Ein Berufungsgericht verletzt den Anspruch eines Kraftfahrzeughändlers auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), wenn es zu Unrecht annimmt, der Händler habe sein – unter Beweis gestelltes – erstinstanzliches Vorbringen, einer seiner Mitarbeiter habe den Käufer eines Gebrauchtwagens vor Abschluss des Kaufvertrags ausdrücklich auf einen erheblichen Unfallschaden des Fahrzeugs hingewiesen, in zweiter Instanz „fallen gelassen“, und deshalb gehörswidrig den von dem Händler diesbezüglich angebotenen Beweis auf Vernehmung seines Mitarbeiters nicht erhebt.
BGH, Beschluss vom 08.09.2021 – VIII ZR 258/20
(nachfolgend: OLG Naumburg, Urteil vom 30.05.2022 – 2 U 195/19)
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der beklagten Kraftfahrzeughändlerin im April 2018 für 31.850 € einen gebrauchten Pkw. Der schriftliche Kaufvertrag vom 07.04.2018 verweist bei „Schäden lt. Vorbesitzer“, „offene Schäden“ und „techn. opt. Mängel“ auf ein – dem Kaufvertrag nicht beigefügten – Gebrauchtwagenzertifikat, das nachgereicht werden sollte. In der Rubrik „Sonstige Vereinbarungen“ am Ende der Vertragsurkunde findet sich innerhalb des – klein gedruckten – Fließtexts unter anderem die Angabe: „Kundin wurde über Vorschaden Front und allgemeinen Nachlackierungen vorab informiert, welche nicht nach Herstellerrichtlinien repariert wurden. Art und Umfang unbekannt.“ Das Gebrauchtwagenzertifikat, das die Beklagte der Klägerin bei Übergabe des Fahrzeugs am 24.04.2018 aushändigte, enthält unter anderem die Angabe, dass das Fahrzeug seinem Alter und der Laufleistung entsprechende, typische Gebrauchsspuren aufweise. Im weiteren Verlauf des Texts heißt es, der Pkw sei an "Front/Heck und linke[r] Fzg.-Seite" instandgesetzt und nachlackiert worden; die Reparatur der Vorschäden sei nicht nach Herstellervorgabe erfolgt.
Nach der Übergabe des Fahrzeugs entdeckte die Klägerin in dessen Innenraum Blutspritzer und Glassplitter. Daraufhin suchte sie eine Vertragswerkstatt auf. Dort wurde ihr mitgeteilt, in der Datenbank des Fahrzeugherstellers sei verzeichnet, dass bei dem Pkw im Januar 2018 der Motor ausgetauscht worden sei. Das Fahrzeug habe einen schweren Unfall erlitten, bei dem die Front-Airbags ausgelöst worden seien. Die Reparatur habe einen Kostenaufwand in Höhe von circa 15.000 € erfordert. Mit Schreiben vom 01.05.2018 erklärte die Klägerin unter Verweis auf die vorstehend genannten Umstände ihren Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag. Unter dem 25.03.2019 erklärte sie vorsorglich auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgewähr des streitgegenständlichen Pkw, sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Verzug sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg gehabt, als das Oberlandesgericht der Beklagten eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 330 € für die von der Klägerin zurückgelegten Kilometer zugebilligt hat. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Mit ihrer dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde hat die Beklagte die Zulassung der Revision wegen Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) mit dem Ziel erstrebt, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird. Damit hatte sie Erfolg: Das Urteil des Berufungsgerichts wurde im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: [7] II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen ausgeführt:
[8] Der Klägerin stehe der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags sowohl aufgrund des von ihr wegen des Sachmangels des Fahrzeugs (Unfallwagen mit schwerem Vorschaden) wirksam erklärten Rücktritts vom Kaufvertrag (§ 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I 2 Nr. 2, §§ 323, 346 I, 348 BGB) als auch aufgrund der von ihr wirksam erklärten Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung zu (§ 812 I 1 Fall 1, § 123 I Fall 1, § 142 I BGB). Die Klägerin habe weder durch den Inhalt der Kaufvertragsurkunde noch durch die weiteren ihr von der Beklagten ausgehändigten Unterlagen Kenntnis von dem objektiv vorliegenden schweren, aus einem Unfall herrührenden Vorschaden erhalten. Vielmehr habe die Beklagte diesen Vorschaden in unzulässiger – und arglistiger – Weise verharmlost und bagatellisiert.
