1. Ein atypisches – hier durch Schwingungen des Motors entstehendes, „schabendes“ Geräusch, das den Fahrtkomfort nicht beeinträchtigt und auch nicht besonders störend ist, kann den Käufer eines Neuwagens schon deshalb zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen, weil es den nicht auszuräumenden Verdacht eines erhöhten Verschleißes begründet. Denn Ein Rücktrittsrecht des Käufers ist zu bejahen, wenn der nicht auszuräumende Verdacht eines erheblichen Mangels besteht.
  2. Lässt sich ein bei einem Neuwagen auftretendes atypisches Geräusch, das einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB begründet, nur – hier: durch einen Austausch des Getriebes – mit einem Kostenaufwand in Höhe von fast neun Prozent des Kaufpreises beseitigen, ist der Mangel nicht geringfügig i. S. des § 323 V 2 BGB.
  3. Während vom Verkäufer unternommener Nachbesserungsversuche ist die Verjährung der Ansprüche des Käufers wegen eines Sachmangels gemäß § 203 Satz 1 BGB gehemmt.
  4. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung eines VW Golf V 1.6 FSI beträgt 300.000 km.

LG Leipzig, Urteil vom 01.06.2007 – 10 O 551/06

Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der Beklagten am 27.11.2003 für 29.554,50 € einen Pkw VW Golf V 1.6 FSI in der Ausstattungsvariante „Comfortline“. Dieses Fahrzeug holte der Kläger am 26.01.2004 in Wolfsburg ab.

Am 02.11.2005 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass bei dem Pkw ein motor- bzw. getriebebezogenes Geräusch („Tackern“) auftrete. Der VW Golf V befand sich deshalb vom 02. bis zum 03.11.2005 in der Werkstatt der Beklagten. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass die die beanstandeten Geräusche aus dem Getriebe stammen und durch den Schichtladebetrieb verursacht würden. Nachdem die Beklagte in der Zeit vom 09. bis zum 16.11.2005 einen weiteren Nachbesserungsversuch unternommen hatte, forderte der Kläger sie mit Schreiben vom 17.11.2005 letztmalig zur Nachbesserung auf und setze ihr dafür eine Frist bis zum 25.11.2005. Die Beklagte teilte dem Kläger am 01.12.2005 mit, dass bei seinem Pkw kein Mangel vorliege und das Fahrzeug dem Stand der Technik entspreche. Aus Kulanz sei sie, die Beklagte, allerdings bereit, das Getriebe auszutauschen oder dem Kläger eine zusätzliche Gewährleistungszusage zu erteilen.

Der Kläger erklärte sodann mit Schreiben vom 04.01.2006 den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm – Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs – den Kaufpreises zurückzuzahlen. Die Beklagte wies den Rücktritt mit Schreiben vom 10.01.2006 zurück.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von 27.584,23 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgewähr des VW Golf V, in Anspruch genommen und begehrt, den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen. Er hat geltend gemacht, wegen des beanstandeten – störenden – Geräuschs weiche die Istbeschaffenheit des Pkw zu seinem – des Klägers – Nachteil von der Sollbeschaffenheit ab. Denn der im Verkaufsprospekt angepriesene perfekte Laufkomfort sei nicht vorhanden, und dieser Mangel habe schob bei der Übergabe des Fahrzeugs im Januar 2004 vorgelegen. Die der Beklagten zustehende Nutzungsentschädigung hat der Kläger auf der Grundlage einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 300.000 € ermittelt.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat gemeint, die vom Kläger beanstandeten Geräusche stellten keine Abweichung vom Stand der Technik und dem, was ein Käufer üblicherweise erwarte, dar. Insbesondere hätten die Geräusche keinerlei Einfluss auf die Fahrqualität, die Leistung oder die Lebensdauer der einzelnen Bauteile des Pkw. Jedenfalls – so hat die Beklagte geltend gemacht – stehe ihr eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,67 % des Kaufpreises je 1.000 km Laufleistung zu.

Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist begründet. Die Teilabweisung beruht auf dem Abzug der Gebrauchsvorteile vom Kaufpreis aufgrund der seit Klageeinreichung gefahrenen Kilometer.

I. Der Kläger hat aufgrund des wirksam erklärten Rücktritts gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I 2 Nr. 2, § 440 Satz 1 Fall 2, Satz 2, §§ 346 ff. BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Gebrauchsvorteile Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw.

1. Im Ergebnis der Beweiserhebung ist das Gericht davon überzeugt, dass das Fahrzeug einen Sachmangel i. S. des § 434 I BGB aufweist.

Der Sachverständige S hat ausgeführt, dass besonders außerhalb des Fahrzeuginnenraums, im Vorderachsbereich vorn links, ein periodisch wiederkehrendes „schabendes“ Geräusch sehr deutlich wahrnehmbar ist. Dieses Geräusch kann nicht mit den allgemein von Personenkraftwagen erzeugten Standgeräuschen in Einklang gebracht werden. Es stellt eine Abweichung von den allgemein bekannten Standgeräuschen typengleicher Pkw sowie auch anderer Produkte dar. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Ursache dieser Getriebegeräusche bei Fahrzeugübergabe bereits vorhanden war.

