­he­bung ei­nes un­zu­läs­si­gen Aus­for­schungs­be­wei­ses hin­aus. Die Be­klag­te ist mit ih­rem Vor­brin­gen ih­ren Sub­stan­zi­ie­rungs­pflich­ten hin­rei­chend nach­ge­kom­men.

[26]   aa) Ei­ne Par­tei ge­nügt bei ei­nem von ihr zur Rechts­ver­tei­di­gung ge­hal­te­nen Sach­vor­trag ih­ren Sub­stan­zi­ie­rungs­pflich­ten, wenn sie – wie hier – Tat­sa­chen vor­trägt, die in Ver­bin­dung mit ei­nem Rechts­satz ge­eig­net sind, das von der an­de­ren Sei­te gel­tend ge­mach­te Recht als nicht be­ste­hend er­schei­nen zu las­sen (vgl. Se­nat, Urt. v. 06.12.2017 – VI­II ZR 219/16, NJW-RR 2018, 822 Rn. 26; Beschl. v. 21.10.2014 – VI­II ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 20 f.; Beschl. v. 28.02.2012 – VI­II ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 6). Da­bei ist es un­er­heb­lich, wie wahr­schein­lich die Dar­stel­lung ist und ob sie auf ei­ge­nem Wis­sen oder auf ei­ner Schluss­fol­ge­rung aus In­di­zi­en be­ruht (BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – VI­II ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 20 f.).

[27]   bb) Der Vor­trag der Be­klag­ten ge­nügt den vor­ge­nann­ten An­for­de­run­gen. Sie hat im Ein­zel­nen aus­ge­führt, wel­che An­ga­ben zum Zu­stand des Fahr­zeugs der Zeu­ge M ge­gen­über der Klä­ge­rin vor Ab­schluss des Kauf­ver­trags ge­macht ha­be (s. oben un­ter III 1). Das Be­ru­fungs­ge­richt hät­te da­her dem Be­weis­an­ge­bot der Be­klag­ten nach­ge­hen müs­sen und hat de­ren recht­li­ches Ge­hör ver­letzt, in­dem es die­ses Be­weis­an­ge­bot über­gan­gen hat.

[28]   2. Das Be­ru­fungs­ur­teil be­ruht auch auf die­ser Ge­hörs­ver­let­zung.

[29]   a) Die­se Vor­aus­set­zung ist be­reits dann er­füllt, wenn nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass das Ge­richt bei Be­rück­sich­ti­gung des über­gan­ge­nen Vor­brin­gens zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis ge­langt wä­re (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.02.1994 – 1 BvR 765/89 und 1 BvR 766/89, BVerfGE 89, 381, 392 f.; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.07.2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205 un­ter II 1 a bb; Se­nat, Urt. v. 07.04.2021 – VI­II ZR 49/19, NJW 2021, 2281 Rn. 68; je­weils m. w. Nachw.).

[30]   b) Im Streit­fall ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass das Be­ru­fungs­ge­richt bei Er­he­bung des von der Be­klag­ten an­ge­bo­te­nen Be­wei­ses in Be­zug auf die An­nah­me ei­nes Sach­man­gels oder je­den­falls in Be­zug auf ei­nen Aus­schluss der Ge­währ­leis­tungs­rech­te nach § 442 I BGB zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis ge­kom­men wä­re und des­halb den An­spruch der Klä­ge­rin auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags nach § 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I 2 Nr. 2, §§ 323, 346 I, 348 BGB ver­neint hät­te.

[31]   c) Dem Be­ru­hen der Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts auf der vor­be­zeich­ne­ten Ge­hörs­ver­let­zung steht auch nicht ent­ge­gen, dass das Be­ru­fungs­ge­richt den von der Klä­ge­rin gel­tend ge­mach­ten An­spruch auch auf § 812 I 1 Fall 1, §§ 123 I, 142 I BGB mit Blick auf die nach sei­ner An­sicht un­zu­rei­chen­den An­ga­ben der Be­klag­ten über den Vor­scha­den des Fahr­zeugs ge­stützt hat. Denn falls der Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten die Klä­ge­rin vor Ab­schluss des Kauf­ver­trags in dem oben ge­nann­ten Sin­ne auf­ge­klärt – und da­mit un­ter Ver­weis auf feh­len­des Wis­sen im De­tail die Be­grenzt­heit des Kennt­nis­stands der Be­klag­ten deut­lich ge­macht (vgl. Se­nat, Urt. v. 07.06.2006 – VI­II ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 15) – ha­ben soll­te, könn­te auch nicht von ei­ner arg­lis­ti­gen Täu­schung sei­tens der Be­klag­ten i. S. von § 123 I Fall 1 BGB aus­ge­gan­gen wer­den.

[32]   3. Die wei­te­ren von der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de er­ho­be­nen Rü­gen hat der Se­nat ge­prüft, je­doch nicht für durch­grei­fend er­ach­tet. Von ei­ner Be­grün­dung wird in­so­weit ab­ge­se­hen (§ 544 VI 2 Halb­satz 2 ZPO).

[33]   IV. Nach al­le­dem ist das Ur­teil des Be­ru­fungs­ge­richts in dem aus dem Te­nor er­sicht­li­chen Um­fang auf­zu­he­ben und der Rechts­streit in­so­weit zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­zu­ver­wei­sen (§ 544 IX ZPO).

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