[9] Soweit die Beklagte in ihrer Klageerwiderung unter Beweisantritt noch habe vortragen lassen, ihr Mitarbeiter M habe die Klägerin bei der Besichtigung des Fahrzeugs vor Kaufvertragsabschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Fahrzeug einen erheblichen Frontschaden erlitten habe und dieser dem Anschein nach nicht gemäß den Herstellerrichtlinien repariert worden sei, habe die Beklagte diesen Sachvortrag in der Berufungsbegründung fallen gelassen. In der Berufungsbegründung habe die Beklagte dahin gehend argumentiert, am 07.04.2018 sei ein Hinweis auf einen erheblichen Unfallschaden deswegen nicht erfolgt, weil sie das Fahrzeug bei Ankauf nicht untersucht habe. Die Beklagte bestreite in der Berufungsbegründung ausdrücklich eine positive Kenntnis von einem Unfallschaden. Die – zweitinstanzlich verneinte – Kenntnis vom Vorliegen eines Unfallschadens wäre aber denknotwendige Voraussetzung für einen – erstinstanzlich noch behaupteten – Hinweis auf einen erheblichen Unfallschaden.
[10] Zwar habe die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 31.07.2020 – nach einem gerichtlichen Hinweis – ausdrücklich erklärt, dass das Berufungsgericht sie falsch verstanden habe und sie den Vortrag aus der Klageerwiderung habe aufrechterhalten wollen. Eine Beweiserhebung sei gleichwohl nicht angezeigt gewesen, denn das Sachvorbringen der Beklagten wäre unter den vorgenannten Voraussetzungen in sich widersprüchlich, ohne dass die Beklagte vermocht hätte, diese Widersprüchlichkeit nachvollziehbar zu erklären.
[11] III. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 IX ZPO zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
[12] 1. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, verletzt die angefochtene Entscheidung in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG). Denn das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Beklagte habe ihr unter Beweis gestelltes erstinstanzliches Vorbringen fallen gelassen, wonach ihr Mitarbeiter M die Klägerin vor Kaufvertragsabschluss bei Besichtigung des Fahrzeugs ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass das Fahrzeug einen erheblichen – mittelschweren – Frontschaden erlitten habe, dieser dem Anschein nach nicht gemäß den Herstellerrichtlinien repariert worden sei und die Beklagte das Fahrzeug in repariertem Zustand von einem gewerblichen Zwischenhändler eingekauft habe, wobei dem Fahrzeug eine Dokumentation über den Umfang des Schadens und über die durchgeführten Arbeiten nicht beigefügt gewesen sei. Das Berufungsgericht hat damit gehörswidrig den von der Beklagten diesbezüglich angebotenen Beweis auf Vernehmung ihres Mitarbeiters M als Zeugen nicht erhoben.
[13] a) Artikel 103 I GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör als grundrechtsgleiches Recht (vgl. hierzu nur BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 19.03.2018 – 1 BvR 2313/17, juris Rn. 16; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschl. v. 11.04.2018 – 2 BvR 328/18, juris Rn. 11; Senat, Beschl. v. 03.07.2018 – VIII ZR 229/17, WM 2019, 278 Rn. 68, insoweit in BGHZ 219, 161 nicht abgedruckt) soll sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 I GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 I GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris Rn. 15; BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 02.07.2018 – 1 BvR 612/12, NVwZ 2018, 1555 Rn. 31; BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 20.12.2018 – 1 BvR 1155/18, juris Rn. 11; BGH, Beschl. v. 21.09.2017 – V ZR 64/17, juris Rn. 8; Beschl. v. 03.07.2018 – VIII ZR 229/17, WM 2019, 278 Rn. 68, insoweit in BGHZ 219, 161 nicht abgedruckt; Beschl. v. 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 4; jeweils m. w. Nachw.).
[14] Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Die Vernehmung des Zeugen M durfte weder aus den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen noch aus anderen Gründen zurückgewiesen werden.
[15] b) Das Berufungsgericht ist allerdings noch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Beklagte ihr oben genanntes erstinstanzliches Vorbringen im Berufungsverfahren nicht ausdrücklich fallen gelassen hat. Auch eine konkludente Abstandnahme von diesem Vorbringen ist den Ausführungen der Beklagten jedoch – anders als das Berufungsgericht gemeint hat – nicht zu entnehmen.
[16] aa) Die Auslegung von Prozesshandlungen – und damit auch wie hier der Berufungsbegründung – unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der freien revisionsrechtlichen Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. nur BGH, Beschl. v. 12.01.2010 – VIII ZB 64/09, juris Rn. 7 m. w. Nachw.; Beschl. v. 12.07.2016 – VIII ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rn. 6 m. w. Nachw.; Beschl. v. 24.02.2021 – VII ZB 8/21, BauR 2021, 1008 Rn. 11).