Damit liegt ein Mangel gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor, da die Geräuschbildung bei typgleichen Fahrzeugen nicht üblich ist und der durchschnittliche Käufer damit nicht rechnen muss.

2. Gemäß § 440 Satz 1 Fall 2 BGB kann der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Eine Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder aus den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt (§ 440 Satz 2 BGB).

Vorliegend fanden zwei erfolglose Nachbesserungsversuche statt.1Auf die erfolglosen Nachbesserungsversuche, § 440 Satz 1 Fall 2, Satz 2 BGB, hätte nicht abgestellt werden müsse, weil der Kläger der Beklagten unter dem 17.11.2005 – erfolglos – eine Frist zur Nachbesserung gesetzt hatte (§ 323 I BGB). Der Kläger hat der Beklagten danach nochmals mit Schreiben vom 17.11.2005 Gelegenheit zur Nachbesserung bis 25.11.2005 gegeben.

Gemäß § 323 V 2 BGB kann der Käufer vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

Die beschriebenen Geräusche sind zwar nach Auffassung des Gerichts nicht erheblich störend. Auch der Sachverständige hat ausgeführt, dass er im Innenraum bei geschlossenen Fenstern und Türen das Geräusch nicht wahrgenommen hat. Die vom Sachverständigen vorgenommenen Messungen ergaben einen nur unerheblich höheren Geräuschpegel. Auch der Laufkomfort des Motors wird dadurch nicht beeinträchtigt. Allerdings hat der Sachverständige einen möglichen erhöhten Verschleiß der genannten Getriebebauteile nicht ausgeschlossen. Er hat erklärt, dass die Geräuschbildung durch Schwingungen des Motors, die auf das Schaltgetriebe des Pkw übertragen werden, entstehen. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist es möglich, dass die auf das Getriebe übertragenen Schwingungen auf die vorbeilaufenden Getriebewellen und deren Lagerung zu einem erhöhten Verschleiß dieser Bauteile führen.

Damit kann von einem unerheblichen Mangel nicht mehr gesprochen werden. Ein Rücktrittsrecht ist zu bejahen, wenn ein nicht ausräumbarer Verdacht eines erheblichen Mangels besteht (Palandt/​Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 323 Rn. 32).

Nach den Berechnungen des Sachverständigen würde die Beseitigung des Mangels durch den Austausch des Getriebes mindestens 2.600 € brutto kosten. Lässt sich ein Mangel nur mit einem Kostenaufwand von fast neun Prozent des Kaufpreises beseitigen, liegt keine nur unerhebliche Pflichtverletzung des Verkäufers gemäß § 323 V 2 BGB vor.

3. Gemäß § 346 I BGB sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Die Beklagte hat somit den Kaufpreis abzüglich der Gebrauchsvorteile zurückzuzahlen. Der Sachverständige hat erklärt, dass die Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges 300.000 km beträgt. Bei einer linearen Wertminderung bezogen auf die gefahrenen 33.100 km sind die Gebrauchsvorteile mit 3.260,85 € zu bewerten (vgl. Palandt/​Grüneberg, a. a. O., § 346 Rn. 10). Die Beklagte hat somit 26.293,65 € zurückzuzahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

4. Da die Beklagte den Rücktritt mit Schreiben vom 10.01.2006 abgelehnt hat, befindet sie sich in Annahmeverzug (§§ 293, 295 BGB).

Der Kläger hat gemäß § 286 I 1, II Nr. 1, § 288 I BGB Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

II. Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt.

1. Bei Einreichung der Klageschrift am 14.02.2006 war die in § 438 I Nr. 3 BGB geregelte zweijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen. Gemäß § 438 II BGB beginnt die Verjährung mit der Übergabe der Sache, hier also am 26.01.2004. Gemäß § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung gehemmt, solange zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch schweben. Verhandlungen in diesem Sinne sind auch die Nachbesserungsversuche des Verkäufers. Somit war die Verjährung in den Zeiträumen vom 02. bis zum 03.11.2005 und vom 09. bis zum 16.11.2005 sowie vom 17.11. bis zum 01.12.2005 gehemmt. Am 01.12.2005 hat die Beklagte mitgeteilt, dass nach ihrer Auffassung kein Mangel bestehe. Die Verjährungsfrist verlängerte sich somit um 22 Tage, bis zum 17.02.2006.

2. Die Klage wurde am 08.03.2006 zugestellt und damit erhoben i. S. des § 204 I Nr. 1 BGB. Gemäß § 167 ZPO tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit Eingang der Klageschrift ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Am 16.02.2006 erfolgte die Anforderung des Gerichtskostenvorschusses durch das Gericht; am 23.02.2006 wurde der Vorschuss eingezahlt. Die Zustellung am 08.03.2006 erfolgte „demnächst“ i. S. des § 167 ZPO. …

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