[17] bb) Bei dieser Auslegung ist vorliegend zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz ohne Weiteres in den zweiten Rechtszug gelangt und damit Gegenstand des Berufungsverfahrens wird (vgl. nur Senat, Urt. v. 27.09.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Urt. v. 04.07.2012 – VIII ZR 109/11, NJW 2012, 2662 Rn. 16; Beschl. v. 27.02.2018 – VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 30; jeweils m. w. Nachw.). Es bedarf hierzu weder eines erneuten Vortrags der Parteien noch einer Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag (vgl. BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – VI ZR 517/18, NJW-RR 2020, 60 Rn. 8; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 538 Rn. 4). Zwar kann die Partei ihren im ersten Rechtszug gehaltenen Vortrag in der Berufungsinstanz „fallen lassen“, womit er aus dem zweitinstanzlichen Prozessstoff ausscheidet (vgl. MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, a. a. O., § 538 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.01.2017 – III ZR 4/16, NJW-RR 2017, 622 Rn. 22; Beschl. v. 13.12.2012 – III ZR 282/11, NJW 2013, 386 Rn. 14).
[18] Ein Verzicht auf Rechte ist im Allgemeinen jedoch nicht zu vermuten, sodass deren Aufgabe nur unter strengen Voraussetzungen, nämlich einem dahin gehenden unzweideutigen Verhalten oder eindeutigen Anhaltspunkten, angenommen werden kann (vgl. Senat, Beschl. v. 14.11.2017 – VIII ZR 101/17, NJW 2018, 1171 Rn. 17 m. w. Nachw.). Das gilt in gleicher Weise für prozessuales Vorbringen, bei dem hinzukommt, dass etwaige Zweifel über seinen Fortbestand eine Aufklärung nach § 139 I ZPO gebieten (vgl. Senat, Beschl. v. 14.11.2017 – VIII ZR 101/17, NJW 2018, 1171 Rn. 17).
[19] cc) Ein solches unzweideutiges Verhalten der Beklagten oder sonst eindeutige Anhaltspunkte, aus denen sich ergäbe, dass die Beklagte ihren oben (unter III 1) genannten erstinstanzlichen Vortrag im Berufungsverfahren hätte fallenlassen wollen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind auch nicht erkennbar.
[20] Soweit das Berufungsgericht seine gegenteilige Annahme darauf gestützt hat, die Beklagte habe im Berufungsverfahren eine positive Kenntnis von einem Unfallschaden des Fahrzeugs ausdrücklich bestritten und in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein Hinweis an die Klägerin auf einen unerheblichen Unfallschaden sei bei Abschluss des Kaufvertrags deshalb nicht erfolgt, weil die Beklagte das Fahrzeug bei dessen Ankauf nicht untersucht habe und hierzu auch nicht verpflichtet gewesen sei, verkennt das Berufungsgericht – wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt – den Gesamtzusammenhang dieses Vorbringens der Beklagten. Diese hat in der Berufungsbegründung ersichtlich lediglich im Hinblick auf die von dem erstinstanzlichen Gericht vertretene Ansicht, wonach die Beklagte den Unfallschaden bagatellisiert habe, aus ihrer Sicht richtigstellen wollen, dass sie nicht gehalten gewesen sei, gegenüber der Klägerin im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses genaue Ausführungen zu den ihr im Detail damals nicht bekannten Vorschäden des Fahrzeugs zu machen. Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung sind vor diesem Hintergrund dahin zu verstehen, sie sei lediglich verpflichtet gewesen, ihr Wissen von den Vorschäden an die Klägerin weiterzugeben, was sie auch getan habe.
[21] Diese Auslegung des Vorbringens der Beklagten wird dadurch bestätigt, dass sie auf den Hinweis des Berufungsgerichts ausdrücklich klargestellt hat, dass sie ihren oben genannten erstinstanzlichen Vortrag aufrechterhalten wollte. Angesichts dieser eindeutigen Erklärung bleibt – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – kein Raum für die Annahme einer konkludenten Abstandnahme der Beklagten von dem erstinstanzlichen Vortrag.
[22] c) Soweit das Berufungsgericht von der Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen M (hilfsweise) mit der Begründung abgesehen hat, das Sachvorbringen der Beklagten sei in sich widersprüchlich, ohne dass es die Beklagte vermocht hätte, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar zu erklären, rechtfertigt auch dies ein Absehen von der Beweiserhebung nicht.
[23] aa) Denn auch ein möglicherweise widersprüchlicher Vortrag erlaubt es dem Gericht nicht, den benannten Zeugen nicht zu hören. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.2018 – IX ZR 129/17, NJW-RR 2018, 1150 Rn. 21 m. w. Nachw.). Etwaige Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728 Rn. 16; Urt. v. 21.06.2018 – IX ZR 129/17, NJW-RR 2018, 1150 Rn. 21; jeweils m. w. Nachw.). Jedoch können sie nicht dazu führen, dass Beweise überhaupt nicht erhoben werden (BGH, Beschl. v. 27.07.2016 – XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291 Rn. 12 m. w. Nachw.). Dies käme einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich, die das rechtliche Gehör der übergangenen Partei verletzt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 18; Beschl. v. 27.07.2016 – XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291 Rn. 12; jeweils m. w. Nachw.).
[24] bb) Im Übrigen ist es, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, auch nicht als widersprüchlich anzusehen, wenn der Mitarbeiter der Beklagten nach deren Vortrag die Klägerin mündlich auf einen erheblichen Frontschaden hingewiesen haben soll, die Beklagte gleichzeitig aber keine genaue Kenntnis von der Art und dem Umfang des Schadens gehabt haben will. Denn der Verkäufer eines Fahrzeugs kann durchaus von einer früheren erheblichen Beschädigung wissen, ohne genaue Einzelheiten dieses Vorschadens zu kennen. Dies entspricht auch den Angaben im Kaufvertrag der Parteien, wonach das Fahrzeug einen Vorschaden im Frontbereich aufwies, dessen Art und Umfang der Beklagten aber unbekannt gewesen sein sollen.
[25] d) Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung liefe die Erhebung des von der Beklagten angebotenen Beweises auch nicht auf die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises hinaus. Die Beklagte ist mit ihrem Vorbringen ihren Substanziierungspflichten hinreichend nachgekommen.
[26] aa) Eine Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substanziierungspflichten, wenn sie – wie hier – Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen (vgl. Senat, Urt. v. 06.12.2017 – VIII ZR 219/16, NJW-RR 2018, 822 Rn. 26; Beschl. v. 21.10.2014 – VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 20 f.; Beschl. v. 28.02.2012 – VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 6). Dabei ist es unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht (BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 20 f.).
[27] bb) Der Vortrag der Beklagten genügt den vorgenannten Anforderungen. Sie hat im Einzelnen ausgeführt, welche Angaben zum Zustand des Fahrzeugs der Zeuge M gegenüber der Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrags gemacht habe (s. oben unter III 1). Das Berufungsgericht hätte daher dem Beweisangebot der Beklagten nachgehen müssen und hat deren rechtliches Gehör verletzt, indem es dieses Beweisangebot übergangen hat.
[28] 2. Das Berufungsurteil beruht auch auf dieser Gehörsverletzung.
[29] a) Diese Voraussetzung ist bereits dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.02.1994 – 1 BvR 765/89 und 1 BvR 766/89, BVerfGE 89, 381, 392 f.; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.07.2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205 unter II 1 a bb; Senat, Urt. v. 07.04.2021 – VIII ZR 49/19, NJW 2021, 2281 Rn. 68; jeweils m. w. Nachw.).
[30] b) Im Streitfall ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Erhebung des von der Beklagten angebotenen Beweises in Bezug auf die Annahme eines Sachmangels oder jedenfalls in Bezug auf einen Ausschluss der Gewährleistungsrechte nach § 442 I BGB zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre und deshalb den Anspruch der Klägerin auf Rückabwicklung des Kaufvertrags nach § 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I 2 Nr. 2, §§ 323, 346 I, 348 BGB verneint hätte.
[31] c) Dem Beruhen der Entscheidung des Berufungsgerichts auf der vorbezeichneten Gehörsverletzung steht auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auch auf § 812 I 1 Fall 1, §§ 123 I, 142 I BGB mit Blick auf die nach seiner Ansicht unzureichenden Angaben der Beklagten über den Vorschaden des Fahrzeugs gestützt hat. Denn falls der Mitarbeiter der Beklagten die Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrags in dem oben genannten Sinne aufgeklärt – und damit unter Verweis auf fehlendes Wissen im Detail die Begrenztheit des Kenntnisstands der Beklagten deutlich gemacht (vgl. Senat, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 15) – haben sollte, könnte auch nicht von einer arglistigen Täuschung seitens der Beklagten i. S. von § 123 I Fall 1 BGB ausgegangen werden.
[32] 3. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 VI 2 Halbsatz 2 ZPO).
[33] IV. Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 IX ZPO).